Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 19.04.2007, Az.: S 15 SF 48/06

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
19.04.2007
Aktenzeichen
S 15 SF 48/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 61616
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:0419.S15SF48.06.0A

Tenor:

  1. Die von dem Beklagten an die Klägerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für das erstinstanzliche Verfahren (S 15 SB 147/05) werden endgültig auf 429,20 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 07. April 2006 festgesetzt.

Gründe

1

I.

Streitig ist im Erinnerungsverfahren noch die Höhe der von dem Beklagten für das Gerichtsverfahren zu erstattenden außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

2

Im zugrunde liegenden Klageverfahren (S 15 SB 147/05) begehrte die Klägerin die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch \226 Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen \226 (SGB IX), nachdem der Beklagte die dauerhaften Funktionsbeeinträchtigungen zuletzt mit Teilabhilfebescheid vom 26. Mai 2005 mit einem GdB von 30 bewertet hatte. Ihre Prozessbevollmächtigte nahm Akteneinsicht, legte eine ca. 1 1/2-seitige Begründung vor, sandte die der Klägerin überlassenen Vordrucke zurück und überließ dem Gericht einen zusätzlichen Arztbericht. Die 15. Kammer holte diverse Befundberichte ein, welche anschließend der Klägerin und dem Beklagten zur Auswertung und Stellungnahme überlassen wurden. Dieser gab daraufhin ein Anerkenntnis ab, mit dem er sich verpflichtete, den GdB der Klägerin ab Januar 2000 mit 50 zu bewerten. Gleichzeitig erklärte er sich bereit, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen der Klägerin in vollem Umfang zu übernehmen.

3

Zusammen mit der Annahme des Anerkenntnisses beantragte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 05. April 2006 die Festsetzung ihrer Vergütung wie folgt: Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG 250,00 EUR, Terminsgebühr Nr. 3106 Nr. 3 VV-RVG 200,00 EUR, Auslagenpauschale Nr. 7002 VV-RVG 20,00 EUR sowie 16 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV-RVG 75,20 EUR, insgesamt 545,20 EUR.

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Der Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG nur in Höhe von 20,00 EUR entstanden sei und erstattete dementsprechend einen Betrag in Höhe von 337,59 EUR (250,00 EUR Verfahrensgebühr, 20,00 EUR Terminsgebühr, Auslagenpauschale, Mehrwertsteuer sowie 1,19 EUR Zinsen).

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Mit seinem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24. April 2006 setzte der Urkundsbeamte die zu erstattende Gebühr für das Klageverfahren auf 336,40 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07. April 2006 fest. Dabei berücksichtigte er eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV-RVG in Höhe von 170,00 EUR sowie eine Terminsgebühr in Höhe von 100,00 EUR nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer.

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Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 27. April 2006 die Entscheidung des Gerichts beantragt. Die Verfahrensgebühr sei nach Nr. 3102 VV-RVG zu vergüten, da eine Vertretung im Vorverfahren nicht erfolgt sei. Ferner sei die Terminsgebühr in Höhe der Mittelgebühr festzusetzen. Der vermeintlich geringere Umfang der anwaltlichen Tätigkeit wegen des tatsächlich nicht stattgefundenen Termins dürfe sich nicht nachteilig auswirken.

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Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle half der Erinnerung mit Beschluss vom 31. Mai 2006 hinsichtlich der Verfahrensgebühr ab und legte seiner Berechnung nunmehr hierfür einen Betrag in Höhe von 250,00 EUR nach Nr. 3102 VV-RVG zugrunde.

8

Im Übrigen half er der Erinnerung nicht ab und legte sie der Kammer zur Entscheidung vor.

9

Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest, dass eine Terminsgebühr nur in Höhe der Mindestgebühr gerechtfertigt sei.

10

Wegen der übrigen Einzelheiten des Vortrags wird auf die zwischen den Beteiligten geführte Korrespondenz sowie die Prozessakte ergänzend Bezug genommen. Diese Unterlagen lagen vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

11

II.

Die gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Erinnerung ist nicht begründet. Die von der Prozessbevollmächtigten getroffene Gebührenbestimmung war unbillig und deshalb - wie im angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss zutreffend geschehen \226 abweichend festzusetzen. Der darüber hinausgehende Gebührenansatz ist nicht verbindlich, da er unbillig ist.

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1. Die Höhe der nach Durchführung eines Sozialgerichtsverfahrens zu erstattenden Gebühr bestimmt sich grundsätzlich nach dem für die anwaltliche Tätigkeit im Verfahren vor den Sozialgerichten vorgesehenen Gebührenrahmen (§ 3 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG). Die Bestimmung der im Einzelfall angemessenen Gebühr ist gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG dem billigen Ermessen des Prozessbevollmächtigten überlassen, wobei nach dem Gesetzeswortlaut alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers zu berücksichtigen sind. Das Haftungsrisiko ist nach § 14 Abs. 1 S. 3 RVG zu berücksichtigen. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die Gebührenbestimmung des Prozessbevollmächtigten gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

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Der Prozessbevollmächtigte hat bei der Festsetzung der Gebühr Ermessen auszuüben und alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl. 2004, § 14 RVG Rn. 12).

