Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 11.05.2007, Az.: S 30 AS 579/07 ER

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
11.05.2007
Aktenzeichen
S 30 AS 579/07 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 61598
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:0511.S30AS579.07ER.0A

Tenor:

  1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig dazu verpflichtet, der Antragstellerin ein Darlehen in Höhe von insgesamt 1.759,00 EUR für Miet- und Stromschulden zu gewähren.

    Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Darlehens nach § 22 Abs. 5 SGB II.

2

Die Antragstellerin befindet sich in einer Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin. Sie erhält eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 437,59 EUR sowie Bundesausbildungsbeihilfe in Höhe von 130,00 EUR monatlich. Bis zum Dezember 2006 erhielt sie zusätzlich 154,00 EUR Kindergeld. Dieses wurde nach ihrem Vortrag seit Januar 2007 aufgrund des Überschreitens von Einkommensgrenzen nicht mehr gezahlt. Im Monat Januar 2007 zahlte die Antragstellerin nur einen Teil der Miete an ihren Vermieter. In den folgenden Monaten unterblieb die Mietzahlung vollständig. Weiter liefen Schulden beim Stromversorgungsunternehmen in Höhe von 203,00 EUR auf.

3

Die Antragstellerin wohnt in einer Wohnung von 34 m2 Größe, für die sie eine Kaltmiete nebst Nebenkosten ohne Heizkosten in Höhe von 320,00 EUR monatlich zahlt. Die Heizkosten betragen 34,00 EUR monatlich. Nach den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen beträgt die Grundleistung der Ausbildungsbeihilfe 444,00 EUR, wovon 133,00 EUR als Mietzuschuss gedacht sind. Zusätzlich wird ein Mietzuschuss von 64,00 EUR gezahlt. (Einkommen der Betroffenen wird angerechnet.) Hinzu kommt bei Bezug von Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR ein für Miete bestimmtes Einkommen in Höhe von 351,00 EUR monatlich.

4

Die Antragstellerin beantragte bei der Antragsgegnerin am 24. April 2007 die Gewährung eines Darlehens für die bis dahin aufgelaufenen Miet- sowie Stromschulden. Ein Bescheid erging nicht, hingegen wurde ihr mündlich die Auskunft gegeben, dass Leistungen nicht gewährt würden. Am 24. April 2007 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Lüneburg.

5

Sie trägt vor, sie laufe Gefahr, dass ihr der Strom abgestellt sowie die Wohnung entzogen werde. In diesem Fall drohe ihr Wohnungslosigkeit. Sie könne die Rückstände nicht zahlen, da ihr hierfür die finanziellen Mittel fehlten.

6

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

7

ihr ein Darlehen zur Begleichung ihrer Rückstände bei dem Stromversorgungsunternehmen sowie ihrer Mietrückstände zu gewähren.

8

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

9

Sie trägt vor, nach den Leistungen, die der Antragstellerin zur Verfügung standen, wäre es ihr möglich gewesen, eine Miete von insgesamt 351,00 EUR zu übernehmen. Die tatsächliche Miete betrage ca. 348,00 EUR, so dass kein Anlass für die Antragsgegnerin bestünde, ein Darlehen zu gewähren. Soweit die Antragstellerin vortrage, sie habe seit Januar kein Kindergeld mehr erhalten, habe sie hierfür keine Nachweise vorgelegt, so dass eine Überprüfung der Richtigkeit dieses Vorbringens sowie des Bestehens eines möglichen Kindergeldanspruches nicht geprüft werden könne. Ohne eine solche Prüfung könne aber auch unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit kein Darlehen gewährt werden.

10

II.

Der Antrag hat Erfolg.

11

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.

12

Voraussetzung für den Erlass der hier von der Antragstellerin begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch der Antragstellerin auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

13

Das Gericht hat den Antrag der Antragstellerin vom 24. April 2007 entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut, mit dem ein Darlehen in Höhe von 1.442,00 EUR beantragt wurde, dahingehend ausgelegt, dass auch die Schulden für die Miete des Monats Mai übernommen werden sollten. Zum Zeitpunkt der Antragstellung waren diese Schulden noch nicht aufgelaufen. Aus dem Vorbringen der Antragstellerin ergibt sich, dass es ihr darum geht, ihre gesamten Mietschulden sowie die Schulden beim Stromversorgungsunternehmen als Darlehen gewährt zu bekommen. Da im Laufe des Verfahrens eine weitere Monatsmiete fällig geworden ist, die die Antragstellerin gleichfalls nicht gezahlt hat, war ihr Antrag so auszulegen, dass auch diese begehrt wird.

