Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 06.11.2007, Az.: S 22 SO 217/06

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
06.11.2007
Aktenzeichen
S 22 SO 217/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71753
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger einen Betrag von 2.517,28 Euro für die Zeit vom 1. Mai 2003 bis 31. Dezember 2004 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 27. November 2006 zu erstatten.

2. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die Teilschuld von 2.838,28 Euro ab dem 27. November 2006 zu zahlen.

3. Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

4. Der Beklagte trägt die Gerichtskosten.

5. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1

Der Kläger erstrebt nunmehr vom Beklagten die Erstattung erbrachter Sozialhilfeleistungen für Frau F. für die Zeit vom 01. Mai 2003 bis 31. Dezember 2004 in Höhe von weiteren 2.517,28 Euro über den bislang anerkannten Betrag hinaus.

2

Die 1955 geborene Frau F. lebte in der Vergangenheit in einer stationären Einrichtung, wobei der Beklagte die Kosten übernahm. Sie zog zum 01. Mai 2003 in eine Wohnung im Betreuten Wohnen des G. im Zuständigkeitsbereich des Klägers in H..

3

Für die Zeit vom 01. Mai 2003 bis 28. Februar 2005 erhielt sie Sozialhilfeleistungen nach dem BSHG bzw. ab 01. Januar 2005 Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. So bezog sie im Monat Mai 2003 Sozialhilfeleistungen in Höhe von 466,25 Euro (Bl. 8 bis 9 der Verwaltungsakte des Beklagten).

4

Mit Schreiben vom 01. Juli 2003 meldete der Kläger beim Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 103 BSHG an (Bl. 3 der Verwaltungsakte des Beklagten) und wiederholte dies mit Schreiben vom 23. Februar (Bl. 20 der Verwaltungsakte des Beklagten) und 23. August 2005 (Bl. 24 der Verwaltungsakte des Beklagten) unter Nennung der Anspruchsgrundlage des § 106 SGB XII.

5

Zwischenzeitlich bewilligte der Beklagte der Frau I. rückwirkend ab 01. Mai 2003 Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem GSiG bzw. ab 01. Januar 2005 dem SGB XII.

6

Mit Schreiben vom 31. März 2006 erkannte der Beklagte den Kostenerstattungsanspruch nach § 103 BSHG im gesetzlichen Umfang an (Bl. 85 der Verwaltungsakte des Beklagten). Die für den Beklagten handelnde Stadt Geesthacht verweigerte die Erstattung des beantragten Betrages von 5.324,08 Euro, weil nach Abzug der Hilfen ab dem 01. Januar 2005 die Bagatellgrenze des § 111 BSHG unterschritten sei (Bl. 91 der Verwaltungsakte des Beklagten).

7

Mit Schreiben vom 22. August 2006 erkannte der Beklagte die Kostenerstattungsansprüche ab dem 01. Januar 2005 nach § 106 SGB XII an, verweigerte aber mit Schreiben vom 21. September 2006 die Zahlung (Bl. 108 bis 109 der Verwaltungsakte des Beklagten).

8

Der Kläger hat am 27. November 2006 Klage erhoben.

9

Er trägt vor:

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Es handele sich nicht um 2 separate Ansprüche, sondern um einen Gesamtanspruch für einen zusammen hängenden Zeitraum. § 106 SGB XII sei identisch mit der Vorläufernorm des § 103 BSHG und verfolge denselben Zweck, nämlich den Schutz des Einrichtungsortes. Auch der zugrunde liegende Lebenssachverhalt sei identisch. Der Gesetzgeber des SGB XII habe keinen neuen Anspruch definieren wollen anders als bei § 107 BSHG. Er habe insbesondere nicht den Schutz des Anstaltsortes untergraben wollen. Die Aufschlüsselung der geleisteten Hilfen nach Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe in besonderen Lebenslagen und Grundsicherung ergebe sich aus Bl. 15 der Gerichtsakte. Davon abgezogen sei der Anteil der nicht erstattungsfähigen Grundsicherung.

11

Nachdem der Beklagte die Zahlung eines Betrages von 2.838,30 Euro anerkannt hat, beantragt der Kläger,

12

1. dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,

13

2. den Beklagten zur Zahlung von Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die Teilschuld von 2.838,28 Euro ab dem 27. November 2006 zu verurteilen und

14

3. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger einen Betrag von 2.517,28 Euro für die Zeit vom 01. Mai 2003 bis 31. Dezember 2004 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 27. November 2006 zu erstatten.

15

Der Beklagte beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Er trägt vor:

18

Es sei zwischen Ansprüchen nach dem BSHG und dem SGB XII zu unterscheiden, so dass jeweils die Bagatellgrenze erreicht sein müsse. Denn es seien Hilfen nach dem jeweiligen Gesetzbuch zu erstatten.

19

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

20

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst beigezogener Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierauf gemäß § 124 Abs. 2 SGG verzichtet haben.