14

2. Die Höhe der Verfahrensgebühr, die die Beteiligten übereinstimmend als Mittelgebühr qualifizierten, steht dabei nicht in Streit.

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3. Die Bestimmung der Terminsgebühr in Höhe der Mittelgebühr ist hingegen nicht verbindlich, weil sie unbillig ist. Vielmehr ist sie von dem Urkundsbeamten zu Recht auf die Hälfte der Mittelgebühr festgesetzt worden.

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a) Der Rechtsstreit wurde durch die Annahme eines Anerkenntnisses beendet, so dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat. Eine Terminsgebühr nach Ziffer 3106 VV ist dennoch entstanden.

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b) Durch die Regelung der Ziffer 3106 VV Ziffern 1 bis 3 soll verhindert werden, dass gerichtliche Termine allein zur Wahrung des Gebührenanspruchs stattfinden müssen; sie bietet einen Anreiz für den Rechtsanwalt, auf die Durchführung des Termins zu verzichten. Die Anwendung der Grundsätze des § 14 RVG auf die "fiktive" Terminsgebühr nach Ziffer 3106 Nr. 1 bis 3 VV RVG ist mit dem Problem behaftet, dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat und dessen Schwierigkeit und Aufwand für den Prozessbevollmächtigten damit nicht bewertet werden können. Die Kammer hält an ihrer bisherigen Rechtsauffassung, wonach sich die Höhe der Terminsgebühr an der Höhe der Verfahrensgebühr zu orientieren hatte, nicht mehr fest und teilt nunmehr auch die Auffassung des Sozialgerichts Hannover (vgl.u.a. Beschluss vom 20. Dezember 2005, - S 34 SF 119/05 -) und des Sozialgerichts Lüneburg (vgl. Beschluss vom 29. August 2006, - S 5 SF 79/06 - und Beschluss vom 29. August 2006, - S 14 SF 42/06 \226), wonach bei der Bemessung der Terminsgebühr auf den hypothetischen Aufwand abzustellen ist, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre. Somit ist eine fiktive Vergleichsbetrachtung anzustellen, in welcher Höhe ein Gebührenanspruch voraussichtlich entstanden wäre, wenn ein Termin stattgefunden hätte.

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c) Das Gesetz eröffnet in Ziffer 3106 VV daher erneut den Gebührenrahmen in vollem Umfang und knüpft nicht an die Höhe der Verhandlungsgebühr an. Gäbe es für die Festlegung der Terminsgebühr nicht die Möglichkeit einer eigenständigen Festsetzung unter Beachtung der in § 14 RVG festgelegten Kriterien, hätte es der Eröffnung eines Gebührenrahmens nicht bedurft. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Normgeber in denjenigen Fällen, in denen keine Betragsrahmengebühren entstehen einen festen Wert \226 nämlich nach Nr. 3104 VV-RVG einen solchen von 1,2 \226 festgeschrieben hat. Insoweit ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht immer dann, wenn es um die Abgeltung der fiktiven Terminsgebühr geht, quasi automatisch nur die Mindestgebühr gerechtfertigt. Anderenfalls hätte der Normgeber auch bei der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG einen bestimmten Betrag festgeschrieben wie er es beispielsweise bei den Angelegenheiten der Beratungshilfe nach Nr. 2600 ff. VV-RVG, in Strafsachen bei den Gebühren des gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts nach den Nr. 4100 ff. VV-RVG oder den sonstigen Verfahren nach den Nr. 6100 ff. VV-RVG getan hat. Auch wenn in diesen Verfahren keine Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen, war sich der Normgeber offensichtlich durchaus der Möglichkeit der Festschreibung von Gebührenbeträgen bewusst.

19

d) Wenn danach auch bei der fiktiven Terminsgebühr von einem Gebührenrahmen zwischen 20,00 EUR und 380,00 EUR auszugehen ist, ergibt eine auf einen hypothetischen Termin bezogene Abwägung der Kriterien des § 14 RVG, dass insoweit eine unterdurchschnittliche Angelegenheit vorliegt und die Hälfte der Mittelgebühr als angemessen zu betrachten ist. Dem Anwalt steht die Mittelgebühr hinsichtlich der Terminsgebühr für Termine mit durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem Aufwand und durchschnittlicher Bedeutung für den Mandanten zu. Entscheidend ist eine Gesamtabwägung. Es müssen sämtliche den Gebührenanspruch potentiell beeinträchtigenden Faktoren miteinander und gegeneinander im Einzelfall abgewogen werden.

