Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 03.04.2007, Az.: S 22 SO 56/07 ER
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 03.04.2007
- Aktenzeichen
- S 22 SO 56/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 61590
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0403.S22SO56.07ER.0A
Rechtsgrundlagen
- SGB XII § 13 Abs. 1
- BSHG § 3 Abs. 2
- SGB XII § 85
- SGB XII § 13
- GG Art. 3 Abs. 1
- SGB XII § 19 Abs. 3
- SGB XII § 87
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller erstrebt von dem Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Übernahme der Kosten der ambulanten häuslichen Pflege ab dem 01. Februar 2007.
Der 1933 geborene Antragsteller leidet an einem komplexen Krankheitsbild, insbesondere an einer koronaren Herzerkrankung und degenerativen Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates, und ist pflegebedürftig in der Pflegestufe 3. Der Antragsteller wird zu Hause von einem Pflegedienst versorgt. Seit Februar 2007 sind die Kosten nicht mehr von der Pflegeversicherung gedeckt. Der Antragsteller ist mit einem Grad der Behinderung von 100 schwer behindert. Sein Schwerbehindertenausweis weist die Merkzeichen G, aG und H auf (Bl. 22 der Verwaltungsakte).
Im Jahre 2004 erstellte Dr. E. eine nervenärztliche Stellungnahme über den Antragsteller, nach der im Falle der Zwangsversteigerung, eine Suizidgefahr bestehen würde (Bl. 80 bis 81 der Verwaltungsakte).
Der Antragsteller bezieht eine Altersrente in Höhe von 1.028,67 Euro pro Monat (Bl. 16 der Verwaltungsakte), eine Betriebsrente in Höhe von monatlich 397,68 Euro (Bl. 17 der Verwaltungsakte) und eine Unfallsrente in Höhe von monatlich 517,24 Euro (Bl. 18 der Verwaltungsakte).
Die Ehefrau des Antragsteller, Frau F., wurde vom G. mit Gutachten vom 09. März 2007 ( Bl. 84 bis 94 der Verwaltungsakte) in die Pflegestufe 1 eingestuft.
Der Antragsteller stellte am 29. Januar 2007 bei der im Auftrag des Antragsgegners handelnden Stadt Lüneburg einen Antrag auf Übernahme der ungedeckten Pflegesachleistungen. Die Kosten der häuslichen Pflege betragen 4.095,21 Euro pro Monat, wobei die Pflegekasse einen Betrag von 1.432,- Euro zahlt.
Die Stadt H. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 09. Februar 2007 ab (Bl. 70 bis 71 der Verwaltungsakte) und begründete dies wie folgt:
Die Unterbringung des Antragstellers in einem Altenheim sei zumutbar, zumal er schwerst pflegebedürftig sei. Die Aufwendungen für die ambulante Pflege seien mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden. Es würden Heimkosten von 2.452,- Euro bis 2.907,- Euro entstehen, denen ambulante Pflegekosten mit einem Eigenanteil von 2.663,- Euro entgegenstünden. Dies resultiere aus der Tatsache, dass er bei einer Heimunterbringung seine Renteneinkünfte voll einbringen müsste und der Antragsgegner nicht belastet werden würde.
Dagegen legte der Antragsteller unter dem 14. Februar 2007 Widerspruch ein ( Bl. 95 bis 96 der Verwaltungsakte), den er damit begründete, dass eine Prüfung der Zumutbarkeit der Heimunterbringung nicht stattgefunden habe. Er würde durch letztere in zentralen Grundrechten verletzt und auch Ehe und Familie würden beeinträchtigt werden. Es drohe Suizidgefahr.
Der Antragsteller hat am 22. März 2007 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Er trägt vor:
Der Antragsteller sei auf die Hilfe des Pflegedienstes angewiesen, da seine Ehefrau ebenfalls pflegebedürftig sei. Die Unterbringung in einem Heim sei aus persönlichen Gründen unzumutbar. Es bestünde die Gefahr, dass sich die Krankheit deutlich verschlechtere und eine psychische Dekompensation eintrete, so dass ein Suizid drohe. Aus einer Bescheinigung von Dr. Bette vom 26. März 2007 (Bl. 39 der Gerichtsakte) würde sich ergeben, dass jede Form psychischer Belastung zu vermeiden sei.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die ambulante häusliche Pflege des Antragstellers ab dem 01. Februar 2007 entsprechend den gesetzlichen Vorschriften zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er trägt unter Bezugnahme auf den erlassenen Bescheid vor:
Bei häuslicher Pflege müsste der Antragsteller einen Eigenanteil von 657,49 Euro (60 Prozent des Einkommensüberschusses) zahlen, so dass der Antragsgegner die übrigen knapp 2.000,- Euro übernehmen müsse. Die Unterbringung im Heim, die der Antragsteller selbst tragen könne, sei ihm zumutbar. Die Aufwendungen für die ambulante Pflege seien mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des I. Rechtzuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Mai 2005, - 1 BvR 569/05 -). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes (vgl. Beschlüsse des Hessischen Landessozialgerichtes vom 29. Juni 2005, - L 7 AS 1/05 ER -, und vom 12. Februar 1997, - L 7 AS 225/06 ER -; Berlit, info also 2005, 3, 8).
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft darlegen können. Anspruchsgrundlage des angegriffenen Bescheides des Antragsgegners vom 09. Februar 2007 sind §§ 61, 63 in Verbindung mit § 13 SGB XII.
Der Antragsgegner hat hier zu Recht den Antragsteller auf einen Heimplatz, eine Einrichtung nach § 13 Absatz 1 Satz 2 SGB XII, verwiesen, weil zum einen eine Heimunterbringung zumutbar ist (1) und zum anderen bei einer ambulanten häuslichen Pflege unverhältnismäßige Mehrkosten (2) entstehen (§ 13 Absatz 1 Satz 4 bis 7 SGB XII). Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall nicht der Vorranggrundsatz ambulanter Leistungen gilt (vgl. Grube/ Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, § 13, Rdn. 4).
(1) Die Heimunterbringung ist dem Antragsteller bei Würdigung der bestehenden Verhältnisse und der vorgelegten medizinischen Unterlagen zumutbar. Die Kammergelangt bei Würdigung der persönlichen, familiären und örtlichen Verhältnisse (§ 13 Absatz 1 Satz 6 SGB XII) zu dieser Einschätzung, welche auch der Antragsgegner rechtsfehlerfrei getroffen und im Bescheid vom 09. Februar 2007 begründet hat. Dabei hat der Antragsgegner einen gewissen Beurteilungsspielraum, der gerichtlich voll überprüfbar ist
Denn der Antragsteller hat weder substantiiert dargelegt noch bewiesen, dass Gründe vorlägen, die eine Unzumutbarkeit der stationären Unterbringung nach sich zögen. Aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen ergibt sich keine Unzumutbarkeit. Die Unterlagen aus dem Jahre 2004 liegen zum einen längere Zeit zurück und betrafen zum anderen einen Sachverhalt, weil sie im Kontext mit einer Zwangsversteigerung erstellt wurden. Die Bescheinigung des Allgemeinmediziners Bette vom 26. März 2007 trifft keine Aussage über die konkrete Schwere der Folgen einer Heimunterbringung. Zur Darlegung einer Unzumutbarkeit genügt in keinem Fall die Prognose, dass sich der Allgemeinzustand des Antragstellers nicht verbessern würde, wenn er im Heim untergebracht werden würde. Die Kammer nimmt auch zur Kenntnis, dass Herr Bette das Vorliegen von Suizidgefahr nicht anspricht. Es ist daher davon auszugehen, dass eine solche Gefahr derzeit nicht droht. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Antragsteller nicht in psychiatrischer Behandlung ist.
Die Kammer verneint darüber hinaus eine Unzumutbarkeit der Verweisung auf ein Pflegeheim, weil eine Unterbringung in Lüneburg möglich ist, welche die Aufrecherhaltung enger familiärer Kontakte ermöglicht (vgl. Schellhorn/ Schellhorn/ Hohm, Kommentar zum SGB XII, § 13, Rdn. 6).
