Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 06.09.2007, Az.: S 28 AS 285/07
Gewährung von Unterkunftskosten und Heizkosten als Grundsicherungsleistungen; Zusicherung eines zuständigen Leistungsträgers zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen; Bemessung von Unterkunftskosten für einen Zwei-Personen-Haushalt
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 06.09.2007
- Aktenzeichen
- S 28 AS 285/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 53393
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0906.S28AS285.07.0A
Rechtsgrundlagen
- § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II
- § 22 Abs. 2 SGB II
- Art. 20 Abs. 3 GG
Tenor:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 17. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2007 verpflichtet, den Klägern unter Berücksichtigung von monatlichen Unterkunfts- und Heizkosten von 392,74 EUR Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01. Januar bis 30. Juni 2007 zu gewähren.
Die Beklagte hat den Klägern ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Kläger erstreben von der Beklagten die Übernahme der vollen Unterkunfts- und Heizkosten für die Zeit vom 01. Januar bis 30. Juni 2007.
Der 1972 geborene Kläger zu 1 bezieht seit 2005 Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Die 1975 geborene Klägerin zu 2 zog am 12. Februar 2007 beim Kläger zu 1 in dessen Wohnung ein und wurde in dessen Bedarfsgemeinschaft aufgenommen.
Beide Kläger bewohnen eine 72,90 qm große 3 - Zimmer - Wohnung in der H. in I., dessen Eigentümer der Vater des Klägers zu 1 war. Einen Mietzins für die Wohnung musste der Kläger zu 1 ursprünglich laut Mietvertrag vom 02. September 2001 (Bl. 9 bis 12 der Verwaltungsakte) nicht entrichten. Seit Einzug am 01. August 2001 zahlte er 60,- Euro für monatliche Nebenkostenabschläge und 75,- Euro für Heizkostenabschläge.
Am 26. Juni 2006 schloss der Kläger zu 2 mit seinen Eltern und seinen 3 Geschwistern einen notariellen Vertrag ab (Nr. J. der Urkundenrolle Jahrgang 2006 des Notars K.; Bl. 277 bis 295 der Verwaltungsakte), in welchem er ein lebenslanges Wohnrecht erhielt. Gleichzeitig wurde schuldrechtlich vereinbart, dass der Kläger das im Rahmen der Wohnungseigentümergemeinschaft festgesetzte Wohngeld unter Freistellung der Eigentümer an den Verwalter zu zahlen hat bzw. bei Nichtdeckung der Vorauszahlungen Nachzahlungen auszugleichen hat (§ 2.4.2.2 des Vertrages). Ferner verpflichtete er sich während des Bestandes des Wohnungsrechtes alle Kosten zu übernehmen, die im Rahmen der Dauer des Bestandes des Wohnungsrechtes für die Instandhaltung und -setzung des Wohneigentums einschließlich des Gemeinschaftseigentums anfallen, sowie die Grundsteuer B zu übernehmen. Die Übertragung wurde zum 01. Februar 2007 vereinbart (§ 4.1.1 des Vertrages).
Die Beklagte bewilligte zunächst mit Bescheid vom 17. Januar 2007 dem Kläger zu 1 Leistungen für den Monat Januar 2007 in Höhe von 477,31 Euro und für die Zeit vom 01. Februar bis 30. Juni 2007 monatlich in Höhe von 527,31 Euro (Bl. 346 der Verwaltungsakte). Dabei legte sie angemessene Unterkunfts- und Heizkosten von 182,31 Euro zugrunde.
Nach der Mietbescheinigung vom 26. Januar 2007 betragen die Unterkunftskosten ab dem 01. Februar 2007 408,- Euro monatlich, wobei auf Heizungskosten 101,71 Euro entfallen (Bl. 335 bis 336 der Verwaltungsakte). Des Weiteren ist in dem Gesamtbetrag enthalten ein Betrag von 104,20 Euro für Hausgeld und ein Betrag von 100,- Euro für Instandsetzungs- und Renovierungskosten.
