Sozialgericht Lüneburg
v. 18.06.2007, Az.: S 24 AS 352/07
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 18.06.2007
- Aktenzeichen
- S 24 AS 352/07
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2007, 61612
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0618.S24AS352.07.0A
Rechtsgrundlagen
- SGB II § 31 Abs. 2
- SGB II § 31
- SGB II § 31 Abs. 1
- SGB II § 24
- SGB II § 31 Abs. 6
- SGB II § 2
Tenor:
- 1.
Die Bescheide vom 14.2.07 in der Gestalt der Widerspruchbescheide vom 7.3.07 (W 389/07 und W 402/07) werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 2.
Die Beklagte trägt 2/3 der außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen drei Sanktionen.
Die Klägerin steht im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II). Sie bezieht dabei von der Beklagten die Regelleistung. Nach der Verwaltungsakte und der Gerichtsakte ist die Klägerin Analphabetin.
Aus den angegriffenen Bescheiden ergibt sich, dass die Klägerin zu Meldeterminen bei der Beklagten am 08.12.2006, 13.12.2006 und 11.01.2007 geladen wurde und nicht erschien. Die Einladung zu diesen Gesprächen und eine etwaige Rechtsfolgenbelehrung ist in der Verwaltungsakte nicht enthalten. Sie ist auf Anforderung durch das Gericht von den Beteiligten im Verfahren nicht vorgelegt worden. Die Beklagte hat dazu erklärt, dass es ihr nicht möglich sei, diese Schreiben vorzulegen.
Die Beklagte kürzte durch 3 Einzelbescheide jeweils vom 14.02.2007 die monatlichen Leistungen der Klägerin für den Zeitraum 01.03.2007 bis 31.05.2007. Für jeden versäumten Termin wurden die Leistungen um je 10 % gekürzt. Zur Begründung wurde jeweils ausgeführt, dass ein wichtiger Grund für das Nichterscheinen zum jeweiligen Termin nicht vorliege.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Widerspruch vom 16.02.2007 und erklärte, dass sie sich zu den Terminen abgemeldet hätte. Sie pflege ihre kranke Mutter und könne deshalb zu den Terminen nicht erscheinen. Die zuständige Sachbearbeiterin habe gesagt, dass das in Ordnung sei.
Diese Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheiden vom 07.03.2007 zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte jeweils aus, dass ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten im Sinne des § 2 SGB II vorliege, wofür kein wichtiger Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II vorliege. Die Leistung sei deshalb gemäß § 31 Abs. 2 und 6 SGB II jeweils um 10 % zu senken.
Hiergegen erhob die Klägerin am 12.03.2007 Klage. Gleichzeitig hat sie das Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ersucht (S 24 AS 342/07 ER)
Zur Begründung führt sie aus, dass sie die Einladung zum Termin am 13.12.2006 gar nicht erhalten habe. Im Oktober 2006 sei ihr die Wohnung fristlos gekündigt worden, sie habe deshalb bis einschließlich Februar 2007 bei einer Freundin gewohnt. Dies sei der Beklagte auch bekannt gewesen. Die gesamte Post sei an ihre Tochter zugestellt worden und habe sie nicht erreicht.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Bescheide vom 14.02.2007 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 07.03.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, dass ein Postrücklauf nicht zu verzeichnen sei. Die Einladung zum 11.1.07 sei mit PZU zugestellt worden. Außerdem habe die Klägerin zunächst vorgetragen, dass sie die Termine wegen der Pflege ihrer Mutter nicht habe wahrnehmen können. Die Behauptung, die Post sei nicht zugegangen, sei deshalb als Schutzbehauptung zu werten. Dass die Klägerin Analphabetin sei, sei irrelevant, da sie sich in der Vergangenheit stets zu Helfen gewusst habe. Eine mündliche Erläuterung möglicher Rechtsfolgen sei nicht möglich, da § 31 SGB II Schriftform voraussetze.
Durch Schriftsatz vom 8.5.07 hat die Beklagte erklärt, die Sanktion wegen des Termins am 13.12.06 aufzuheben.
Die Kammer hat im vorbereitenden Verfahren die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagte Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe
Der Klage ist teilweise unzulässig, im Übrigen ist sie zulässig und begründet.
Das Gericht konnte im vorliegenden Fall ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten ordnungsgemäß unter Angabe der entsprechenden Begründung gehört wurden.
1. Soweit sich die Klägerin gegen die Sanktion für das Nichterscheinen am 13.12.06 wendet, ist die Klage unzulässig, da ein Rechtsschutzbedürfnis nicht mehr vorliegt. Die Beklagte hat durch Schriftsatz vom 8.5.07 diese Sanktion aufgehoben.
