Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 29.10.2007, Az.: S 30 AS 1399/07 ER
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 29.10.2007
- Aktenzeichen
- S 30 AS 1399/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 61647
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:1029.S30AS1399.07ER.0A
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückzahlung verpflichtet, der Antragstellerin für den Zeitraum vom 01. Oktober 2007 bis zum 31. März 2008 Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 433,00 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und E., beigeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe
I.
Die alleinstehende Antragstellerin bewohnt eine 45,26 m2 große Wohnung. Die Gesamtmiete beträgt 440,00 EUR monatlich. Darin enthalten sind 47,00 für Heizung und Warmwasser.
Mit Schreiben vom 02. April 2007 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, sie könne die tatsächlichen - unangemessenen - Mietkosten nur noch bis zum 30. September 2007 berücksichtigen; ab 01. Oktober 2007 könnten nur noch höchstens 313,50 EUR Kaltmiete inklusive Nebenkosten zuzüglich maximal 50,00 Heizkosten als angemessene Kosten der Unterkunft gezahlt werden. Mit Bescheid vom 05. Juni 2007 wurde für die Zeit ab 01. Oktober 2007 Leistungen für Unterkunft und Heizung nur noch in Höhe von 346,45 EUR monatlich gewährt. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Zugleich bemühte sie sich nach ihrem eigenen Vortrag erfolglos um eine günstigere Wohnung. Im August 2007 wurde bei der Antragstellerin ein Rezidiv einer Krebserkrankung diagnostiziert. Nach einer erfolgten stationären Behandlung ist mit einer weiteren Behandlungsdauer der Erkrankung von 6 bis 12 Monaten zu rechnen.
Die Antragstellerin trägt vor, ihr sei aus medizinischen Gründen auf absehbare Zeit ein Umzug nicht zumutbar. Zur Glaubhaftmachung legte sie eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Frauenarztes sowie eine Bescheinigung der F. vor. Neben der Tumorerkrankung leide sie auch an einer chronischen psychischen Erkrankung (Angstzustände, Schizophrenie) und befinde sich in Behandlung der F ... Sie trägt vor, ein Verlust des vertrauten Wohnumfeldes würde die Möglichkeit einer Verschlechterung der psychischen Erkrankung erheblich begünstigen. Aus diesem Grund sei es ihr nicht zuzumuten, zum jetzigen Zeitpunkt umzuziehen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 440,00 EUR monatlich zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, die Antragstellerin habe nicht nachgewiesen, dass es ihr im genannten Sechs-Monats-Zeitraum unmöglich gewesen sei, eine angemessene Wohnung zu finden. Bei entsprechenden Bemühungen sei dies jedoch ohne weiteres möglich gewesen. Die Erhebungen des Landeskreises G. hätten ergeben, dass im Zeitraum 01. Januar 2007 bis 30. Juni 2007 im Bereich G. 176 Wohnungen bis 50 m2 zu angemessenen Preisen angeboten worden seien. Gleiches gelte ungefähr auch für den Sechs-Monats-Zeitraum der Antragstellerin.
II.
Der Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier von der Antragstellerin begehrten Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch der Antragstellerin auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Mit Bescheid vom 01. Oktober 2007 erkannte die Antragsgegnerin im Rahmen des Eilverfahrens als notwendige Kosten der Unterkunft einen Betrag von 350,00 EUR für Kaltmiete nebst Nebenkosten ohne Heizkosten an. Das Teilanerkenntnis wurde von der Antragstellerin angenommen. Insoweit ist ein Rechtschutzbedürfnis daher entfallen. Im Streit sind noch die hierüber hinausgehenden Kosten.
Im vorliegenden Fall wurde ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin hat Anspruch auf Zahlung der tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II.
Die Kosten, die der Antragstellerin für Kaltmiete und Nebenkosten außer Heizkosten (und Warmwasser) entstehen, betragen 393,00 EUR monatlich und sind unangemessen hoch. Ermittlungen der Antragsgegnerin haben ergeben, dass im Landkreis G. die Werte der rechten Spalte der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz den aktuellen Mietpreisen entsprechen. Das Gericht legt daher diese Werte bei der Beurteilung der Angemessenheit einer Wohnung im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin zu Grunde.
Im vorliegenden Fall ist der Antragstellerin jedoch nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht zuzumuten, durch einen Wohnungswechsel oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. Die von der Antragstellerin beigebrachten Atteste belegen, dass diese an einer Tumorerkrankung leidet, die nach einem stationären Aufenthalt noch 6 bis 12 Monate weiter behandelt werden muss. Die Behandlung von Krebserkrankungen ist für die betroffenen Patienten üblicherweise äußerst anstrengend. Schon aus diesem Grund ist der Antragstellerin derzeit ein Wohnungswechsel nicht zumutbar, denn es ist davon auszugehen, dass sie nicht kräftig genug wäre, diesen zu bewältigen. Darüber hinaus befindet sich die Antragstellerin aufgrund einer chronischen psychiatrischen Erkrankung bei dem psychiatrischen Klinikum Lüneburg in Behandlung. Durch Vorlage eines entsprechenden Attestes hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass ein Wohnungswechsel zum jetzigen Zeitpunkt nicht nur aufgrund der Tumorerkrankung unzumutbar wäre, sondern sich auch äußerst nachteilig auf ihre psychische Erkrankung auswirken würde.
Es ist zwar zutreffend, dass die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht hat, dass sie sich seit dem Schreiben vom April 2007 intensiv um eine kostengünstigere Wohnung bemüht hat. Jedoch war sie zum einen aufgrund ihrer wiederaufgetretenen Tumorerkrankung nicht imstande, den gesamten Sechs-Monats-Zeitraum hierfür zu nutzen. Darüber hinaus war ihr in dem oben genannten Schreiben von der Antragsgegnerin eine unzutreffende Obergrenze für die Miet- und Nebenkosten genannt worden, nämlich ein Betrag von 312,50 EUR monatlich. Es ist nicht auszuschließen, dass es der Antragstellerin gelungen wäre, zuvor eine günstigere Wohnung zu finden, wenn ihr bekannt gewesen wäre, dass ein Betrag in Höhe von 350,00 EUR (Kaltmiete nebst Nebenkosten ohne Heizkosten) hierfür die Obergrenze darstellt.
Letztlich ist es der Antragstellerin jedoch, unabhängig von der Frage, ob diese sich vor Wiederauftreten ihrer Tumorerkrankung hinreichend um angemessenen Wohnraum bemüht hat, nicht zuzumuten, derzeit einen Wohnungswechsel vorzunehmen. Die zu befürchtenden Schäden für die Gesundheit der Antragstellerin wiegen so schwer, dass ein Umzug nicht zuzumuten ist. Selbst wenn man davon ausginge - was so im Eilverfahren nicht festgestellt werden kann -, dass die Antragstellerin zuvor durch mangelnde Bemühungen um eine neue Wohnung ein Fehlverhalten an den Tag gelegt hat, wären die Nachteile, die sie erleiden müsste, wenn sie zum jetzigen Zeitpunkt umziehen müsste, so gravierend, dass Unzumutbarkeit im Sinne des Gesetzes vorliegt.
Einer längeren Gewährung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung steht auch § 22 Abs. 1 S. 2, letzter Halbsatz, SGB II nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift sollen die tatsächlichen Aufwendungen in der Regel längstens für sechs Monate übernommen werden. Diese sechs Monate sind bereits abgelaufen. Die Vorschrift lässt jedoch für Einzelfälle, in denen besondere Umstände vorliegen, durch die Formulierung "in der Regel" ein Abweichen von diesem Zeitraum zu. Im vorliegenden Fall liegen aus den oben genannten Gründen besondere Umstände vor, die eine Verlängerung des gesetzlichen Regelzeitraumes, in dem die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung gewährt werden, zulassen.
Im Hinblick auf die Vorschrift des § 41 Absatz 1 SGB II waren die Leistungen auf sechs Monate zu befristen.
In Höhe von monatlich 7,00 EUR blieb der Antrag erfolglos. Wie die Antragstellerin selbst vorgetragen hat, entfällt von der Miete ein Betrag von 47,00 EUR auf Heizung und Warmwasserkosten. Da die Kosten für Warmwasser jedoch in der Regelleistung enthalten sind, sind diese bei den Kosten der Unterkunft abzuziehen. Das Gericht hat einen Abzug in Höhe von etwa 15 % von den Heizungskosten als Kosten für Warmwasser vorgenommen. Insoweit musste der Antrag daher erfolglos bleiben.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat Erfolg (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt, dass die Antragstellerin mit ihrem Antrag weitestgehend erfolgreich war.