Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 10.12.2007, Az.: S 25 AS 1623/07 ER
Grundsicherungsleistungen für den Arbeitssuchenden im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes; Pflicht eines Arbeitssuchenden zur Offenlegung seiner Einkommensverhältnisse und Verwmögensverhältnisse; Verpflichtung eines Arbeitssuchenden zum Nachweis über seinen Kontostand und Kontobewegungen in den letzten Monaten
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 10.12.2007
- Aktenzeichen
- S 25 AS 1623/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 65548
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:1210.S25AS1623.07ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I
- § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II
- § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II
- § 103 S. 1 SGG
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 19. November 2007 wird abgelehnt. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von D., wird abgelehnt.
Gründe
Der Antrag der Antragsteller,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihnen Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren,
war abzulehnen, da er bereits unzulässig ist. Denn ihnen steht das auch für die Durchführung einstweiliger Rechtsschutzverfahren erforderliche und von Amts wegen zu prüfende Rechtsschutzbedürfnis nicht zur Seite.
Am Rechtsschutzbedürfnis fehlt es, wenn das angestrebte Ziel auf einfachere Weise - insbesondere durch eigene (zumutbare) Mitwirkungshandlungen - erreicht werden kann und sich dadurch die Einleitung gerichtlicher Schritte als überflüssig erweist. Dies ist hier der Fall. Die Antragsteller begehren Leistungen nach dem SGB II ab dem Monat November 2007. Darüber hätte einfacher und schneller durch den Antragsgegner entschieden werden können, wenn der Antragsteller zu 1. ihm (zumindest) die verlangten Kontoauszüge vorgelegt hätte, wie es seiner Mitwirkungspflicht aus § 65 Abs. 1 Nr. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) entsprochen hätte.
Um die Versagung der Leistungen zu vermeiden, war der Antragsteller zu 1. gehalten, dem Antragsgegner die Kontoauszüge seit Dezember 2006 vorzulegen; denn gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers u.a. Beweisurkunden vorzulegen. Die Pflicht zur Vorlage der Kontoauszüge ergibt sich aus der Mitwirkungspflicht gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I. Danach hat der, der Sozialleistungen beantragt,
- 1.
alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen,
- 2.
Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen,
- 3.
Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen.
Bei den Kontoauszügen handelt es sich um derartige Beweisurkunden (so auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen , Beschluss vom 12. Juli 2006 - L 9 B 48/06 AS ER). Da die Antragsteller Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende beantragt haben und diese Leistung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II nur derjenige erhält, der hilfebedürftig ist, war der Antragsgegner berechtigt, die Kontoauszüge anzufordern, um die Hilfebedürftigkeit überprüfen zu können. Die Vorlage der Kontoauszüge ist dabei geeignet, die Hilfebedürftigkeit festzustellen, weil aus den Kontoauszügen neben dem jeweiligen Kontostand auch die zurückliegenden Kontobewegungen ersichtlich sind. Nur so kann der Antragsgegner überprüfen, ob die Antragsteller Zuwendungen Dritter erhalten oder größere Beträge transferiert haben und welche sonstigen leistungserheblichen Transaktionen vorgenommen wurden. Die Vorlage der Kontoauszüge ist auch erforderlich, weil der Antragsgegner auf andere Weise die Einkommensverhältnisse in der Zeit vor der Antragstellung nicht überprüfen kann. Nur wenn die Kontoauszüge für die Zeit vor dem Beginn des Leistungsbezugs vorliegen, hat der Leistungsträger die Möglichkeit überprüfen zu können, ob die Voraussetzungen des § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II vorliegen, d.h. ob der Hilfebedürftige sein Einkommen oder Vermögen in der Absicht gemindert hat, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Alg II herbeizuführen. Wollte man den Leistungsträger darauf verweisen, den Angaben der Arbeitsuchenden ohne Nachweise zu vertrauen, wäre ein Leistungsmissbrauch nicht auszuschließen. Um feststellen zu können, ob der Arbeitsuchende Zuwendungen Dritter erhalten oder größere Beträge transferiert hat und welche sonstigen leistungserheblichen Transaktionen bisher vorgenommen wurden, sind Nachweise über die finanziellen Verhältnisse in den letzten Monaten notwendig. Dabei lässt sich den maßgeblichen Vorschriften der §§ 60 ff. SGB II keine zeitliche Begrenzung entnehmen; vielmehr kommt es entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls an. Diese Umstände gebieten es nach dem Vorstehenden, hier die Kontobewegungen insbesondere des Geschäftskontos des Antragstellers zu 1. zumindest seit dem Zufluss des Werklohnes in Höhe von 10.000,00 EUR zu überprüfen, weil nicht von vornherein auszuschließen ist, dass der Antragsteller zu 1. aus seiner selbständigen Tätigkeit (weitere) Einnahmen verbucht hat, die er gegebenenfalls vorrangig zur Verringerung des Hilfebedarfs einzusetzen hatte oder noch einzusetzen hat.
