Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 23.10.2008, Az.: S 6 SF 88/08

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
23.10.2008
Aktenzeichen
S 6 SF 88/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 55012
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Erinnerung vom 25. Juli 2008 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 21. Juli 2008 - S 6 SB 109/06 - wird zurückgewiesen.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.

Gründe

1

Die als Erinnerung auszulegende „Beschwerde“ des Klägers und Erinnerungsführers (im Folgenden: Erinnerungsführer) ist gemäß § 197 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sie ist nicht begründet.

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Der angefochtene Kostenfestesetzungsbeschluss ist rechtmäßig und hält der beantragten gerichtlichen Überprüfung stand. Der von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle festgesetzte Gebührenbetrag in Höhe von 464,10 € ist kostenrechtlich nicht zu beanstanden.

3

Zur Begründung seiner Entscheidung nimmt das Gericht zunächst gemäß § 142 Abs. 2 S. 3 SGG auf die ausführlichen und uneingeschränkt zutreffenden Ausführungen des Urkundsbeamten in dem angefochtenen Beschluss - S 6 SB 109/06 - vom 21. Juli 2008 Bezug und macht sich diese zur Vermeidung nicht gebotener Wiederholungen zu Eigen. Der Urkundsbeamte hat den gebührenrechtlichen Sachverhalt vollständig und rechtsfehlerfrei gewürdigt, so dass es nur der folgenden Ergänzungen durch das Gericht bedarf.

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1. Nur mit Blick auf das Vorbringen des Erinnerungsführers im Erinnerungsverfahren sei zur Höhe der Verfahrensgebühr , die dem Rahmen der Nr. 3102 des Vergütungsverzeichnisses (VV-RVG) - Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - zu entnehmen ist, angemerkt, dass es zwar zutrifft, dass wegen der mit der Anerkennung der Schwerbehinderung einhergehenden Vorteile im Zusammenhang mit der Gewährung der Altersrente und wegen deren Charakters einer Dauerleistung durchaus von einer überdurchschnittlichen Bedeutung des Rechtsstreits für den Erinnerungsführer auszugehen ist. Indes sind im Einzelfall alle die sich aus § 14 Abs. 1 S. 1 und S. 3 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)) ergebenden Kriterien miteinander abzuwägen, wobei es allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum entspricht, dass die Mittelgebühr ein angemessenes Äquivalent für die anwaltliche Tätigkeit in einem in jeder Hinsicht durchschnittlichen Streitverfahren darstellt. Davon ausgehend sind dann Abschläge für unterdurchschnittliche und Zuschläge für überdurchschnittliche Verfahren vorzunehmen. Dabei kann im Übrigen insbesondere etwa die Überdurchschnittlichkeit eines Bewertungskriteriums durch die Unterdurchschnittlichkeit anderer Bewertungskriterien kompensiert werden. Insoweit ist von einem unterdurchschnittlichen Umfang und einer unterdurchschnittlichen Schwierigkeit der Angelegenheit auszugehen, weil das gerichtliche Verfahren von der Klageerhebung am 03. Juli 2006 bis zur Annahme des Anerkenntnisses am 08. November 2006 nicht einmal sechs Monate anhängig war und in dem Verfahren weder umfangreiche Befundberichte oder Sachverständigengutachten zu würdigen waren. Die objektiv erkennbare Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten beschränkte sich zudem auf die Erhebung der Klage, eine zweiseitige Klagebegründung und die Fertigung der Annahmeerklärung des den Prozess beendenden Anerkenntnisses des Beklagten und Erinnerungsgegners (im Folgenden: Erinnerungsgegner).

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Wägt man die überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit mit dem unterdurchschnittlichen Umfang und der unterdurchschnittlichen Schwierigkeit, dem durchschnittlichen Haftungsrisiko und den - mangels anderer Angaben - durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen und dem allenfalls durchschnittlichen Haftungsrisiko der Prozessbevollmächtigten des Erinnerungsführers ab, rechtfertigt dies allenfalls die Zuerkennung der Mittelgebühr. Der darüber hinausgehend geltend gemachte Betrag in Höhe von 460,00 € - mithin also der Höchstgebühr - ist erkennbar unbillig und daher - auch unter Zugrundelegung eines Toleranzrahmens - nicht angemessen.

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2. Hinsichtlich der festgesetzten Terminsgebühr , die dem Rahmen der Nr. 3106 VV-RVG zu entnehmen ist, gilt Folgendes: Erweist sich das Betreiben eines Geschäfts einschließlich der Information nach allen Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG als durchschnittliche Leistung, ist die Mittelgebühr von 200,00 € angemessen. Liegen Schwierigkeit, Wert und Bedeutung der Sache unter oder über diesem Mittelwert, bietet sich eine entsprechende Quotierung, mithin eine Über- oder Unterschreitung dieser Mittelgebühr an.

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Der Rechtsstreit wurde durch die Annahme eines Anerkenntnisses beendet, so dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat. Eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG ist dennoch entstanden.

