Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 29.01.2007, Az.: S 24 AS 17/07 ER
Geltendmachung eines Anspruchs auf Übernahme weitergehender Heizkosten für eine angemessene Wohnfläche im Wege einstweiligen Rechtsschutzes; Art der Wechselbeziehung i.S.e. beweglichen Systems zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund i.R.d. einstweiligen Rechtsschutzes
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 29.01.2007
- Aktenzeichen
- S 24 AS 17/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 51733
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0129.S24AS17.07ER.0A
Rechtsgrundlage
- § 86b Abs. 2 SGG
Tenor:
- 1.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin von Januar bis einschließlich Juni 2007 Heizkosten in Höhe von 75,88 EUR monatlich zu bewilligen. Die Leistung erfolgt unter dem Vorbehalt der Rückforderung aufgrund einer abweichenden Entscheidung in der Hauptsache, sowie vorbehaltlich einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
- 2.
Die außergerichtlichen Kosten tragen die Antragsgegnerin zu 2/3, die Antragstellerin zu 1/3.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Übernahme weitergehender Heizkosten.
Die Antragstellerin bewohnt eine 56,21 qm große Wohnung in D., für die sie laut Verwaltungsakte einen Heizkostenabschlag in Höhe von monatlich 101,00 EUR zu bezahlen hat. In der Vergangenheit hat die Antragsgegnerin diese Heizkosten abzüglich eines Abschlags für die Warmwasserzubereitung in Höhe von 6,72 EUR, in voller Höhe von 94,28 EUR erstattet.
Mit Schreiben vom 14.06.2006 wies die Antragsgegnerin die Antragstellerin darauf hin, dass pro Quadratmeter Wohnfläche ein Betrag von 1 EUR angemessen sei. Außerdem sei eine maximale Wohnungsgröße von 56 qm angemessen. Es sei deshalb beabsichtigt, die Heizkosten ab dem 01.07.2007 nur noch mit 50 EUR zu berücksichtigen. Bezüglich der Wohnung selbst wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass die dafür zu bezahlende Miete angemessen sei.
Im Folgenden versuchte die Antragstellerin eine günstigere Wohnung anzumieten. Letztlich kam ein Mietvertrag nicht zustande, da die Antragstellerin eine SCHUFA Eintragung hat.
Mit Bescheid vom 07.12.06 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin Leistungen für den Zeitraum 01.01.07 bis 30.06.07 und legte dabei die Heizkosten mit 50 EUR zugrunde.
Hiergegen erhob die Antragstellerin am 15.12.06 Widerspruch, den die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 08.01.07 zurückwies. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, die Berechnung angemessener Heizkosten richte sich nach der angemessenen Wohnfläche sowie Erfahrungswerten pro qm, die zwischen 0,95 EUR und 1,05 EUR schwankten.
Am 04.01.07 beantragte die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Heizkosten in voller Höhe erstattet zu bekommen. Zur Begründung trägt sie vor, dass ihr aufgrund anderer Verbindlichkeiten von den Leistungen der Antragsgegnerin nur noch etwa 160 EUR verblieben, davon könne sie ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten. Ihr erhöhter Verbrauch resultiere aus der Beschaffenheit ihrer Wohnung. So verfügten alle Zimmer der Wohnung über Außenwände. Die Fensterrahmen seien teilweise verrottet, so dass es durch sie stark ziehe. Unter der Haustür befinde sich ein großer Spalt, durch den es ziehe. Die Wohnungen neben und unter ihr würden nicht beheizt.
Sie beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die tatsächlichen Heizkosten zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist darauf, dass in einem nach Lage und Baujahr vergleichbaren Haus die Heizkosten bei 1,15 EUR lägen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz richtet sich nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung nötig erscheint (Satz 2). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist deshalb, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber der Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile müssen glaubhaft gemacht werden, § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Dabei darf die einstweilige Anordnung wegen des summarischen Charakters des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich nicht die Entscheidung der Hauptsache vorwegnehmen.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihrer funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Aufl, § 86 b Rz, 27 ff m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn auf das vorliegen des Anordnungsgrunds nicht verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang der Hauptsache, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend zu berücksichtigen. Die Gerichte müssen sich dabei schützend und fördernd vor die Grundrechte der Einzelnen stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abgestellt wird, die Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen nur auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit fordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrunds (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O. Rz. 16 b f.).
Mit diesen Voraussetzungen ist ein Anordnungsanspruch in aus dem Tenor ersichtlicher Höhe glaubhaft gemacht worden.
Leistungen für die Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind, § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Für die Antragstellerin sind Heizkosten in Höhe von 75,88 EUR (1,35 EUR x 56,21 qm) angemessen.
Zunächst sind die Kosten pro qm auf 1,35 EUR festzusetzen. Zur Berechnung angemessener Heizkosten sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. Eine reine Orientierung an Durchschnittswerten und Richtlinien ist unzulässig (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 31.03.2006 - L 7 AS 343/05 ER). So muss es dem Leistungsberechtigten ermöglicht werden, angemessene Raumtemperaturen zu schaffen (siehe hierzu Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 31.03.2006 - L 7 AS 343/05 ER; Beschluss vom 09.05.2006 - L 6 AS 130/06 ER). Die Antragstellerin hat hierzu ausgeführt, dass sie die Wohnung auf 20 Grad beheize. Diese Temperatur ist nach Auffassung der Kammer nicht unangemessen hoch.
