Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 20.07.2007, Az.: S 30 AS 858/07 ER

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
20.07.2007
Aktenzeichen
S 30 AS 858/07 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 61622
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:0720.S30AS858.07ER.0A

Tenor:

  1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.

    Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

1

Der Antragsteller wohnt gemeinsam mit Frau F. in einem Haus. Es besteht ein am 1. August 2004 abgeschlossener Mietvertrag, wonach der Antragsteller zwei Zimmer mit Küchen- und Badbenutzung in dem F. gehörenden Haus gemietet hat.

2

Nachdem dem Antragsteller zunächst Leistungen nach dem SGB II bewilligt worden waren - zuletzt bis zum 31. Mai 2007 - , hob die Antragsgegnerin den Bewilligungsbescheid mit Bescheid vom 23. Mai 2007 auf, da sie von einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau F. ausging. Zuvor hatte sie durch einen Mitarbeiter einen Hausbesuch durchführen lassen, der nach Auffassung der Antragsgegnerin ergab, dass der Antragsteller und Frau F. in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft leben. Ein Fortzahlungsantrag wurde bisher nicht gestellt, so dass kein weiterer Bescheid ergangen ist. Der Antragsteller hat bei der Antragsgegnerin Unterlagen über Einkommen und Vermögen von Frau F. eingereicht, wendet sich mit dem vorliegenden Verfahren aber gegen die Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft.

3

Der Antrag hat keinen Erfolg.

4

Der Antragsteller begehrt dem Sinne nach mit seinem Antrag zum einen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 23. Mai 2007, mit dem für den Rest des Bewilligungszeitraumes (Mai 2007) die Bewilligungsentscheidung aufgehoben wurde. Das Gericht legt den Antrag weiter so aus, dass der Antragsteller auch für den darauf folgenden Zeitraum, über den noch kein Bescheid ergangen war, die Gewährung von Leistungen begehrt, auch wenn noch kein Fortzahlungsantrag vorliegt. Dieses Begehren stellt für die Zeit ab 01. Juni 2007 einen Antrag auf einstweilige Anordnung da.

5

Nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.

6

Für die Entscheidung des Gerichts gelten die gleichen Voraussetzungen, nach denen die Verwaltung die Aussetzung vorzunehmen hat, nämlich die in § 86 a Abs. 3 SGG genannten. Danach soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Es ist also eine Abwägung vorzunehmen (vgl. Conradis in LPK-SGB II, 1.Aufl. 2005 Anhang Verfahren Rn. 114; Meyer-Ladewig, Komm. zum SGG, 7. Aufl. 2002, § 86 b Rn. 12).

7

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.

8

Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

9

Im vorliegenden Fall ist weder ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegeben, noch wurde ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Das Gericht geht davon aus, dass zwischen dem Antragsteller und Frau von Busch eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II besteht. Der Antragsteller hat daher nach § 9 Abs. 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen von Frau F ...

10

Der Gesetzgeber hat in der Neuregelung des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II den Begriff der "eheähnlichen Gemeinschaft" aufgegeben. Die bisherige Rechtssprechung zu den Voraussetzungen einer eheähnlichen Gemeinschaft ist aber auf die neu geschaffene "Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft" nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II übertragbar (Beschl. des LSG Niedersachsen-Bremen vom 02. März 2007, Az.: L 13 AS 24/06 ER).

11

Nach Auffassung des Gerichts sprechen gewichtige Indizien für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft.

12

Zum einen lebt der Antragsteller bereits seit August 2004, also seit fast drei Jahren, mit Frau F. in einer Wohnung. Darüber hinaus hat der Antragsteller selbst vorgetragen, er habe schon davor mit Frau F. in G. eine Wohnung geteilt. Der Antragsteller und Frau H. sind daher gemeinsam in das Haus von Frau F. umgezogen. Warum der Antragsteller, wenn er lediglich Untermieter oder Mitmieter in einer Wohngemeinschaft sein soll, mit Frau H. umzieht, ist nicht nachvollziehbar. Üblicherweise werden Untermietverhältnisse oder Wohngemeinschaften getrennt, wenn einer der Beteiligten in eine andere Wohnung oder ein Haus einzieht. Dass der Antragsteller mit Frau F. gemeinsam umgezogen ist, spricht dafür, dass eine innere Bindung der beiden bestand.

13

Darüber hinaus hat der Antragsteller selbst dargelegt, er habe sich darum gekümmert, dass die Arbeiten der am Hausbau beteiligten Unternehmen überwacht wurden. Zwar hat er angegeben, zum Ausgleich hierfür einige Zeit umsonst im Hause wohnen zu dürfen, jedoch ist die Übernahme einer solch verantwortungsvollen Aufgabe durch einen bloßen Untermieter oder Mitglied einer Wohngemeinschaft äußerst unüblich. Dass Frau F. ihm die Verantwortung für die Überwachung der Bauarbeiten an ihrem Haus übergeben hat, spricht dafür, dass zwischen ihr und dem Antragsteller eine erhebliche Vertrauensbasis besteht.

14

Schließlich lassen auch die vom Antragsteller vorgelegten Fotos der von ihm angemieteten zwei Zimmer nicht den Eindruck zu, es handele sich tatsächlich um eine regelrechte Wohnung. Insbesondere die Vielzahl an technischen Geräten, zum Beispiel zwei Fernseher und mehrere Computerbildschirme, die sich in einem der Räume befinden, erwecken eher den Eindruck, dass es sich um ein Abstell- oder Arbeitszimmer handelt. Die vorgelegten Fotos vom Inhalt des Kleiderschrankes widersprechen auch nicht den Angaben im Einzelprüfbericht der Antragsgegnerin. Dort ist aufgeführt, dass es auffällig sei, dass in dem im Keller befindlichen Schrank keinerlei Wäsche zu finden sei. Auch auf den Fotos ist keine Unterwäsche erkennbar. Dies wiederum lässt den Schluss zu, dass sich diese an einem anderen Ort im Hause befindet. Das wiederum ist ein Indiz dafür, dass der Antragsteller nicht nur die gemieteten zwei Zimmer, sondern auch den Rest des Hauses nutzt. Die Aufbewahrung von Unterwäsche ist Teil der Privatsphäre. Wenn der Antragsteller diese in den Räumen aufbewahrt, die Frau F. bewohnt, ist dies ein Zeichen für eine Vertrauensbindung. Darüber hinaus ist es äußerst ungewöhnlich, dass der Antragsteller seine - nach seinem Vortrag gesamte - Kleidung in einem Schrank im Keller aufbewahrt. Die Fotos zeigen, dass die gemieteten Zimmer sich im Dachgeschoss befinden. Dass der Antragsteller täglich vom Dachgeschoss in den Keller läuft, um seine Kleidung auszuwählen und anzuziehen, ist nicht glaubhaft und widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung.

15

Nach einer Zusammenschau aller Indizien ist von einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft auszugehen. Da die Mietvereinbarung mit Frau F. vom August 2004 datiert und der Antragsteller angegeben hat, er habe schon davor mit ihr gemeinsam in einer Wohnung gewohnt, sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II bei summarischer Prüfung erfüllt.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.