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Durch die Regelung der Nr. 3106 VV-RVG (Ziffern 1 bis 3) soll verhindert werden, dass gerichtliche Termine allein zur Wahrung des Gebührenanspruchs stattfinden müssen; sie bietet einen Anreiz für den Rechtsanwalt, auf die Durchführung des Termins zu verzichten. Die Anwendung der Grundsätze des § 14 RVG auf die „fiktive" Terminsgebühr nach Nr. 3106 - Ziffer 1 bis Ziffer 3 - VV RVG ist mit dem Problem behaftet, dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat und dessen Schwierigkeit und Aufwand für den Prozessbevollmächtigten damit nicht bewertet werden können. Die Kammer vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass bei der Bemessung der Terminsgebühr auf den hypothetischen Aufwand abzustellen ist, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre. Somit ist eine fiktive Vergleichsbetrachtung anzustellen, in welcher Höhe ein Gebührenanspruch voraussichtlich entstanden wäre, wenn ein Termin stattgefunden hätte (vgl. etwa Beschluss vom 25. August 2008, - S 6 SF 78/08 sowie vom 24. Januar 2008, - S 6 SF 29/07; vgl. auch Beschlüsse des Sozialgerichts Lüneburg vom 19. April 2007 - S 15 SF 48/06; vom 20. April 2007 - S 15 SF 141/04; vom 02. Mai 2007 - S 15 SF 51/06; vom 22. November 2007 - S 15 SF 81/07; vom 17. Januar 2008 - S 15 SF 80/07; vom 24. Januar 2008 - S 15 SF 55/07; vom 25. Januar 2008, - S 15 SF 113/07 sowie Beschluss vom 27. Mai 2008, - S 15 SF 43/08).

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Das Gesetz eröffnet in Ziffer 3106 VV-RVG daher erneut den Gebührenrahmen in vollem Umfang und knüpft nicht an die Höhe der Verhandlungsgebühr an. Gäbe es für die Festlegung der Terminsgebühr nicht die Möglichkeit einer eigenständigen Festsetzung unter Beachtung aller der in § 14 RVG festgelegten Kriterien, hätte es der Eröffnung eines Gebührenrahmens nicht bedurft. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Normgeber in denjenigen Fällen, in denen keine Betragsrahmengebühren entstehen, einen festen Wert - nämlich nach Nr. 3104 VV-RVG einen solchen von 1,2 - festgeschrieben hat. Daher ist es auch nicht gerechtfertigt - diese Auffassung vertritt der Beklagte offenbar in sämtlichen diesen Problemkomplex betreffenden Kostenfestsetzungsverfahren - in diesen Fallkonstellationen grundsätzlich nur die Mindestgebühr in Höhe von 20,00 € anzuerkennen. Dabei wird nämlich verkannt, dass auch bei der Bemessung der fiktiven Terminsgebühr alle Kriterien des § 14 RVG in die Abwägung einzustellen sind, worauf auch die Klägerin völlig zu Recht hingewiesen hat. Anderenfalls hätte der Normgeber auch bei der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG einen bestimmten Betrag festgeschrieben wie er es beispielsweise bei den Angelegenheiten der Beratungshilfe nach Nr. 2600 ff. VV-RVG, in Strafsachen bei den Gebühren des gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts nach den Nr. 4100 ff. VV-RVG oder den sonstigen Verfahren nach den Nr. 6100 ff. VV-RVG geregelt hat. Auch wenn in diesen Verfahren keine Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen, war sich der Normgeber offensichtlich durchaus der Möglichkeit der Festschreibung von Gebührenbeträgen bewusst.

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Wenn danach auch bei der fiktiven Terminsgebühr von einem Gebührenrahmen zwischen 20,00 € und 380,00 € auszugehen ist, ergibt eine auf einen hypothetischen Termin bezogene Abwägung der Kriterien des § 14 RVG, dass insoweit eine insgesamt unterdurchschnittliche Angelegenheit vorliegt. Dem Anwalt steht die Mittelgebühr hinsichtlich der Terminsgebühr für Termine mit durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem Aufwand und durchschnittlicher Bedeutung für den Mandanten zu. Entscheidend ist eine Gesamtabwägung. Es müssen sämtliche den Gebührenanspruch potentiell beeinträchtigenden Faktoren miteinander und gegeneinander im Einzelfall abgewogen werden.

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Unter Beachtung aller Abwägungskriterien erscheint mit Blick auf die Bemessungskriterien, die bei der Festsetzung der Verfahrensgebühr die Mittelgebühr auszulösen vermochten, eine Terminsgebühr in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr angemessen. Der darüber hinausgehend geltend gemachte Betrag in Höhe von 380,00 € - mithin also der Höchstgebühr - ist erkennbar unbillig und daher - auch unter Zugrundelegung eines Toleranzrahmens - nicht angemessen.