14

Die Antragstellerin hat im vorliegenden Fall ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach § 22 Abs. 5 SGB II können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Die Antragstellerin läuft aufgrund der Mietschulden Gefahr, ihre Unterkunft zu verlieren. Dies ergibt sich aus den in den Verwaltungsakten befindlichen Schreiben der Vermieterin, die die Wohnung fristlos gekündigt hatte. Des weiteren liegen in den Akten Unterlagen vor, wonach die D. als Energieversorgerin Schulden der Antragsgegnerin geltend macht und mit der Einstellung der Strom- und Gasversorgung droht. Energiekostenrückstände stellen eine vergleichbare Notlage im Sinne des § 22 Abs. 5 Satz 1 dar. Die faktische Unbewohnbarkeit einer Wohnung in Folge drohender Sperrung der Energie- oder Wasserzufuhr steht dem Verlust der Unterkunft gleich (Berlit in LPK - SGB II, 2. Auflage, Randnr. 116 zu § 22).

15

Die Antragstellerin hat nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung einen Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung, jedenfalls in Form eines Zuschusses nach § 22 Abs. 7 SGB II. Die Antragstellerin erhält Berufsausbildungsbeihilfe, durch die, da das Kindergeld weggefallen ist, die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht voll gedeckt werden können. Die Wohnung hat eine Größe von 34 m2 und die Kaltmiete nebst Nebenkosten beträgt 320,00 EUR. Die Kosten für Heizung betragen 34,00 EUR monatlich. Sowohl die Größe der Wohnung als auch die Kosten für Unterkunft und Heizung sind unter Berücksichtigung der rechten Spalte zu § 8 Wohngeldgesetz angemessen. Die Antragstellerin fällt daher, obwohl sie noch keinen Antrag nach § 22 Abs. 7 bei der Antragsgegnerin gestellt hat, grundsätzlich unter den Personenkreis nach § 22 Abs. 5. Dass die Antragstellerin keinen derartigen Antrag gestellt hat, kann ihr nicht entgegengehalten werden, da insoweit eine Beratungspflicht der Antragsgegnerin bestanden hätte, der sie ersichtlich nicht nachgekommen ist.

16

Die von der Antragsgegnerin vorgelegten Berechnungen sind auch nach Auffassung des Gerichts zwar grundsätzlich zutreffend, so dass die Antragstellerin, wenn ihr die aufgeführten Beträge zur Verfügung gestanden hätten, in der Lage gewesen wäre, ihre Mietkosten und die Stromkosten zu zahlen. Das Gericht ist jedoch im Rahmen der summarischen Prüfung davon überzeugt, dass dies nicht der Fall war, sondern seit Januar 2007 kein Kindergeld bezogen wurde. Auch die Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts der Leistungseinstellungsbescheid der Kindergeldkasse nicht vorlag und die Antragstellerin insoweit keine Nachweise erbracht hatte, kann ihr nicht entgegengehalten werden, da auch hierauf die Antragsgegnerin die Antragstellerin bereits hätte hinweisen müssen. Ersichtlich ist keinerlei Hinweis in diese Richtung ergangen. Die Antragsgegnerin kann sich daher, nachdem Wohnungslosigkeit konkret und kurzfristig droht, nicht darauf berufen, sie habe keine Unterlagen, die das Vorbringen der Antragstellerin bestätigten und die von ihr jetzt im Eilverfahren überprüft werden könnten. Dies wäre allenfalls dann relevant, wenn die Antragstellerin bereits vor zwei Wochen, bei ihrem Besuch bei der Antragsgegnerin, auf die Notwendigkeit der Vorlage dieser Unterlagen hingewiesen worden wäre.

17

Die Übernahme der Schulden ist auch gerechtfertigt im Sinne von § 22 Abs. 5 SGB II. Die Antragstellerin hat zwar bereits im Vorjahr Mietschulden gemacht, woraufhin ihr die damalige Wohnung gekündigt wurde. Sie hat diese jedoch selbst, jedenfalls zum Teil, beglichen und hierfür keine öffentlichen Leistungen in Anspruch genommen. Dies kann daher keinen Grund darstellen, ihr diese nunmehr zu verweigern. Gegen die Gewährung der gesamten Miet- und Stromschulden als Darlehen spricht zwar, dass der Antragstellerin nur ein Betrag von 150,00 EUR monatlich zum Leben fehlte und sie Schulden in deutlich höherem Umfang hat auflaufen lassen. Andererseits ist - auch nach dem persönlichen Eindruck des Gerichts während des Erörterungstermins - davon auszugehen, dass die Antragstellern aufgrund ihres niedrigen, das Existenzminimum unterschreitenden Einkommens den Überblick über ihre finanzielle Situation vollständig verloren hatte, was bei ihr zu großer Verwirrung führte. Aus diesem Grund sind höhere Schulden entstanden, als dies zwingend notwendig gewesen wäre. Da nach Auffassung des Gerichts dieses Verhalten auf der finanziellen Notlage beruhte, ist es dennoch gerechtfertigt, die vollen Schulden zu übernehmen.

18

Da die Antragsgegnerin über den Antrag der Antragstellerin bisher nicht förmlich entschieden hat, ist derzeit noch ein Verwaltungsverfahren anhängig, so dass eine einstweilige Anordnung beantragt werden kann.

19

Der Antragstellerin wird geraten, bei der Antragsgegnerin unverzüglich einen Antrag auf Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 7 SGB II zu stellen.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.