22

Die als Leistungsklage erhobene Klage hat Erfolg.

23

Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Erstattung aufgewendeter Sozialhilfeleistungen für Frau I. auch für den Zeitraum vom 01. Mai 2003 bis 31. Dezember 2004 in Höhe von weiteren 2.517,28 Euro aus § 103 Absatz 3 BSHG, das für den Streit befangenen Zeitraum Geltung hatte.

24

Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind erfüllt. Frau I. hat eine stationäre Einrichtung im Sinne von § 97 Absatz 2 BSHG verlassen und innerhalb eines Monats Sozialhilfe von einem örtlichen Träger der Sozialhilfe, dem Kläger, beansprucht. Die Kostenerstattungspflicht trifft nach § 103 Absatz 3 Satz 1 BSHG denjenigen Sozialhilfeträger, der zuvor für die stationäre Unterbringung zuständig war, dem Beklagten.

25

Die Hilfegewährung war auch rechtmäßig und entsprach dem Interessewahrungsgrundsatz ( vgl. Grube/ Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, § 110, Rdn. 7). Dies stellt der Beklagte auch nunmehr nicht mehr in Frage.

26

Dem Erstattungsanspruch steht auch nicht § 111 Absatz 2 Satz 1 BSHG entgegen, weil bei der Festlegung der Bagatellgrenze auf den gesamten Leistungszeitraum vom 01. Mai 2003 bis 30. April 2005 abzustellen ist. Für die Zeit ab 01. Januar 2005 hat der Beklagte den Kostenerstattungsanspruch grundsätzlich nach § 106 Absatz 3 SGB XII anerkannt. Der Kläger hat zu Recht darauf hingewiesen, dass § 106 Absatz 3 SGB XII und die Vorläufernorm § 103 Absatz 3 BSHG wortgleich sind und auch den identischen Regelungszweck haben, nämlich den Einrichtungsort zu privilegieren (vgl. auch § 109 BSHG). Diese Wertung des Gesetzgebers liegt der gesetzlichen Normierung zugrund und stellt ein Strukturprinzip im Übergangsbereich zwischen ambulanten und stationären Maßnahmen dar. Es erscheint als lebensfremd den Erstattungszeitraum mit Inkrafttreten des SGB XII zu zertrennen und das Überschreiten der Bagatellgrenze für beide Teilansprüche zu verlangen. Der Gesetzgeber hat dies erkennbar nicht gewollt und keine Übergangsnorm geschaffen. Auch hat er nicht eine derartige Regelungsabsicht in § 111 BSHG bzw. § 110 SGB XII verankert, obgleich ihm die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes geläufig war. Dieses hat mit Urteil vom 13. Mai 2004 ( - 5 C 51/02 -) festgestellt, dass in sich abgeschlossen das an das Leistungsverhältnis anknüpfende Erstattungsverhältnis in den Fällen bei Kostenerstattung nach Umzug ist, wenn in Bezug auf das Erstattungsverhältnis erhebliche Veränderungen des Sachverhaltes nicht mehr möglich sind. Dies gelte insbesondere im Rahmen von § 107 Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 BSHG, wenn die Hilfe zum Lebensunterhalt für mehr als 2 Monate unterbrochen wurde. Eine solche tatsächliche Zäsur ist im vorliegenden Kontext nicht erkennbar.

27

Die Regelung des § 110 Absatz 2 SGB XII gilt auch für die Erstattung eines vor Inkrafttreten von Gesetzesänderungen begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Erstattungsverfahrens (vgl. LPK - SGB XII - Schoch, § 110, Rdn. 18).

28

Darüber hinaus kann der Erstattungsberechtigte den Zeitraum von 12 Monaten selbst bestimmen, innerhalb dessen der Bagatellbetrag überschritten ein muss (vgl. LPK - BSHG - Schoch § 111, Rdn. 19). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Bagatellgrenze in den ersten 12 Monaten nicht überschritten ist (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. September 2002, - 5 C 1/02 -; Schellhorn/ Schellhorn/ Hohm, Kommentar zum SGB XII, § 110, Rdn. 24).

29

Hier ist am Ende des zusammenhängenden Zeitraumes, das heißt innerhalb von 4 Monaten der Bagatellbetrag von 2560,-- Euro überschritten worden. Eine Aufteilung nach Zeitabschnitten ist ebenso wie eine Aufgliederung nach Einzelhilfen abzulehnen und ist vom Wortlaut des § 111 Absatz BSHG bzw. § 110 Absatz 2 SGB X nicht gedeckt (Schellhorn/ Schellhorn/ Hohm, aaO. Rdn. 26). Jede Auslegung findet im klaren Wort einer Norm seine Grenze.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.

31

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer des Beklagten unter 5.000,-- Euro liegt. Die Berufung wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichtes, des Bundessozialgerichtes, des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe abweicht.