Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 11.05.2007, Az.: S 15 SB 165/04
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 11.05.2007
- Aktenzeichen
- S 15 SB 165/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 61597
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0511.S15SB165.04.0A
Rechtsgrundlagen
- RVG § 14
- RVG § 14 Abs. 1
- RVG § 3 Abs. 1
- RVG § 3
Tenor:
Unter Zurückweisung der Erinnerungen des Klägers und des Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 10. Oktober 2006 - Az.: S 15 SB 165/04 - werden die von dem Beklagten an den Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten endgültig auf insgesamt 429,20 EUR festgesetzt.
Dieser Betrag ist seit dem 30. August 2006 mit jährlich fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger von dem Beklagten im Rahmen des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)) zu erstattenden Gebühren im Gerichtsverfahren. Dabei steht (lediglich noch) die Bemessung der fiktiven Terminsgebühr im Streit.
Im zugrunde liegenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Lüneburg (Az.: S 15 SB 205/05) begehrte der Kläger, bei dem der Beklagte auf den Erstfeststellungsantrag vom 08. Januar 2004 einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt hatte, die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft sowie die Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Nach Einholung diverser Befundberichte, sonstiger medizinischer Unterlagen sowie eines medizinischen Sachverständigengutachtens gab der Beklagte mit Schriftsatz vom 14. Juni 2006 ein Anerkenntnis ab, verpflichtete sich, bei dem Kläger einen GdB von 50 ab Januar 2004 sowie ab dem gleichen Zeitpunkt die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen und erklärte sich bereit, die Kosten des Rechtsstreits in voller Höhe zu erstatten. Dieses Anerkenntnis nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 30. Juni 2006 an.
Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2006 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Kosten für das erstinstanzliche Klageverfahren in Höhe von 545,20 EUR geltend gemacht, die sich wie folgt zusammensetzen:
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV-RVG 250,00 EUR Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV-RVG 200,00 EUR Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG 20,00 EUR 16 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG 75,20 EUR Gesamtbetrag 545,20 EUR
Mit Beschluss vom 10. Oktober 2006 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die von dem Beklagten dem Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für das Klageverfahren unter Berücksichtigung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG in Höhe von 250,00 EUR, einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 100,00 EUR nebst Auslagenpauschale sowie der auf diese Beträge entfallenden Umsatzsteuer auf insgesamt 429,20 EUR festgesetzt. Hinsichtlich der Terminsgebühr richte sich deren Höhe nach dem Aufwand, den die Prozessbevollmächtigte in einem fiktiven Termin entfaltet hätte. Dieser Umstand rechtfertige unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens - gerichtet auf die Schaffung eines Anreizes für den Rechtsanwalt, ein Anerkenntnis auch außerhalb einer mündlichen Verhandlung anzunehmen - eine Erhöhung der Mindestgebühr auf 100,00 EUR.
Hiergegen hat der Kläger am 16. Oktober 2006 Erinnerung eingelegt. Die Kürzung der Terminsgebühr sei nicht tragfähig, diese sei in Höhe der Mittelgebühr festzusetzen. Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 18. April 2006 (Az.: S 12 SF 12/06). Es sei allgemein anerkannt, dass bei der Bemessung der Höhe der Verfahrensgebühr nach einem Anerkenntnis nicht berücksichtigt werden dürfe, dass infolge des Anerkenntnisses der Aufwand geringer sei. Nach der Systematik des RVG könnten Terminsgebühr und Verfahrensgebühr nicht isoliert betrachtet werden, weil sich die Verfahrensgebühr auf die gesamte anwaltliche Tätigkeit erstrecke. Die anteilige Höhe der Terminsgebühr richte sich nach der anteiligen Höhe der Verfahrensgebühr.
Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2006 hat auch der Beklagte Erinnerung eingelegt und vertritt die Auffassung, die Terminsgebühr sei nur in Höhe der Mindestgebühr festzusetzen, weil eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden habe und nur ein geringster Aufwand entstanden sei. Im Übrigen verweist er insbesondere auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Hannover vom 09. August 2006 (Az.: S 34 SF 65/06).
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat den Erinnerungen nicht abgeholfen und sie der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Erinnerung ist unbegründet.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die hier einzig streitige Gebührenposition der Terminsgebühr zu Recht auf 100,00 EUR festgesetzt.
Die Höhe der nach Durchführung eines Sozialgerichtsverfahrens zu erstattenden Gebühr bestimmt sich grundsätzlich nach dem für die anwaltliche Tätigkeit im Verfahren vor den Sozialgerichten vorgesehenen Gebührenrahmen (§ 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte - Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)). Die Bestimmung der im Einzelfall angemessenen Gebühr ist gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG dem billigen Ermessen des Prozessbevollmächtigten überlassen, wobei nach dem Gesetzeswortlaut alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers zu berücksichtigen sind. Das Haftungsrisiko ist nach § 14 Abs. 1 S. 3 RVG zu berücksichtigen. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die Gebührenbestimmung des Prozessbevollmächtigten gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Der Prozessbevollmächtigte hat bei der Festsetzung der Gebühr Ermessen auszuüben und alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl. 2004, § 14 RVG Rn. 12).
Ausgehend von diesen Grundsätzen gilt Folgendes:
Die Bestimmung der Terminsgebühr in Höhe der Mittelgebühr ist nicht verbindlich, weil sie unbillig ist. Demgegenüber hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Terminsgebühr kostenrechtlich zutreffend erfasst und zu Recht auf einen Betrag in Höhe von 100,00 EUR festgesetzt.
Der Rechtsstreit wurde durch die Annahme eines Anerkenntnisses beendet, so dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat. Eine Terminsgebühr nach Ziffer 3106 VV-RVG ist dennoch entstanden.
Durch die Regelung der Nr. 3106 VV-RVG (Ziffern 1 bis 3) soll - darauf hat der Urkundsbeamte bereits zutreffend hingewiesen - verhindert werden, dass gerichtliche Termine allein zur Wahrung des Gebührenanspruchs stattfinden müssen; sie bietet einen Anreiz für den Rechtsanwalt, auf die Durchführung des Termins zu verzichten. Die Anwendung der Grundsätze des § 14 RVG auf die "fiktive" Terminsgebühr nach Ziffer 3106 Nr. 1 bis 3 VV RVG ist mit dem Problem behaftet, dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat und dessen Schwierigkeit und Aufwand für den Prozessbevollmächtigten damit nicht bewertet werden können. Die Kammer hält an ihrer bisherigen Rechtsauffassung, wonach sich die Höhe der Terminsgebühr an der Höhe der Verfahrensgebühr zu orientieren habe, nicht mehr fest (vgl. noch Beschlüsse der erkennenden Kammer vom 12. Juni 2006, - S 25 SF 12/06 - und S 25 SF 13/06 -) und teilt nunmehr auch die Auffassung des Sozialgerichts Hannover (vgl. u. a. Beschluss vom 20. Dezember 2005, - S 34 SF 119/05 -) und des Sozialgerichts Lüneburg (vgl. Beschluss vom 29. August 2006, - S 5 SF 79/06 - und Beschluss vom 29. August 2006, - S 14 SF 42/06 -), wonach bei der Bemessung der Terminsgebühr auf den hypothetischen Aufwand abzustellen ist, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre. Somit ist eine fiktive Vergleichsbetrachtung anzustellen, in welcher Höhe ein Gebührenanspruch voraussichtlich entstanden wäre, wenn ein Termin stattgefunden hätte (vgl. auch Beschlüsse der erkennenden Kammer vom 19. April 2007 - S 15 SF 48/06 -, vom 20. April 2007 - S 15 SF 141/04 - sowie vom 02. Mai 2007 - S 15 SF 51/06 -).
Das Gesetz eröffnet in Ziffer 3106 VV-RVG daher erneut den Gebührenrahmen in vollem Umfang und knüpft nicht an die Höhe der Verhandlungsgebühr an. Gäbe es für die Festlegung der Terminsgebühr nicht die Möglichkeit einer eigenständigen Festsetzung unter Beachtung der in § 14 RVG festgelegten Kriterien, hätte es der Eröffnung eines Gebührenrahmens nicht bedurft. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Normgeber in denjenigen Fällen, in denen keine Betragsrahmengebühren entstehen einen festen Wert - nämlich nach Nr. 3104 VV-RVG einen solchen von 1,2 - festgeschrieben hat. Insoweit ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht immer dann, wenn es um die Abgeltung der fiktiven Terminsgebühr geht, quasi automatisch nur die Mindestgebühr gerechtfertigt. Anderenfalls hätte der Normgeber auch bei der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG einen bestimmten Betrag festgeschrieben wie er es beispielsweise bei den Angelegenheiten der Beratungshilfe nach Nr. 2600 ff. VV-RVG, in Strafsachen bei den Gebühren des gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts nach den Nr. 4100 ff. VV-RVG oder den sonstigen Verfahren nach den Nr. 6100 ff. VV-RVG getan hat. Auch wenn in diesen Verfahren keine Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen, war sich der Normgeber offensichtlich durchaus der Möglichkeit der Festschreibung von Gebührenbeträgen bewusst.
Wenn danach auch bei der fiktiven Terminsgebühr von einem Gebührenrahmen zwischen 20,00 EUR und 380,00 EUR auszugehen ist, ergibt eine auf einen hypothetischen Termin bezogene Abwägung der Kriterien des § 14 RVG, dass insoweit eine unterdurchschnittliche Angelegenheit vorliegt. Dem Anwalt steht die Mittelgebühr hinsichtlich der Terminsgebühr für Termine mit durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem Aufwand und durchschnittlicher Bedeutung für den Mandanten zu. Entscheidend ist eine Gesamtabwägung. Es müssen sämtliche den Gebührenanspruch potentiell beeinträchtigenden Faktoren miteinander und gegeneinander im Einzelfall abgewogen werden.
Unter Beachtung aller Abwägungskriterien, die für die Verfahrensgebühr nach der übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten die Mittelgebühr rechtfertigt, erscheint eine Terminsgebühr in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr angemessen.
Dabei ist der anwaltliche Aufwand für den nicht stattgefundenen entbehrlichen Termin als weit unterdurchschnittlich zu werten. Bei der fiktiven Terminsgebühr nach Ziffer 3106 Nr. 3 VV RVG - also bei Erledigung durch angenommenes Anerkenntnis - besteht die Besonderheit, dass ein Anerkenntnis vorliegt, das im (hypothetischen) Termin lediglich noch der Annahme bedurft hätte, ein solcher Termin insoweit mit keinem besonderen Aufwand verbunden gewesen wäre. Sinn und Zweck des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ist in erster Linie die sachgerechte Vergütung (des Aufwands) für den Bevollmächtigten. Diese ist aber erfahrensgemäß sehr unterschiedlich, je nachdem, ob er an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen muss oder nicht. Nimmt der Mandant ein Anerkenntnis der Gegenseite an, führt dies auch beim Bevollmächtigten zu einer erheblichen Reduzierung seines Aufwands in diesem Verfahren. Die Annahme des Anerkenntnisses kann er dem Gericht in einem kurzen Schriftsatz mitteilen. Der im Vergleich zur notwendigen Teilnahme einer mündlichen Verhandlung also deutlich verminderte Aufwand kann gebührenrechtlich nicht außer Betracht bleiben. Unberücksichtigt bleiben darf dabei auch nicht, dass eine mündliche Verhandlung, welche regelmäßig eine zusätzliche Vorbesprechung, Vorbereitung und Terminswahrnehmung mit - je nach Einzelfall unterschiedlich aufwändigem - Hin- und Rückweg nicht stattgefunden hat. In der Zusammenschau sieht das Gericht deshalb den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit insoweit als weit unterdurchschnittlich an.
Da bei der Bemessung auch der Terminsgebühr gemäß § 14 RVG jedoch alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, kann andererseits auch nicht allein auf den zu erwartenden geringen Aufwand allein abgestellt werden.
Indes erscheint auch der Schwierigkeitsgrad eines entsprechenden Termins unterdurchschnittlich. Streitig war zwar insoweit die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft und der Zuerkennung des Merkzeichens "G". Gemessen an dem Schwierigkeitsgrad der sonstigen bei den Sozialgerichten zu verhandelnden Rechtsstreitigkeiten auch im Schwerbehindertenrecht, in dem im Termin medizinische Unterlagen und regelmäßig ein ausführliches schriftliches Sachverständigengutachten auszuwerten und zu erörtern sind sowie gegebenenfalls eine Anhörung der Beteiligten erforderlich ist, weicht die Schwierigkeit eines solchen (fiktiven) Termins zweifelsfrei nach unten ab, wobei allerdings nicht zu vernachlässigen ist, dass die Zuerkennung der medizinischen Voraussetzungen für ein Merkzeichen begehrt worden ist und hätte erörtert werden müssen. Auch und gerade darf bei der Bewertung des Schwierigkeitsgrades kostenrechtlich aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beklagte den Kläger klaglos gestellt hat und es in einem etwaigen Termin lediglich noch der Erklärung der Annahme des Anerkenntnisses bedurft hätte. Der vorliegende Termin wäre bezogen auf die Höhe der Terminsgebühr nach alledem mit Sicherheit nicht durchschnittlich schwierig.
Wägt man die dargestellten unterdurchschnittlichen Anforderungen an die hypothetische anwaltliche Tätigkeit mit den durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen und der allenfalls leicht überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger sowie das durchschnittliche Haftungsrisiko gegeneinander ab, ist das vorliegende Streitverfahren auch hinsichtlich der Festsetzung der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 100,00 EUR - mithin in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr - kostenrechtlich angemessen erfasst.
Da die Festsetzung von Verfahrensgebühr, Auslagenpauschale, Mehrwertsteuer und Verzinsung nicht im Streit stand, verbleibt es im Übrigen bei den Festsetzungen im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. Oktober 2006. Auf die dortige zutreffende Berechnung wird zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen Bezug genommen.
Die Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig.