Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 18.12.2007, Az.: S 41 AS 1362/07 ER

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
18.12.2007
Aktenzeichen
S 41 AS 1362/07 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 61613
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:1218.S41AS1362.07ER.0A

Tenor:

  1. 1.

    Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Antragsgegnerin zu 1. wird abgelehnt.

  2. 2.

    Der Antragsgegner zu 2. wird verpflichtet, den Antragstellerinnen für die Zeit vom 21. September 2007 bis zum 31. März 2008 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 595,40 Euro monatlich zu zahlen. Im übrigen wird der Antrag abgelehnt.

  3. 3.

    Den Antragstellerinnen wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt G. beigeordnet.

  4. 4.

    Der Antragsgegner zu 2. trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen zu ?.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin zu 1. lebt mit ihren Kindern, den Antragstellerinnen zu 2. bis 4. in einem Eigenheim, einem alten Bauernhaus. Die Antragstellerinnen zu 2. bis 4. sind Drillinge. Sie sind Frühgeburten und entwicklungsverzögert. Die Antragstellerin zu 1. muss mit ihnen eine Vielzahl von Therapien durchführen, insbesondere Ergotherapie, sowie häufige Arztbesuche. Die Antragsstellerin zu 4. ist minderwüchsig und leidet unter Diabetes mellitus. Sie hat einen Pflegebedarf von 42 Minuten täglich. Die Antragstellerinnen zu 2. bis 4. sind am 28. Dezember 1998 geboren.

2

Die Antragstellerinnen leben in einem Haus von 248,78 Quadratmetern Größe. Hiervon hat die Antragstellerin zu 1. eine Wohnung im Haus vermietet, die eine Größe von 51 Quadratmetern hat. Der Mieter zahlt der Antragstellerin zu 1. eine monatliche Miete in Höhe von 350,00 Euro. Diese setzt sich zusammen aus einer Kaltmiete in Höhe von 220,00 Euro sowie einer Pauschale in Höhe von 88,50 Euro für Heizung, Wohngebäudeversicherung, Schornsteinfeger, Steuern, und Heizungswartung. Darüber hinaus wird ein Betrag in Höhe von 51,50 Euro als Pauschale für Strom, Waschmaschinennutzung und den Kapelanschluss gezahlt.

3

Die Antragsgegnerin zu 1. gewährt den Antragstellerinnen Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 493,76 Euro. Hierbei wird Einkommen angerechnet, und zwar das Kindergeld der Antragstellerinnen zu 2. bis 4. sowie Einkommen aus Vermietung in Höhe von 195,80 Euro, wobei offenbar ein Betrag in Höhe von 225,80 zugrunde gelegt wurde, von dem eine Pauschale nach § 3 ALG II - VO in Höhe von 30,00 Euro abgezogen wurde. Von dem Antragsgegner zu 2. erhält die Antragstellerin Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 544,70 Euro. Für die Heizkosten erhält sie hierbei einen monatlichen Abschlag von 82 Cent je anerkennbarem Quadratmeter Wohnfläche.

4

Die Antragstellerin trägt vor, die Berechung der Antragsgegnerinnen sei unzutreffend. Das Einkommen aus Vermietung sei als Minderung der Kosten der Unterkunft anzurechnen, nicht als Einkommen im Sinne von § 11 SGB II. Sie habe auch Anspruch auf höhere Heizkosten, da ihre Kinder aufgrund der Entwicklungsverzögerung auch wärmebedürftig seien und insbesondere die Antragstellerin zu 4. erkrankt sei. Die Antragstellerinnen zu 2. bis 4. bedürften aufgrund ihrer Lungenerkrankung immer besonderer Wärme und eine gute Lüftung des Hauses sei notwendig. Hinzu käme, dass es sich um ein altes Bauerhaus handele, das nicht nach modernen Maßstäben gedämmt sei. Auch sei das Haus in der Größe angemessen, da ihre Kinder aufgrund der Erkrankungen mehr Platz benötigten und das Haus, wie bei alten Bauernhäusern üblich, viel nicht oder schlecht nutzbaren Raum (Abstellkammer, lange Flure etc.) enthalte. Darüber hinaus werde das Haus von 5 Personen bewohnt.