Soweit die Antragsteller im Kern auch einwenden, zurückliegende Kontobewegungen änderten nichts an ihrer aktuellen Bedarfslage überzeugt auch dies die Kammer nicht. Falls der Arbeitsuchende z.B. seine Hilfebedürftigkeit durch Schenkungen im Vorfeld der Antragstellung selbst herbeigeführt hätte, könnten zivilrechtliche Rückforderungsansprüche bestehen (§ 528 BGB: Rückforderung wegen Verarmung des Schenkers), die - sofern rechtlich und tatsächlich durchsetzbar - der Hilfebedürftigkeit entgegenstehen könnten (vgl. etwa Verwaltungsgericht Sigmaringen, Urteil vom 23.November2000, - 2 K 1886/99). Damit ist eine Offenlegung der Einkommens- und Vermögensentwicklung gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I auch für die Zeit vor der Antragstellung "für die Leistung erheblich". Gemäß § 103 S. 1 SGG obliegt den Beteiligten im Übrigen auch im gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung.
Auch die Grenzen der Mitwirkungsverpflichtung gemäß § 65 SGB I sind nicht überschritten. Gemäß § 65 Abs. 1 SGB I bestehen die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 SGB I nicht, soweit
- 1.
ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder
- 2.
ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder
- 3.
der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann.
Die Vorlage der Kontoauszüge steht in einem angemessenen Verhältnis zum beantragten Arbeitslosengeld II (Nr. 1). Bei der Gewährung von Arbeitslosengeld II kann es sich um monatliche Leistungen in Höhe von mehreren hundert Euro handeln. Im Hinblick darauf ist der Nachweis über den Kontostand und Kontobewegungen in den letzten Monaten nicht unangemessen.
Es ist auch kein wichtiger Grund ersichtlich, warum dem Antragsteller die Beibringung der Unterlagen nicht zugemutet werden könne (Nr. 2). Soweit sich die Antragsteller darauf berufen, die angeforderten Kontounterlagen befänden sich bei den Prozessbevollmächtigten des ehemaligen Auftraggeber des Antragstellers zu 1. kann offen bleiben, ob dies überhaupt zutreffend ist. Jedenfalls haben die Antragsteller - darauf hat der Antragsgegner bereits zutreffend hingewiesen - nicht glaubhaft gemacht, dass sie den Versuch unternommen hätten, die Kontounterlagen zumindest in Kopie zu erhalten, um sie dem Antragsgegner zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus konnte die Kammer nach Durchsicht der beigezogenen Akte des Landgerichts Verden -F.- dieser weder (Original-)Kontounterlagen des Antragstellers zu 1., noch sonstige Hinweise darauf entnehmen, dass er den Prozessbevollmächtigten seiner ehemaligen Auftraggeber (Original-)Kontoauszüge zur Verfügung gestellt hat.
