Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 14.02.2007, Az.: S 30 AS 179/07 ER
Rechtmäßigkeit einer Einstellung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) wegen nicht erfolgter persönlicher Vorsprache beim Arbeitsvermittler; Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 60, 61, 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I)
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 14.02.2007
- Aktenzeichen
- S 30 AS 179/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 65554
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0214.S30AS179.07ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 60 SGB I
- § 61 SGB I
- § 66 SGB I
Tenor:
Die Aufhebung der Vollziehung des Bescheides vom 6. Februar 2007 wird angeordnet. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 345,00 EUR monatlich für den im Bewilligungsbescheid vom 31. Oktober 2006 genannten Zeitraum auszuzahlen.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
I.
Mit Bescheid vom 31. Oktober 2006 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis zum 30. April 2007 in Höhe von 345,00 EUR monatlich. Der Antragsteller war am 02. November 2007 und am 20. November 2006 zu einer persönlichen Vorsprache beim Arbeitsvermittler eingeladen worden. Er erschien nicht. Mit Schreiben vom 22. November 2006 wurde der Antragsteller darum gebeten, bis spätestens zum 9. Dezember 2006 einen Nachweis der Vorsprache bei seinem Arbeitsvermittler vorzulegen. In diesem Schreiben war der Hinweis enthalten, dass bis zur Vorlage eines entsprechenden Nachweises die Zahlung von Arbeitslosengeld II vorerst gestoppt würde. Der Antragsteller legte keinen entsprechenden Nachweis vor. Nach dem Vortrag des Antragstellers wurde seit Januar 2007 kein Arbeitslosengeld II mehr an ihn ausgezahlt. Mit Bescheid vom 6. Februar 2007 wurden die Leistungen ab 1. Januar 2007 nach §§ 60, 61, 66 SGB I vollständig versagt. Begründet wurde dies damit, dass der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei und die Aufklärung des Sachverhaltes erschwert habe. Die Anspruchsvoraussetzungen hätten deshalb nicht geprüft werden können.
Der Antragsteller wendet sich gegen die vollständige Versagung seiner Leistungen. Er begründet dies damit, dass diese bereits für sechs Monate bewilligt worden waren.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden ist. Dies ist hier der Fall. Die Antragsgegnerin hat bereits im Januar die Leistungen eingestellt, ohne dass ein Verwaltungsakt hierüber vorlag. Diese Einstellung erstreckte sich auch auf den Monat Februar.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Versagung der Leistungen im Bescheid vom 6. Februar 2007 war rechtswidrig. Der Antragsteller hat Anspruch auf die Auszahlung der ihm mit Bewilligungsbescheid vom 31. Oktober 2006 bewilligten Leistungen nach dem SGB II in voller gesetzlicher Höhe.
Die Antragsgegnerin stützt die Versagung der Leistungen auf die §§ 60, 61, 66 SGB I. Hiernach sind Personen, die Sozialleistungen beantragen oder erhalten, unter anderem verpflichtet, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers zur mündlichen Erörterung des Antrags oder zur Vornahme anderer für die Entscheidung über die Leistung notwendiger Maßnahmen persönlich zu erscheinen. Kommen die Betreffenden ihren Mitwirkungspflichten nicht nach und wird hierdurch eine Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind.
Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 60, 61, 66 SGB I sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Das Erscheinen des Antragstellers bei seinem Arbeitsvermittler diente der Erörterung der Arbeitsvermittlung des Antragstellers im weitesten Sinne. So sollte z.B. erörtert werden, welche Arbeiten für ihn geeignet wären. Diese Fragen sind jedoch nicht Voraussetzung für die Leistungsgewährung.
Soweit die Antragsgegnerin die Versagung der Leistungen damit begründet, dass der Antragsteller sich nicht zu dem in § 61 SGB I normierten Gespräch eingefunden hat, ist darauf hinzuweisen, dass dieses Gespräch nicht, wie im Gesetz vorgesehen, der mündlichen Erörterung des Leistungsantrags diente, sondern der Arbeitsvermittlung des Antragstellers. Das terminierte Gespräch verfolgte daher nicht den Zweck, zu ermitteln, ob die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung vorlagen. Dass der Antragsteller hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II ist, stand bereits fest. Aus diesem Grund hatte die Beklagte über den Folgeantrag des Antragstellers auch positiv entschieden. Es fehlten ihr keine Angaben über dessen Bedürftigkeit, Einkommen oder Vermögen oder Kosten der Unterkunft. Die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung waren daher bereits gegeben. Die Antragsgegnerin verfügte bereits über alle notwendigen Informationen, um zu entscheiden, ob dem Antragsteller grundsätzlich Leistungen zustehen oder nicht. Diese Frage hat sie selbst im Bescheid vom 31. Oktober 2006 positiv beantwortet. Insoweit können dem Antragsteller keine Mitwirkungspflichten auferlegt werden. Eine Versagung der Leistungen auf dieser Grundlage ist rechtswidrig.
Soweit der Antragsteller wiederholt Aufforderungen zum Gespräch mit seinem Arbeitsvermittler nicht nachkommt, steht der Antragsgegnerin hierfür das in § 31 SGB II normierte Instrumentarium zur Verfügung. Die gänzliche Versagung von Leistungen nach §§ 60, 61, 66 SGB I ist für diese Fälle nicht vorgesehen. Will die Antragsgegnerin auf den Antragsteller stärkeren Druck ausüben, damit dieser seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Arbeitsvermittlung nachkommt, hat sie sich hierfür auf die zutreffenden gesetzlichen Grundlagen, nämlich § 31 SGB II i.V.m. den dort genannten Vorschriften des SGB III zu stützen. Eine gänzliche Versagung von Leistungen ist nicht vorgesehen; insbesondere ist in § 31 SGB II geregelt, dass der Leistungsträger bei Minderung der Leistungen in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen erbringen kann. Die Regelung der §§ 60, 61, 66 SGB I ist nicht als Sanktion für pflichtwidriges Verhalten im Bereich der Arbeitsvermittlung vorgesehen.
Da der Bescheid vom 6. Februar 2007 rechtswidrig ist, war die Vollziehung aufzuheben. Da im übrigen bereits ein Bewilligungsbescheid vorliegt, hat das Gericht, um dem Rechtsschutzinteresse des Antragstellers Genüge zu tun, festgestellt, dass die Leistungen aus diesem Bescheid gegenüber dem Antragsteller zu erbringen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.