Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 06.09.2007, Az.: S 28 AS 665/07
Gewährung von höheren Heizkosten im Rahmen der Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende; Anspruch auf Übernahme tatsächlicher Unterkunftskosten; Bemessung der Angemessenheit von Heizkosten nach Durchschnittsverbrauchswerten
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 06.09.2007
- Aktenzeichen
- S 28 AS 665/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 53394
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0906.S28AS665.07.0A
Rechtsgrundlage
- § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II
Tenor:
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 13. Februar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2007, abgeändert durch Bescheid vom 19. April 2007, verpflichtet, den Klägern im Rahmen der Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende Heizkosten in Höhe von monatlich 86,10 Euro für die Zeit vom 01. März bis 31. Mai 2007 zu gewähren.
Der Beklagte hat den Klägern ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger erstreben von dem Beklagten nunmehr die Übernahme höherer Heizkosten für die Zeit vom 01. März bis 31. Mai 2007.
Die 1954 geborene Klägerin zu 1 und der 1961 geborene Kläger zu 2 sind Eltern der 1993, 1994 und 1986 geborenen Kläger zu 3 bis 5 und beziehen Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende nach dem SGB II.
Die Kläger bewohnen ein 125 qm großes, 1988 bezugsfertig gewordenes, freistehendes Einfamilienhaus im Rebhuhnweg 24 in Celle. Der Giebel besteht aus einer Fachwerkwand. Die obere Etage besteht ebenso wie die Decke aus Holz. Monatlich werden 866,61 Euro an Schuldzinsen und 134,05 Euro an Nebenkosten fällig. Die Heizkosten der Vaillant Gastherme mit untergebautem Wasserspeicher betragen monatlich 105,- Euro.
Mit Bescheid vom 13. Februar 2007 bewilligte der Beklagte den Klägern für die Zeit vom 01. März bis 31. Mai 2007 (Bl. 30 bis 32 der Verwaltungsakte) Kosten der Unterkunft im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende von monatlich 532,39 Euro. Dabei berücksichtigte sie an Kosten der Unterkunft einen Betrag von 595,75 Euro zuzüglich Heizungskosten ohne Warmwasseranteil von 74,98 Euro.
Dagegen legten die Kläger unter dem 26. Februar 2007 Widerspruch ein (Bl. 34 bis 35 der Verwaltungsakte), den sie damit begründete, dass sie Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten hätten, weil das Haus verwertungsgeschützt sei. Ferner müsse ein angemessener Wohnraum von 100 bzw. 105 qm zugrunde gelegt werden.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2007 zurück (Bl. 45 bis 48 der Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:
Die angemessene Wohnfläche für 5 Personen betrage 95 qm. An angemessenem Kaltmietzins sei in Celle ein Wert von 4,86 Euro pro qm zu berücksichtigen, so dass 461,70 Euro anerkannt werden könnten. Die Nebenkosten von 134,05 Euro würden voll übernommen. Bei den Heizkosten sei aber nur ein Betrag von 74,98 Euro ohne Warmwasserkosten angemessen.
Mit Bescheid vom 19. April 2007 änderte der Beklagte die Bewilligung für den März 2007 und den April 2007 auf jeweils 632,08 Euro und 536,58 Euro ab
Die Kläger haben am 09. Mai 2007 Klage erhoben.
Sie tragen vor:
Die angemessene Wohnraumgröße betrage 105 qm. Die Kläger könnten wegen der schulpflichtigen Kinder und ihrer sozialen Verwurzelung nicht umziehen. Bei einer Verwertung würden sie etwa 100.000,- Euro erzielen, wohingegen Belastungen in Höhe von 165.000,- Euro bestünden. Ferner seien die Holzfenster undicht, für eine Renovierung fehle das Geld.
Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 06. September 2007 den Klageanspruch insoweit anerkannt, als für die Zeit vom 01. März bis 31. Mai 2007 Unterkunftskosten von 625,- Euro pro Monat zu berücksichtigen sind. Die Kläger haben das Anerkenntnis angenommen.
Die Kläger beantragen nunmehr,
- 1.
unter Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 13. Februar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2007, abgeändert durch Bescheid vom 19. April 2007, den Klägern im Rahmen der Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende Heizkosten im gesetzlichen Umfang zu gewähren und
- 2.
der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Teilanerkenntnisses aufzuerlegen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor:
Es seien in der Vergangenheit für 13 Monate unangemessenen Kosten übernommen worden. Der Beklagte habe ein Heizkostenberechnungsmodell entwickelt. Auf die vorgelegte Beiakte wird Bezug genommen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierauf gemäß § 124 Abs. 2 SGG verzichtet haben.
Der Bescheid des Beklagten vom 13. Februar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2007, abgeändert durch Bescheid vom 19. April 2007, erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten.
Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide ist § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II.
Die Angemessenheit der Heizkosten darf grundsätzlich nicht nach Durchschnittsverbrauchswerten bestimmt werden kann (vgl. Beschluss des Landessozialgerichtes Niedersachsen- Bremen vom 15. Dezember 2005 - L 8 AS 427/05 ER - FEVS 57, 476; Beschluss vom 27. April 2006 - L 8 SO 27/06 ER -).
Im Beschluss vom 19. April 2007 führt das Landessozialgericht zu diesem Themenkomplex folgendes aus ( - L 8 AS 235/07 ER -):
"Danach sind die Leistungen für (Unterkunft und) Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, soweit diese Kosten angemessen sind. Die Höhe der laufenden Kosten für Heizung ergeben sich entweder aus dem Mietvertrag bzw. aus den Vorauszahlungsfestsetzungen der Energie- bzw. Fernwärmeversorgungsunternehmen. Für diese monatlich bestimmten Heizungskosten spricht zunächst eine Vermutung der Angemessenheit, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte für ein unwirtschaftliches und damit unangemessenes Heizverhalten vorliegen, zumal die Höhe der Heizkosten von zahlreichen Faktoren abhängt, wie z.B. Lage und Bauzustand der Wohnung, Geschosshöhe, Wärmeisolierung, Heizungsanlage und meteorologische Daten; auch mag für einen bestimmten Personenkreis ein erhöhter Heizbedarf bestehen (Alter, Kinder, Behinderung). Daraus ergibt sich, dass der Wärmebedarf von verschiedenen Faktoren abhängig ist und allein die Überschreitung von Durchschnittswerten die Unangemessenheit der Heizkosten nicht ohne weiteres begründen kann (vgl. dazu Berlit in Lehr- und Praxiskommentar zum SGB XII, 2005, § 29 Rdnr. 82; s. auch Lang in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2005, § 22 Rdnr. 46; Gerenkamp in Mergler/Zink, Kommentar zum SGB II, Loseblattsammlung, Stand Oktober 2004, § 22 Rdnr. 16 f.). Soweit - wie hier - quadratmeterbezogene Richtwerte zugrunde gelegt werden, kann damit die Angemessenheit der Heizkosten nicht hinreichend bestimmt umschrieben werden. Denn - wie oben dargelegt - spielt bei der Bestimmung der Angemessenheit der Heizkosten eine Vielzahl von Wirkungszusammenhängen eine wesentliche Rolle. Wenn der zuständige Leistungsträger entsprechende Heizkostenrichtlinien anwenden will, entspräche es einer Fürsorgepflicht gegenüber den Leistungsberechtigten, diese darüber zu unterrichten, damit für die Zukunft eine Anpassung des Heizverhaltens an die in der Heizkostenrichtlinie geforderten Werte erfolgen kann."
Die Heizkostenberechnung durch den Beklagten erweist sich im vorliegenden Fall als rechtsfehlerhaft, und zwar im Wesentlichen aufgrund der Tatsache, dass individuelle Aspekte und Besonderheiten in keiner Weise berücksichtigt worden sind. Die Kammer hält es für unverzichtbar bei Festlegung von Kriterien, die den Heizbedarf einer Immobilie beeinflussen, vor Ort Erhebungen vorzunehmen.
