Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 12.10.2007, Az.: S 25 AS 1173/06

Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen ohne Verwaltungsakt i.R.e. Anfechtungsklage

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
12.10.2007
Aktenzeichen
S 25 AS 1173/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 52992
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:1012.S25AS1173.06.0A

Fundstelle

  • ZfF 2008, 273-275

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) um die Erstattung von aufgrund eines EDV-Fehlers der Beklagten erfolgter Überzahlung eines Betrages in Höhe von 182,70 EUR.

2

Die 1953 geborene Klägerin steht seit Januar 2005 im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II bei der Beklagten, die wegen der getrennten Trägerschaft ausschließlich für die Regelleistung zuständig ist. Die Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung werden von der Gemeinde Wietze im Auftrag des Landkreises Celle gewährt.

3

Die Klägerin lebt zusammen mit ihrem 1987 geborenen Sohn F. in dessen ihm zu Eigentum gehörenden Eigenheim in 29323 Wietze. Bis zum 31. Juli 2006 bildeten die Klägerin und ihr Sohn jeweils eigene Bedarfsgemeinschaften. Auf den Fortzahlungsantrag der Klägerin vom 22. Dezember 2005 bewilligte die Beklagte mit Bewilligungsbescheid vom 30. Dezember 2005 Leistungen für den Zeitraum vom 01. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2006 in Höhe von insgesamt 221,00 EUR (345,00 EUR - 154,00 EUR + 30,00 EUR).

4

Am 10. März 2006 ging auf dem Girokonto der Klägerin (Kontonummer: G., BLZ: H.) einmalig ein zusätzlicher Betrag in Höhe von 182,70 EUR ein (Bl. 5 GA). Auf dem Kontoauszug heißt es:

"10.03. Zahlungseingang, Wert: 10.03.2006 a.A. Celle I."

5

Nach mit Schreiben vom 04. April 2006 erfolgter Anhörung der Klägerin forderte die Beklagte mit Erstattungsbescheid vom 09. Juni 2006 (Bl. 99 VA) unter Berufung auf § 50 Abs. 2 SGB X einen Betrag in Höhe von 182,70 EUR zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Klägerin seien für die Zeit vom 01. Januar 2006 bis zum 31. März 2006 Leistungen (Kosten der Unterkunft) aufgrund eines Computerfehlers überwiesen worden. Diese Leistungen habe sie zu Unrecht erhalten, da allein der kommunale Träger für die Auszahlung der Kosten der Unterkunft zuständig sei.

6

Den hiergegen mit Schreiben vom 07. Juli 2006 erhobenen Widerspruch (Bl. 104 VA) wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02. Oktober 2006 (Bl. 142 VA) zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, für die Klägerin sei die Unrechtmäßigkeit der Zahlung klar erkennbar gewesen. Es sei für sie leicht verständlich, dass neben den laufenden Zahlungen der Gemeinde Wietze für Unterkunft und Heizung sowie der Agentur für Arbeit am Ende eines jeden Monats nicht auch noch eine gesonderte Zahlung durch die Agentur für Arbeit zu Beginn des Monats erfolgen konnte. Auch habe es sich nicht um eine Nachzahlung aufgrund einer Neuberechnung handeln können, da die Klägerin hierüber vorab keinen Bescheid erhalten habe. Sie habe daher die Unrechtmäßigkeit der Einmalzahlung erkennen können. Damit hätten die Voraussetzungen des § 45 SGB X vorgelegen. Die zu Unrecht erbrachte Leistung in Höhe von 182,70 EUR seien nach § 50 Abs. 2 SGB X zu erstatten.

7

Hiergegen hat die Klägerin am 26. Oktober 2006 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren - Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen - weiter verfolgt. Zur Begründung führt sie aus, zum Zeitpunkt der Registrierung des Zahlungseinganges des Betrages von 182,70 EUR habe es einen einzigen ungeklärten Sachverhalt zwischen der Beklagten und ihr gegeben, nämlich die Anrechnung der Eigenheimzulage. Bestandteil der Klage beim Sozialgericht sei die Berechnung des Bedarfes ihres Sohnes, der mit dem Betrag von 182,90 EUR ausgewiesen gewesen sei. Diese Summe habe sie deshalb automatisch mit der erfolgten Buchung in Verbindung gebracht und deutete dies als eine Korrektur. Ihre Unterkunftskosten habe sie seit Beginn von Hartz IV regelmäßig und vor allem pünktlich über die Kommune ausgezahlt bekommen. Für die drei Monate von Januar 2006 bis März 2006 habe sie für den ersten Monat 84,83 EUR und für die weiteren Monate 64,81 EUR erhalten. Im Übrigen habe sie den Betrag durch die Begleichung einer Zahnarztrechnung vom 10. Februar 2006 (Bl. 6 - 7 GA) in Höhe von 264,27 EUR verbraucht und könne diesen daher nicht zurückzahlen.

8

Die Klägerin beantragt,

den Erstattungsbescheid der Beklagten vom 09. Juni 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. Oktober 2006 aufzuheben.

9

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Zur Begründung verweist sie auf die Begründung in den angegriffenen Entscheidungen und führt darüber hinaus aus, der Einwand der Klägerin, sie habe bei der Zahlung gedacht, es handle sich um eine Korrektur aufgrund des Klageverfahrens hinsichtlich der Eigenheimzulage (Aktenzeichen S 25 AS 321/05) überzeuge nicht. Auch das die Klägerin den überzahlten Betrag zur Begleichung einer Zahnarztrechnung verwendet habe, sei unerheblich.

11

Zur weiteren Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Prozessakte im hiesigen Verfahren sowie die Prozessakten in den Verfahren zu den Aktenzeichen S 31 AS 321/05 und S 25 AS 1103/06 ER sowie die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten zum Aktenzeichen J. Bezug genommen. Diese Unterlagen lagen in der mündlichen Verhandlung vor und waren Gegenstand von Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

12

Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.

13

1.

Gegenstand der von der Klägerin erhobenen Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist der Bescheid vom 09. Juni 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Oktober 2006, mit dem die Beklagte überzahlte Leistungen gemäß § 50 SGB X zurückgefordert hat.

14

2.

Die angegriffenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtmäßig und beschweren die Klägerin nicht, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.

15

a)

Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Erstattungsforderung ist § 50 Abs. 2 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Danach sind Leistungen, die ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten, wobei gemäß § 50 Abs. 2 S. 2 SGB X die §§ 45, 48 SGB X entsprechend anzuwenden sind.

16

b)

Dass die von der Beklagten ohne Verwaltungsakt erbrachten Leistungen in Höhe eines Betrages von 182,70 EUR zu Unrecht gezahlt worden sind, hat die Klägerin zur Überzeugung der Kammer mindestens in Folge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt (§ 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB X entsprechend), so dass sie sich auf Vertrauen nicht berufen und die Beklagte den am 10. März 2006 überzahlten Betrag zurückfordern kann (§ 45 Abs. 4 S. 1 SGB X).

17

Grobe Fahrlässigkeit liegt nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 zweiter Halbsatz SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Zunächst steht fest, dass die Klägerin die durch Banküberweisung gezahlten und in den Bankauszügen ausgewiesenen 182,70 EUR gesehen hat, wie sich aus ihrer persönlichen Anhörung beim Sozialgericht und aus der Tatsache, dass die Klägerin über Bankauszüge verfügt, ergibt. Etwas anderes wäre ihr auch nicht zu glauben. Dann aber musste es sich ihr aufdrängen, dass dieser Betrag ihr unmöglich rechtmäßigerweise zustehen kann. Dies gilt insbesondere deshalb - darauf hat die Beklagte zu Recht hingewiesen - weil der Klägerin ein entsprechender Bewilligungsbescheid oder ein Bescheid über einen Nachzahlungsbetrag - von wem auch immer - nicht erteilt worden ist, so dass es sich ihr aufdrängen musste, dass dieser Betrag ihr nicht zustehen kann, zumal sie - wie sie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat - im hier interessierenden Zeitraum und davor noch niemals Zahlungen der Beklagten erhalten hatte, ohne zuvor einen die Zahlung rechtfertigenden Bewilligungsbescheid in den Händen gehalten zu haben. Auf die Rechtmäßigkeit einer staatlichen Zahlung zu vertrauen, ohne zuvor oder zumindest zeitgleich einen entsprechenden Bescheid erhalten zu haben, ist nach Auffassung der Kammer bereits für sich genommen (mindestens) grob fahrlässig.

18

Dies gilt nach Überzeugung der Kammer aber auch und gerade deshalb, weil die Klägerin dem den Zeitraum ab Januar 2006 betreffenden Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 30. Dezember 2005, von der sie die Überweisung ausweislich des Kontoauszuges eindeutig erhalten hatte, ohne weiteres entnehmen konnte, dass ihr für die Zeit ab Januar 2006 monatlich 221,00 EUR zuerkannt worden waren. Dieser Betrag ist ihr auch für Januar bis März 2006 jeweils überwiesen worden. Aus ihrer bisherigen Kenntnis, wann welche Leistung von den zuständigen Trägern gezahlt werden, war ihr ferner bekannt, dass dies grundsätzlich zum Ende des Vormonats, jedoch nicht zu dem ungewöhnlichen Zeitpunkt - hier zum 10. März 2006 - erfolgt. Wenn die Klägerin den Bescheid vom 30. Dezember 2005 nicht gelesen haben sollte, würde allein dieser Umstand den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründen. Denn für Bescheidadressaten besteht die Obliegenheit, die ihnen zugesandten Leistungsbewilligungen zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (Bundessozialgericht, SozR 3-1300 § 45 Nr. 45).

19

Bei der Klägerin bestanden nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung auch keinerlei Einschränkungen ihrer Urteils- und Kritikfähigkeit (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; Bundessozialgericht, SozR 3-1300 § 45 Nr. 42). Sie erläuterte überzeugend, dass sie alle finanziellen Dinge selbst regele, ihre Kontoauszüge lese und abhefte. Daraus folgert die Kammer, dass die Klägerin ein für Zahlbeträge geschärftes Urteilsvermögen besitzt. Die Klägerin hätte die Doppelzahlung aufgrund einfachster und ganz nahe liegender Überlegungen auch erkennen können. Die Klägerin wusste ferner, dass die jeweiligen Leistungen zum Monatsende bzw. Monatsbeginn ausgezahlt werden, so dass eine Auszahlung zur Monatsmitte sich ihr als ungewöhnlich aufdrängen musste. Dem Einwand der Klägerin, sie sei davon ausgegangen, es handele sich um eine Nachzahlung hinsichtlich der Bedarfsberechnung ihres Sohnes wegen eines vor dem Sozialgericht Lüneburg geführten Prozesses (Aktenzeichen: S 31 AS 321/05) schenkt die Kammer keinen Glauben, weil dieses Verfahren am 20. April 2006 mit dem Erlass eines Gerichtsbescheides endete, mit dem die Klage gegen die Beklagte als unzulässig abgewiesen wurde. Wie sich - mangels etwa vorhergehender Äußerungen der Beklagten im dortigen Klageverfahren - ein Zahlungsanspruch ergeben sollte, erschließt sich nicht und stellt eine bloße Schutzbehauptung dar. Diese Einschätzung wird auch dadurch genährt, dass etwaige Nachzahlungen hinsichtlich des Sohnes der Klägerin ohnehin auf dessen Konto überwiesen worden wären, weil dieser im hier interessierenden Zeitraum nach den eigenen Angaben der Klägerin Leistungen der Beklagen immer auf sein eigenes Konto überwiesen erhalten hat, was auch nahe liegt, da er bis zum 01. Juli 2006 aufgrund der bis dahin geltenden Rechtslage eine eigene Bedarfsgemeinschaft bildete.

20

Der Klägerin musste daher mit der am 10. März 2006 geleisteten Zahlung von 182,70 EUR, die der Überweisung zum 28. Februar 2006 mit 221,00 EUR - in dieser Höhe waren wie bereits erwähnt zuvor mit Bescheid vom 30. Dezember 2005 monatliche Regelleistungen nach dem SGB II bewilligt worden - nachfolgte und welche klar erkennbar die Beklagte als überweisende Stelle auswies, ohne weiteres klar sein, dass sie für den Bewilligungsmonat März 2006 damit 403,70 EUR, also fast das Doppelte des bewilligten Betrages erhalten hatte.

21

c)

Bei der Entscheidung für die Erstattung hatte die Beklagte ferner kein Ermessen auszuüben; auch bestand kein Raum für Vertrauensschutzerwägungen. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) bestimmt nämlich als Sonderregelung für die Aufhebung von Verwaltungsakten, dass ein Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, wenn die in § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen. Zwar handelt es sich hier nicht um die Fallgestaltung der Zurücknahme eines Verwaltungsaktes. Da § 50 Abs. 2 SGB X für die Erstattung von ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbrachten Leistungen aber anordnet, dass die §§ 45 und 48 SGB X entsprechend gelten, muss, wenn der Leistungsempfänger sich wegen seiner qualifizierten Bösgläubigkeit nach § 45 Abs. 2 S. 3 nicht auf Vertrauen berufen kann, die Vorschrift des § 330 Abs. 2 SGB III dahingehend ausgelegt werden, dass sie auch den Fall der Erstattung von ohne Verwaltungsakt zu Unrecht gezahlten Leistungen erfasst, wenn für diese Erstattung der entsprechend anzuwendende § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X erfüllt ist (von Wulffen/Wiesner, SGB X, § 50 Rdnr. 13). Es wäre nicht verständlich, wenn die Beklagte Empfänger von Leistungen ohne gesicherte Rechtsposition anders als Empfänger von Leistungen aufgrund Verwaltungsaktes nur unter erschwerten Bedingungen, nämlich erst nach Ausübung von Ermessen zur Erstattung heranziehen könnte (ebenso Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, § 330 SGB III Rz. 25). Damit aber ist auch kein Raum für die Berücksichtigung eines Verschuldens der Beklagten an der Überzahlung (vgl. hierzu auch Bundessozialgericht , Beschluss vom 21. Juni 2001 - B 7 AL 18/01 B - zitiert nach [...]). Wenn danach auch keine Vertrauensschutzerwägungen entscheidungserheblich sind, ist es unerheblich, ob die Klägerin - wie sie einwendet - den Betrag durch Begleichung einer Zahnarztrechnung verbraucht hat.

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3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; sie entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.

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4.

Da der Wert des Beschwerdegegenstandes einen Betrag in Höhe von 500,00 EUR nicht übersteigt, ist die Berufung nicht zulässig (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Es hat ferner auch keine Veranlassung bestanden, die Berufung zuzulassen (§ 144 Abs. 2 SGG).

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Rechtsmittelbelehrung:

25

Dieses Urteil kann nicht mit der Berufung angefochten werden, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden ist.

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