Mit Bescheid vom 24. Januar 2007 änderte die Beklagte die ursprüngliche Bewilligung teilweise ab und bewilligte dem Kläger zu 1 Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 527,31 Euro für die Zeit vom 01. März bis 30. Juni 2007 (Bl. 313 der Verwaltungsakte). Dabei ging die Beklagte von einem Betrag an angemessenen Unterkunftskosten von 182,31 Euro aus.
Dagegen legte der Kläger zu 1 am 06. Februar 2007 Widerspruch ein (Bl. 332 bis 334 der Verwaltungsakte), den er damit begründete, dass 307,99 Euro Unterkunftskosten zuzüglich Heizkosten von 101,71 Euro zu gewähren seien. Es müssten die nach der rechten Spalte der Wohngeldtabelle angemessenen Unterkunftskosten bewilligt werden. Auch durch einen Umzug könne der Kläger zu 1 die Unterkunftskosten nicht senken.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2007 zurück (Bl. 350 bis 352 der Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:
Der Kläger zu 1 habe keinen Anspruch auf die Gewährung höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung, weil er vor Abschluss des notariellen Vertrages keine Zusicherung der Beklagten gemäß § 22 Absatz 2 SGB II eingeholt habe. Nach § 22 SGB II könnten in diesem Fall nur die zuvor erbrachten Aufwendungen erstattet werden. Der Abschluss des notariellen Vertrages sei einem Umzug gleichzustellen. Ein Umzugsgrund habe nicht vorgelegen. Daher seien weiterhin nur Leistungen für die Sicherung der Unterkunft in Höhe von 95,86 Euro für Nebenkosten und 86,45 Euro für Heizkosten zu berücksichtigen.
Die Kläger legten am 28. Februar 2007 Klage ein (Az.: S 28 AS 285/07).
Mit Bescheid vom 28. Februar 2007 änderte die Beklagte die Bewilligung für die Zeit vom 01. März bis 30. Juni 2007 erneut ab, indem sie die Klägerin zu 2 ab dem 01. März 2007 in die Bedarfsgemeinschaft des Klägers zu 1 aufnahm. Dabei ging sie weiterhin von einem Betrag von 182,31 Euro als angemessene Kosten der Unterkunft aus.
Die Kläger tragen vor:
Wenn der Kläger zu 1 den notariellen Vertrag nicht unterzeichnet hätte, wären ihm allenfalls Pflichtteilsansprüche verblieben. Er habe auf den Inhalt keinen Einfluss gehabt. Die Beklagte hätte vor Abschluss des notariellen Vertrages keinen Anspruch auf Kenntniserlangung geltend machen dürfen. Im Übrigen unterlägen derartige Vereinbarungen der Privatautonomie. Die monatlichen Unterkunftskosten betrügen nunmehr 206,29 Euro für Hauskosten nebst Rücklagen, Instandsetzungs- und Renovierungskosten von 100,- Euro. Die Heizungskosten beliefen sich auf 86,45 Euro. Es sei einzuräumen, dass nunmehr relativ hohe Unterkunftskosten anfielen. Jedoch sei zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit äußerst günstige Aufwendungen entstanden seien. Nachdem zum 01. März 2007 die Klägerin zu 2 zugezogen sei, seien die Unterkunftskosten jedoch angemessen, weil der Wert der rechten Spalte der Wohngeldtabelle von 425,- Euro unterschritten werde.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 17. Januar 2007 in Gestalt der Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2007 die Beklagte zu verpflichten, den Klägern unter Berücksichtigung von monatlichen Unterkunfts- und Heizkosten von 392,74 Euro Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende nach dem SGB II für die Zeit vom 01. Januar bis 30. Juni 2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor.
Der Mietvertrag vom 02. September 2001 sei noch rechtsgültig. Es stelle keinen Eingriff in die Privatautonomie dar, wenn Rechtsfolgen an solche Vereinbarungen im Rahmen des SGB II geknüpft werden würden.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2007 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten.