20

Diese Abwägung ergibt vorliegend, dass für die Terminsgebühr ein Wert unterhalb der Mittelgebühr festzusetzen ist.

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aa) Dabei ist der anwaltliche Aufwand für den nicht stattgefundenen entbehrlichen Termin als weit unterdurchschnittlich zu werten. Bei der fiktiven Terminsgebühr nach Ziffer 3106 Nr. 3 VV RVG \226 also bei Erledigung durch angenommenes Anerkenntnis \226 besteht die Besonderheit, dass ein Anerkenntnis vorliegt, das im (hypothetischen) Termin lediglich noch der Annahme bedurft hätte, ein solcher Termin insoweit mit keinem besonderen Aufwand verbunden gewesen wäre. Sinn und Zweck des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ist in erster Linie die sachgerechte Vergütung (des Aufwands) für den Bevollmächtigten. Diese ist aber erfahrensgemäß sehr unterschiedlich, je nachdem, ob er an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen muss oder nicht. Nimmt der Mandant ein Anerkenntnis der Gegenseite an, führt dies auch beim Bevollmächtigten zu einer erheblichen Reduzierung seines Aufwands in diesem Verfahren. Die Annahme des Anerkenntnisses kann er dem Gericht in einem kurzen Schriftsatz mitteilen. Der im Vergleich zur notwendigen Teilnahme einer mündlichen Verhandlung also deutlich verminderte Aufwand kann gebührenrechtlich nicht außer Betracht bleiben. Unberücksichtigt bleiben darf dabei auch nicht, dass eine mündliche Verhandlung, welche regelmäßig eine zusätzliche Vorbesprechung, Vorbereitung und Terminswahrnehmung mit - je nach Einzelfall unterschiedlich aufwändigem - Hin- und Rückweg nicht stattgefunden hat. In der Zusammenschau sieht das Gericht deshalb den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit insoweit als weit unterdurchschnittlich an.

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Da bei der Bemessung auch der Terminsgebühr gemäß § 14 RVG jedoch alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, kann andererseits auch nicht allein auf den zu erwartenden geringen Aufwand allein abgestellt werden.

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bb) Indes erscheint auch der Schwierigkeitsgrad eines entsprechenden Termins unterdurchschnittlich. Streitig war zwar insoweit die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft. Gemessen an dem Schwierigkeitsgrad der sonstigen bei den Sozialgerichten zu verhandelnden Rechtsstreitigkeiten auch im Schwerbehindertenrecht, in dem im Termin medizinische Unterlagen und regelmäßig ein ausführliches schriftliches Sachverständigengutachten auszuwerten und zu erörtern sind sowie gegebenenfalls eine Anhörung der Beteiligten erforderlich ist, weicht die Schwierigkeit eines solchen (fiktiven) Termins zweifelsfrei nach unten ab, zumal auch nicht die Zuerkennung der medizinischen Voraussetzungen für ein Merkzeichen begehrt worden ist und hätte erörtert werden müssen. Auch und gerade darf bei der Bewertung des Schwierigkeitsgrades kostenrechtlich nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beklagte die Klägerin klaglos gestellt hat und es in einem etwaigen Termin lediglich noch der Erklärung der Annahme des Anerkenntnisses bedurft hätte. Der vorliegende Termin wäre bezogen auf die Höhe der Terminsgebühr nach alledem mit Sicherheit nicht durchschnittlich schwierig.

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cc) Mit Blick auf die Auftraggeberin bzw. deren Eltern ist indes - bei angenommenen durchschnittlichen Einkommensverhältnissen - von einer unterdurchschnittlichen Bedeutung auszugehen. Die wesentliche Rechtsbedeutung der Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin bzw. deren Eltern liegt im Steuerrecht. Eine existenzsichernde oder arbeitsplatzsichernde Funktion kommt der erfolgreichen Klage der minderjährigen Klägerin nicht zu; jedenfalls ist hierzu weder etwas vorgetragen, noch im Übrigen sonst ersichtlich.

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dd) Demgemäß erscheint auch das Haftungsrisiko unterdurchschnittlich.

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ee) Wägt man die dargestellten unterdurchschnittlichen Anforderungen der anwaltlichen Tätigkeit mit den durchschnittlichen Vermögensverhältnissen und der unterdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin sowie das unterdurchschnittliche Haftungsrisiko gegeneinander ab, ist das vorliegende Streitverfahren daher auch hinsichtlich der Festsetzung der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG von dem Urkundsbeamten in Höhe von 100,00 EUR - mithin in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr - kostenrechtlich in nicht zu beanstandender Weise erfasst worden.

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e) Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass der Beklagte der Klägerin für das erstinstanzliche Verfahren außergerichtliche Kosten in Höhe von 429,20 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07. April 2006 zu erstatten hat. Hinsichtlich der einzelnen Berechnungsschritte wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten vom 31. Mai 2006 Bezug genommen.

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4. Die Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig.