Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 30.01.2009, Az.: S 25 SF 129/08
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 30.01.2009
- Aktenzeichen
- S 25 SF 129/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 50445
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr 3106 RVG
Tenor:
Die Erinnerung der Kostenschuldnerin vom 16. September 2008 gegen den Kostenansatz des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 10. September 2008 - S 25 AS 25/08 - wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Beschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Erinnerungsführerin und Kostenschuldnerin (im Folgenden nur: Kostenschuldnerin) wendet sich gegen den Ansatz der Höhe der fiktiven Terminsgebühr im Rahmen des Kostenansatzes des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle anlässlich der der Klägerin für das vorangegangene Klageverfahren - S 25 AS 25/08 - gewährten Prozesskostenhilfe (PKH).
Mit Urteil der erkennenden Kammer vom 14. Mai 2008, das mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung erging, wurden die Änderungsbescheide der Beklagten (hiesige Kostenschuldnerin) vom 22. Oktober 2007 und vom 27. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2007 aufgehoben und sie darüber hinaus verpflichtet, die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in voller Höhe zu tragen. Dieses Urteil erlangte nach Zurücknahme der hiergegen am 09. Juni 2008 eingelegten Berufung - L 7 AS 342/08 - Rechtskraft.
Mit Kostenrechnung vom 10. September 2008 wurde der Kostenschuldnerin insgesamt ein Betrag in Höhe von 559,30 € in Rechnung gestellt, wobei eine Verfahrens- und eine (fiktive) Terminsgebühr jeweils in Höhe der Mittelgebühr zugrunde gelegt worden ist.
Mit Schriftsatz vom 16. September 2008 hat die Kostenschuldnerin Erinnerung erhoben, mit der sie sich gegen die Höhe der fiktiven Terminsgebühr wendet. Sie vertritt die Auffassung, dass wegen der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung die Festsetzung in Höhe der Mittelgebühr unangemessen sei.
Der Erinnerungsgegner vertritt die Auffassung, dass die anwaltliche Tätigkeit in Bezug auf einen fiktiven Termin als unterdurchschnittlich anzusehen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakte und des PKH-Heftes Bezug genommen.
II.
Die Erinnerung, über die gemäß § 59 Abs. 2 S. 4 i. V. m. § 66 Abs. 6 S. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) das Gericht entscheidet, bei dem die Kosten angesetzt sind, ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Kostenbeamte hat seinem Kostenansatz zu Recht eine fiktive Terminsgebühr in Höhe von 200,00 € zugrunde gelegt.
Die Höhe der nach Durchführung eines Sozialgerichtsverfahrens zu erstattenden Gebühr bestimmt sich grundsätzlich nach dem für die anwaltliche Tätigkeit im Verfahren vor den Sozialgerichten vorgesehenen Gebührenrahmen (§ 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte - Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)). Die Bestimmung der im Einzelfall angemessenen Gebühr ist gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG dem billigen Ermessen des Prozessbevollmächtigten überlassen, wobei nach dem Gesetzeswortlaut alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers zu berücksichtigen sind. Das Haftungsrisiko ist nach § 14 Abs. 1 S. 3 RVG zu berücksichtigen. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die Gebührenbestimmung des Prozessbevollmächtigten gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Der Prozessbevollmächtigte hat bei der Festsetzung der Gebühr Ermessen auszuüben und alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (Hartmann, Kostengesetze, § 14 RVG, Rdnr. 12).
Die (hier allein in Streit stehende) Terminsgebühr ist dem Rahmen der Nr. 3106 des Vergütungsverzeichnisses (VV-RVG) - Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - zu entnehmen. Dieser sieht eine Gebührenspanne von 20,00 € bis 380,00 € vor. Erweist sich das Betreiben eines Geschäfts einschließlich der Information nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG als durchschnittliche Leistung, ist die Mittelgebühr von 200,00 € angemessen. Liegen Schwierigkeit, Wert und Bedeutung der Sache unter oder über diesem Mittelwert, bietet sich eine entsprechende Quotierung, mithin eine Über- oder Unterschreitung dieser Mittelgebühr an.
Der Rechtsstreit wurde durch eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung beendet, so dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat. Eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG ist dennoch entstanden.
Durch die Regelung der Nr. 3106 VV-RVG (Ziffern 1 bis 3) soll verhindert werden, dass gerichtliche Termine allein zur Wahrung des Gebührenanspruchs stattfinden müssen; sie bietet einen Anreiz für den Rechtsanwalt, auf die Durchführung des Termins zu verzichten. Die Anwendung der Grundsätze des § 14 RVG auf die „fiktive" Terminsgebühr nach Ziffer 3106 Nr. 1 bis 3 VV RVG ist mit dem Problem behaftet, dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat und dessen Schwierigkeit und Aufwand für den Prozessbevollmächtigten damit nicht bewertet werden können. Die Kammer teilt die Auffassung des Sozialgerichts Hannover (vgl. u. a. Beschluss vom 20. Dezember 2005, - S 34 SF 119/05 ) und verschiedener Kammern des Sozialgerichts Lüneburg (vgl. etwa Beschluss vom 29. August 2006, - S 5 SF 79/06 und Beschluss vom 29. August 2006, - S 14 SF 42/06), wonach bei der Bemessung der Terminsgebühr auf den hypothetischen Aufwand abzustellen ist, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre. Somit ist eine fiktive Vergleichsbetrachtung anzustellen, in welcher Höhe ein Gebührenanspruch voraussichtlich entstanden wäre, wenn ein Termin stattgefunden hätte.
Das Gesetz eröffnet in Ziffer 3106 VV-RVG daher erneut den Gebührenrahmen in vollem Umfang und knüpft nicht an die Höhe der Verhandlungsgebühr an. Gäbe es für die Festlegung der Terminsgebühr nicht die Möglichkeit einer eigenständigen Festsetzung unter Beachtung der in § 14 RVG festgelegten Kriterien, hätte es der Eröffnung eines Gebührenrahmens nicht bedurft. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Normgeber in denjenigen Fällen, in denen keine Betragsrahmengebühren entstehen einen festen Wert - nämlich nach Nr. 3104 VV-RVG einen solchen von 1,2 - festgeschrieben hat. Daher ist es auch nicht gerechtfertigt, etwa grundsätzlich nur die Mindestgebühr in Höhe von 20,00 € anzuerkennen. Anderenfalls hätte der Normgeber auch bei der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG einen bestimmten Betrag festgeschrieben wie er es beispielsweise bei den Angelegenheiten der Beratungshilfe nach Nr. 2600 ff. VV-RVG, in Strafsachen bei den Gebühren des gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts nach den Nr. 4100 ff. VV-RVG oder den sonstigen Verfahren nach den Nr. 6100 ff. VV-RVG getan hat. Auch wenn in diesen Verfahren keine Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen, war sich der Normgeber offensichtlich durchaus der Möglichkeit der Festschreibung von Gebührenbeträgen bewusst.
Wenn danach auch bei der fiktiven Terminsgebühr von einem Gebührenrahmen zwischen 20,00 € und 380,00 € auszugehen ist, ergibt eine auf einen hypothetischen Termin bezogene Abwägung der Kriterien des § 14 RVG, dass insoweit eine insgesamt durchschnittliche Angelegenheit vorliegt. Dem Anwalt steht die Mittelgebühr hinsichtlich der Terminsgebühr für Termine mit durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem Aufwand und durchschnittlicher Bedeutung für den Mandanten zu. Entscheidend ist eine Gesamtabwägung. Es müssen sämtliche den Gebührenanspruch potentiell beeinträchtigenden Faktoren miteinander und gegeneinander im Einzelfall abgewogen werden.
Unter Beachtung aller Abwägungskriterien des § 14 Rechtsanwaltsgebührengesetz (RVG), die für die Verfahrensgebühr nach der übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten die Mittelgebühr rechtfertigt, ist auch eine Terminsgebühr in Höhe der Mittelgebühr angemessen. Zwar ist ein Termin nicht durchgeführt worden, jedoch ist die Gebühr hier nach Nr. 3106 Ziffer 1 VV-RVG in Höhe der Mittelgebühr entstanden. Es ist nämlich - wie ausgeführt - auf den hypothetischen Aufwand abzustellen, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre. Der Ablauf eines derartigen Termins hätte sich hier anders als in den Fällen der Nr. 3106 Ziffer 3 VV-RVG dargestellt, in dem lediglich die Annahme eines Anerkenntnisses hätte erklärt werden müssen. Bei dieser Konstellation ist es gerechtfertigt, von einem (fiktiven) weit unterdurchschnittlichen anwaltlichen Aufwand im (hypothetischen) Termin zur mündlichen Verhandlung auszugehen. Demgegenüber hätten in der diesem Erinnerungsverfahren zugrunde liegenden Fallgestaltung (hypothetisch) der Sachvortrag des Vorsitzenden, ergänzende Fragen an die Beteiligten, die Erörterung der Sach- und Rechtslage und schließlich das Stellen der Anträge erfolgen müssen. Dies entspricht einem Termin zur mündlichen Verhandlung, der für den Anwalt mit durchschnittlichem Aufwand verbunden wäre und stimmt im Übrigen auch mit den gesetzlichen Vorgaben des § 112 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) über den Gang einer mündlichen Verhandlung im sozialgerichtlichen Verfahren überein. Es wäre insoweit gerade nicht ausreichend gewesen, etwa nur noch die Annahme eines abgegebenen Anerkenntnisses zu erklären. Nur für diese Konstellation entspricht es ständiger Rechtsprechung des Sozialgerichts Lüneburg, die fiktive Terminsgebühr in Höhe eines Betrages von 100,00 € zugrunde zu legen (vgl. etwa Beschlüsse des Sozialgerichts Lüneburg vom 19. April 2007 - S 15 SF 48/06, vom 20. April 2007 - S 15 SF 141/04 sowie vom 02. Mai 2007 - S 15 SF 51/06).
Wägt man daher die dargestellten durchschnittlichen Anforderungen an die hypothetische anwaltliche Tätigkeit mit den Einkommens- und Vermögensverhältnissen und der durchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin und das durchschnittliche Haftungsrisiko gegeneinander ab, ist das vorliegende Streitverfahren hinsichtlich der Festsetzung der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 200,00 € - mithin in Höhe der Mittelgebühr - kostenrechtlich angemessen erfasst. Dies bedeutet zugleich, dass bei einem tatsächlich stattgefundenen Termin auch ein Betrag in Höhe der Mittelgebühr festzusetzen gewesen wäre.
Nur ergänzend bleibt im Hinblick auf die Einwände der Kostenschuldnerin anzumerken, dass der Normgeber durch die Absenkung des Gebührenrahmens bei der hier maßgeblichen Nr. 3106 VV-RVG im Gegensatz zu dem Gebührenrahmen, der bei der Durchführung eines Termins zur mündlichen Verhandlung nach Nr. 3102 VV-RVG regelmäßig zugrunde zu legen ist, offensichtlich schon berücksichtigt hat, dass der Anwalt für die Vorbereitung und die Wahrnehmung des dann nicht stattfindenden Termins keinerlei Aufwand hat. Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip vorliegen könnte, weil durch die (hier erfolgte) sachgerechte Anwendung der Kriterien des § 14 RVG diesem Prinzip gerade Rechnung getragen wird.
Da der Ansatz von Verfahrensgebühr, Auslagenpauschale und Umsatzsteuer nicht im Streit stand, ergibt sich folgende Berechnung:
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV-RVG
250,00 €
Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV-RVG
200,00 €
Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG
20,00 €
Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG
89,30 €
Gesamtbetrag
559,30 €
Eine Kostenlastenentscheidung ist entbehrlich, da im Erinnerungsverfahren gemäß § 66 Abs. 8 S. 1 GKG Gerichtsgebühren nicht anfallen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 8 S. 2 GKG.
Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar. Anlass, die Beschwerde zuzulassen - der Beschwerdewert wird nicht überschritten - bestand nicht (§ 66 Abs. 2 GKG).