(2) Die ambulante Betreuung verursacht im vorliegenden Fall unverhältnismäßige Mehrkosten für den Antragsgegner, so dass dieser zu Recht die begehrte Leistung ablehnen durfte. Die Feststellung, ob unverhältnismäßige Mehrkosten vorliegen, ist nach den besonderen örtlichen und persönlichen Verhältnissen im Einzelfall zu treffen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. November 1994, - 5 C 13.92 -, BVerwGE 97, 103, 107; Schellhorn/ Schellhorn/ Hohm, § 13, Rdn. 5). Dabei existiert nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes zu der Vorgängerregelung des § 3 Absatz 2 BSHG keine starre Grenze, ab welcher Höhe Unverhältnismäßigkeit angenommen werden muss (vgl. Beschluss vom 25, Mai 1990, - 4 M 44/90-, FEVS 41, 68, 70).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist im Rahmen des Kostenvergleiches nicht auf die absoluten Kosten der Pflegeeinrichtungen abzustellen, sondern auf die Mehrkosten, welche für den örtlichen Sozialhilfeträger entstehen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. Februar 1982, - 5 C 85.80 -, FEVS 31, 221, 225; Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. Januar 1987, - 5 C 10.85 -, FEVS 36, 353, 359). Dieser Rechtsprechung, der auch die Kammer folgt, haben sich mit Urteil vom 14. März 1997 (- 6 S 775/95 -, FEVS 48, 86 ff.) der Verwaltungsgerichtshof Baden - Württemberg und mit Urteil vom 26. Juli 1982 auch dar Bayerische Verwaltungsgerichtshof ( - 12 B 80 A. 1474 -, FEVS 32, 228, 236) angeschlossen, die beide auf die tatsächlichen Aufwendungen des Sozialhilfeträgers abgestellt haben.
Dem ist zwar das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. Mai 1990 (s.o.) entgegengetreten, jedoch vermag die Argumentation, welche zum Teil auch im Schrifttum aufgegriffen und weiter entwickelt wurde ( vgl. LPK - SGB XII - Krahmer § 13, Rdn. 10; Krahmer, ZfF 2000, 265, 267), nicht zu überzeugen, weil der zentrale Schutzzweck des § 13 Absatz 1 Satz 4 bis 7 SGB XII ( bzw. § 3 Absatz 2 BSHG) verkannt wird. Dieser besteht in dem Schutz des örtlichen Sozialhilfeträgers vor unverhältnismäßigen Mehrkosten, die durch die in Ausübung des Wunschrechtes des Leistungsberechtigten geleistete ambulante Hilfe entstehen. Nach dem Sinn und Zweck der Norm und den Regelungskontext kann zulässigerweise nur auf die Kosten abgestellt werden, die den Sozialhilfeträger letztlich treffen. Denn dies ergibt sich gerade bei teleologischer Auslegung. Dabei trifft der Hinweis von Krahmer zwar zu, dass die Besserstellung des Sozialhilfeträgers bei der Heimunterbringung aus der Anrechnung sämtlicher Einkünfte im Rahmen von §§ 85, 87, 19 Absatz 3 SGB XII resultiert, wie es im Übrigen auch im vorliegenden Fall zutreffend ist. Dies führt dann nach Krahmer zu einer Ungleichbehandlung in Vergleich zu einem Pflegebedürftigen, der über keinerlei Einkünfte verfügt. Hierin vermag die Kammer aber keinen Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz zu erkennen, weil es ein sachlich gerechtfertigtes Differenzierungskriterium, nämlich den Bezug von Einkommen, gibt. Mit den §§ 85 ff. SGB XII schuf der Gesetzgeber ein abgeschlossenen Regelungssystem, welches das Nachrangigkeitsprinzip der Sozialhilfe in zulässiger Form konkretisierte. Dieses würde bei anderer Auslegung der Norm aus den Angeln gehoben.
Dies zugrunde gelegt, ist die Unverhältnismäßigkeit der anfallenden Mehrkosten bei ambulanter Hilfe evident. Der Antragsgegner hätte bei einer stationären Unterbringung praktische keine Sozialhilfeleistungen zu erbringen. Im Falle der ambulanten Versorgung betrügen die Kosten monatlich etwa 2000,- Euro.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG analog.