2. Im Übrigen ist die Klage zulässig. Sie ist auch begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten. Gemäß § 31 Abs. 2 SGB II wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II in einer ersten Stufe um 10 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden, nicht nachkommt, und für dieses Verhalten keinen wichtigen Grund nachweist.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen belehrt wurde.
a. Denn die betreffenden Einladungsschreiben sind im Verfahren nicht vorgelegt worden. Sie sind auch nicht in der Leistungsakte der Beklagte enthalten. Das Gericht kann deshalb nicht nachprüfen, ob entsprechende Einladungsschreiben versandt wurden, und wenn dies der Fall war, ob sie mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen waren.
Die Beklagte hat dazu zwar auf zwei EDV Ausdrucke verwiesen. Nach einem Ausdruck soll eine Einladung für einen Termin am 11.1.06 mit PZU versandt worden sein soll. Ein Termin am 11.1.06 ist aber nicht Klaggegenstand. Darüber hinaus ist eine PZU in der Verwaltungsakte nicht enthalten.
Ein weiterer Vermerk sagt aus, dass eine Einladung zum 11.1.07 versandt worden sei. Hierbei ist ein Versandt mit PZU nicht vermerkt. Ob der Einladung tatsächlich eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt war, ist durch diesen Vermerk ebenfalls nicht belegt.
Bezüglich des Termins am 8.12.06 sind gar keine weiteren Unterlagen vorgelegt worden.
b. Weiterhin kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die Schreiben erhalten hat. Die Klägerin hat dazu ausgeführt, das Einladungsschreiben für den 13.12.2006 nicht erhalten zu haben. Sinngemäß bezieht sich dieses Vorbringen auch auf die anderen Einladungsschreiben. Dieses Vorbringen ist glaubhaft. Denn nach der Leistungsakte der Beklagte musste die Klägerin bereits im Oktober 2006 aus ihrer Wohnung ausziehen. Dieses war in der Leistungsakte auch vermerkt. Anfang Dezember war sie in der Wohnung C., wohin die Einladungsschreiben versandt worden sein sollen, nicht gemeldet. Erst rückwirkend im Januar 2007 hat sich die Klägerin unter der Adresse C. angemeldet. Die Adresse C. hatte sie lediglich in einem persönlichen Gespräch am 16.10.2006 als ihre zukünftige Meldeadresse angegeben. Sie hatte gleichzeitig angegeben, dass sie dort nicht wohnen würde.
Selbst wenn man unterstellt, dass die Einladungsschreiben versandt wurden, sind sie jedenfalls - wie aus der Leistungsakte ersichtlich wird - sehr kurzfristig vor dem Termin versandt worden. Denn der Termin am 13.12.06 war offenbar der Ersatztermin für den Termin, der am 08.12.2006 stattfinden sollte. Bei einer so kurzfristigen Einladung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Post rechtzeitig an die Klägerin weitergeleitet wurde.
Auch wenn die Klägerin sich mit verschiedenen Begründungen gegen die Leistungskürzung gewandt hat, mindert dies nicht ihre Glaubwürdigkeit. Aus dem Verwaltungsvorgang wird ersichtlich, dass der ohne Schulabschluss gebliebenen Klägerin ihre Lebensführung Schwierigkeiten bereitet. Es ist deshalb glaubhaft, dass sie die einzelnen Monate durcheinander bringt und zunächst Argumente vortrug, die für einen anderen Zeitraum gelten als die angegriffenen Bescheide erfassten.
c. Schließlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung erfolgte, da die Klägerin Analphabetin ist. Dies ergibt sich aus der Leistungsakte und den Feststellungen des zuständigen Urkundsbeamten des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen bei der Klageaufnahme. Die Klägerin ist weder des Lesens noch des Schreibens mächtig. Selbst wenn ihr also die Einladungsschreiben zugegangen wären, kann nicht Sicherheit festgestellt werden, dass die Klägerin die Rechtsfolgenbelehrung zur Kenntnis nehmen konnte und diese verstehen konnte. Die Beklagte wäre bei einem bekannten Analphabetismus vielmehr verpflichtet, die Klägerin telefonisch von einem solchen Termin zu verständigen und die möglichen Rechtsfolgen mündlich zu erklären. Dies entspricht ihrer Fürsorgepflicht. Das Schrifterfordernis des § 31 SGB II kann durch Übersendung der Rechtsfolgen trotzdem eingehalten werden. Eine telefonische Verständigung mit der Klägerin war möglich, wie sich aus der Leistungsakte ergibt, denn die Beteiligten haben im zweiten Halbjahr des Jahres 2006 verschiedentlich miteinander telefoniert.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.