Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 24.01.2007, Az.: S 24 AS 616/05
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 24.01.2007
- Aktenzeichen
- S 24 AS 616/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 61631
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0124.S24AS616.05.0A
Tenor:
- 1.
Der Beklagten wird in Abänderung des Bescheides vom 04.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2005 in der Gestalt der danach ergangenen Änderungsbescheide verpflichtet,
- 2.
der Klägerin Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung von Unterkunftskosten gemäß der rechten Spalte der Wohngeldtabelle zu § 8 Wohngeldgesetz zu bewilligen.
- 3.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
- 4.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Unterkunftskosten nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II) für den Zeitraum 01.07.2005 bis 31.12.2005.
Die Klägerin lebt in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Herrn H ... Sie lebt mit ihm in einem Eigenheim. Das Haus ist 140 m2 groß und auf einem Grundstück gebaut, welches etwa 200 m2 groß ist. Für dieses Haus zahlt die Klägerin Zinsen und Tilgung. Im Juli 2005 zahlte sie dafür 568,58 EUR Zinsen, im August 567,54 EUR, im September 566,49 EUR, im Oktober 565,44 EUR, im November 564,38 EUR und im Dezember 562,25 EUR. Außerdem zahlt sie jährlich für das Haus Grundsteuern in Höhe von 116,22 EUR, Wohngebäudeversicherung 173,13 5 EUR sowie Müll- und Restmüllgebühren in Höhe von 121,80 EUR (Bescheid der Stadt I. vom 27.01.2005). Regenwassergebühren fallen in Höhe von monatlich 28,05 EUR an. Zusätzlich entstehen ihr Kosten für die Heizung. Diese sind aber nicht im Streit. Im Jahr 2005 erhielt sie eine Eigenheimzulage in Höhe von 1.278,23 EUR (Bescheid des Finanzamts vom 09.03.2005).
Die Klägerin bezog zunächst für den Zeitraum 01.01.2005 bis 31.07.2005 Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 04.08.2005 lehnte der Beklagte zunächst die Weiterbewilligung ab dem 01.08.2005 ab. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass die Klägerin in eheähnlicher Gemeinschaft mit Herrn H. lebe, was zuvor nicht angegeben worden war. Außerdem wurde ein Einkommen der Klägerin vermutet.
Hiergegen erhob die Klägerin am 08.08.2005 Widerspruch, zunächst mit der Begründung, es liege keine eheähnliche Gemeinschaft mit Herrn H. vor und Einkommen habe sie auch nicht erzielt.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.2005 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde dargelegt, warum der Beklagte von dem Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Herrn H. ausging.
Hiergegen richtet sich die am 28.09.2005 erhobene Klage. Im Laufe des Klageverfahrens hat die Klägerin sich bereit erklärt, ihre Ansprüche unter Berücksichtigung einer eheähnliche Gemeinschaft berechnen zu lassen. Der Beklagte hat daraufhin den Leistungsanspruch der Klägerin für den genannten Zeitraum unter Zugrundelegung des Einkommens des Herrn H. berechnet. Die Beteiligten streiten nunmehr noch um die Höhe der anzusetzenden Kosten der Unterkunft.
Mit Schreiben vom 24.04.2006 berechnete der Beklagte die Leistungen der Klägerin für den Klagezeitraum neu. Dabei wurden die Kosten der Unterkunft mit 335,00 EUR angesetzt. Zur Begründung wurde auf die rechte Spalte der Wohngeldtabelle zu § 8 Wohngeldgesetz in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung verwiesen. Danach seien für einen 2-Personen-Haushalt im Landkreis J. 335,00 EUR zuzüglich Heizkosten angemessen. Für die Heizkosten wurden 60,00 EUR berücksichtigt.
Die Klägerin beantragt,
1. den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 04.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2005 in der Gestalt der danach ergangenen Änderungsbescheide zu verpflichten,
2. der Klägerin Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung von Unterkunftskosten nach der rechten Spalte der Wohngeldtabelle zu § 8 Wohngeldgesetz zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die Unterkunftskosten der Klägerin sind mit 395,00 EUR pro Monat zu berücksichtigen.
Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus § 22 SGB II i.V.m. der rechten Spalte der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz in der aktuellen Fassung.
1. Zunächst handelt es sich bei dem von der Klägerin bewohnten Haus nicht um geschütztes Vermögen. Gemäß § 12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen.
Gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II ist ein selbstgenutztes Haus von angemessener Größe nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Zur Bestimmung der angemessenen Größe sind auf die außer Kraft getretenen Bestimmungen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes abzustellen (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 2/05 R). Nach § 39 II. WobauG ist für einen 4-Personenhaushalt in einem Einfamilienhaus eine Wohnfläche von 130 qm angemessen. Bei einer geringeren Familiengröße sind 20 qm pro Person in Abzug zu bringen (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 2/05 R). Für die Klägerin und ihren Partner ist damit ein Haus mit einer Wohnfläche von 90 qm geschüzt. Die Fläche des bewohnten Eigenheims liegt mit 140 qm deutlich darüber.
Da der Beklagte jedoch eine Verwertung des Eigenheims nicht gefordert hat, sondern Ansprüche der Klägerin anerkannt hat und laufend bewilligt, hatte die Kammer Konsequenzen aus der unangemessenen Größe des Hauses nicht zu prüfen. Festzulegen war nur, welche Unterkunftskosten vom Beklagten zu erstatten sind.
2. Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft sind nicht zu erstatten. Die angemessenen Unterkunftskosten ergeben sich hier aus der Tabelle zu § 8 WoGG in der geltenden Fassung.
a. Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen geleistet, soweit sie angemessen sind.
Die Bestimmung der Angemessenheit hat dabei nach der Produkttheorie zu erfolgen ( BSG Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R). Nach der Produkttheorie ist auf die Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen abzustellen, insbesondere auf das Produkt aus angemessener Wohnfläche und angemessenem Quadratmeterzins. Die Unangemessenheit einzelner Faktoren wie Größe, Quadratmeterpreis oder Ausstattungsstandard führt damit, anders als bei der Kombinationstheorie, nicht zwangsläufig zur Unangemessenheit der Aufwendungen (Berlit in: LPK SGB XII § 29 Rz. 34 ff m.w.N.).
Bereits angesichts der Überschreitung der angemessenen Wohnfläche um rund 55 % (siehe 1.), sind die Kosten des Hauses der Klägerin unangemessen i.S.d. § 22 SGB II. Auch die tatsächlichen Kosten sind unangemessen hoch. Tatsächlich entstehen der Klägerin für das Haus monatliche Kosten von rund 655 EUR (Zinsen etwa 560 EUR, allgemeine Nebenkosten 57,64 EUR Steuern 22,17 EUR, Versicherung 14,53 EUR) zzgl. Heizkosten. Davon in Abzug zu bringen ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 7 ALG II - VOdie Eigenheimzulage mit monatlich 106,52 EUR, so dass monatlich etwa 550 EUR verbleiben. Damit befinden sich die Kosten der Klägerin nicht mehr im unteren Segment vergleichbaren Wohnraums.
b. Da die tatsächlich anfallenden Kosten des Hauses nicht zu erstatten sind, sind die angemessenen Unterkunftskosten abstrakt zu berechnen.
Die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten erfordert die Ermittlung der tatsächlichen Situation des relevanten Wohnungsmarktes (BSG a.a.O.). Angemessen ist dabei ein im unteren Segment vergleichbaren Wohnraums liegender Wohnungspreis; den Leistungsbeziehern ist ein einfacher Lebensstil zumutbar.
Auch auf die Werte der Tabelle zu § 8 WoGG kann zurück gegriffen werden, allerdings erst wenn andere Erkenntnisquellen nicht greifbar sind (BSG Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R).
Dies ist vorliegend der Fall, andere Erkenntnisquellen sind nicht greifbar, es ist auf die Tabelle zu § 8 des WoGG abzustellen.
aa. Ein Mietenspiegel, der die tatsächliche Situation des relevanten Wohnungsmarktes darstellen würde, existiert für Walsrode nicht.
bb. Die vom Beklagten ermittelten Werte vermögen die Kammer nicht zu überzeugen. Der Beklagte legt als angemessene Unterkunftskosten die Werte zu § 8 des WoGG in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung zu Grunde. Er ist der Ansicht, dass die vom Gesetzgeber vorgenommene Anpassung der Tabellenwerte in seinem Landkreis nicht erforderlich sei, da sich der Wohnraum nicht in dem vom Gesetzgeber normierten Umfang verteuert habe. Außerdem habe die Zuordnung der Städte und Gemeinden nicht entsprechend der Tabelle zu erfolgen. Walsrode etwa falle nicht in die Mietstufe 4, sondern in die Mietstufe 2. Der Beklagte sondiert zum Beleg regelmäßig die aktuellen Mietangebote und läßt diese per EDV erfassen. Die bestehenden Angebote würden es rechtfertigen, die dargestellte Zuordnung vorzunehmen.
Die vorgelegte Anzeigensammlung vermag jedoch zumindest im vorliegenden Fall den vom Beklagten zu Grunde gelegten Wert nicht zu beweisen. Zum einen sind die vorgelegten Daten sämtlich Daten zu Mietwohnungen. Diese Werte sind aber nicht gleichzusetzen mit den angemessenen Unterkunftskosten für Eigenheime. Auch wenn umstritten ist, ob Leistungsempfänger die Hauseigentümer sind, zu privilegieren sind (siehe hierzu auch BSG Urteil vom 7.11.06 - B 7b AS 2/05 R), hält die Kammer eine unterschiedliche Festsetzung der angemessenen Unterkunftskosten bei Hauseigentümern und Mietern für gerechtfertigt. Denn der Gesetzgeber privilegiert Hauseigentümer in vielerlei Hinsicht, beispielsweise genannt sei das Steuerrecht und die diversen Eigenheimsförderungen. Auch im SGB II werden Eigenheime besonders behandelt (s.1.). Zudem hat das BSG festgestellt, dass für Leistungsempfänger, die Hauseigentümer sind, größere Wohnflächen angemessen sind, als für Mieter ( Urteil vom 7.11.06 - B 7b AS 2/05 R). Damit einher gehen aber unter Zugrundelegung der Produkttheorie praktisch immer auch höhere Unterkunftskosten.
Vor allem aber vermag die Datensammlung des Beklagten den von ihm zu Grunde gelegten Wert nicht zu beweisen, da die ganz überwiegenden Wohnungsangebote nicht aus dem Wohnort der Kläger stammen, sondern etwa aus K., L., M., N., O. und anderen Orten. Diese Angebote können den vom Beklagten zu Grunde gelegten Wert nicht beweisen, da die angemessene Vergleichsmiete regelmäßig am Wohnort des Leistungsempfängers zu ermitteln ist, da dem Leistungsempfänger ein Umzug nur in Ausnahmesituationen zugemutet werden kann (BSG Urteil vom 7.11.06 - B 7b 10/06 R). Im Wohnort der Klägerin aber hat der Beklagte nur ein einziges Angebot vorgelegt, welches eine der Klägerin zustehende Wohnfläche aufweist.
cc. Eine gutachterliche Bestimmung des unteren Preissegments im Wohnort der Klägerin erscheint der Kammer in diesem Fall nicht gangbar.
Zum einen gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass die angemessenen Wohnkosten nach der rechten Spalte der Tabelle des § 8 WoGG bestimmt werden sollen. Sie streiten nur darüber, in welcher Fassung § 8 WoGG anzuwenden ist. Ob ein über § 8 WoGG hinausgehender Wert zu erstatten ist, hat die Kammer damit gemäß § 123 SGG nicht zu entscheiden.
Zum anderen stieße ein solches Gutachten auch auf tatsächliche Probleme.
Zum ersten liegt der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Bewilligungszeitraum mehr als 1 Jahr in der Vergangenheit. Ob gutachterlich geklärt werden könnte, welches Preissegment vor mehr als einem Jahr in einem volatilen Wohnungsmarkt bestand, erscheint bereits fraglich. Darüber hinaus müßte aber auch konkret nachgewiesen werden, dass mindestens eine Wohnung in diesem Preissegment von der Klägerin konkret hätte angemietet werden können (BSG Urteil vom 7.11.06 - B 7b 10/06 R). Diese Feststellung zu treffen erscheint nicht möglich.
Weiterhin müsste ein Gutachten zur Bestimmung des unteren Preissegmentes durchschnittlichten Wohnraums im Wohnort der Klägerin nach Auffassung der Kammer den Anforderungen eines qualifizierten Mietspiegels nach § 558 d BGB entsprechen. Nach Auffassung der Kammer würde es nicht ausreichen, bestimmte Makler oder Großvermieter nach ihrer Einschätzung des unteren Preissegments zu befragen oder Internetrecherchen auf entsprechenden Internetseiten zu tätigen. Denn der Wohnungsmarkt ist volatil, weshalb der Gesetzgeber auch bestimmt hat, dass ein qualifizierter Mietspiegel nach 2 Jahren zu überarbeiten und nach 4 Jahren neu zu erstellen ist. Auch hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 558 d BGB bewusst Mindestanforderungen an die Feststellung durchschnittlicher Mietpreise gestellt. Nur bei Einhaltung dieser Mindestanforderung geht der Gesetzgeber davon aus, dass Städte, Gemeinden und Interessenvertreter von Mietern ihre Interessen in den getroffenen Feststellungen ausreichend berücksichtigt sehen (siehe Palandt, 62. Aufl. § 558 d Rz. 2 f).
Schließlich stellt sich auch die Frage, ob eine individuelle Sachverhaltsermittlung angesichts der Vielzahl der Leistungsberechtigten für eine Massenverwaltung ein gangbarer Weg ist, oder ob es nicht für Behörden und Leistungsempfänger sinnvoller ist, klare Richtwerte, wie sie etwa im WoGG normiert sind, zu haben.
c. Im Rahmen der Tabelle zu § 8 WoGG ist zunächst auf die geltende Fassung abzustellen. Der Gesetzgeber hat die Werte aufgrund der Entwicklungen am Wohungsmarkt angepasst, wieso diese Werte nicht stimmen sollten, ist nicht ersichtlich. Weiterhin ist in Übereinstimmung mit den Ansichten der Parteien auf die rechte Spalte abzustellen, da die Bezugsfertigkeit nur ein Kriterium unter vielen ist, welche den Mietpreis definieren ( LSG Niedersachsen-Bremen: L 6 AS 114/06 Beschluss vom 9.5.06; L 8 AS 388/05 Urteil vom 23.3.2006; L 8 AS 168/05 ER Beschluss vom 13.10.2005). Zwar wird argumentiert, die regelmäßige Anwendung der rechten Spalte sei unverhältnismäßig, da in weiten Teilen Niedersachsens in den letzten Jahren die Preise für Mietwohnungen gefallen seien. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass gleichzeitig die in diesem Wert enthaltenen Nebenkosten sprunghaft gestiegen sind, so dass sich die Preisbewegungen ausgleichen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).