Der Antragsgegner kann sich die erforderlichen Kenntnisse auch nicht selbst durch einen geringeren Aufwand als die Antragsteller beschaffen (Nr. 3). Der Antragsteller bräuchte die Kontoauszüge - zumindest in Kopie (s. o.) - lediglich anlässlich einer Vorsprache oder per Post vorlegen. Es ist nicht erkennbar, inwieweit der Antragsgegner diese Unterlagen mit einem geringeren Aufwand beschaffen könnte. Im Gegenteil, der den Antragstellern zugemutete Aufwand ist - auch unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten mit den gegnerischen Prozessbevollmächtigten, die allein in der Sphäre der Antragsteller liegen - sehr gering.
Schließlich sprechen weder das Sozialgeheimnis noch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegen die Pflicht zur Vorlage der Kontoauszüge. Da es sich bei den angeforderten Kontoauszügen um leistungserhebliche Tatsachen und Beweismittel im Sinne des § 60 Abs. 1 SGB I handelt, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben der Sozialverwaltung erforderlich sind (§ 67 a SGB X), steht der Schutz der Sozialdaten aus § 35 SGB I sowie aus den §§ 67 ff. SGB X dem Verlangen nicht entgegen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht verletzt; denn dieses Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird durch § 60 SGB I eingeschränkt. Grundrechte gelten nicht schrankenlos. Sie sind entweder durch die Grundrechte selbst oder durch einfach gesetzliche Regelungen beschränkt. Garantiert wird lediglich der unantastbare Wesensgehalt. Dieser ist hier aber nicht verletzt, da die Daten nur im Rahmen der Bearbeitung des Leistungsantrags erhoben werden, für den sie erheblich sind. Einen (Anfangs-)Verdacht auf beabsichtigten Leistungsmissbrauch im Einzelfall, wie ihn das Hessische Landessozialgericht (vgl. etwa Beschluss vom 22. August 2005 - L 7 AS 32/05 ER) als Voraussetzung für das Verlangen der Vorlage für notwendig erachtet, hält die Kammer nach den obigen Ausführungen nicht für erforderlich.
Da die Antragsteller die ihnen von dem Antragsgegner in Bezug auf die Kontoauszüge des Geschäftskontos auferlegte Mitwirkungspflicht nicht erfüllt haben und die Nachholung der Mitwirkung zumutbar ist, steht ihnen ein einfacherer Weg zur Seite, die Leistungsgewährung herbeizuführen.
Hinsichtlich der sonstigen angeforderten Unterlagen (Gewinn- und Verlustrechnung, Gründungskonzept sowie eine Aufstellung privater und betrieblicher Konten) dürfte sich deren Vorlage durch die Einreichung der Kontoauszüge und im Hinblick auf die zum 01. November 2007 erfolgte Gewerbeabmeldung erübrigen.
Weil das Rechtsschutzbegehren danach bereits unzulässig ist, kommt es nicht mehr darauf an, inwieweit der auf § 66 SGB I gestützte Versagungsbescheid des Antragsgegners vom 29. Oktober 2007 einer rechtlichen Überprüfung standzuhalten vermag. Nur am Rande erlaubt sich die Kammer allerdings den Hinweis, dass sie bereits deshalb erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung hat, weil der Bescheidbegründung nicht zu entnehmen ist, ob sich der Antragsgegner dem ihm eingeräumten Ermessen bewusst war und damit bereits einen Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensnichtgebrauchs begangen hat. Allerdings ist andererseits den Verwaltungsvorgängen auch nicht zu entnehmen, dass gegen den Versagungsbescheid vom 29. Oktober 2007 überhaupt Widerspruch erhoben worden ist. Wenn dem nicht so wäre, läge auch kein regelungsbedürftiges Rechtsverhältnis (mehr) vor, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt das Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses zu verneinen wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Da die im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrte Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Leistungsgewährung erfolglos geblieben ist, war auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von G., gemäß § 73 a SGG i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO)) abzulehnen.