5

Eine Eilbedürftigkeit des Verfahrens sei deshalb gegeben, weil die Antragstellerin zu 1. ihr Girokonto bereits um rund 5 000,00 Euro überzogen habe und daher eine dringende finanzielle Notsituation bestehe. Zum Nachweis hierüber wurden Kontoauszüge vorgelegt.

6

Hinsichtlich der Einzelheiten des Vortrags der Antragstellerinnen wird auf die Gerichtsakten verwiesen.

7

Die Antragstellerinnen beantragen,

  1. die Antragsgegnerin zu 1. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellerinnen Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung von Einkommen aus Vermietung und den Antragsgegner zu 2. im Wege der einstweiligen Anordnung dazu zu verpflichten, entsprechend den Ausführungen des Gerichtes Leistungen zu bewilligen, hilfsweise, den Antragsgegner zu 2.) zu verpflichten, den Antragstellerinnen Kosten der Unterkunft in Höhe von 665,75 Euro zu gewähren.

8

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

  1. den Antrag abzulehnen.

9

Die Antragsgegnerin zu 1. steht nach wie vor auf dem Standpunkt, dass es sich bei den Mieteinnahmen grundsätzlich um Einkommen im Sinne des § 11 SGB II handelt, da es sich bei dem vermieteten Anteil des Hauses nicht um eine Untervermietung handele. Der Antragsgegner zu 2. schließt sich der Argumentation der Antragsgegnerin zu 1. in vollem Umfang an. Die Antragsgegner rügen, dass die Eilbedürftigkeit des Verfahrens nicht gegeben sei.

10

II.

Der Antrag hat im tenorierten Umfang erfolg.

11

Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.

12

Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

13

Zwei Bewilligungsbescheide der Antragsgegner zu 1. und 2. wurden mit Widerspruch und Klage angegriffen und umfassen den Leistungszeitraum bis zum 30. September 2007. Gegen den folgenden Bewilligungsbescheid der Antragsgegnerin zu 1. vom 23. Oktober 2007, der den Bewilligungszeitraum vom 01. Oktober 2007 bis zum 31. März 2008 betrifft, wurde am 29. November 2007 Widerspruch eingelegt. Da der Antragsgegner zu 2. nach seinem eigenen Bekunden die Widersprüche gegen Bescheide der Antragsgegnerin zu 1. auch gegen sich gelten lässt, ohne dass ein zusätzlicher Widerspruch eingelegt werden muss, geht das Gericht jedenfalls im Eilverfahren davon aus, dass gegen die folgenden Bewilligungsbescheide beider Antragsgegner Widerspruch eingelegt wurde und somit im vorliegenden Verfahren der Zeitraum vom Antragseingang bis zum Ende des laufenden Bewilligungszeitraums in einem gesonderten Hauptsachverfahren im Streit ist und mit einer einstweiligen Anordnung geregelt werden kann.

14

1. Das Gericht hält eine Eilbedürftigkeit für gegeben, da die Antragstellerin zu 1. durch Vorlage von Kontoauszügen nachgewiesen hat, dass sie ihr Konto um etwa 5 000,00 Euro überzogen hat und eine dringende finanzielle Notlage damit nachgewiesen ist.

