Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 30.05.2007, Az.: S 25 AS 733/07 ER

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
30.05.2007
Aktenzeichen
S 25 AS 733/07 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 61650
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:0530.S25AS733.07ER.0A

Tenor:

  1. Die Antragsgegnerin wird im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 30. Mai 2007 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens bis zum 30. November 2007, auf ganze Eurobeträge gerundete Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von 82 % der tatsächlichen Heizkostenvorauszahlungen unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei Unterliegen im Hauptsacheverfahren zu gewähren. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits streiten noch um die Übernahme der tatsächlichen Heizkostenvorauszahlungen im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II).

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Der im Mai 1950 geborene, also jetzt 57 Jahre alte, geschiedene Kläger bezieht seit Januar 2005 laufende Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Er bewohnt seit dem Jahre 1993 ein 75 qm großes im Jahre 1936 erbautes Einfamilienhaus (3 Zimmer, 1 Küche, 1 Bad), wobei der entsprechende Grundbesitz (in 21423 Drage, Grundbuch von D., Flur E., Flurstück F., Grundfläche: 836 qm), dessen Eigentümer er ist, unbelastet ist. Seit dem 01. Januar 2007 ist der Antragsteller verpflichtet, monatlich einen Betrag in Höhe von 115,00 EUR für Heizkosten zu entrichten (Jahresverbrauchsabrechnung der E.ON Avacon AG vom 17. Dezember 2006).

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Auf seinen Folgeantrag vom 24. April 2007 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den Zeitraum vom 01. Juni 2007 bis zum 30. November 2007 mit Bewilligungsbescheid vom 26. April 2007 laufende Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 108,08 EUR (davon Heizkosten: 53,83 EUR).

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Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 24. Mai 2007 Widerspruch, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist.

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Mit Schriftsatz vom 29. Mai 2007 und (antragserweiterndem) Schriftsatz vom 13. Juli 2007 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Lüneburg um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung seines Begehrens trägt er vor, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei bei einem selbst genutzten Eigenheim eine Größe von 90 qm als angemessen anzusehen. Daher seien auch die Heizkosten in tatsächlicher Höhe zu übernehmen.

6

Nachdem die Kammer über den streitigen Zeitraum vom 01. Dezember 2005 bis zum 31. Mai 2006 mit Urteil vom 22. August 2007 - S 25 AS G. - entschieden hat und die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erst nach der Entscheidung im Hauptsacheverfahren erteilt haben, beantragt der Antragsteller nunmehr noch (sinngemäß),

  1. die Antragsgegnerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, dem Antragsteller ab dem 30. Mai 2007 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens bis zum 30. November 2007, auf ganze Eurobeträge gerundete Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von 82 % der tatsächlichen Heizkostenvorauszahlungen zu gewähren.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

  1. den Antrag abzulehnen.

8

Sie hält die angegriffenen Entscheidungen für zutreffend und vertritt im Übrigen die Auffassung, dass dem Antragsteller wegen der geringfügigen Differenz zwischen gewährten und begehrten Leistungen jedenfalls ein Anordnungsgrund nicht zur Seite stehe.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Prozessakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten zum Aktenzeichen H. sowie die Prozessakte im Hauptsacheverfahren - S 25 AS G. - ergänzend Bezug genommen. Diese Akten lagen vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

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II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Regelungsanordnung zulässig, der Antrag ist nach der teilweisen Antragsrücknahme hinsichtlich der Übernahme der Warmwasserbereitungs- und Stromkosten auch begründet.

11

Nach der genannten Vorschrift ist eine einstweilige Anordnung in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Anordnungsanspruch, d.h. die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist, sowie der Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung, sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

12

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch hinsichtlich der Übernahme seiner tatsächlich anfallenden Heizkosten in Höhe von monatlich 115,00 EUR für den Zeitraum vom 30. Mai 2007 bis zum 30. November abzüglich jeweils eines Anteiles für die Warmwasserbereitung in Höhe von 18 % glaubhaft gemacht.

13

Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden die Leistungen für (Unterkunft und) Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Geht man davon aus, dass die Nichterwähnung des Wortes "Heizung" in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II einem bloßen redaktionellen Fehler entspringt, wären auch unangemessene Heizkosten in tatsächlicher Höhe vom zuständigen Träger zu übernehmen, solange eine Kostensenkung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, in der Regel jedenfalls für 6 Monate (vgl. Sozialgericht Osnabrück, Beschluss vom 19. Juni 2006 - S 22 AS 315/06 ER - und Sozialgericht Lüneburg, Urteil vom 09. November 2006 - S 25 AS 895/06 -). Aber auch wenn § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II für die Übernahme der Heizkosten nicht anwendbar ist (so Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. August 2006 - L 9 AS 407/06 ER -), sind vorliegend die tatsächlichen Heizkosten zu übernehmen.

14

Die tatsächlichen Leistungen für die Heizung umfassen diejenigen Vorauszahlungsfestsetzungen, die der Antragsteller monatlich aufzubringen hat.

15

Dabei ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass diese Aufwendungen nicht auf einem unwirtschaftlichen Verhalten beruhen und daher (dem Grunde nach) angemessen sind.

16

Die Angemessenheit der Heizkosten ist - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - allerdings nicht anhand der zuzubilligenden, sondern quadratmeterbezogen anhand der tatsächlich genutzten Wohnfläche von 75 qm zu bestimmen. Eine Beschränkung der tatsächlichen Fläche auf die als angemessen angesehene Fläche von 50 qm (die im Übrigen als Mindestfläche anzusehen ist) scheitert vorliegend daran, dass es sich bei dem vom Antragsteller bewohnten Haus um ein in seinem Eigentum stehendes unbelastetes Einfamilienhaus handelt, dass - da von angemessener Größe im Sinne der Vermögensanrechnungsvorschriften - nach § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II nicht als Vermögen berücksichtigt und dessen Verwertung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II daher nicht verlangt werden darf. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs zwischen den Vermögensanrechnungsvorschriften und den Bestimmungen über die Berechnung der Unterkunftskosten ist die Angemessenheit der Heizkosten in den Fällen, in denen keinerlei Schulden (mehr) auf dem nach § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 geschützten Eigenheim des Hilfeempfängers lasten, daher grundsätzlich unter Berücksichtigung der tatsächlichen Wohnfläche zu prüfen. Die Nichtberücksichtigung eines entsprechenden Hauses bei der Vermögensanrechnung erfolgt aufgrund einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, das im Eigentum des Arbeitslosen stehende und von ihm und/oder seiner Familie selbst bewohnte Haus als Lebensmittelpunkt (nicht als Vermögensgegenstand!) vor einer Verwertung zu schützen. Damit ist aber die zwingende Konsequenz verbunden, dass dieses Objekt auch angemessen bewohnbar sein und damit u.a. beheizt werden muss. Es geht nicht an, die Schutzvorschriften des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II durch Beschränkungen bei der Übernahme der Heizungskosten faktisch wieder auszuhöhlen (vgl. hierzu Sozialgericht Lüneburg, Urteil vom 22. August 2007 - S 25 AS 1233/06-; Urteil vom 24. August 2006 - S 31 AS 581/05 - und Beschluss vom 22. November 2005 - S 31 AS 600/05 ER -; Sozialgericht Aurich, Beschluss vom 10. Februar 2005 - S 15 AS 3/05 ER - und Sozialgericht Oldenburg, Beschluss vom 15. April 2005 - S 45 AS 165/05 ER -).

17

Aus alledem folgt, dass das Objekt angemessen beheizbar sein und es beheizt werden muss, was nur durch die Übernahme der tatsächlichen Heizkostenvorauszahlungen gewährleistet ist. Die Kammer hat dabei entscheidend berücksichtigt, dass das Einfamilienhaus des Klägers unbelastet ist und - neben den geringen Nebenkosten - insbesondere keine Darlehenszinsen von der öffentlichen Hand zu tragen sind. Daher erscheint es auch im Hinblick auf das Lebensalter des Antragstellers ökonomisch sinnvoll, ihm die tatsächlichen Heizkosten zuzugestehen und nicht eine durch die nur teilweise Beheizung des Wohnhauses bestehende Gefahr der Aufgabe des Wohnhauses heraufzubeschwören (etwa durch einen Schaden für unbeheizte Räume, die Heizungsanlage oder gar des gesamten Objekts), weil dies letztlich dazu führen würde, dass die Beklagte zukünftig mit höheren Kosten (etwa durch eine erforderlich werdende Anmietung einer Wohnung) belastet werden würde.

18

Der Antragsteller hat daher Anspruch darauf, dass seine Heizkosten in voller tatsächlicher Höhe berücksichtigt werden. Anders verhielte es sich nur dann, wenn ihm ein nach den Umständen des Einzelfalles unangemessenes und unwirtschaftliches Heizverhalten entgegen zu halten wäre. Dies ist jedoch - wie ausgeführt - nicht der Fall.

19

Von den tatsächlichen Heizkostenvorauszahlungen ist - was der Antragsteller nunmehr einräumt - für die Warmwasserbereitung ein Anteil in Höhe von jeweils 18 % von den tatsächlichen Heizkosten abzusetzen, weil diese keine Kosten der Heizung darstellen. Diese Praxis hat das Bundessozialgericht zwischenzeitlich gebilligt (vgl. Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R - unter Verweis auf Rothkegel in Gagel, SGB III mit SGB II, § 22 SGB II RdNr 35; vgl. ferner Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rdn. 17, 49; Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rdn. 34; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 31. März 2006 - L 7 AS 343/05 ER - sowie Beschlüsse der Kammer vom 02. Juni 2006 - S 25 AS 483/06 ER - und vom 29. September 2006 - S 25 AS 963/06 ER -). Die Kammer legt in ständiger Rechtsprechung einen Anteil von 18 % für die Höhe des Warmwasserabzugs zugrunde; dieser Ansatz entspricht § 9 Abs. 3 S. 4 der Heizkostenverordnung vom 13. Februar 1981 (BGBl. I 261) in der Fassung der Verordnung vom 19. Januar 1989 (BGBl. I S. 109). Dieser Wert wurde auf der Grundlage von Abrechnungsverfahren von Messdiensten ermittelt, die von Fachleuten aus dem Heizungs- und Installationsbereich bestätigt wurden (vgl. insoweit auch Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21. März 2006 - L 9 AS 124/05 ER -).

20

Die Antragsgegnerin wird entsprechend der Tenorierung bei der Gewährung der Leistungen unter Berücksichtigung von 82 % der tatsächlichen Heizkostenvorauszahlungen die Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2 SGB II zu beachten haben, wonach Beträge, die nicht volle Euro ergeben, bis 0,49 EUR abzurunden und von 0,50 EUR an aufzurunden sind.

21

Darüber hinaus hat der Antragsteller auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen können, da insbesondere die Differenz zwischen den gewährten Heizkosten in Höhe von 53,83 EUR und den begehrten Heizkosten in Höhe von 94,30 EUR (115,00 EUR abzgl. 18 % Warmwasserbereitung) nicht derart gering ist, dass das Vorliegen einer existenziellen Notlage ausgeschlossen erscheint. Da sich die Leistungen zum Lebensunterhalt an dem Existenzminimum orientieren, ist dem Antragsteller bei der hier streitigen Größenordnung daher nicht zuzumuten, den Ausgang eines weiteren Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Auch liegt es auf der Hand und bedarf keiner weiteren Vertiefung, dass bei nur anteilig gewährter Heizkostenvorauszahlungen bei dem Energieversorgungsunternehmen Rückstände entstehen, die zur Abschaltung der Energiezufuhr führen werden, so dass es der Kammer gerechtfertigt erscheint, einen großzügigeren Maßstab anzulegen.

22

Gemäß der Regelung des § 41 Abs. 1 S. 2 SGB II war die Verpflichtung zur Leistungsgewährung auf die Stellung des Rechtsschutzantrages beim Sozialgericht und den laufenden Bewilligungsabschnitt zu beschränken.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG. Sie entspricht dem Ergebnis der Hauptsache und berücksichtigt, dass der Antragsteller ursprünglich höhere Leistungen begehrt hatte.

24

Gerichtskosten werden in Verfahren dieser Art nicht erhoben.