Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 07.06.2007, Az.: S 22 SO 18/07

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
07.06.2007
Aktenzeichen
S 22 SO 18/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 61593
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:0607.S22SO18.07.0A

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2006 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Der Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag für die stationäre Unterbringung ihres Sohnes H. in einer Tagesbildungsstätte der Lebenshilfe I. e.V.

2

Der 1990 geborene Sohn der Klägerin ist seit 1996 an 5 Tagen pro Woche in der Tagesbildungsstätte untergebracht und erhält dort täglich ein Mittagessen. Die Klägerin erhält seit 01. Juli 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von zunächst monatlich 693,40 Euro, nunmehr 693,78 Euro, und ein Kindergeld von 154,- Euro.

3

Sie erhielt vom 01. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 Leistungen zum laufenden Lebensunterhalt nach dem SGB II in Höhe von 865,43 Euro (Bl. 81 bis 85 der Verwaltungsakte) und mit Bescheid der im Auftrag des Beklagten handelnden Gemeinde Neuenkirchen vom 26. Juli 2005 (Bl. 93 bis 94 a der Verwaltungsakte) ab dem 01. Juli 2005 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII gemeinsam mit ihrem Sohn in Höhe von monatlich 189,65 Euro (Bl. 135 der Verwaltungsakte).

4

Diese Leistungen stellte die Gemeinde J. mit Bescheid vom 10. Oktober 2006 (Bl. 31 bis 32 der Gerichtsakte) ab dem 01. Oktober 2006 ein. Ihr Sohn erhält ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 205,- Euro und seit 01. Oktober 2006 laufende Unterhaltsleistungen seines Vaters in Höhe von monatlich 217,- Euro, wobei davon ein Betrag von 50,- Euro Unterhaltsnachzahlungen seit dem 01. August 2006 betraf. Ferner erhalten die Klägerin und ihr Sohn seit dem 01. Oktober 2006 Wohngeld in Höhe von 109,- Euro pro Monat (Bl. 48 der Gerichtsakte).

5

Mit Bescheid vom 04. Januar 2006 (Bl. 103 bis 106 der Verwaltungsakte) erteilte der Beklagte für die teilstationäre Betreuung des Sohnes der Klägerin im Rahmen der Eingliederungshilfe für die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung ein Kostenanerkenntnis ab dem 01. Januar 2005 ab.

6

Mit Bescheid vom 05. Januar 2006 (Bl. 102 der Verwaltungsakte) setzte der Beklagte für das Jahr 2005 einen monatlichen Kostenbeitrag von 55,20 Euro und ab 01. Januar 2006 von 48,30 Euro fest. Er begründete dies damit, dass § 92 SGB XII die Festsetzung eines Kostenbeitrages in Höhe der häuslichen Ersparnis erlaube, welche hier 20 Prozent des Haushaltsangehörigenregelsatzes betrage. Dabei berücksichtigte er die 6-wöchige Schließungszeit der Einrichtung.

7

Mit Bescheid vom 06. Januar 2006 (Bl. 107 der Verwaltungsakte) änderte der Beklagte den Bescheid vom 05. Januar 2006 dergestalt ab, dass er nunmehr die tatsächlichen Fehlzeiten des Sohnes der Klägerin berücksichtigte und somit einen abgeänderten Kostenbeitrag für das Jahr 2005 von 522,39 Euro forderte.

8

Die Klägerin legte am 06. Februar 2006 (Bl. 112 bis 113 der Verwaltungsakte) gegen die Bescheide des Beklagten vom 04. und 05. Januar 2006 Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass es unklar sei, woraus sich der 20-prozentige Kostenbeitrag ergebe.

9

Mit Bescheid vom 07. Februar 2006 (Bl. 114 der Verwaltungsakte) setzte die Familienkasse eine Abzweigung des Kostenbeitrages in Höhe von 48,30 Euro monatlich fest, wogegen die Klägerin Einspruch einlegte.

10

Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2006 den Widerspruch der Klägerin zurück (Bl. 145 bis 147 der Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:

11

Einkommen sei in Höhe der ersparten häuslichen Aufwendungen für das Mittagessen in der Einrichtung in Höhe von 20 Prozent des Haushaltsangehörigenregelsatzes einzusetzen. Dies ergebe sich aus dem Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales vom 24. Oktober 2003. Dabei habe der Beklagte die 6-wöchige Ferienzeit berücksichtigt, in der keine Aufwendungen der Lebenshilfe entstünden.

12

Die Klägerin hat am 22. Januar 2007 Klage erhoben.

13

Sie trägt vor:

14

Die Erbringung des Kostenbeitrages sei der Klägerin nicht zumutbar. Es hätte die Einkommenssituation der Klägerin berücksichtigt werden müssen. Bei Zahlung des Kostenbeitrages sei ihr angemessener Lebensunterhalt gefährdet. Im Übrigen sei der Sohn insgesamt 12 Wochen zu Hause gewesen, so dass der Kostenbeitrag anzupassen wäre.

15

Die Klägerin beantragt,

  1. den Bescheid des Beklagten vom 05. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2006 aufzuheben.

16

Der Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

17

Er trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor:

18

Der Lebensunterhalt der Klägerin sei gesichert. Es würden tatsächlich die Aufwendungen für das Mittagessen erspart.

19

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Die Klage hat Erfolg.

21

Der Bescheid des Beklagten vom 05. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2006 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in eigenen Rechten.

22

Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide sind §§ 92 Absatz 2, 19Absatz 3 SGB XII in Verbindung des Runderlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales vom 07. April 1998, geändert am in 24. Oktober 2003 (Nds. MBl. 1998, 672 ff.; Nds. MBl. 2004, 5). Bei letzterem handelt es sich um eine landesrechtliche Regelung nach § 92 Absatz 2 Satz 5 SGB XII.

23

Grundsätzlich ist die Anwendbarkeit des § 92 SGB XII eröffnet, weil der Sohn der Klägerin gemäß §§ 92 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2, 53, 54 SGB XII Sozialhilfeleistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe zur Schulbildung (§ 12 der EinglH - VO) erhält, indem er die Tagesbildungsstätte der Lebenshilfe besucht.

24

Die Kosten des in einer Einrichtung erbrachten Lebensunterhaltes sind gemäß § 92 Absatz 2 Satz 3 SGB XII nur in der Höhe für den häuslichen Lebensunterhalt ersparter Aufwendungen anzusetzen.

25

Eine solche Ersparnis besteht im Falle des Sohnes der Klägerin tatsächlich, weil er an 5 Tagen pro Schulwoche ein Mittagessen in der Tagesbildungsstätte erhält. Der zitierte Runderlass setzt in Nummer 5.4.2 b Satz 1, 2. Halbsatz die monatliche Eigenleistung bei Einrichtungen, die an 5 Tagen die Woche geführt werden, auf in der Regel 20 Prozent des Haushaltsangehörigenregelsatzes von 276,- Euro fest, der einem Betrag von 55,20 Euro entspricht. Der Beklagte hat diesbezüglich die Öffnungszeiten der Tagesbildungsstätte für das Jahr 2006 berücksichtigt und für dieses Jahr einen Kostenbeitrag von 48,30 Euro angesetzt, nachdem er für das Jahr 2005 noch einen Kostenbeitrag von 55,20 Euro verlangt hatte. Ob dabei die konkrete Berücksichtigung der Anwesenheitszeiten des Klägers bzw. der Öffnungszeiten der Einrichtung rechtlich zutreffend erfolgte, mag dahinstehen, weil von der Klägerin in jedem Fall keine monatliche Eigenleistung verlangt werden durfte. Denn gemäß Nummer 5.4.5, 3. Spiegelstrich ist im Falle eines wesentlich unter der Einkommensgrenze liegenden Einkommens, das unterhalb des Bedarfssatzes der Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich eines Betrages von 30 Prozent des maßgebenden Regelsatzes liegt, keine Eigenleistung wegen Haushaltsersparnis zu fordern.

26

So liegt es hier durchgehend für die Zeit seit dem 01. Januar 2005:

27

Das jeweils erzielte Einkommen der Klägerin und ihres Sohnes, die gemäß § 19 Absatz 3 SGB XII eine Einsatzgemeinschaft bilden, liegt selbst dann unter der Einkommensgrenze, ab der keine Eigenleistung mehr erbracht werden muss, wenn man die Kosten der Unterkunft in Höhe von lediglich 357,43 Euro als angemessen ansehen würde. Denn dann würde diese 1.206,13 Euro betragen.

28

Dieser monatliche Betrag setzt sich zusammen aus den Regelsatz eines Haushaltsvorstandes für die Klägerin von monatlich 345,- Euro, dem Regelsatz des Sohnes als Haushaltsangehörigen von 276,- Euro, dem Mehrbedarf der Klägerin für Alleinerziehung von 41,40 Euro (§ 30 Absatz 3 Nr. 2 SGB XII), den oben genannten Unterkunftskosten von 357,43 Euro und einem zusätzlichen Betrag von 30 Prozent der Regelsatzbeträge. Würde man hingegen bei den Unterkunftskosten nach der Wohngeldtabelle zu einer Festsetzung gelangen, wäre ein Wert von 407,43 Euro angemessen, so dass die Einkommensgrenze 1.256,43 Euro betragen würde. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob nicht die volle Miete in Höhe von 625,- Euro berücksichtigt werden müsste mit der Folge, dass die Einkommensgrenze 1.473,70 Euro betrüge. Dies erscheint als zumindest nicht ausgeschlossen, weil der Beklagte nicht nachweisen konnte, dass er eine Absenkungsaufforderung nach § 22 Absatz 1 Satz 3 SGB II bzw. §§ 41, 42 Satz 1 Nr. 2, 29Absatz 1 Satz 3 SGB XII entsprechend erteilt hat, als die Klägerin und ihr Sohn noch im Leistungsbezug standen.

29

Das Einkommen der Klägerin und ihres Sohnes, das gemäß § 19 Absatz 3 SGB XII gemeinsam zu berücksichtigen ist, hat die dem Beklagten günstigste Einkommensgrenze von 1.206,13 Euro zu keinem Zeitpunkt überschritten:

30

Zunächst ist grundsätzlich festzustellen, dass das Pflegegeld kein Einkommen im Sinne von § 82 SGB XII darstellt ( vgl. Urteil vom 04. Juni 1992 ( - 5 C 82/88 -, BVerwGE 90, 217; Beschluss des Landessozialgerichtes Niedersachsen - Bremen vom 07. Oktober 2005, - L 8 SO 60/05 ER -; LPK - SGB XII - Krahmer § 64, Rdn. 15).

31

In der Zeit vom 01. Januar bis 30. Juni 2005 haben die Klägerin und ihr Sohn ein monatliches Einkommen von 1.019,43 Euro erzielt, das sich aus einem Betrag von 865,43 Euro für Grundsicherungsleistungen zum laufenden Lebensunterhalt nach dem SGB II und einem Betrag von 154,- Euro für Kindergeld zusammensetzte.

32

In der Zeit vom 01. Juli 2005 bis 30. September 2006 haben sie ein monatliches Einkommen von 1.019,83 Euro erzielt, das sich zum einen aus einem Betrag von 189,65 Euro Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung zusammensetzte. Zum anderen trat ein weiterer Betrag von 830,18 Euro hinzu, der aus Beträgen von 693,40 Euro aus einer Erwerbsminderungsrente der Klägerin sowie 154,- Euro an Kindergeld abzüglich von Versicherungsbeiträgen von 17,22 Euro besteht.

33

In der Zeit ab dem 01. Oktober 2006 erzielten die Klägerin und ihr Sohn insgesamt monatlich Einkünfte von zunächst 1.156,13 Euro und später 1.106,13 Euro. Der erstgenannte monatliche Betrag setzt sich wiederum zusammen aus 830,18 Euro für bereinigtes Einkommen zuzüglich Wohngeld von 109,- Euro und Unterhaltsleistungen des Vaters des Sohnes der Klägerin von 217,- Euro pro Monat bis die Unterhaltsschulden von 334,- Euro in Raten von 50,- Euro abgetragen sind.

34

Aufgrund dessen hätte der Beklagte zu keinem Zeitpunkt einen Kostenbeitrag von der Klägerin fordern dürfen.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.