Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 09.11.2007, Az.: S 25 AS 1475/07 ER
Anspruch auf zur vorläufigen Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende; Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts; Aufhebung der Bewilligung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund örtlicher Unzuständigkeit des Leistungsträgers
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 09.11.2007
- Aktenzeichen
- S 25 AS 1475/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 65546
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:1109.S25AS1475.07ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 36 SGB II
- § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II
- § 330 Abs. 2 SGB III
- § 45 Abs. 1 SGB X
- § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X
- § 45 Abs. 2 SGB X
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 10. September 2007 / 17. Oktober 2007 wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II).
Der 1954 geborene Antragsteller bezog seit dem Jahre 2005 von der Antragsgegnerin laufende Leistungen nach dem SGB II und gab bis dahin in seinen Leistungsanträgen als Wohnanschrift jeweils die "C. in 21077 Hamburg" an. Nachdem der Antragsteller in seinem Fortzahlungsantrag vom 06. Juli 2007 als Anschrift nunmehr "D. in 21224 Rosengarten" mitgeteilt hatte, lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 18. Juli 2007 diesen Antrag unter Berufung auf ihre Unzuständigkeit ab. Nachdem der Antragsteller hiergegen mit Schreiben vom 19. Juli 2007 Widerspruch erhob, in dem er mitteilte, die Wohnung in der C. in Hamburg gekündigt zu haben, hob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11. September 2007 ihren vorhergehenden Bewilligungsbescheid vom 18. Dezember 2006 (Bewilligungszeitraum: 01. Dezember 2006 bis 31. Mai 2007) mit Wirkung zum 01. März 2007 mit der Begründung auf, der Antragsteller sei nach Rosengarten verzogen, wodurch ein Wechsel der Zuständigkeit eingetreten sei. Gleichzeitig erklärte sie diesen Aufhebungsbescheid unter Berufung auf § 86 SGG zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Über den Widerspruch ist bislang - soweit ersichtlich - nicht entschieden worden.
Am 10. September 2007 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Dieses erklärte sich mit Beschluss vom 15. Oktober 2007 - S 9 AS 2018/07 ER - für (örtlich) unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Sozialgericht Lüneburg.
Der Antragsteller führt im Wesentlichen aus, er sei weiterhin in der C. in Hamburg gemeldet, so dass die Antragsgegnerin ihm Leistungen zu gewähren habe. Er wohne nur vorübergehend bei seiner Ehefrau in Rosengarten, mit der er in Scheidung lebe und mit der es schon zu körperlichen Gewalttätigkeiten gekommen sei. Ein "Umzug" nach Niedersachsen komme nicht in Betracht.
Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß),
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Grundsicherung zum Lebensunterhalt gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie aus, der Antragsteller erhalte seit dem 01. März 2007 keine laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Wovon er seitdem seinen Lebensunterhalt bestritten und vor allem, wo er sich seitdem aufgehalten habe, sei weder nachgewiesen, noch glaubhaft gemacht. Er habe jedoch seinen gewöhnlichen Aufenthalt nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, damit der zuständige Leistungsträger ermittelt und von diesem dann Leistungen gewährt werden könnten. Jedenfalls sei sie wegen des mehrfach nachgewiesenen Aufenthaltes des Antragstellers in Rosengarten nicht zuständig.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Prozessakte Bezug genommen. Neben der Prozessakte hat die den Antragsteller betreffende Leistungsakte der Antragsgegnerin (E.) vorgelegen; diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Streitgegenstand ist zum einen, ob die mit Bescheid vom 11. September 2007 erfolgte Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 18. Dezember 2006, mit dem dem Antragsteller laufende Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007 gewährt wurden, rechtmäßig ist. Da die Antragsgegnerin bereits mit diesem Bescheid Leistungen bewilligt hatte, muss der Antragsteller sein Begehren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG richten. Der Antrag ist jedoch unbegründet (dazu unter 1.).
Soweit der Antragsteller darüber hinaus - mit Blick auf seinen Fortzahlungsantrag vom 06. Juli 2007 - Leistungen auch zumindest ab diesem Zeitpunkt begehrt, kann er dies nur durch einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG erreichen. Nach der genannten Vorschrift ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Anordnungsanspruch - die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist - sowie der Anordnungsgrund - die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung - sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - (ZPO) -). Aber auch diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt (dazu unter 2.).
1.
Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung steht im Ermessen des Gerichts. Dabei sind einerseits das Interesse der Verwaltung an der - sofortigen - Vollziehung der getroffenen Entscheidung und andererseits das Interesse des Antragstellers an der Auszahlung des Arbeitslosengeldes II gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung ist auf die Erfolgsaussicht des zugrunde liegenden Widerspruchs einerseits und auf Billigkeitsgesichtspunkte andererseits abzustellen (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, § 86 b, Rdnr. 12, 12 c). Nach der hiernach vorzunehmenden Interessensabwägung kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht.
Nach der in Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen sumarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage besteht keine überwiegende Erfolgsaussicht des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid der Antragsgegnerin vom 11. September 2007.
Allerdings ist - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 01. März 2007 die Vorschrift des § 45 Abs. 1 und Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) in Verbindung mit § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) und § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II. Danach ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch, nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückzunehmen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Der Bewilligungsbescheid vom 18. Dezember 2006 dürfte sich als von Anfang an rechtswidrig erweisen. Voraussetzung für die Erbringung von Leistungen durch die Antragsgegnerin ist nämlich u.a. gemäß § 36 SGB II zunächst deren örtliche Zuständigkeit. Diese war jedoch nach dem gesamten Aktenmaterial spätestens seit dem 26. Juli 2006 nicht mehr gegeben, weil die eindeutige Melderegisterauskunft der Freie und Hansestadt Hamburg vom 12. September 2007 dieses Datum als Auszugsdatum nach Rosengarten, also außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Antragsgegnerin, benennt. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten verweist die Kammer auf die Ausführungen im Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2007 - S 9 AS 2018/07 ER - (dort S. 2 des Entscheidungsabdrucks), die sie zur Grundlage ihrer eigenen Entscheidung macht. Darüber hinaus enthielt auch die von dem Antragsteller an das erkennende Gericht übersandte Stellungnahme vom 25. Oktober 2007 die Anschrift in Rosengarten als Absendeadresse.
Die Antragsgegnerin kann daher den Verwaltungsakt nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X zurücknehmen, weil der Antragsteller bei der Bewilligung der Leistungen durch Bescheid vom 18. Dezember 2006 vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben zu seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort gemacht hat. Die Rücknahme der Bewilligung ab 01. März 2007 dürfte somit nicht zu beanstanden sein.
2.
Der Antragsteller hat ferner nicht glaubhaft machen können, dass ihm derzeit gegen die Antragsgegnerin Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende nach dem SGB II zustehen, da er weder seinen gewöhnlichen, noch seinen tatsächlichen Aufenthaltsort im Sinne des § 36 SGB II im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin innehat. Insoweit fehlt es jedenfalls am Vorliegen eines Anordnungsanspruches.
3.
Mangels vorhergehenden Leistungsantrages bei dem für seinen Aufenthaltsort zuständigen Leistungsträger kam auch eine entsprechende Beiladung nicht in Betracht, zumal der Antragsteller auch auf mehrfache Aufforderung durch das Gericht, einen seinen Leistungsanspruch realisierenden Leistungsantrag bei dem eigentlich zuständigen Leistungsträger für die Gemeinde Rosengarten offensichtlich nicht zu stellen gewillt ist. Insoweit ist wegen des eindeutigen Begehrens des Antragstellers auf Leistungserbringung (nur) durch die Antragsgegnerin auch kein Raum für eine gegebenenfalls in Betracht kommende Anwendung des § 16 Abs. 2 S. 1 bzw. des § 43 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I).
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG. Sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
5.
Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.