Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 14.03.2007, Az.: S 24 AS 297/07 ER
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 14.03.2007
- Aktenzeichen
- S 24 AS 297/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 61603
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0314.S24AS297.07ER.0A
Rechtsgrundlagen
- SGB II § 23 Abs. 1
Tenor:
- 1.
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin ein Darlehen in Höhe von 120,- Euro zu gewähren.
- 2.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Kostenübernahme für die Anfahrt zu einem Gerichtstermin vor dem Amtsgericht (Familiengericht) D ...
Die Antragstellerin steht im Leistungsbezug nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Gemäß der Ladungsverfügung vom 09.02.2007 des Amtsgerichts E. - Zweigstelle D. - wurde sie für den 02.03.2007 zu einem Gerichtstermin in einer familienrechtlichen Angelegenheit geladen.
Am 23.02.2007 beantragte sie bei der Antragsgegnerin die Übernahme der Fahrtkosten zu diesem Gerichtstermin. Sie führte dazu aus, dass die Zugfahrt pro Strecke 5 bis 6 Stunden dauere. Die Rückfahrt könne nur bis 15.55 Uhr angetreten werden, da spätere Verbindungen mit stundenlangem nächtlichem Aufenthalt auf anderen Bahnhöfen verbunden seien. Um dies zu vermeiden, wolle sie mit dem Pkw, den sie sich von einem Bekannten ausleihen wolle, zum Gerichtstermin fahren. Dafür würden ihr Kosten in Höhe von etwa 120,- Euro entstehen. Da sie sich aufgrund zahlreicher bestehender Zahlungsverpflichtungen außer Stande sehe, diesen Betrag auf einen Schlag aufzubringen, bitte sie um die Gewährung eines entsprechenden Darlehens.
Soweit dies aus der Verwaltungsakte ersichtlich ist, wurde über diesen Antrag noch nicht entschieden. Die Antragstellerin hat dazu aber ausgeführt, dass der Antrag in einem persönlichen Gespräch mündlich abgelehnt worden sei.
Am 01.03.2007 hat die Antragstellerin das Gericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebeten.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr ein Darlehen in Höhe von 120,- Euro zu gewähren, um die Reisekosten zur Wahrnehmung des Gerichtstermins in D. zu begleichen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist darauf, dass die Antragstellerin im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens vor einem anderen, näher gelegenen Gericht hätte angehört werden können.
Die Klammer hat im vorbereitenden Verfahren eine telefonische Auskunft des Amtsgerichts D. eingeholt. Danach sind in dem Verfahren die Kosten gegeneinander aufgehoben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz richtet sich nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung nötig erscheint (Satz 2). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist deshalb, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber der Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile müssen glaubhaft gemacht werden, § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Dabei darf die einstweilige Anordnung wegen des summarischen Charakters des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich nicht die Entscheidung der Hauptsache vorwegnehmen.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihrer funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Aufl, § 86 b Rz, 27 ff m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn auf das vorliegen des Anordnungsgrunds nicht verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang der Hauptsache, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend zu berücksichtigen. Die Gerichte müssen sich dabei schützend und fördernd vor die Grundrechte der Einzelnen stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abgestellt wird, die Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen nur auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit fordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrunds (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O. Rz. 16 b f.).
Unter diesen Voraussetzungen hat die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
1. Ein Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II. Danach kann ein Darlehen erbracht werden, wenn im Einzelfall ein von der Regelleistung umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes auf andere Weise nicht gedeckt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
a. Reisekosten und die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sind grundsätzlich aus der Regelleistung zu bestreiten (s. hierzu Schwabe, Zusammensetzung des Regelsatzes, ZfF 2/2007 S. 45 ff.). b. Die Antragstellerin kann die Fahrtkosten nicht auf andere Weise decken. aa.) Der Aufwand für die Reisekosten entfällt nicht, weil die Antragstellerin an einem anderen Amtsgericht in der Nähe ihres Wohnortes hätte vernommen werden können. Die Antragstellerin wurde von dem zuständigen Richter am Amtsgericht D. durch Ladungsverfügung vom 09.02.2007 persönlich geladen. Es ist die alleinige Entscheidung des zuständigen Richters, das persönliche Erscheinen anzuordnen. Diese Entscheidung ist einer Überprüfung im Rahmen des Sozialrechtverfahrens nicht zugänglich.
bb.) Die Unabweisbarkeit des Bedarfes entfällt nicht, weil der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin den Antrag hätte stellen können, die Antragstellerin vor dem zuständigen Amtsgericht in der Nähe ihres Wohnorts vernehmen zu lassen. Zwar ist die Antragstellerin insofern verpflichtet, alle vorrangigen Möglichkeiten zur Senkung ihrer Kosten auszuschöpfen. Ein insoweit gffs. vorliegendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wäre ihr auch zuzurechnen. Letztlich ist jedoch auch diese Entscheidung einer Überprüfung durch die Kammer nicht zugänglich. Es liegen auch gute Gründe auf der Hand, in einer familienrechtlichen Angelegenheiten das Verfahren mit den Beteiligten gemeinsam zu erörtern.
cc.) Die Antragstellerin erhält die Reisekosten auch nicht über die außergerichtlichen Kosten erstattet. Nach der Auskunft des Amtsgerichts D., wurden in dem Rechtsstreit die Koten gegeneinander aufgehoben. Die Antragstellerin muss ihre Kosten also selbst tragen.
c. Die geltend gemachte Höhe von 120,- Euro ist von der Antragstellerin glaubhaft gemacht worden. Nach Auskunft des Routenplaners "Falk" im Internet beträgt die einfache Fahrtstrecke vom Wohnort der Antragstellerin nach D. 195,67 km. Liegt man den in § 3 Nr. 3 der Arbeitslosengeld-II-/Sozialgeld-Verordung zugrunde gelegten Wert von 0,20 Euro pro Entfernungskilometer an erstattungsfähigen Kosten zugrunde, ergibt sich der geltend gemachte Betrag von 120,- Euro. Auch eine Bahnfahrt wäre nicht günstiger. Nach der Bahnauskunft im Internet beträgt eine einfache Fahrt von F. nach D. 61,- Euro. Dazu wäre noch die Fahrt von G. nach F. hinzuzuaddieren.
d. Die Unabweisbarkeit des Bedarfs entfällt auch nicht deshalb, weil die mündliche Verhandlung bereits durchgeführt worden ist. Der Antrag auf Übernahme der Kosten datiert vor der mündlichen Verhandlung. Es kann der Antragstellerin nicht zum Nachteil gereichen, wenn die diesbezügliche Entscheidung erst später ergehen konnte.
2. Auch ein Anordnungsgrund liegt vor. Die Antragstellerin hat ausführlich dargestellt, dass ihre finanziellen Mittel aufgrund bestehender Abzahlungsverpflichtungen eingeschränkt sind. Der Anordnungsgrund ergibt sich damit ohne weiteres aus der finanziellen Situation der Antragstellerin.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.