15

2. Ein Anordnungsanspruch wurde teilweise glaubhaft gemacht.

16

a) Es besteht kein Anspruch auf höhere Regelleistungen gegenüber der Antragsgegnerin zu 1.). Das Vorgehen der Antragsgegnerin, die Einnahmen aus dem Mietverhältnis als Einkommen im Sinne von § 11 SGB II anzurechnen, ist rechtmäßig. Nach § 11 Abs. 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Bei den Einnahmen aus Vermietung handelt es sich um derartige Einnahmen. Die Vermietung soll zwar nach dem Vortrag der Antragstellerinnen der Senkung der Kosten der Unterkunft dienen, dies bedeutet jedoch nicht, dass § 11 Abs. 1 SGB II nicht anwendbar ist. Die Frage, ob es sich um eine Untervermietung handelt oder nicht, ist hierfür jedoch nicht maßgeblich. Eine Anrechnung als Einkommen ist deshalb sinnvoll und notwendig, weil der Fall denkbar ist - wenn es auch im vorliegenden Verfahren nicht der Fall ist -, dass Leistungsempfänger eine so hohe Miete erhalten, dass diese die Kosten der Unterkunft übersteigt. Könnte diese bei den Regelleistungen dann nicht als Einkommen nach § 11 Abs. 1 SGB II berücksichtigt werden, hätten sie folgerichtig einen Anspruch auf die vollen Regelleistungen, obwohl ein Einkommensüberhang aus den Kosten der Unterkunft bestünde. Dieses Ergebnis kann vom Gesetzgeber nicht gewollt sein. Dass durch die Vermietung die Kosten der Unterkunft gesenkt werden, steht einer Anrechung der Mieteinnahmen als Einkommen nicht entgegen.

17

Das Gericht legt allerdings nicht die vollständigen Mieteinnahmen in Höhe von 350,00 Euro, sondern einen Anteil in Höhe von 201,16 Euro als anrechenbares Einkommen zu Grunde. Dieses berechnet sich wie folgt: Aus § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II folgt, dass von dem Einkommen (auch aus Mieteinnahmen) die mit dessen Erzielung einhergehenden Aufwendungen abzusetzen sind. Aufwendungen in diesem Sinne sind die auf die Wohnfläche der Einlegerwohnung entfallenden Schuldzinsen, Nebenkosten und Heizkosten. Insoweit ergibt sich, dass die anteiligen Schuldzinsen in Höhe von 79,23 (20 % von 396,16 Euro), die anteiligen Nebenkosten in Höhe von 25,61 Euro (20 % von 128,09 Euro) sowie die anteiligen Heizkosten in Höhe von 44,00 Euro (20 % von 220,00 Euro), also insgesamt ein Betrag in Höhe von 148,84 Euro abzusetzen sind. Das Gericht hat bei dieser Berechung die von der Antragstellerin geltend gemachte Instandhaltungsrücklage nicht berücksichtigt, da diese nicht Teil der angemessenen Kosten der Unterkunft ist. Hinsichtlich der Heizkosten in der von den Antragstellerinnen angegebenen Höhe von 220,00 Euro haben diese zwar keine Rechnungen des Energieversorgers vorgelegt, um diesen Betrag zu belegen. Angesichts der vorliegenden eidesstattlichen Versicherung geht das Gericht jedoch davon aus, dass diese monatliche Höhe glaubhaft gemacht ist. Für die von der Antragsgegnerin zu 1. abgesetzte Pauschale von 30,00 Euro verbleibt kein Raum, da die privaten Versicherungen bei der oben genannten Berechnung bereits in voller Höhe berücksichtigt wurden. Von den Gesamtmieteinnahmen in Höhe von 350,00 Euro monatlich ist daher ein Betrag von 148,84 Euro monatlich abzusetzen, was zu einem anrechenbaren Einkommen von 201,16 Euro monatlich führt.

18

Da die Antragsgegnerin zu 1. der Antragstellerin nur ein Einkommen aus Vermietung in Höhe von 195,80 Euro anrechnet, ist diese Berechnung zwar unzutreffend, die Antragstellerinnen sind hierdurch jedoch nicht beschwert.

19

b) Gegen den Antragsgegner zu 2. wurde ein Anspruch in Höhe von 595,40 Euro als zu leistende Kosten der Unterkunft glaubhaft gemacht. Hinsichtlich der Berechnungen, insbesondere der Anrechnung der Einnahme aus Vermietung, wird auf das unter 2a) Gesagte verwiesen. Weiter ist hinzuzufügen, dass bei der Berechnung der Kosten der Unterkunft diejenigen Anteile für die Schuldzinsen, die Neben- und die Heizkosten, die auf den von den Antragstellerinnen nicht bewohnten und vermieteten Wohnflächenanteil von 51 Quadratmetern (= 20 %) von den zugunsten der Antragstellerinnen die zu berücksichtigenden Kosten der Unterkunft und Heizung abzusetzen sind.

20

Unter Zugrundelegung der Angaben der Antragstellerinnen, wobei der Betrag von 50,00 Euro als Instandhaltungsrücklage abzuziehen ist (siehe oben) ergeben sich Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 595,39 Euro.

21

Ausgehend von diesem Ansatz ist das von den Antragstellerinnen derzeit bewohnte Haus mit einer auf sie entfallenden Wohnfläche von 197,78 Quadratmetern trotz der Größe angemessen im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

22

Für die Angemessenheitsprüfung ist auf das örtliche Mietzinsniveau und dort jeweils auf den unteren Bereich der marktüblichen Wohnungsmiete für nach Größe und Wohnstand zu berücksichtigende Wohnung abzustellen. Der zu entrichtende Mietzins wird dabei insbesondere durch die Wohnungsgröße und das jeweilige örtliche Mietniveau bestimmt. Für die berücksichtigungsfähige Wohnfläche orientiert sich die Rechtssprechung an den Verwaltungsvorschriften zur Förderungswürdigkeit im sozialen Wohnungsbau. Hiernach ist bei Wohnungen für bis zu 4 Personen Wohnräume von bis zu 90 Quadratmetern vorgesehen (Berlit in LPK - SGB II, Randziffern 27,28 § 22). Im Hinblick darauf, dass insbesondere die Antragstellerin zu 4. schwer erkrankt ist und auch die Antragstellerinnen zu 2. und 3. unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden, ist davon auszugehen, dass die angemessene Wohnfläche sich hierdurch erhöht. Darüber hinaus haben die Antragstellerinnen vorgetragen, sie würden nicht die gesamte Restwohnfläche nutzen, da es sich um ein altes Bauernhaus mit vielen überflüssigen langen Fluren und teilweise nicht genutzten Abstellräumen handelt. Jedenfalls im Rahmen des Eilverfahrens ist davon auszugehen, dass es sich um eine in der Größe angemessene Wohnung für die Antragstellerinnen handelt.

23

Für die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen der Wohnunterkunft ist auf die Miethöchstgrenzen der rechten Spalte der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz zurückzugreifen. Im vorliegenden Fall (vierköpfige Familie im H., Mietenstufe II) ergibt dies einen Höchstbetrag von 475,00 Euro monatlich. Die tatsächlichen Kosten der Antragstellerinnen (ohne Heizkosten) liegen mit 419, 40 (= 4/5 der Kosten für Zinsen und Nebenkosten ohne Heizung) unter diesem Betrag. Hinzu kommt ein Anteil von 176.- EUR an Heizkosten, der von der Kammer in dieser Höhe für angemessen gehalten wird, da es sich einerseits um ein altes Bauernhaus ohne moderne Dämmung handelt und andererseits ein erhöhtes Wärmebedürfnis der Kinder glaubhaft gemacht wurde.

24

Den Antragstellerinnen steht daher ein Betrag von 4/5 der tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft sowie 4/5 der Heizkosten zu. Im Ergebnis ist dies ein Betrag in Höhe von 595,40 Euro monatlich. Insoweit war der Antrag erfolgreich. Im Übrigen war er aus den oben genannten Gründen abzulehnen.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 183, 193 SGG.