Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 30.08.2007, Az.: S 22 SO 200/07 ER

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
30.08.2007
Aktenzeichen
S 22 SO 200/07 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 61653
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:0830.S22SO200.07ER.0A

Tenor:

  1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller erstrebt vom Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung der Kosten eines Integrationshelfers für den Besuch der E. Schule in F..

2

Der 1994 geborene Antragsteller ist geistig und körperlich behindert sowie mit einem Grad der Behinderung von 100 schwerbehindert. Er leidet an freier Trisomie 21, einer autistischen Verhaltensstörung mit Erethie, Kontakt - und Sprachstörungen, Gleichgewichts - und schweren sensorischen Integrationsstörungen, einer statomotorischen Retardierung bei allgemeiner Muskelhypotonie, deutlicher Sprachentwicklungsverzögerung und leichteren orofazialen Regulierungsstörungen.

3

Der Antragsteller besuchte zunächst 4 Jahre lang die Schule am G. in H., wobei es sich um eine Förderschule Schwerpunkt geistige Entwicklung handelt. Dabei erhielt er keine Hilfe durch einen Integrationshelfer. Seit Beginn des Schuljahres 2004/ 2005 besucht der Antragsteller die E. Schule in I., eine Waldorfschule in privater Trägerschaft und anerkannte Ersatzschule. Hinsichtlich der Konzeption wird auf Bl. 184 bis 201 der Verwaltungsakte Bezug genommen.

4

Die Bezirksregierung Lüneburg stellte den sonderpädagogischen Förderbedarf des Antragstellers mit Bescheid vom 06. Juli 2000 fest (Bl. 27 bis 28 der Verwaltungsakte) und ordnete den Besuch der Schule am G. an.

5

Mit Schreiben vom 07. Juli 2004 erklärte sich die Bezirksregierung Lüneburg damit einverstanden, dass der Antragsteller ab dem Schuljahr 2004/ 2005 die E. Schule besucht (Bl. 26 der Verwaltungsakte). Dabei wies sie darauf hin, dass die Schule am G. die zuständige Schule sei und lehnte die Übernahme nach dem Schulwechsel entstehender Kosten ab.

6

Am 18. Januar 2006 beantragte der Antragsteller die Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer und der restlichen Schulkosten beim Antragsgegner.

7

Dieser lehnte den Antrag am 13. März 2006 ab (Bl. 29 bis 30 der Verwaltungsakte) und begründete dies wie folgt: Es ergebe sich kein Anspruch aus §§ 53, 54 SGB XII, 12 EinglH - VO. Der Antragsgegner sei an die Entscheidung der Bezirksregierung gebunden, die den Antragsteller an die Schule am G. zugewiesen habe. Darauf sei der Antragsteller im Rahmen des sozialhilferechtlichen Individualisierungsgrundsatzes und des Mehrkostenvorbehaltes zu verweisen. Diese Schule sei auch eine geeignete Einrichtung.

8

Dagegen legte der Antragsteller am 24. März 2006 Widerspruch ein (Bl. 31 der Verwaltungsakte), den er wie folgt begründete:

9

Die Schule am G. sei ungeeignet, der Besuch der E. Schule notwendig, weil der Antragsteller dort individuelle und gezielte Hilfen im Rahmen des heilpädagogischen Konzeptes erhalte. Die Schule am G. sei ausschließlich auf Schüler mit Förderbedarf in der geistigen Entwicklung ausgerichtet. Der Antragsteller sei hingegen mehrfach beeinträchtigt und bedürfe insbesondere der Förderung im Bereich der sozialen und emotionalen Entwicklung. Der Einsatz eines Integrationshelfers sei auch nach Ansicht der Schule dringend notwendig, weil der Antragsteller allein weder im Unterricht noch im Nachmittagsunterricht zu führen sei (Bericht vom 11. Januar 2006; Bl. 13 der Verwaltungsakte). Ferner sehe auch die Bezirksregierung die E. Schule als geeignet an, weil sie mit der Beschulung einverstanden sei. Darüber hinaus müsse in der Schule am G. ebenfalls ein Integrationshelfer eingesetzt werden. Letztlich dürfe der Antragsteller gemäß Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

10

Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2006 zurück (Bl. 204 bis 207 der Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:

11

Eine bindende Zuweisung an die E. Schule liege nicht vor. Die Schule am J., die den Antragsteller 4 Jahre ohne Integrationshelfer beschult habe, sei geeignet und biete eine individuelle Förderung an, wobei zusätzlich Zivildienstleistende zur Verfügung stünden.

12

Der Antragsteller legte dagegen am 18. Januar 2007 Klage ein (- S 22 SO 10/07 -) und begründete diese mit Schriftsatz vom 20. Juni 2007.

13

Der Antragsteller hat am 13. August 2007 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

14

Er trägt unter Bezugnahme auf die Widerspruchs - und Klagebegründung vor:

15

Dass die E. Schule dem Förderbedürfnis "mehr schlecht als recht" in der Vergangenheit nachgekommen sei, entfalle mit der beantragten Förderung im neuen Schuljahr. Ohne diese Förderung könne er an der Waldorfschule nicht unterrichtet werden.

16

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

  1. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsgegner die Kosten für einen Integrationshelfer vorläufig zu gewähren.

17

Der Antragsgegner beantragt,

  1. den Antrag abzulehnen.

18

Er trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor.

19

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

20

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

21

Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des I. Rechtzuges.

22

Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungs-anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Mai 2005, - 1 BvR 569/05 -). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes (vgl. Beschlüsse des Hessischen Landessozialgerichtes vom 29. Juni 2005, - L 7 AS 1/05 ER -, und vom 12. Februar 1997, - L 7 AS 225/06 ER-; Berlit, info also 2005, 3, 8).

23

Ob ein Anordnungsgrund vorliegt, kann offen bleiben, weil der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft dargelegt hat.

24

Rechtsgrundlage des Antragsbegehrens sind §§ 53 Absatz 1 Satz 1, 54 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 12 Nr. 2 EinglH - VO. Der Antragsteller ist unstreitig wesentlich behindert gemäß § 2 SGB IX.

25

Das Antragsbegehren scheitert nicht daran, dass der Jugendhilfeträger zuständiger Leistungsträger ist, weil der Antragsteller nicht ausschließlich seelisch behindert ist (vgl. Beschluss des Landessozialgerichtes Niedersachsen - Bremen vom 09. März 2007, - L 13 SO 6/06 ER- ).

26

Dem Erfolg des Antragsbegehrens steht jedoch entgegen, dass nach dem Nachrangigkeitsprinzip der Sozialhilfe gemäß § 2 Absatz 1 SGB XII eine geeignete Beschulungsmöglichkeit in der Schule am G. besteht, welche im Übrigen beim jetzigen Stand der Sachaufklärung im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht die Aufwendungen für einen Integrationshelfer notwendig macht.

27

Nach § 53 Absatz 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, Eingliederungshilfe. Zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe gehören auch nach § 54 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. § 12 Nr. 2 EinglH - VO konkretisiert dies dahingehend, dass Maßnahmen der Schulbildung zugunsten körperlich und geistig behinderte Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahme erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen. Dazu zählen auch grundsätzlich die Kosten eines Integrationshelfers (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. April 2005, - 5 C 20/04 - ).

28

Die Gewährung von Eingliederungshilfe für die Übernahme der Kosten des Integrationshelfers ist im vorliegenden Fall nicht notwendig, um eine angemessene Schulbildung zu ermöglichen. § 12 Nr. 2 EinglH - VO konkretisiert den Nachrangigkeitsgrundsatz der Sozialhilfe.

29

Der Antragsteller hat nicht darlegen können, dass ihm der Besuch der Schule am G. nicht zumutbar sei.

30

Zum einen hat die Bezirksregierung den Antragsteller bestandskräftig mit Bescheid vom 06. Juli 2000 der Schule am G. als geeigneter Einrichtung zugewiesen. Dagegen ist der Antragsteller rechtlich nicht vorgegangen und hat diese Schule 4 Jahre lang besucht, ohne dass behauptet wurde, diese habe dem Förderbedarf des Antragstellers nicht entsprochen. Er hat zu keinem Zeitpunkt des Besuches dieser Schule die Gewährung der Kosten eines Integrationshelfers beantragt. Der Schulleiter begründete schlüssig, dass kein diesbezüglicher Hilfebedarf bestanden habe. Die Kammer geht im Übrigen davon aus, dass bei einem erneuten Besuch der Schule am G. die Hilfe durch einen Integrationshelfer nicht notwendig sein wird, weil auch Zivildienstleistende in Zusammenarbeit mit der Schule den Hilfebedarf abdecken können.

31

Zum anderen hat die Kammer Zweifel an der Eignung der E. Schule. Der Antragsteller räumt selbst in der Antragsschrift ein, dass in der Vergangenheit "mehr recht als schlecht" der Hilfebedarf des Antragstellers abgedeckt worden sei. Die Waldorfschule gibt zu erkennen, dass ohne einen Integrationshelfer eine Beschulung nicht möglich sei und räumt damit ein, dass sie selbst den Förderbedarf des Antragstellers nicht decken kann.

32

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 13. August 1992 (- 5 C 70/88 -) im Rahmen der Übernahme von Schulgeld ausgeführt, dass eine Übernahme zusätzlicher Kosten nur in Betracht komme, wenn der Besuch der öffentlichen Schule aus objektiven Gründen oder aus schwerwiegenden subjektiven Gründen nicht möglich oder zumutbar ist. Dies wurde vom Antragsteller nicht dargelegt. Der Schulbesuch in der Vergangenheit steht im Widerspruch dazu.

33

Ferner ist der Antragsteller der Waldorfschule nicht zugewiesen worden. Die Zuweisungsentscheidung ist für den örtlichen Sozialhilfeträger grundsätzlich bindend. Die Bezirksregierung hat ausdrücklich dargelegt, dass keine Kosten für den Besuch der Waldorfschule übernommen werden würden. Der Antragsteller kann nicht faktisch die Zahlungspflicht des Antragsgegners dadurch herbeiführen, dass er eine Schule besucht, für welche keine Zuweisung besteht. Damit würde der Regelungszweck im Rahmen der Sozialhilfegewährung umgangen.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG analog.