Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 05.02.2007, Az.: S 24 AS 1312/06 ER
Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Gericht der Hauptsache in Bezug auf den Streitgegenstand
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 05.02.2007
- Aktenzeichen
- S 24 AS 1312/06 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 51734
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0205.S24AS1312.06ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 2 SGG
- § 920 Abs. 2 ZPO
Tenor:
- 1.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller weitere 68,00 EUR Heizkosten für den Zeitraum 01.06.05 bis 31.05.06 zu bewilligen. Die Leistung erfolgt vorbehaltlich einer abweichenden Entscheidung in der Hauptsache. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
- 2.
Die außergerichtlichen Kosten tragen die Antragsgegnerin zu 4/5, der Antragsteller zu 1/5.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehrt die Übernahme weitergehender Heizkosten. Die Antragsteller bewohnt mit seinem Vater und seinem Bruder eine etwa 68,00 qm große Wohnung in D ... Er bezieht Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II), wobei er mit den anderen Familienmitgliedern keine Bedarfsgemeinschaft bildet. Im Juni und Juli 2005 erhielt er Heizkosten in Höhe von monatlich 18,66 EUR, von August 2005 bis Juni 2006 in Höhe von mtl. 21,06 EUR. Am 30.10.06 erhielt die Familie des Antragstellers die Schlussrechnung für die Heizperiode Mai 05 bis Juni 06, aus der sich eine Nachforderung von 466,99 EUR ergab. Aus der Abrechnung ergibt sich auch, dass in dem Haus, in dem sich die Wohnung der Familie des Antragstellers befindet, durchschnittlich 1,15 EUR/qm zu bezahlen sind. Am 1.1.06 beantragte der Antragsteller die Übernahme von einem Drittel des Nachzahlungsbetrags. Die Antragsgegnerin bewilligt darauf hin am 8.11.06 weitere 24 EUR und wies den Antrag im Übrigen zurück. Hiergegen erhob der Antragsteller am 16.11.06 Widerspruch und wies darauf hin, dass seinem Vater und seinem Bruder durch einen anderen Leistungsträger der gesamte Nachzahlungsbetrag bewilligt worden sei. Am 24.11.06 stellte der Antragsteller den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Am 13.12.06 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück, und führte zur Begründung aus, die angemessenen Heizkosten lägen bei 1,00 EUR/qm. Zur Begründung seines Antrags führt der Antragsteller aus, dass sein Vater krank sei und ebenso wie er den ganzen Tag zu Hause sei. Alle drei Zimmer der Wohnung würden seinen ständig benutzt. Das Haus sei renovierungsbedürftig, insbesondere was die Isolierung anbelange, und werde nach Druck auf die Hausverwaltung nun auch renoviert werden.
Er beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den nicht bewilligten Differenzbetrag für Heizkosten aus der Schlussrechnung der Firma E. GmbH & Co.KG vom 30.10.06 in Höhe von 80,64 EUR zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist darauf, dass in dem Haus die Heizkosten bei durchschnittlich 1,15 EUR/qm lägen. Angemessen für den Antragsteller seien aber nur 1,00 EUR/qm. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz richtet sich nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung nötig erscheint (Satz 2). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist deshalb, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber der Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile müssen glaubhaft gemacht werden, § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Dabei darf die einstweilige Anordnung wegen des summarischen Charakters des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich nicht die Entscheidung der Hauptsache vorwegnehmen. Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihrer funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Aufl, § 86 b Rz, 27 ff m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn auf das vorliegen des Anordnungsgrunds nicht verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang der Hauptsache, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend zu berücksichtigen. Die Gerichte müssen sich dabei schützend und fördernd vor die Grundrechte der Einzelnen stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abgestellt wird, die Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen nur auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit fordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrunds (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O. Rz. 16 b f.). Unter diesen Voraussetzungen ist ein Anordnungsanspruch in aus dem Tenor ersichtlicher Höhe glaubhaft gemacht worden. Leistungen für die Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind, § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Für den Antragsteller waren für den