Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 26.07.2007, Az.: S 25 AS 795/06
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 26.07.2007
- Aktenzeichen
- S 25 AS 795/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 61636
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0726.S25AS795.06.0A
Rechtsgrundlagen
- RVG § 3
- RVG § 14 Abs. 1
- RVG § 3 Abs. 1
- SGB X § 63 Abs. 3
- RVG § 14
- BRAGO § 118
- SGB X § 63 Abs. 2
Tenor:
Der Antrag der Klägerinnen, ihnen für die Durchführung des Verfahrens vor dem Sozialgericht Lüneburg - S 25 AS 795/06 - Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt E., Lüneburg, zu gewähren, wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Klageverfahren, für das die Klägerinnen die Gewährung von Prozesskostenhilfe begehren, über die Höhe der Kostenerstattung für ein (isoliertes) Widerspruchsverfahren, in dem um höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) gestritten worden war.
Mit Bescheid vom 08. November 2005 bewilligte die Beklagte den Klägerinnen Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01. November 2005 bis zum 30. April 2006 in Höhe von monatlich 758,20 EUR.
Hiergegen erhob die Klägerin zu 1. persönlich am 01. Dezember 2005 Widerspruch, dem sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen mit Schriftsatz vom 22. Februar 2006 anschloss. Hierin verwies er (lediglich) auf die Begründung des gleichzeitig von ihm erhobenen Antrages auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verwies. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (Az.: S 25 AS F. ER) half die Beklagte vollständig ab und teilte, mit, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen auf Antrag erstattet würden. Die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entstandenen Kosten des Prozessbevollmächtigten sind antragsgemäß mit Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 15. August 2006 auf insgesamt 400,20 EUR unter Berücksichtigung einer Verfahrensgebühr in Höhe von 250,00 EUR, mithin der Mittelgebühr, festgesetzt und erstattet worden.
Mit Schreiben vom 21. März 2006 erteilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen der Beklagten für das Widerspruchsverfahren eine Kostenrechung in Höhe von insgesamt 385,12 EUR (Verfahrensgebühr nach Nr. 2500 VV-RVG a. F. in Höhe von 240,00 EUR nebst 30 % Erhöhung gemäß Nr. 1008 VV-RVG a. F. in Höhe von 72,00 EUR, Post- und Telekommunikationspauschale in Höhe von 20,00 EUR sowie Umsatzsteuer in Höhe von 53,12 EUR).
Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 28. April 2006 setzte die Beklagte die zu erstattenden Kosten auf 279,56 EUR fest, wobei sie von einer Gebühr nach Nr. 2500 VV-RVG a. F. in Höhe von 170,00 EUR ausging.
Hiergegen legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 08. Mai 2006 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2006 zurückwies. Zur Begründung führte sie aus, unter Berücksichtigung der Widerspruchsbegründung sei der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit außergewöhnlich niedrig; er ginge kaum über die eines einfachen Briefes hinaus. In jedem Fall sei die angesetzte Gebühr in Höhe von 170,00 EUR noch großzügig bemessen.
Hiergegen hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 14. Juli 2006 Klage erhoben und die Gewährung von Prozesskostenhilfe begehrt. Zur Begründung ihres Klagebegehrens weist sie umfangreich darauf hin, dass durch die angegriffene Praxis der Beklagten, die sog. Schwellengebühr zur (Regel-)Mittelgebühr gemacht werde. Zwar sei die Tätigkeit im Widerspruchsverfahren weder umfangreich noch schwierig gewesen, jedoch sei gerade für diese Fälle die Schwellengebühr in Höhe von 240,00 EUR anzusetzen. Dies wäre in Rechtsprechung der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Literatur zur vergleichbaren Gebührenziffer 2400 des VV-RVG a. F. einhellige Meinung.
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, der Gesetzgeber habe eine Rahmengebühr zwischen 40,00 EUR und 520,00 EUR vorgesehen, so dass dieser auch davon ausgegangen sei, dass eine Gebühr in Höhe von 40,00 EUR in Betracht komme. Im Übrigen sei die Überprüfung ausschließlich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens erfolgt, was bereits die im Widerspruchsbescheid vorgelegte Vollmachtsurkunde belege. Es sei daher unbillig, wenn der Prozessbevollmächtigte für ein- und dieselbe Tätigkeit zweimal die Mittelgebühr erhalte.
Das Gericht hat den Beteiligten nahe gelegt, wegen des geringen Abstandes der jeweiligen Gebührenpositionen das Verfahren vergleichsweise zu beenden. Dies haben sie jedoch wegen der grundsätzlichen Bedeutung für gleich gelagerte Verfahren abgelehnt.