Weiterhin spielen die baulichen Voraussetzungen sowie die persönliche Lebenssituation des Leistungsempfängers eine Rolle. Eventuell vorhandene Besonderheiten in der Person sind im Verwaltungsvollzug zu berücksichtigen (vgl. auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 31.03.2006 - L 7 AS 343/05 ER; Beschluss vom 09.05.2006 - L 6 AS 130/06 ER). Leben Säuglinge und Kleinkinder in der Wohnung, sind die Anforderungen an angemessene Temperaturen ebenso andere wie bei alten oder kranken Menschen. Diesbezüglich hat die Antragstellerin vorgetragen, dass alle Zimmer der Wohnung über Außenwände verfügten, die Fensterrahmen teilweise verrottet seien, sich unter der Haustür ein großer Spalt befinde und die Wohnungen neben und unter ihr nicht beheizt würden.
Weiterhin kommt den tatsächlichen Aufwendungen für die Heizung grundsätzlich die Vermutung der Angemessenheit zu (hierzu Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 31.03.2006 - L 7 AS 343/05 ER, siehe auch Beschluss vom 30.03.2006 - L 9 AS 67/06 ER).
Dieser Vermutung der Angemessenheit sind aber Grenzen gesetzt. Denn auch wenn zur Bestimmung der Angemessenheit nicht auf starre Werte zurückgegriffen werden kann, sind statistische Durchschnittswerte durchaus zu berücksichtigen. Im Rahmen der Erstattung der Unterkunftskosten ist durch das Bundessozialgericht klar gestellt worden, dass den Leistungsempfängern ein einfacher und im unteren Segment liegender Standart zusteht (BSG B 7b AS 17/06 R - Urteil vom 07.11.06). Der hierin zum Ausdruck kommende Gedanke gilt auch für die Bestimmung der Angemessenheit der Heizkosten. Denn auch beim Energieverbrauch obliegt es den Leistungsempfängern, sparsam zu sein und die Wohnung mit Bedacht zu versorgen. Denn der Verbraucher hat viele Möglichkeiten, seinen Verbrauch, auch ohne die Vornahme von Baumassnahmen, zu senken. So sind erhebliche Faktoren beim Verbrauch u.a. das Lüftungsverhalten, das den Tageszeiten entsprechende Regulieren der Heizung, eine den Jahreszeiten angemessene Bekleidung und sogar eine den Jahreszeiten entsprechende Ernährung. Wenn also ein Verbrauch vorliegt, der deutlich über einem durchschnittlichen Verbrauch liegt, obliegt es dem Leistungsempfänger, darzulegen, wodurch der erhöhte Verbrauch resultiert. Denn bereits ein durchschnittlicher Verbrauch stellt keinen mehr am unteren Segment befindlichen Bedarf dar.
Durchschnittswerte ergeben sich beispielsweise aus den im Internet einsehbaren Heizspiegeln (www.Heizspiegel.de). Dabei ist festzustellen, dass zwischen den Städten, für die Heizspiegel bestehen, nur marginale Anweichungen der Durchschnittswerte vorliegen. Die in den Spiegeln festgestellten Werte sind damit grundsätzlich auch auf andere Städte übertragbar. Dabei ist grundsätzlich auf den festgestellten durchschnittlichen Verbrauch, nicht auf die festgestellten durchschnittlichen Kosten abzustellen, da die Kosten starken Marktschwankungen unterliegen. Ergibt sich aus der Heizkostenabrechnung nicht der genaue Verbrauch der bewohnten Wohnung (sondern nur der Verbrauch des gesamten Hauses), können auch die durchschnittlichen Kosten als Anhaltspunkt genommen werden.
Unter Beachtung dieser Werte sind extrem hohe Verbrauchskosten bei Öl ab einem Betrag von 1,10 EUR/ qm anzunehmen.
Deshalb hält es die Kammer unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin vorgetragenen Besonderheiten auf die extrem hohen Kosten von 1,10 EUR/qm noch rund 25% zuzuschlagen, womit sich der Betrag von 1,35 EUR/qm ergibt.
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist dabei die gesamte Wohnfläche von 56,21 qm zu berücksichtigen. Zunächst geht die Antragsgegnerin in ihrem Schreiben vom 14.06.06 selbst davon aus, dass die für diese Wohnung entstehenden Kosten angemessen sind. Damit ist aber auch die Wohnung im Ganzen erhaltenswert. Zur Berechnung der Heizkosten auf eine angemessene Wohnfläche von 50 qm abzustellen, ist in sich widersprüchlich. Wenn die Wohnung im Ganzen erhaltswert ist, muss sie auch im Ganzen beheizt werden können. Damit ergibt sich der zu erstattende Betrag von 1,35 EUR x 56,21 qm = 75,88 EUR.
Ein Anordnungsgrund ergibt sich aus der finanziellen Situation der Antragstellerin.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.