So hat der Beklagte nicht berücksichtigt, dass es sich nicht um ein komplettes Massivhaus handelt, sondern der Giebel eine Holzfachwerkwand aufweist, welche einen anderen Heizwärmebedarf auslöst. Dies hätte auf einfachste Weise durch einen Ortstermin vermieden werden können.
Gleiches gilt für die Holzbauweise des Obergeschosses.
Unzureichend erscheint auch die Differenzierung bei den Heizanlagen, deren Jahresnutzungsgrade der Beklagte errechnet. Es erscheint als ausgeschlossen, dass mit 6 verschiedenen Alternativen für alle Heizanlagen die individuelle Heizung abgebildet werden kann. So wird nur differenziert zwischen Altanlagen vor 1978 mit Öl oder Gas oder festen Brennstoffen, Anlagen ab 1978 mit Öl oder Gas, modernen Anlagen mit Niedertemperaturkessen mit Öl oder Gas, modernen Anlagen mit Brennwertkessel Gas und Elektrospeicherheizgeräten. Die Kläger verfügen über eine Vaillant Therme mit untergebautem Wasserspeicher, wobei eine Zuordnung zu den 6 möglichen Anlagen nicht auf der Hand liegt. Die Anlage wurde nach 1978 erbaut, jedoch der Jahresnutzungsgrad nicht ausschließlich anhand solcher Anlagen gemessen, wie sie die Kläger nutzen. Aufgrund dessen erscheint dieser Teil der Berechung als zu ungenau und daher unbrauchbar.
Die Kammer weist ferner darauf hin, dass der Beklagte die Geschosshöhe als Faktor überhaupt nicht berücksichtigt hat, obgleich das Landessozialgericht Niedersachsen - Bremen dies als Kriterium benannt hat, welches auch offensichtlich Einfluss auf den Heizbedarf hat. Denn beheizt werden die Kubikmeter an Raumluft und nicht die zugrunde liegenden Quadratmeter. Der Heizbedarf einer Wohnung mit Hochdecke oder Galerie ist signifikant und ganz offensichtlich höher als derjenige einer Wohnung gleicher Bauart mit Normaldecke.
Die Kammer geht im vorliegenden Fall davon aus, dass nach Abzug des Warmwasseranteiles die angefallenen Heizkosten von 86,10 Euro pro Monat für 125 qm Wohnfläche im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01. März bis 31. Mai 2007 angemessen war. Dies entspricht Heizkosten von 0,91 Euro pro qm bezogen auf eine für 5 Personen angemessene Wohnfläche von 95 qm. Der Kammer weist darauf hin, dass andere Grundleistungsträger im Sozialgerichtsbezirk bis zu 1,10 Euro pro qm angemessener Wohnfläche an Heizkosten gewähren, wobei dies beispielsweise durch eine Erhebung der Lüneburger Wohnbaugenossenschaft gestützt wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG. Der Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten bezüglich des anerkannten Teiles des Rechtsstreites zu tragen. Denn insoweit hat sich der Beklagte in die Rolle des Unterlegenen begeben und der Wert der rechten Spalte der Wohngeldtabelle anerkannt.
Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer des Beklagten unter 500,- Euro liegt. Die Berufung wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Denn der Beklagte hat ein Heizkostenberechnungsmodell entwickelt, welches er in sämtlichen Fällen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II anwendet. Die Frage der Rechtmäßigkeit der Berechnungsmethode hat Einfluss auf praktisch jeden Empfänger von Grundsicherungsleistungen, welcher im Landkreis Celle lebt. Streitgegenständlich ist ferner, ob Heizkosten überhaupt anhand technischer Daten ohne Einzelfallprüfung vor Ort oder heiztechnisches Gutachten ermittelt werden können.