Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 16.05.2007, Az.: S 24 AS 202/07
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 16.05.2007
- Aktenzeichen
- S 24 AS 202/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 61608
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0516.S24AS202.07.0A
Rechtsgrundlagen
- SGB II § 11 Abs. 1
- SGB II § 12
- SGB II § 2 Abs. 2
- SGB II § 11
- SGB II § 11 Abs. 2
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Berücksichtigung einer Erbschaft als Einkommen.
Die Klägerin stand im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II). Der Klägerin wurden von der Beklagte mit Bescheid vom 13.07.2006 für den Zeitraum 01.08.2006 bis 31.01.2007 Leistungen in Höhe von monatlich 334,88 EUR bewilligt. Die Höhe ergab sich aus der Regelleistung und den Kosten der Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung des Einkommens der Klägerin.
Im September 2006 erbte die Klägerin 5.469,33 EUR.
Mit Bescheid vom 20.09.2006 hob daraufhin die Beklagte die Leistungsbewilligung ab dem 01.09.2006 auf. Gleichzeitig wurde für den Monat September der zuvor bewilligte Betrag in Höhe von 334,88 EUR zurückgefordert. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Klägerin mit der erzielten Erbschaft ihren Bedarf für 16 Monate selber decken könne. Die Erbschaft sei ab September zu berücksichtigen. Die für den Monat September erbrachte Leistung sei deswegen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) zurückzufordern.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch am 26.09.2006. Das Erbe sei als Vermögen anzusehen, damit stehe ihr gemäß § 12 SGB II pro Lebensjahr ein Freibetrag von 200,00 EUR und ein weiterer Freibetrag für die einmalige Anschaffung diversen Bedarfs in Höhe von 750,00 EUR zu. Die Vorgehensweise der Beklagte widerspräche dem Gesetz. Mit einem weiteren Schreiben vom 22.01.2007 forderte die Klägerin die Beklagte zu einer Entscheidung auf.
Die Beklagte entschied daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2007, dass der Widerspruch zurück zu weisen sei. Die Erbschaft sei als Einkommen gemäß § 11 SGB II zu werten, da als Einkommen all das zu werten sei, was jemand während der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhalte.
Hiergegen erhob die Klägerin am 14.02.2007 Klage. Gleichzeitig ersuchte sie das Gericht um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, der durch Beschluss vom 1.3.07 abgelehnt wurde. Sie ist der Ansicht, die Erbschaft sei als Vermögen zu werten, mit der Folge, dass ihr Freibeträge zustünden.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
den Bescheid vom 20.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 24.01.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, bei der Erbschaft handele es sich um Einkommen.
Die Kammer hat im vorbereitenden Verfahren die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagte Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte im vorliegenden Fall ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten ordnungsgemäß unter Angabe der entsprechenden Begründung gehört wurden.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angegriffene Bescheid erweist sich als rechtmäßig.
Soweit er zunächst aufgrund der offenbar unterlassenen Anhörung formell rechtswidrig war, ist dieser Formfehler geheilt worden, da die Klägerin im Widerspruchs- und Klageverfahren rechtliches Gehör gefunden hat.
Inhaltlich ist er nicht zu beanstanden, da durch die Erbschaft eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse stattgefunden hat, die zum Wegfall der bewilligten Leistung geführt hat. Damit war der Bewilligungsbescheid gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X aufzuheben.
Denn Erbschaften sind als Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu werten (ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 22.11.2006 - L 6 AS 660/06 ER -; LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 22.11.2006 - L 8 AS 325/06 ER -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 11.09.2006 - L 7 B 468/06 AS PKH -; LSG Nordrhein-Westfahlen , Beschluss vom 23.03.2006 - L 20 B 72/06 AS -; andere Ansicht: Brühl in LPK, SGB II, 2. Auflage, § 11 Rz. 9).
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der dort sowie in § 11 Abs. 2 und 3 und in § 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung genannten Leistungen und Zuwendungen zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Einkommens (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 16/98 -) zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Arbeitslosenhilfe, ist Einkommen das, was dem Leistungsberechtigten im Zahlungszeitraum des Leistungsempfangs zufließt ("Zuflusstheorie").
Diese Definition ist für die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich übertragbar, mit der Folge, dass Einkommen alles ist, was der Hilfebedürftige während eines Zahlungszeitraums wertmäßig dazu erhält, Vermögen das ist, was er bei Beginn eines Zahlungszeitraums bereits hat (vgl. Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 11 Rz. 19, LSG Nordrhein-Westfahlen , Beschluss vom 23.03.2006 - L 20 B 72/06 AS -).
Auch Erbschaften sind deshalb als einmalige Einnahmen als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II einzustufen (anders beim Bezug von Arbeitslosenhilfe: BSG, Urteil vom 17.03.2005 - B 7a/7 AL 10/04 R).
Dieses Ergebnis der sozialhilferechtlichen Definition von Einkommen wird auch durch weitere Überlegungen gestützt.
Gestützt wird dieses Ergebnis zunächst durch den Wortsinn. Vermögen ist nach einer Definition im Münchener Rechtslexikon Band III, 1. Auflage 1987, die Gesamtheit, der einer Person zustehenden Güter und Rechte von wirtschaftlichem Wert. Nicht zum Vermögen gehören dahingehend Erwerbsaussichten. Für den Erben handelt es sich bei einer Erbschaft bis zum Tag des Erbfalls um eine Erwerbsaussicht, da über die Vermögensgegenstände durch den Erblasser jederzeit verfügt werden kann. Es ist deshalb nahe liegend, eine Erbschaft aus Sicht des Erben nicht als Vermögen, sondern als Einkommen zu betrachten, auch wenn die Kammer nicht verkennt, dass gerade bei Eintritt des Erbfalls diese Erwerbsaussicht sich in ein der Person zustehendes Recht und Gut verwandelt.
Ebenfalls gestützt wird dieses Ergebnis durch den Grundsatz, das staatliche Leistungen nachrangig gegenüber anderen Möglichkeiten der Unterhaltssicherung sind, § 2 Abs. 2 SGB II. Dem Erben wird durch eine Erbschaft die Möglichkeit gegeben, seinen Lebensunterhalt aus der Erbschaft zu bestreiten. Die ererbten Beträge sind deshalb vorrangig vor staatlichen Leistungen einzusetzen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs. 1 SGG.