Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 12.07.2007, Az.: S 25 AS 975/07 ER
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 12.07.2007
- Aktenzeichen
- S 25 AS 975/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 61602
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0712.S25AS975.07ER.0A
Rechtsgrundlagen
- WoGG 2005 § 8
- SGB II § 22 Abs. 1
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei Unterliegen im Hauptsacheverfahren verpflichtet, Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 325,00 EUR für den Zeitraum vom 03. Juli 2007 (Antragseingang) bis zum 31. Dezember 2007 zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt ? der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Streitig ist, in welcher Höhe Leistungen für die Unterkunft zu berücksichtigen sind.
Die 1949 geborene Antragstellerin ist ledig und bezieht seit Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Alleinstehende. Die Antragstellerin beantragte am 21. November 2006 im Wege der Fortzahlung Leistungen mit der Maßgabe, dass Änderungen in den persönlichen Verhältnissen nicht eingetreten seien. Ausweislich der danach auch zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Angaben im Mietvertrag (Beginn des Mietverhältnisses: 04. August 2003) beträgt die Brutto-Kaltmiete für die von der Antragstellerin allein bewohnte 72 qm große 3-Zimmer-Wohnung insgesamt 370,00 EUR. Dabei wird die Versorgung mit Heizwärme über einen Nachtspeicherofen sichergestellt, der mit Strom betrieben wird. Für die Stromversorgung insgesamt ist monatlich ein Vorauszahlungsbetrag in Höhe von 86,00 EUR fällig.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 2006/Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2007 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin für den Zeitraum vom 01. Januar 2007 bis zum 30. Juni 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 686,50 EUR, wobei sie eine Grundmiete von 271,50 EUR, Nebenkosten für die Garage von 20,00 EUR und Heizkosten von 50,00 EUR (insgesamt 341,50 EUR) berücksichtigte. Für den folgenden Bewilligungsabschnitt vom 01. Juli 2007 bis zum 31. Dezember 2007 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit Bescheid vom 30. Mai 2007/Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2007 die Leistungen in gleicher Höhe und Zusammensetzung weiter.
Hiergegen ist auch ein Klageverfahren - S 25 AS D. - bei dem Sozialgericht (SG) Lüneburg anhängig.
Am 03. Juli 2007 hat die Antragstellerin außerdem den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie ist der Auffassung, dass die Kosten der Wohnung in voller Höhe berücksichtigt werden müssten, da in ihrer Wohngemeinde Wohnraum mit einer Größe von etwa 50 qm zu dem von der Antragsgegnerin als angemessen angesehenen Mietpreis von 291,50 EUR keine Wohnungen angeboten würden. Die Antragsgegnerin habe derartiges auch nicht vorgetragen oder nachgewiesen. Jedenfalls seien mangels eines Mietspiegels oder einer repräsentativen statistischen Erhebung die Werte der Tabelle zu § 8 des Wohngeldgesetzes (WoGG) zuzüglich eines Zuschlages von 10 % heranzuziehen.
Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sie hält ihre Bescheide für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte und die beigezogene Leistungsakte der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen. Diese lagen vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Der nach § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Antrag ist nicht begründet.
Nach der genannten Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf eins streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, und ein Anordnungsanspruch, d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegeben materiellen Anspruchs glaubhaft gemacht wird (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Den Antragstellern stehen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung höhere Leistungen nach dem SGB II zu.
1. Gemäß § 22 Abs. 1 SGB II sind Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu erbringen, soweit diese angemessen sind.
a) Für die Bestimmung der Angemessenheit von Unterkunftskosten kommt es auf die Besonderheit des Einzelfalls, vor allem die Person des Hilfebedürftigen, die Art seines Bedarfs und die örtlichen Verhältnisse an. Maßgeblich ist der zu entrichtende Mietzins. Dabei werden auf dem Wohnungsmarkt die Unterkunftskosten, insbesondere durch die Wohnungsgröße, und das jeweils örtliche Mietniveau bestimmt. Dort ist jeweils auf den unteren Bereich der marktüblichen Wohnungsmiete für nach Größe und Wohnstandard zu berücksichtigende Wohnungen abzustellen. Die angemessene Wohnfläche wird nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Bundessozialgericht , Urteil vom 07. November 2006 - B 7 b AS 18/06 R -) nach den Durchführungsbestimmungen der Länder zum Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmungen von Sozialwohnungen (Wohnungsbindungsgesetz, jetzt: Wohnraumförderungsgesetz) bestimmt. In Niedersachsen gilt nach Nr. 11.2 der Wohnraumförderungsbestimmungen (Runderlass des Sozialministeriums vom 27. Juni 2006 - Nds. MBl. S. 580) bei einem Haushaltsmitglied eine Wohnfläche mit einer Gesamtfläche bis zu 50 qm als angemessen. Die Antragstellerin bewohnt indes eine Wohnung, die mit 72 qm den angemessenen, aus den Durchführungsbestimmungen des sozialen Wohnungsbaus ableitbaren Wert für einen Ein-Personen-Haushalt weit übersteigt.
Die Aufwendungen für die Unterkunft in Höhe von 370,00 EUR (Kaltmiete von 350,00 EUR, Nebenkosten für die Garage von 20,00 EUR) sind nur dann nicht angemessen, wenn dieser Betrag über der für eine angemessene Wohnungsgröße marktüblichen Wohnungsmiete liegt. Es handelt sich damit um eine Kombination von Wohnraumgröße und jeweils örtlich herrschendem Mietniveau. Es ist damit zu prüfen, ob die Antragstellerin auf dem örtlichen Wohnungsmarkt in E. /Landkreis Lüneburg eine unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls kostenangemessene Unterkunft von bis zu 50 qm Wohnfläche für eine Kaltmiete von 291,50 EUR, die die Antragsgegnerin festgesetzt hat, anmieten kann.
Wenn - wie hier - verallgemeinerungsfähige und aussagekräftige Aussagen betreffend der Lage auf dem Wohnungsmarkt - insbesondere Mietspiegel - nicht vorhanden sind, haben die niedersächsischen Sozialgerichte zunächst die Tabelle zu § 8 WoGG und dort die rechte Spalte (ohne Zu- oder Abschläge), angewendet (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 13. April 2006 - L 9 AS 131/06 ER - m. w. N.). Dem Träger der Grundsicherungsleistungen steht der Nachweis offen, dass Unterkünfte zu günstigen Konditionen erhältlich sind und im Gegenzug dazu hat der Hilfeempfänger im Einzelfall die Möglichkeit nachzuweisen, dass er trotz intensiver Bemühungen zu dem Tabellenwert keine geeignete Unterkunft finden kann.
Diese Rechtsprechung wendet die Kammer auch weiterhin in einstweiligen Rechtsschutzverfahren an. Das Bundessozialgericht hat entschieden (a. a. O.), dass, wenn alle Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft sind, auch die Tabelle zu § 8 WoGG Anwendung finden kann. Da im einstweiligen Rechtschutzverfahren eine weitere Beweisaufnahme ausscheidet und die Antragstellerin zwar vorgetragen, jedoch nicht glaubhaft gemacht hat, dass Unterkünfte zu diesen Konditionen nicht erhältlich sind, stehen zur Zeit andere Erkenntnismöglichkeiten nicht zur Verfügung.
Die Miethöchstgrenze in der Tabelle zu § 8 WoGG sieht für einen Ein-Personen-Haushalt unter der Berücksichtigung der für den Landkreis Lüneburg geltenden Mietstufe IV einen Höchstbetrag von 325,00 EUR vor. Da die Antragsgegnerin demgegenüber bei ihrer Berechnung nur einen Betrag in Höhe von 291,50 EUR zugrunde legt, besteht hiervon abweichend ein Anordnungsanspruch in Höhe des Differenzbetrages. Da dieser auch nicht derart gering ist, dass die Antragstellerin auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen werden könnte, besteht auch ein Anordnungsgrund, der den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen vermag.
Soweit die Antragstellerin demgegenüber die Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten in Höhe von 350,00 EUR begehrte, war der Antrag wegen der Überschreitung der oben festgelegten Angemessenheitsgrenze abzulehnen.
b) Soweit dem - in diesem Punkt etwas vagen - Vorbringen der Antragstellerin auch zu entnehmen sein könnte, dass höhere Kosten der Heizung begehrt werden, vermag die Kammer nach der gebotenen, aber auch ausreichenden, summarischen Prüfung des Tatsachenmaterials nicht zu erkennen, dass der hierfür von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Betrag in Höhe von 50,00 EUR zu Lasten der Antragstellerin eindeutig unrichtig ist. Selbst wenn man nämlich den nicht glaubhaft gemachten Vortrag der Antragstellerin, wonach die monatlichen Heizkostenvorauszahlungsfestsetzungen inzwischen 104,00 EUR betragen sollen, als richtig unterstellt, ergäbe sich kein - im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchsetzbarer - höherer Bewilligungsbetrag: Ausgehend von der tatsächlichen Wohnungsgröße ergäbe sich ein tatsächlicher Quadratmeterpreis für diese Vorauszahlung in Höhe von 1,44 EUR (104,00 EUR dividiert durch 72 qm). Ausgehend von der oben ermittelten angemessenen Wohnfläche von 50 qm ergäbe sich zwar ein grundsätzlich zu übernehmender Betrag in Höhe von monatlich 72,00 EUR (50 qm multipliziert mit 1,44 EUR). Da es sich nach Aktenlage bei den von der Antragstellerin gezahlten Abschlägen jedoch um solche handelt, die nicht nur der Stromversorgung des Nachtspeicherofens zur Erzeugung der Heizwärme, sondern auch der Bereitstellung des sonstigen - der Regelleistung zuzuordnenden - Haushaltsstroms dient, vermag die Kammer insoweit weder einen Anordnungsanspruch, noch einen Anordnungsgrund zu erkennen. Die Klärung, welcher Anteil der Stromkosten auf die Erzeugung der Heizenergie einerseits und des Haushaltsstroms andererseits entfällt, mag in dem anhängigen Hauptsacheverfahren geklärt werden.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG und berücksichtigt das Verhältnis vom Obsiegen zum Unterliegen.