Rechtsgrundlage des Klagebegehrens ist § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II.
§ 22 Absatz 1 Satz 2 SGB II stellt keine taugliche Rechtsgrundlage für die Begrenzung der Unterkunfts- und Heizkosten auf das vor dem 01. Februar 2007 bestehende Maß vorgetragen hat. Dies wäre jedoch wegen Artikel 20 Absatz 3 GG notwendig gewesen.
Die Beklagte kann sich nicht auf die Norm des § 22 Absatz 1 Satz 2 SGB II berufen, weil kein Umzug des Klägers zu 1 während des Leistungsbezuges vorgelegen hat. Ein Umzug setzt bereits begrifflich einen Wohnungswechsel in eine neue Unterkunft voraus ( vgl. Beschluss des Landessozialgerichtes Niedersachsen - Bremen vom 18. April 2007, - L 9 AS 139/07 ER -). Eine erweiternde Auslegung des § 22 Absatz 1 Satz 2 SGB II in der von der Beklagten angedachten Art und Weise ist angesichts des klaren Wortlautes der Norm, an dem jede Auslegung seine Grenze findet, nicht statthaft.
Da bereits begrifflich kein Umzug gegeben war, war es unschädlich, dass der Kläger zu 1 vor Abschluss des notariellen Vertrages vom 26. Juni 2006 nicht die Zusicherung der Beklagten nach § 22 Absatz 2 SGB II eingeholt hat. Denn der Anwendungsbereich dieser Norm ist ebenfalls nicht erfüllt. § 22 Absatz 2 Satz 1 SGB II setzt dem Wortlaut nach voraus, dass vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Einholung der Zusicherung des zuständigen Leistungsträgers erforderlich ist. Im vorliegenden Fall wurde jedoch kein Vertrag über eine neue Unterkunft abgeschlossen, weil der Kläger zu 1 weiterhin in derselben Wohnung lebt.
Auch dem Vortrag der Beklagten, nach dem der Mietvertrag vom 02. September 2001, der auf unbestimmte Zeit läuft, fortgelte, kann nicht gefolgt werden, weil die Beklagte verkennt, dass in dem notariellen Vertrag vom 26. Juni 2006 gleichsam ein konkludenter Aufhebungsvertrag hinsichtlich des Mietvertrages zu sehen ist, der sich im Rahmen der zulässigen Ausübung der Privatautonomie hält.
Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich, weil der Kläger zu 1 und seine Angehörigen auch durchgreifende Gründe hatten, den notariellen Vertrag abzuschließen. Eine kollusive Schädigungsabsicht zulasten des Grundsicherungsträgers ist nicht ersichtlich.
Die Beklagte hat aufgrund der vorstehenden Ausführungen den Klägern für die Zeit vom 01. Januar bis 30. Juni 2007 die angemessenen Unterkunfts - und Heizkosten zu gewähren.
Die Kosten der Unterkunft mit monatlich 306,29 Euro sind angemessen und unterschreiten den Wert der rechten Spalte der Wohngeldtabelle von 425,- Euro für den damals bestehenden Zweipersonenhaushalt deutlich.
Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist hinsichtlich der Unterkunftskosten auf die rechte Spalte der Wohngeldtabelle abzustellen, weil die Beklagte keinen Mietspiegel für ihren Zuständigkeitsbereich vorliegen hat. Dies entspricht der Verwaltungspraxis der Beklagten, so dass die Unterkunftskosten voll zu übernehmen sind.
Aufwendungen für Instandsetzung entsprechen hier dem Betrag für Kaltmiete, welche vom Beklagten zu tragen ist. Insoweit geht der erstmalig in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Vortrag fehl.
Hinsichtlich der Heizkosten ist ein Abschlagswert von 86,45 Euro, welcher im Übrigen von den Klägern nicht angegriffen wurde, als angemessen anzusehen, den die Beklagte bislang auch gewährt hat. Eine Absenkungsaufforderung ist im Übrigen erst Anfang des Jahres 2007 erfolgt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.