Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 28.02.2007, Az.: S 24 AS 172/07 ER
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 28.02.2007
- Aktenzeichen
- S 24 AS 172/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 61643
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0228.S24AS172.07ER.0A
Tenor:
- 1.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab Antragstellung bei Gericht einen Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe 124,00 EUR monatlich zu bewilligen. Diese Entscheidung ergeht vorbehaltlich einer abändernden Entscheidung im Hauptsacheverfahren.
- 2.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten.
- 3.
Der Antragstellerin wird auf ihren Antrag Prozesskostenhilfe für die erste Instanz unter Beiordnung von Rechtsanwältin Tatjana E. bewilligt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt einen Mehrbedarf für Alleinerziehende.
Die Antragstellerin bezieht von der Antragsgegnerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II). Sie ist Mutter einer im Jahr 2005 geborenen Tochter. Bis einschließlich November 2006 wurde ihr durch die Antragsgegnerin ein Zuschlag für Alleinerziehende bewilligt.
Mit Bescheid vom 17.11.2006 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin Leistungen für den Zeitraum Dezember 2006 bis einschließlich Mai 2007. Dabei wurde der Mehrbedarf nicht mehr berücksichtigt. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass eine Auskunft der Unterhaltsvorschusskasse vorliege, wonach die Antragstellerin mit dem Kindesvater eine Beziehung führe. Deshalb könne ein Mehrbedarf nicht bewilligt werden. Ob sie mit dem Kindesvater zusammenwohne oder ob eine Bindung bestünde, sei unerheblich.
Hiergegen erhob die Antragstellerin am 24.11.2006 Widerspruch. Sie führte zur Begründung aus, dass sie allein für die Pflege und Erziehung der Tochter aufkomme. Der Kindesvater selbst lebe bei seinen Eltern und befinde sich in einer Ausbildung. Er nehme zwar sein Umgangsrecht wahr, mehr jedoch nicht.
Dieser Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2006 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kindsvater noch eine Beziehung zur Antragstellerin führe. Aufgrund dieser persönlichen Beziehung zur Mutter ginge auch der Kontakt zum Kind über eine bloße Wahrnehmung des Umgangsrechts hinaus. Er wirke also wesentlich an der Pflege und der Erziehung des Kindes mit.
Hiergegen erhob die Antragstellerin am 18.01.2007 Klage. Gleichzeitig ersuchte sie das Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Zur Begründung führt sie aus, mit der Unterhaltsvorschusskasse habe sie letztmalig vor der Geburt ihrer Tochter Kontakt gehabt. Damals habe sie noch mit dem Kindsvater in einer Beziehung gelebt. Deswegen sei ihr kein Unterhaltsvorschuss gewährt worden. Nach der Geburt der Tochter habe man sich getrennt. Seitdem kümmere sie sich allein um die Pflege und Erziehung des Kindes. Der Kindsvater übe lediglich etwa 1 x wöchentlich sein Umgangsrecht aus. Leider habe sie es versäumt, nach der Trennung erneut einen Antrag auf Zahlung von Unterhaltsvorschuss zu stellen. Sie sei in der irrigen Annahme gewesen, dass ihr ein solcher auch nach der Trennung nicht zustünde. Erst die jetzt beauftragte Rechtsanwältin habe sie darauf hingewiesen, dass hier wohl ein solcher Anspruch bestehen könnte. Dem Antrag hat sie eine eidesstattliche Versicherung beigefügt, in dem die oben angegebenen Angaben bestätigt werden.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin unter Abänderung des Bescheides vom 17.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2006 zu verpflichten, der Antragstellerin einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 SGB II zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Dass ein Anspruch auf Mehrbedarf bestehe, stehe für sie nicht fest. Die Antragstellerin solle näher darlegen, wie sich der Umgang mit dem Kindesvater und dem Kind darstelle. Außerdem bestünde möglicherweise doch ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, der insofern anzurechnen wäre. Im Übrigen ist sie der Ansicht, dass für den Antrag keine Eilbedürftigkeit bestünde, weil die Antragstellerin nicht nachgewiesen habe, welche zusätzlichen Kosten ihr entstünden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz richtet sich nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung nötig erscheint (Satz 2). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist deshalb, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber der Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile müssen glaubhaft gemacht werden, § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Dabei darf die einstweilige Anordnung wegen des summarischen Charakters des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich nicht die Entscheidung der Hauptsache vorwegnehmen.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihrer funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Aufl, § 86 b Rz, 27 ff m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn auf das vorliegen des Anordnungsgrunds nicht verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang der Hauptsache, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend zu berücksichtigen. Die Gerichte müssen sich dabei schützend und fördernd vor die Grundrechte der Einzelnen stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abgestellt wird, die Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen nur auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit fordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrunds (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O. Rz. 16 b f.).
Unter diesen Voraussetzungen ist der Antrag zulässig und begründet.
1. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, denn der Antragstellerin steht ein Mehrbedarf für Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II zu. Danach erhalten Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammen leben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, einen Mehrbedarf in Höhe von 36 vom Hundert, der nach § 20 Abs. 2 maßgebenden Regelleistung, wenn sie mit einem Kind unter 7 Jahren zusammen leben.
a) Unstreitig lebt die Antragstellerin mit einem unter 7 Jahre alten Kind zusammen.
b) Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung pflegt und erzieht die Antragstellerin ihre Tochter alleine. Ein Hilfesuchender sorgt allein für die Pflege und Erziehung, wenn keine andere Person in etwa den gleichen Umfang wie die allein betreuende Person an Erziehung und Pflege der Kinder beteiligt ist. Eine alleinige Erziehung und Pflege liegt nicht vor, wenn sich beide Personen etwa je zur Hälfte die Pflege und Erziehung teilen (SG Berlin, Beschluss vom 14.02.2006 - S 104 AS 271/06 ER -; Münder in LPK, SGB II, 2. Auflage, § 21 Rz. 8). Die erstgenannten Voraussetzungen liegen hier vor. Die Antragstellerin hat in sich schlüssig und eidesstattlich versichert dargelegt, dass sie sich nach der Geburt der Tochter von dem Kindsvater getrennt habe und seitdem die Erziehung und Pflege des Kindes alleine ausübe. Der Kindsvater selber lebe bei seinen Eltern, befinde sich noch in einer Ausbildung und nehme das Umgangsrecht nur 1 x wöchentlich wahr.
Dadurch, dass der Kindesvater etwa 1 x wöchentlich sein Umgangsrecht ausübt, beteiligt er sich nicht hälftig an der Pflege und Erziehung seiner Tochter. Die Antragstellerin pflegt und erzieht ihr Kind allein. Dafür spricht neben den Ausführungen der Antragstellerin auch, dass die Antragstellerin nach den eingereichten Unterlagen alleine mit ihrer Tochter wohnt, und stets für sich und ihre Tochter Leistungen beantragt hat. Bereits im Antrag vom 17.11.2005 hat sie angegeben, allein erziehend zu sein. Die Antragsgegnerin hat seitdem auch den Mehrbedarf gewährt.
Wieso die Antragsgegnerin von diesem Bewilligungsverfahren abgewichen ist und worauf sie ihre Ansicht stützt, dass sich der Kindesvater an der Erziehung und Pflege zur Hälfte beteilige, lässt sich nicht nachvollziehen. Anhaltspunkte für eine Änderung der Verhältnisse sind weder der Verwaltungsakte zu entnehmen noch im Verfahren trotz mehrfacher Nachfrage dargelegt worden.
In der Verwaltungsakte befindet sich lediglich eine E-Mail vom 24.11.2005, in der die Antragsgegnerin vermerkt hat, dass die Antragstellerin telefonisch mitgeteilt habe, dass ihr Unterhaltsvorschuss nicht gewährt werde, weil sie mit dem Kindesvater weiterhin liiert sei. Zwar deckt sich diese Auskunft nicht mit der Auskunft in der eidesstattlichen Versicherung, wonach sich die Antragstellerin kurz nach der Geburt der Tochter getrennt habe. Die Geburt der Tochter war im Juni, im November war sie nach ihrer eigenen Aussage noch mit dem Kindesvater zusammen. Letztlich obläge es hier aber der Antragsgegnerin, den Sachverhalt weiter aufzuklären und entsprechende Ermittlungen anzustellen, § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Die Antragstellerin selbst hat die ihr obliegenden Informationspflichten erfüllt. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bislang die Antragsgegnerin überhaupt keine Informationen seitens der Antragstellerin angefordert hat, sondern den Mehrbedarf aufgrund einer aus dem Jahr 2005 fernmündlich abgegebenen Information der Antragstellerin selbst gestrichen hat, dies ohne vorherige Anhörung der Antragstellerin.
Die Stellungnahme der Unterhaltsvorschusskasse, auf die sich die Antragsgegnerin bezieht, ist in der Verwaltungsakte nicht enthalten und auch im Verfahren nicht vorgelegt worden. In der Akte enthalten ist lediglich oben genannte E-mail, in der eine Sachbearbeiterin der Antragsgegnerin ausführt, die Antragstellerin habe mitgeteilt, dass die Unterhaltsvorschusskasse ihren Antrag wegen der bestehenden Beziehung zum Kindsvater abgelehnt hat. Eine solche, über ein Jahr alte, Äußerung entbindet die Antragsgegnerin nicht von ihrer Verpflichtung zu einer eigenständigen Prüfung.
Auch die im Verfahren geäußerte Befürchtung der Antragsgegnerin, eine Weitergewährung des Mehrbedarfs führe dazu, dass in Zukunft der Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt werden könnte, trifft nicht zu. Dies allein deswegen schon nicht, weil auch die Antragsgegnerin die Möglichkeit hätte, den beantragten Mehrbedarf vorläufig, vorbehaltlich einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts, zu gewähren, wie dies nun das Gericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren anordnet.
c) Unstreitig beträgt die hier maßgebliche Regelleistung nach § 20 Abs. 2 345,00 EUR, so dass 36 % hiervon einen Betrag von 124,20 EUR ergeben. Dieser ist gemäß § 41 Abs. 2 SGB II auf 124,00 EUR abzurunden.
d) Inwieweit ein eventuelle bestehenden Unterhaltsanspruch anzurechnen ist, wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein.
2. Ein Anordnungsgrund ergibt sich ohne weiteres aus der finanziellen Situation der Antragstellerin. Insbesondere ist es entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin nicht erforderlich, dass die Antragstellerin den ihr entstehenden Mehrbedarf konkret nachweist. Denn das Entstehen eines solchen Mehrbedarfs vermutet der Gesetzgeber gerade ohne weitere Nachweise. Aufgrund dieser Vermutung hat er die Mehrbedarfsregelung geschaffen.
3. Mit dem oben genannten war der Antragstellerin Prozesskostenbeihilfe gemäß § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) zu gewähren.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender Anwendung des § 193 SGG.