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Dabei ist der anwaltliche Aufwand für den nicht stattgefundenen - entbehrlichen - Termin als weit unterdurchschnittlich zu werten. Bei der fiktiven Terminsgebühr nach Ziffer 3106 Nr. 3 VV RVG - also bei Erledigung durch angenommenes Anerkenntnis - besteht die Besonderheit, dass ein Anerkenntnis vorliegt, das im (hypothetischen) Termin lediglich noch der Annahme bedurft hätte, ein solcher Termin insoweit mit keinem besonderen Aufwand verbunden gewesen wäre. Sinn und Zweck des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ist in erster Linie die sachgerechte Vergütung (des Aufwands) für den Bevollmächtigten. Diese ist aber erfahrensgemäß sehr unterschiedlich, je nachdem, ob er an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen muss oder nicht. Nimmt der Mandant ein Anerkenntnis der Gegenseite an, führt dies auch beim Bevollmächtigten zu einer erheblichen Reduzierung seines Aufwands in diesem Verfahren. Die Annahme des Anerkenntnisses kann er dem Gericht in einem kurzen Schriftsatz mitteilen. Der im Vergleich zur notwendigen Teilnahme einer mündlichen Verhandlung also deutlich verminderte Aufwand kann gebührenrechtlich nicht außer Betracht bleiben. Unberücksichtigt bleiben darf dabei auch nicht, dass eine mündliche Verhandlung, welche regelmäßig eine zusätzliche Vorbesprechung, Vorbereitung und Terminswahrnehmung erfordert, nicht stattgefunden hat. In der Zusammenschau sieht das Gericht deshalb den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit insoweit als weit unterdurchschnittlich an.

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Da bei der Bemessung auch der Terminsgebühr gemäß § 14 RVG jedoch - wie ausgeführt - alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, kann andererseits auch nicht allein auf den zu erwartenden geringen Aufwand allein abgestellt werden.

14

Indes erscheint mit Blick auf die Ausführungen zur Höhe der Verfahrensgebühr auch der Schwierigkeitsgrad eines entsprechenden Termins unterdurchschnittlich.

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Wägt man die dargestellten unterdurchschnittlichen Anforderungen an die hypothetische anwaltliche Tätigkeit mit den durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen und der überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für den Erinnerungsführer und das durchschnittliche Haftungsrisiko gegeneinander ab, ist das vorliegende Streitverfahren hinsichtlich der Festsetzung der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 100,00 € - mithin in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr - kostenrechtlich angemessen erfasst. Dies bedeutet zugleich, dass bei einem tatsächlich stattgefundenen Termin, in dem die Annahme des Anerkenntnisses erklärt worden wäre, auch ein Betrag in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr festzusetzen gewesen wäre.

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Die Kammer vermag im Übrigen die gelegentlich im Lichte des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gerügte Ungleichbehandlung zu sonstigen Gerichtszweigen nicht zu erkennen, weil sich der Gesetzgeber - wie oben bereits ausgeführt - bewusst für die Differenzierung zwischen Verfahren, in denen Wertgebühren entstehen und Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, entschieden hat. Eine der Nr. 3104 VV-RVG entsprechende Regelung - Entstehen einer 1,2-Gebühr in allen dort genannten Fällen - auch in den Fällen, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, enthält die Spezialvorschrift der Nr. 3106 VV-RVG ausdrücklich nicht. Daraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass insoweit eine Gesetzeslücke besteht, die im Wege der Rechtsprechung geschlossen werden könnte. Zur Ausfüllung von Regelungslücken sind die Richter nur berufen, wenn das Gesetz mit Absicht schweigt, weil es der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu finden, oder das Schweigen des Gesetzes auf einem Versehen oder darauf beruht, dass sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Mai 1995 - 1 RK 20/94 -, BSGE 76, 109 ff.). Weder liegt hier ein absichtliches oder ein versehentliches Schweigen des Gesetzes vor, noch ist nach Inkrafttreten des RVG eine Gesetzeslücke durch eine Änderung tatsächlicher Umstände eingetreten. Der Gesetzgeber hat vielmehr ausdrücklich in Nr. 3104 VV- RVG auf die Spezialvorschrift der Nr. 3106 VV-RVG verwiesen, sofern es sich um ein sozialgerichtliches Verfahren handelt, in dem Betragsrahmengebühren entstehen und für diese Fälle einen Gebührenrahmen vorgesehen. Hätte er eine der Nr. 3104 VV-RVG entsprechende Vorschrift auch für diese sozialgerichtlichen Verfahren treffen wollen, hätte er - wie er das hinsichtlich Nr. 3104 VV-RVG geregelt hat - eine entsprechende Regelung in der Nr. 3106 VV RVG treffen können.

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3. Weil andere Gebührenpositionen nicht im Streit standen, der Erinnerungsgegner seinerseits keine Erinnerung erhoben hat und eine reformatio in peius ausgeschlossen ist, verbleibt es bei der urkundsbeamtlichen Festsetzung im angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. Juli 2008 - S 6 SB 109/06 -, wobei zwischenzeitlich erfolgte Zahlungen mindernd zu berücksichtigen sind.

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4. Die Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig.