Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 15.03.2007, Az.: S 24 AS 254/07 ER
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 15.03.2007
- Aktenzeichen
- S 24 AS 254/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 61605
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0315.S24AS254.07ER.0A
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
- 2.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine Leistungsabsenkung um 100 %.
Der Antragsteller steht seit dem 1.1.2005 im Leistungsbezug nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Im Laufe des Leistungsbezugs kam es verschiedentlich zu Leistungsabsenkungen.
Am 25.10.2006 fand zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin ein Gespräch statt. Zu diesem Zeitpunkt war der Antragsteller seit Monaten obdachlos. Seit dem 1.3.2007 hat er wieder eine Wohnung. In diesem Gespräch wurde von einer Leistungsabsenkung auf Grund eines vorherigen Fehlverhaltens abgesehen. Es wurde eine neue Eingliederungsvereinbarung geschlossen, in der unter anderem vereinbart wurde, dass der Antragsteller bei der "D." an einer bestimmten Maßnahme teilnimmt. Es handelte sich dabei um eine Integrationsmaßnahme zur Stabilisierung und Unterstützung. Während des Gespräches wurde der Antragsteller auf seine Mitwirkungspflichten und mögliche Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Vereinbarung hingewiesen. Außerdem wurden dem Antragsteller weitere unterstützende Maßnahmen angeboten, da der Antragsteller, auch nach eigenen Angaben, in erheblichem Maße Drogen konsumiert.
Zum vereinbarten Beginn der Maßnahme am 2.11.2006 erschien der Antragsteller nicht. Am 10.11.2006 teilte er mit, dass er die Tätigkeit nicht beginnen könnte, da er drogenabhängig sei. Die Antragsgegnerin veranlasste daraufhin eine amtsärztliche Untersuchung. Zu drei vereinbarten Terminen erschien der Antragsteller jedoch nicht.
Mit Bescheid vom 21.2.2007 wurden die Leistungen des Klägers in voller Höhe der Regelleistung abgesenkt. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid wurde gemäß § 48 Abs. 1 SGB X aufgehoben. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller die ihm angebotene Arbeitsgelegenheit nicht angenommen habe, wofür ein wichtiger Grund nicht ersichtlich sei. Deshalb seien gemäß §§ 31 Abse. 1 und 6 SGB II seine Leistungen abzusenken. Ihm würden für die Zeit der Leistungsabsenkung Lebensmittelgutscheine in Höhe von 39 % der Regelleistung zur Verfügung gestellt. Ebenfalls mit Bescheid vom 21.2.2007 wurden die Leistungen des Antragstellers neu berechnet. Für den Zeitraum März, April und Mai 2007 wurden ihm dabei monatliche Leistungen in Höhe von 177,90 EUR für die Kosten der Unterkunft bewilligt.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 23.2.2007 Widerspruch und führte zur Begründung aus, dass er die angebotene Arbeit aus einem wichtigen Grund, nämlich auf Grund seiner Drogenabhängigkeit nicht habe antreten können. Da er außerdem damals obdachlos gewesen sei, wäre es ihm nicht möglich gewesen, ein normales Leben zu führen. Die Sanktion bedrohe die Erhaltung seiner gerade gefundenen Wohnung.
Soweit ersichtlich ist über diesen Widerspruch noch nicht entschieden worden.
Am 23.2.2007 hat der Antragsteller das Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ersucht. Zur Begründung führt er aus, dass er außer seinem Kindergeld keine Einkünfte habe, und auf finanzielle Leistungen dringend angewiesen sei.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruches vom 23.2.2007 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass die Sanktion rechtmäßig ist. Die Kosten der Unterkunft würden direkt an den Vermieter ausbezahlt. Außerdem würde der in der Regelleistung enthaltene Abschlag für Strom in Höhe von 15,- EUR und für Warmwasser in Höhe von 3,75 EUR direkt an den Vermieter gezahlt. Das dem Antragsteller zustehende Kindergeld müsse dieser verwenden, um den Differenzbetrag zur tatsächlich zu zahlenden Miete auszugleichen. Im Übrigen erhalte der Antragsteller Lebensmittelgutscheine.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.
II.
Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß Satz 2 kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen, wenn der Verwaltungsakt zum Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen worden ist. Die aufschiebende Wirkung ist anzuordnen, wenn der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt wird. Ist die in der Hauptsache zulässige Klage hingegen aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten der Klage nicht abschließend zu beurteilen, erfolgt eine allgemeine Interessenabwägung (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 86b Rz. 12c ff.).
Unter diesen Voraussetzungen ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 23.2.2007 nicht anzuordnen, denn die in der Hauptsache zulässige Anfechtungsklage hat keine Aussicht auf Erfolg.
Zunächst entfaltet der Widerspruch des Antragstellers keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Gemäß § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Ein Widerspruch gegen die Entscheidung über die Absenkung und den Wegfall von bereits bewilligten Arbeitslosengeld II (Alg II), entfaltet also keine aufschiebende Wirkung (siehe hierzu auch Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Auflage, § 39 Rz. 12; LSG Niedersachsen Bremen Beschluss vom 23.3.06 - L 9 AS 127/06 ER).
Die aufschiebende Wirkung ist auch nicht anzuordnen, da eine Anfechtungsklage keine Aussicht auf Erfolg hätte. Sie wäre nicht begründet.
