Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 04.06.2007, Az.: S 30 AS 618/07 ER

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
04.06.2007
Aktenzeichen
S 30 AS 618/07 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 61591
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:0604.S30AS618.07ER.0A

Tenor:

  1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückzahlung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 654,60 EUR bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 30. September 2007, zu zahlen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

    Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt E., F., beigeordnet.

    Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 2/3.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin und ihr Sohn beziehen seit dem Jahr 2005 Leistungen nach dem SGB II. Sie bewohnten zuvor eine andere Wohnung, hinsichtlich derer sie von der Antragsgegnerin eine Senkungsaufforderung erhielten. Die Antragstellerin verzog daraufhin im Dezember 2006 in die jetzt bewohnte Wohnung Elbblick 11 in G ... Zuvor hatte sie von einer Mitarbeiterin der Antragsgegnerin die mündliche Auskunft erhalten, diese Wohnung sei angemessen im Sinne des SGB II.

2

Die jetzt bewohnte Wohnung hat eine Größe von 88 m2. Die Nettomiete beträgt 531,60 EUR, wozu noch 25,00 EUR Müllgebühren und 8,30 EUR Antennengebühren hinzukommen. Hinzu kommen auch monatliche Betriebskosten in Höhe von 65,00 EUR sowie Kosten für die Anmietung einer Garage in Höhe von 36,00 EUR monatlich. Der monatliche Heizkostenvorschuss beträgt 65,00 EUR. Die Antragstellerin lebt mit ihrem Sohn gemeinsam in der Wohnung. Sie hat gegenüber der Antragsgegnerin vorgetragen, sie bilde mit ihrem Sohn eine Wohngemeinschaft. Die Antragsgegnerin ist bei der Bewilligung der Leistungen auch von diesem Vortrag ausgegangen und hat das Bestehen einer Wohngemeinschaft zu Grunde gelegt.

3

Nachdem der Antragstellerin zunächst Leistungen ohne Zugrundelegung einer Wohngemeinschaft bewilligt worden waren, wurden ihr im Rahmen des Widerspruchsverfahrens als Kosten für die neue Wohnung 296,43 EUR monatlich angerechnet. Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat die Antragstellerin Klage erhoben. Zugleich hat sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

4

Die Antragstellerin trägt vor, die zu Grunde gelegten Kosten der Unterkunft und Heizung seien zu niedrig angesetzt. In Höhe der genau hälftigen Mietkosten habe die Antragstellerin mit ihrem Sohn einen Untermietvertrag geschlossen. Die von der Antragsgegnerin für angemessen gehaltene Miete sei zu niedrig, insbesondere entspreche diese nicht den Festlegungen der Rechtsprechung des niedersächsischen Landessozialgerichts, das regelmäßig in Eilfällen von der äußersten rechten Spalte zu § 8 der Wohngeldtabelle ausgeht. Es sei für eine allein stehende Person daher von einer angemessenen Miete von 350,00 EUR zuzüglich Heizung angemessen. Im Übrigen sei der Anspruch der Antragstellerin auch so zu berechnen, dass die Zahlungen des Sohnes als Untermieteinnahmen als Einkommen angerechnet werden müssten. Es sei daher ein Abzug in Höhe von 30,00 EUR hinsichtlich der Versicherungspauschale vorzunehmen, dazu müssten auch die jährlichen Kosten der Kfz-Haftpflicht von 173,86 EUR, monatlich 14,89 EUR abgesetzt werden.

5

Die Antragstellerin beantragt,

  1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 698,37 EUR zu zahlen.

6

Die Antragsgegnerin beantragt,

  1. den Antrag abzulehnen.

7

Zur Begründung beruft sie sich auf den Inhalt ihrer Verwaltungsakten sowie die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

8

II.

Der Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.

9

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.

10

Voraussetzung für den Erlass der hier von der Antragstellerin begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch der Antragstellerin auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

11

Im vorliegenden Fall wurde ein Anordnungsanspruch auf Zahlung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 654, 60 EUR monatlich glaubhaft gemacht.

12

Im Streit ist ausschließlich die Höhe der zu erstattenden Kosten der Unterkunft und Heizung. Diese wurden für die Antragstellerin in Höhe von monatlich 309,60 EUR glaubhaft gemacht.

13

Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.

14

Die Miete für die gesamte Wohnung, die die Antragstellerin gemeinsam mit ihrem Sohn bewohnt, beläuft sich zuzüglich Heizkosten auf 694,90 EUR monatlich. Hinzu kommen 36,00 EUR Kosten für einen Garagenplatz. In dieser Höhe sind die Kosten für die Antragstellerin unangemessen hoch. Zur Senkung der Unterkunftskosten hat die Antragstellerin daher einen Untermietvertrag mit ihrem Sohn geschlossen, der die Hälfte der gesamten anfallenden Kosten trägt. Die der Antragstellerin nunmehr entstehenden Kosten der Unterkunft belaufen sich daher noch auf 347,45 EUR zuzüglich 18,00 EUR Garagenmiete.

15

Bei der Prüfung der Frage, ob diese Kosten angemessen sind, ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um einen klassischen Zwei-Personen-Haushalt handelt, sondern um eine Wohngemeinschaft zwischen der Antragstellerin und ihrem Sohn. Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen kann bei der Beurteilung einer Wohngemeinschaft von zwei Personen, die - wie hier - keine Bedarfsgemeinschaft bilden, einerseits nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um einen klassischen Zwei-Personen-Haushalt handelt (LSG Niedersachsen-Bremen , Beschl. v. 23.03.06, Az.: L 6 AS 96/06). Andererseits kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Werte für zwei Ein-Personen-Hausalte zu Grunde gelegt werden können. Ebenso wenig kann ein abstrakter Mittelwert aus den angemessenen Kosten für zwei einzelne Ein-Personen-Haushalte und für einen Zwei-Personen-Haushalt gebildet werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen , Beschl. v. 17.03.06, Az.: L 8 AS 245/05 ER; ähnlich Bayerisches Landessozialgericht , Beschl. v. 15.09.05, Az.: L 10 B 429/05 AS ER). Denn die Ermittlung des Unterkunfts- und Heizkostenbedarfs anhand eines fiktiven Ein-Personen-Haushaltes würde zu einer Überversorgung der Wohngemeinschaft führen, demgegenüber würde eine Behandlung als Zwei-Personen-Haushalt der besonderen Situation einer Wohngemeinschaft auch nicht gerecht, denn es kann jedenfalls nicht ohne weiteres von annähernd gleichen Lebens- und Wohnverhältnissen einer Wohngemeinschaft einerseits und einer Bedarfsgemeinschaft andererseits ausgegangen werden. Während bei einer reinen Wohngemeinschaft die einzelnen Mitglieder für sich, räumlich getrennt voneinander leben, wenn sie auch in unterschiedlichem Umfang Räume gemeinschaftlich nutzen mögen, kennzeichnet eine Bedarfsgemeinschaft persönliche und damit auch räumliche Nähe (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen , Beschl. v. 23.03.06, Az.: L 6 AS 96/06 ER).

16

Nach Auffassung der Kammer ist es daher sachgerecht, in Wohngemeinschaften von einer Höchstwohnfläche von 40 m2 je Bewohner auszugehen, was sich daraus ergibt, dass von der für einen Ein-Personen-Haushalt nach der Richtlinie über die soziale Wohnraumförderung in Niedersachsen (Runderlass v. 27.06.03 in Ndsmbl. 2003, Seite 580, 582) geltenden Höchstwohnfläche von 50 m2 ein angemessener Abschlag von 10 m2 vorzunehmen ist, der den Vorteilen einer Wohngemeinschaft Rechnung trägt. Denn im Falle einer Wohngemeinschaft ergeben sich Einsparungen gegenüber zweier getrennter Ein-Personen-Haushalte und nicht ein Mehrbedarf gegenüber einem Zwei-Personen-Haushalt. Es ist daher darauf abzustellen, inwieweit der Raumbedarf einer Person durch das Eingehen einer Wohngemeinschaft und die damit einhergehende gemeinschaftliche Nutzung verschiedener Räumlichkeiten effektiv verringert ist. Wenn man davon ausgeht, dass in einer Wohngemeinschaft üblicherweise Küche und Bad sowie Flur gemeinschaftlich genutzt werden, und diese bei einem Ein-Personen-Haushalt nicht den Hauptteil der Wohnung ausmachen, erscheint ein Abschlag von 10 m2 als ausreichend (so auch Sozialgericht Lüneburg , Beschl. v. 11. Juli 2006, Az.: S 25 AS 585/06 ER , Beschl. v. 19. April 2006, Az.: S 24 AS 394/06 ER und Beschl. v. 02. Juni 2006, Az.: S 25 AS 483/06 ER).

17

Unter Zugrundelegung des Quadratmeterpreises nach der Wohngeldtabelle ergibt sich eine angemessene Kaltmiete nebst Nebenkosten ohne Heizkosten für eine Wohnfläche von 40 m2 in Höhe von 280,00 EUR monatlich. Dem liegt ein Quadratmetermietzins in Höhe von 7,00 EUR zugrunde, den das Gericht dadurch ermittelt hat, dass der Wert der Wohngeldtabelle der Mietenstufe 5 für einen Alleinstehenden in Höhe von 350,00 EUR durch die angemessene Wohnfläche von 50 m2 geteilt wird. Wenn nun die der Antragstellerin maximal zuzugestehende Wohnfläche von 40 m2 mit dem so ermittelten Quadratmetermietzins von 7,00 EUR vervielfältigt wird, ergibt dies dem oben errechneten Höchstbetrag für Kaltmiete nebst Nebenkosten ohne Heizkosten in Höhe von 280,00 EUR (hinsichtlich der Berechnung ebenso Sozialgericht Lüneburg , Beschl. v. 11.07.06, Az.: S 25 AS 585/06 ER). Auch die Miete für die Garage hat nach Auffassung der Kammer außer Betracht zu bleiben, da § 22 Abs. 1 SGB II auf die notwendigen Kosten der Unterkunft abstellt. Unterkunft sind bei tatsächlicher Nutzung alle baulichen Anlagen oder Teile hiervon, die tatsächlich geeignet sind, vor den Unbilden der Witterung zu schützen und ein Mindestmaß an Privatheit sicherzustellen (Berlit in LPK SGB II, 2. Auflage, Randnr. 12 zu § 22). Eine Garage fällt nicht hierunter, so dass Garagenmietkosten grundsätzlich nicht als angemessene Kosten der Unterkunft anerkannt werden können.

18

Der tatsächlich entstehende Heizkostenvorschuss in Höhe von 65,00 EUR für die gesamte Wohnung von 88 m2 entspricht Heizkosten von 0,74 EUR je Quadratmeter. Multipliziert mit den der Antragstellerin zustehenden 40 m2 ergeben sich angemessene Heizkosten in Höhe von 29,60 EUR. Insgesamt betragen die angemessenen Kosten der Unterkunft für die Antragstellerin daher 309,60 EUR monatlich. Zuzüglich des Regelsatzes in Höhe von 345,00 EUR ergibt sich ein Anspruch auf monatliche Leistungen in Höhe 654,60 EUR.

19

Ein Anspruch auf höhere Leistungen ergibt sich auch nicht aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, wonach Kosten für Unterkunft und Heizung auch bei Unangemessenheit für sechs Monate zu übernehmen sind. Soweit die Antragstellerin vorträgt, die Antragsgegnerin habe ihr mündlich eine falsche Auskunft hinsichtlich der Angemessenheit gegeben, ist dies nicht zu berücksichtigen, da Rechtswirkungen aus einer Zusage lediglich dann folgen, wenn diese schriftlich erfolgt.

20

Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf höhere Leistungen aufgrund einer Anrechnung von Einnahmen (und entsprechenden Freibeträgen) aus Untervermietung.

21

Soweit die Antragsgegnerin die Zahlungen des Sohnes der Anragstellerin aus dem Mietvertrag als Einkommen angerechnet hat, ist dies unzutreffend erfolgt. Die Antragstellerin hat den Untermietvertrag mit ihrem Sohn abgeschlossen, um ihre - ohne Untermietvertrag - extrem überhöhten Kosten der Unterkunft zu senken. Die Leistungen des Sohnes aus dem Untermietvertrag sind daher als Maßnahme zur Senkung der Unterkunftskosten anzusehen, nicht als Einkommen im Sinne von § 11 SGB II. Würde man diese Zahlungen als Einkommen ansehen wollen, so ergäbe sich, da der Sohn der Antragstellerin ebenfalls Leistungen nach dem SGB II bezieht, die Situation, dass der Sohn der Antragstellerin aufgrund von Leistungen der Antragsgegnerin in die Lage versetzt wird, seine Kosten der Unterkunft zu zahlen und der Antragstellerin aufgrund der Leistungen, die die Antragsgegnerin an ihren Sohn erbringt, Freibeträge angerechnet würden. Dies wäre unsinnig. Wie die Antragstellerin zu Recht vorträgt, hätte sie auch, ebenso wie ihr Sohn, für sich allein eine Wohnung mieten können. Dass sie dies nicht getan hat, geschah ganz offensichtlich aus dem Grund, dass die Kosten der Unterkunft gesenkt werden sollten. Die durch die Senkungsmaßnahme der Antragstellerin entstehenden Kosten der Unterkunft haben sich auf die Hälfte reduziert, wovon von der Antragsgegnerin der angemessene Teil zu übernehmen ist.

22

Da der Antrag teilweise erfolgreich war, hat der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe Erfolg (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO).

23

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.