Im Übrigen wird zur Ergänzung Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten (umfangreichen) Schriftsätze, die Prozessakte und den Inhalt der beigezogenen und die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Prozessakte zum Verfahren S 25 AS 195/06 ER. Diese Unterlagen lagen vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Der gemäß § 73 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässige Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nicht begründet, weil die Rechtsverfolgung der Klägerin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Nach der auch im Prozesskostenhilfeverfahren allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung des Tatsachenmaterials hat die Beklagte die Kosten im Ergebnis zu Recht in Höhe von 279,56 EUR festgesetzt; eine höhere Verfahrensgebühr als 170,00 EUR ist nicht gerechtfertigt.
1. Der Anspruch der Klägerinnen auf Kostenerstattung richtet sich nach § 63 Abs. 1 S. 1; Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X), wonach die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen festsetzt. Dabei gehören gemäß § 63 Abs. 2 SGB X die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts zu den zu erstattenden Kosten, nachdem der Beklagte die Zuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig erklärt hat (§ 63 Abs. 3 S. 2 SGB X). Der Umfang der notwendigen Aufwendungen für die Prozessbevollmächtigte der Klägerin richtet sich nach dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)) i. V. m. mit dem "Vergütungsverzeichnis" (VV-RVG), Art. 1 und 88 (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (KostRMoG)) vom 05. Mai 2004 (BGBl. I 2004, S.717ff, 788ff, 850), da der Auftrag zur Vertretung der Klägerinnen im Widerspruchsverfahren nach dem 30. Juni 2004 erteilt worden war.
Nach § 3 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in sozialgerichtlichen Verfahren (auch) außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens Betragsrahmengebühren, sofern das Gerichtskostengesetz keine Anwendung findet. § 3 RVG gilt auch für das sog. isolierte Vorverfahren (Göttlich/Mümmler, RVG, Kommentar, 1. Aufl. 2004, S.844ff, 851f 3d), wie es hier durchgeführt worden war. Da es sich bei der Klägerin um eine kostenprivilegierte Beteiligte im Sinne des § 183 S. 1 SGG handelt, findet das GKG keine Anwendung (§ 197a Abs. 1 S. 1, 1. Halbsatz SGG). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich somit nach dem VV-RVG a. F., das dem RVG als Anlage 1 angefügt ist (§ 2 Abs. 2 S. 1 RVG). Nach Abschnitt 4 (Vertretung in bestimmten sozialrechtlichen Angelegenheiten) Nr. 2500 des VV-RVG a. F. beträgt die Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), 40,00 bis 520,00 EUR. Einschränkend enthält das Vergütungsverzeichnis zu diesen Beträgen den Zusatz: "Eine Gebühr von mehr als 240,00 EUR kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war." Die Geschäftsgebühr ersetzt - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - die frühere Gebühr nach § 118 BRAGO, einschließlich einer Besprechungsgebühr, so dass sie einen weiteren Abgeltungsrahmen als nach früherem Recht umfasst.
Die Einschränkung im Vergütungsverzeichnis, die schon im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 07. November 2003 (BR-Drucksache 830/03, S. 117) enthalten war, bezweckt wie die gleiche Regelung zu Nr. 2400 VV-RVG a. F. eine Begrenzung bzw. Kappung der sog. "Mittelgebühr", die ansonsten für durchschnittliche Fälle mit einem Betrag in Höhe von 280,00 EUR zu berechnen wäre. Die Bestimmung der als Betragsrahmengebühr ausgestalteten Geschäftsgebühr nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG erfolgt dabei nur teilweise nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG. Danach hat der Rechtsanwalt die Rahmengebühr unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen zu bestimmen. Im Normalfall, also wenn die Bedeutung der Angelegenheit, der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG durchschnittlich sind, ist daher die Mittelgebühr wegen des Zusatzes zu Nr. 2500 VV-RVG a. F. nur anzusetzen, wenn Umfang oder Schwierigkeit über dem Durchschnitt liegen (ebenso die Gesetzesbegründung zur wortgleichen Nr. 2400 VV-RVG a. F., BR-Drucks. 830/03 S. 257 f; vgl. Wahlen in: AnwK-RVG, 2. Aufl., § 3 RVG Rdn. 99 m. w. N.). Das bedeutet, dass die Einschränkung des Zusatzes zu Nr. 2500 VV-RVG a. F. bei "durchschnittlichen" Fällen nicht eingreift, wenn die anwaltliche "Tätigkeit umfangreich oder schwierig" war. War sie es nicht, ist statt der Regelmittelgebühr (280,00 EUR) grundsätzlich die "Schwellengebühr" in Höhe von 240,00 EUR als "billig" i. S. d. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG anzusetzen. Die Einschränkung im Zusatz zu Nr. 2500 VV-RVG a. F. führt somit dazu, dass die Mittelgebühr zwar theoretisch 280,00 EUR beträgt und Ausgangspunkt der Berechnung der angemessenen Vergütung ist, wegen der amtlichen Anmerkung aufgrund einer Kappung für "Durchschnittsfälle" aber nur höchstens 240,00 EUR erreichen kann. Andererseits bedeutet dies nicht - worauf die Beklagte völlig zu Recht hinweist -, dass in jedem Fall der Ansatz der "Schwellengebühr" gerechtfertigt ist. Vielmehr muss berücksichtigt werden, dass es auch Verfahren geben wird, die unterdurchschnittlicher Natur sind und dementsprechend nur eine Verfahrensgebühr nach Nr. 2500 VV-RVG a. F. in Betracht kommt, die sich ggf. deutlich (und auch hier) unter einem Betrag in Höhe von 240,00 EUR bewegen muss.
2. Da die Beteiligten einerseits übereinstimmend davon ausgehen, dass die anwaltliche Tätigkeit jedenfalls nicht umfangreich oder schwierig war, ist der Beklagten andererseits darin zuzustimmen, dass der anwaltliche Aufwand und die Schwierigkeit der Angelegenheit als unterdurchschnittlich zu bewerten ist. Insoweit nimmt die Kammer zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und macht sie zur Grundlage ihrer eigenen Entscheidung, § 136 Abs. 3 SGG analog.
Der Vortrag der Beteiligten gibt allerdings Anlass auf folgendes hinzuweisen:
Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin einwendet, wegen der Berücksichtigung der Vorbefassung im Widerspruchsverfahren sei im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine Kürzung vorgenommen worden, die letztlich bei der Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren noch einmal mit der (umgekehrten) Zielrichtung wiederholt werde, kann dies die Kammer nicht nachvollziehen und trifft auf die vorliegende Fallgestaltung offensichtlich nicht zu. Entscheidend bleibt, welcher objektiv erforderliche Aufwand im jeweiligen Verfahren zu erbringen war. Dabei ist es nicht zu beanstanden, wenn gewisse Synergieeffekte, die den anwaltlichen Aufwand offensichtlich reduzieren, auch kostenrechtlich berücksichtigt werden. Wenn daher bereits Vorarbeiten im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auch im Widerspruchsverfahren nutzbar gemacht werden, liegt es auf der Hand und bedarf keiner weiteren Vertiefung, dass sich dieser Umstand bei der Bewertung des anwaltlichen Aufwandes im nachfolgenden oder ggf. auch parallelen Widerspruchsverfahren niederschlagen muss. Dies darf nach Auffassung der Kammer umgekehrt - worauf der Prozessbevollmächtigte zu Recht hinweist - indes auch nicht dazu führen, dass eine "doppelte" Berücksichtigung eines (vermeintlich) geringeren Aufwandes zu Lasten des Verfahrens- bzw. Prozessbevollmächtigten erfolgt. Insoweit wird bei der Bemessung der Gebühren für das jeweilige Verfahren darauf zu achten sein, ob eine derartige "doppelte" Berücksichtigung zu Lasten der Betroffenen ausgeschlossen ist.
3. Wenn danach im vorliegenden Fall der anwaltliche Aufwand im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kostenrechtlich hinreichend (antragsgemäß und unangegriffen) mit der Zuerkennung der Mittelgebühr gewürdigt worden ist, ist es für die Bemessung der Verfahrensgebühr im Widerspruchsverfahren nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte u. a. deshalb von einer unterdurchschnittlich umfangreichen und schwierigen Angelegenheit ausgeht.
Daher käme die Zuerkennung der begehrten Schwellengebühr nur dann in Betracht, wenn die insoweit ergänzend heranzuziehenden Kriterien des § 14 RVG eine überdurchschnittliche Intensität erreichen würden. Dies ist jedoch weder im Hinblick auf die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerinnen, deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder für das Haftungsrisiko des Prozessbevollmächtigten ersichtlich.
4. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu Recht auf die parallele Problematik in Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit abhebt, verweist die Kammer auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 31. Oktober 2006 (Az.: VI ZR 261/05 zitiert nach juris), in dem dieser ausdrücklich klarstellt, dass es in dem jeweils zu prüfenden Einzelfall unbillig sein kann, die Schwellengebühr festzusetzen, wenn es sich um eine unterdurchschnittliche Angelegenheit handelt (vgl. hierzu auch jüngst Bundessozialgericht , Urteil vom 29. März 2007, - B 9a SB 4/06 R -). Daher kann auch unter diesem Gesichtspunkt nicht davon die Rede sein, dass in jedem Fall die "Schwellengebühr" anzusetzen ist, wenn die Angelegenheit - wie hier - nicht umfangreich oder schwierig war.
Da die Klage danach keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, kam auch die begehrte Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt Krempin nicht in Betracht.
5. Diese Entscheidung ist in entsprechender Anwendung des § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO in Verbindung mit § 144 Abs. 1 S. 1 SGG nicht mit der Beschwerde zum Landessozialgericht anfechtbar, da der Wert des Beschwerdegegenstandes einen Betrag von 500,00 EUR nicht übersteigt.