Gemäß § 31 Abs. 5 SGB II in der seit dem 1.1.2007 geltenden Fassung wird bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15. Lebensjahr aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, das Alg II unter den in § 31 Abs. 1 und 4 genannten Voraussetzungen auf die Leistungen nach § 22 SGB II beschränkt. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. c SGB II wird das Alg II unter Wegfall eines Zuschlags nach § 24 abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine ihm zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit aufzunehmen. Dabei kann eine Weigerung auch in einem konkludenten Verhalten liegen (Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Auflage, § 31 Rz. 17).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Aufnahme der Maßnahme bei der D. bzw. beim E. hat der Antragsteller nicht angenommen. Zwar hat er die Maßnahme nicht direkt verweigert, er ist zum geplanten Beginn aber nicht erschienen, was einer expliziten Weigerung gleichzusetzen ist.
Für dieses Verhalten lag kein wichtiger Grund i.S.d. § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II vor. Ein wichtiger Grund i.S.d. § 31 Abs.1 Satz 2 SGB II liegt vor, wenn besondere Umstände des Einzelfalls bei einer Abwägung mit den Interessen der Allgemeinheit an der Durchführung der Maßnahme das Verhalten des Hilfebedürftigen rechtfertigen (Berlit in: LPK, SGB II, 2. Aufl. § 31 Rz. 61 m.w.N.). Ist es dem Hilfebedürftigen möglich und zumutbar, den wichtigen Grund zu beseitigen, kann er sich auf den Grund nur berufen, wenn er sich erfolglos um die Beseitigung bemüht hat (Berlit a.a.O.).
In dem Drogenkonsum des Antragstellers liegt kein wichtiger Grund im oben genannten Sinne. Ein wichtiger Grund könnte allenfalls dann anerkannt werden, wenn der Drogenkonsum des Antragstellers ein Maß angenommen hätte, welches die freie Willensbetätigung ausschlösse.
Dieses hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Aus der Verwaltungsakte ist ersichtlich, dass der Antragsteller durchaus gestalterisch auf sein Leben Einfluss nimmt. So fertigt er immer wieder Schriftsätze und Anträge. Auch den Eilantrag bei Gericht hat er gestellt. Auch ist es ihm gelungen, eine Wohnung zu finden. Er ist in Kontakt mit der Einrichtung F ... Die Kammer geht deshalb davon aus, dass der Antragsteller in der Lage ist, Angelegenheiten des täglichen Lebens zu regeln. Deshalb geht die Kammer davon aus, dass der Antragsteller bei zumutbarer Willensanstrengung auch die Arbeitsgelegenheit hätte aufnehmen können, wenn er es gewollt hätte.
Ärztlicherseits konnte das Vorliegen eines Ausschlusses der freien Willensbetätigung nicht festgestellt werden. Der Antragsteller hat drei Termine zur Vorstellung beim Amtsarzt versäumt. Auch wenn dieses auf den ersten Blick dafür sprechen könnte, dass der Antragsteller die Besorgungen des Alltags nicht verrichtet, geht die Verhinderung ärztlicher Feststellungen doch zu Lasten des Antragstellers, da er letztlich das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht glaubhaft gemacht hat.
Es ist somit bei der bloßen Behauptung geblieben, dass der Drogenkonsum des Antragsstellers seine freie Willensbeeinträchtigung ausschieße.
Der Antragsteller kann sich auch deshalb nicht auf seinen Drogenkonsum als wichtigen Grund berufen, weil er verpflichtet ist, Maßnahmen zu ergreifen, den wichtigen Grund zu beseitigen (s.o.). Dies hat er unterlassen. Der Antragsteller steht in Kontakt mit der F. (G.), einer Einrichtung der Agentur für Arbeit, die u.a. auch bei Drogenproblem hilft. Bislang hat der Antragsteller Angebote zu einer Entzugsmaßnahme mit dem Hinweis abgelehnt, dass er so etwas nicht brauche. Gerade auch im entscheidungserheblichen Zeitraum im Oktober und November 2006 fanden solche Gespräche statt. Der Antragsteller wies entsprechende Angebote ab.
Eine Versagung der Leistungen trifft den Antragsteller auch nicht übermäßig hart, weil aufgrund der Maßnahme nicht die Gefahr einer erneuten Obdachlosigkeit besteht. Denn die Antragsgegnerin zahlt die für die Wohnung entstehenden Kosten direkt an den Vermieter, inklusiv des Anteils für Strom und Warmwasserzubereitung. Dem Antragsteller ist es zuzumuten, das Kindergeld an den Vermieter weiterzuleiten, damit die Wohnung erhalten bleibt. Für den Zeitraum der Leistungsabsenkung kann der Antragsteller zumutbar auf eine Sicherung des Lebensunterhaltes durch Lebensmittelgutscheine verwiesen werden.
Über die möglichen Rechtsfolgen wurde der Antragsteller belehrt. Sie waren ihm auch aufgrund seiner Erfahrungen beim Bezug von Sozialleistungen bekannt. Er hat insofern bereits mehrere Leistungsabsenkungen erlebt und war sich das Risiko bewusst, dass mit einem Nichtantreten der Maßnahme verbunden war. Er hat sich in Kenntnis dieses Risikos dazu entschlossen, eine neue Eingliederungsvereinbarung abzuschließen und sich bewusst dafür entschieden, an der Maßnahme teilzunehmen. Ihm war klar, dass er bei Nichtantritt dieser Maßnahme mit Konsequenzen zu rechnen hatte.
Die Kostentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.