Abrechnungszeitraum monatliche Heizkosten in Höhe von 28,33 EUR angemessen. Zur Berechnung angemessener Heizkosten sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. Eine reine Orientierung an Durchschnittswerten und Richtlinien ist unzulässig (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 31.03.2006 - L 7 AS 343/05 ER). So muss es dem Leistungsberechtigten ermöglicht werden, angemessene Raumtemperaturen zu schaffen (siehe hierzu Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 31.03.2006 - L 7 AS 343/05 ER; Beschluss vom 09.05.2006 - L 6 AS 130/06 ER). Weiterhin spielen die baulichen Voraussetzungen sowie die persönliche Lebenssituation des Leistungsempfängers eine Rolle. Eventuell vorhandene Besonderheiten in der Person sind im Verwaltungsvollzug zu berücksichtigen (vgl. auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 31.03.2006 - L 7 AS 343/05 ER; Beschluss vom 09.05.2006 - L 6 AS 130/06 ER). Leben Säuglinge und Kleinkinder in der Wohnung, sind die Anforderungen an angemessene Temperaturen ebenso andere wie bei alten oder kranken Menschen. Diesbezüglich hat der Antragsteller vorgetragen, dass drei Wände der Wohnung Außenwände seien. Das Haus sei schlecht isoliert und müsse renoviert werden. Alle Zimmer müssten den ganzen Tag beheizt werden. Außerdem würden alle Zimmer der Wohnung ständig benutzt und sein Vater sei schwerbehindert. Weiterhin kommt den tatsächlichen Aufwendungen für die Heizung grundsätzlich die Vermutung der Angemessenheit zu (hierzu Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 31.03.2006 - L 7 AS 343/05 ER, siehe auch Beschluss vom 30.03.2006 - L 9 AS 67/06 ER). Dieser Vermutung der Angemessenheit sind aber Grenzen gesetzt. Denn auch wenn zur Bestimmung der Angemessenheit nicht auf starre Werte zurückgegriffen werden kann, sind statistische Durchschnittswerte durchaus zu berücksichtigen. Im Rahmen der Erstattung der Unterkunftskosten ist durch das Bundessozialgericht klar gestellt worden, dass den Leistungsempfängern ein einfacher und im unteren Segment liegender Standart zusteht (BSG B 7b AS 17/06 R - Urteil vom 07.11.06). Der hierin zum Ausdruck kommende Gedanke gilt auch für die Bestimmung der Angemessenheit der Heizkosten. Denn auch beim Energieverbrauch obliegt es den Leistungsempfängern, sparsam zu sein und die Wohnung mit Bedacht zu versorgen. Denn der Verbraucher hat viele Möglichkeiten, seinen Verbrauch, auch ohne die Vornahme von Baumassnahmen, zu senken. So sind erhebliche Faktoren beim Verbrauch u.a. das Lüftungsverhalten, das den Tageszeiten entsprechende Regulieren der Heizung, eine den Jahreszeiten angemessene Bekleidung und sogar eine den Jahreszeiten entsprechende Ernährung. Wenn also ein Verbrauch vorliegt, der deutlich über einem durchschnittlichen Verbrauch liegt, obliegt es dem Leistungsempfänger, darzulegen, wodurch der erhöhte Verbrauch resultiert. Denn bereits ein durchschnittlicher Verbrauch stellt keinen mehr am unteren Segment befindlichen Bedarf dar. Durchschnittswerte ergeben sich beispielsweise aus den im Internet einsehbaren Heizspiegeln (www.Heizspiegel.de). Dabei ist festzustellen, dass zwischen den Städten, für die Heizspiegel bestehen, nur marginale Anweichungen der Durchschnittswerte vorliegen. Die in den Spiegeln festgestellten Werte sind damit grundsätzlich auch auf andere Städte übertragbar. Dabei ist grundsätzlich auf den festgestellten durchschnittlichen Verbrauch, nicht auf die festgestellten durchschnittlichen Kosten abzustellen, da die Kosten starken Marktschwankungen unterliegen. Ergibt sich aus der Heizkostenabrechnung nicht der genaue Verbrauch der bewohnten Wohnung (sondern nur der Verbrauch des gesamten Hauses), können auch die durchschnittlichen Kosten als Anhaltspunkt genommen werden. Unter Beachtung dieser Werte sind extrem hohe Verbrauchskosten ab einem Betrag von 1,10 EUR/ qm anzunehmen. Damit hält es die Kammer unter Berücksichtigung der vom Antragsteller vorgetragenen Besonderheiten für geboten, auf die extrem hohen Kosten von 1,10 EUR/qm noch rund 15% zuzuschlagen, womit sich der Betrag von 1,25 EUR/qm ergibt. Denn zum einen ergibt sich hier die Besonderheit, dass die Wohnung permanent von drei Menschen benutzt wird, die den ganzen Tag zu Hause sind. Zum anderen liegt der durchschnittliche Verbrauch im Haus bereits bei 1,15 EUR/qm, was auf den schlechten baulichen Zustand des Hauses hindeutet. Und schließlich ist der Vater des Antragstellers schwerbehindert, was dazu führt, dass er sich wenig bewegt, damit einen geringen körpereigenen Grundumsatz an Körperwärme hat und entsprechend mehr heizen muss. Die verbleibenden etwa 12 EUR muss der Antragsteller hingegen selber tragen. Ein Anordnungsgrund ergibt sich aus der finanziellen Situation des Antragstellers. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.