Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 20.03.2007, Az.: S 34 R 360/06

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
20.03.2007
Aktenzeichen
S 34 R 360/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 61620
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:0320.S34R360.06.0A

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt von der Beklagten die Zuerkennung von Kindererziehungs- bzw. Kinderberücksichtigungszeiten in seinem eigenen Versicherungsverlauf.

2

Der Kläger ist neben seiner verstorbenen Ehefrau Elternteil seiner am 28. März 1972 geborenen Tochter H ... 1976 wurde die Ehe geschieden. Die Elternteile gaben keine übereinstimmende Erklärung gemäß § 56 Absatz 2 Satz 3 SGB VI ab, welchem Elternteil die Kindererziehungszeiten im Versicherungsverlauf anzurechnen seien.

3

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 28. Oktober 2005 (Bl. 51 der Verwaltungsakte) die Versicherungszeiten in Form der Erziehungszeiten bis Ende 1998 fest. Die Beklagte erkannte die Zeit vom 01. April 1972 bis 31. März 1973 nicht als Kindererziehungszeit an. Die Beklagte erkannte auch die Zeit vom 28. März 1972 bis zum 27. März 1982 nicht als Berücksichtigungszeit an, weil diese Zeit ebenfalls bereits beim anderen Elternteil anerkannt worden sei.

4

Dagegen legte der Kläger am 30. November 2005 Widerspruch ein (Bl. 33 der Verwaltungsakte), den er im Wesentlichen wie folgt begründete:

5

Es sei keine übereinstimmende Erklärung hinsichtlich der Zuordnung der streitigen Zeiten abgegeben worden. Er habe die Tochter gemeinsam mit seiner ehemaligen Ehefrau zu etwa gleichen Zeiten erzogen und betreut. Tagsüber sei die Tochter wegen der Erwerbstätigkeit ihrer Eltern von den Großeltern betreut worden. Deshalb sei die Zuweisung der Zeiten ausschließlich an die Ehefrau fehlerhaft. Es hätte vielmehr eine Teilung der Kindererziehungszeiten erfolgen müssen.

6

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2006 (Bl. 57 der Verwaltungsakte) zurück und begründete dies folgendermaßen:

7

Die Elternzeit könne wegen § 56 Absatz 2 Satz 2 SGB VI nur einem Elternteil zugeordnet werden. Gemäß § 249 SGB VI gilt für die Zeit vor 1986 die Rechtslage, nach der bei Fehlen einer übereinstimmenden Erklärung der Elternteile die Kindererziehungszeit nach § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI dem Elternteil anzurechnen sei, welches das Kind objektiv überwiegend erzogen habe. Seien die Anteile in etwa gleichwertig sei die Kindererziehungszeit gemäß § 56 Absatz 2 Satz 8 SGB VI der Mutter zuzuordnen. Der Kläger habe keinen Nachweis hinsichtlich seines überwiegenden Erziehungsanteiles erbracht.

8

Der Kläger hat am 01. August 2006 Klage erhoben.

9

Er trägt vor:

10

Die Zuweisung der Kindererziehungszeiten an die ehemalige Ehefrau sei fehlerhaft. Diese Zuweisung sei nur erfolgt, weil die tatsächlichen Lebensverhältnisse nicht hinreichend gewürdigt worden seien. Es hätte zumindest eine Teilung der Kindererziehungszeiten erfolgen müssen. Gegen die Auffangnorm des § 56 Absatz 2 Satz 8 SGB VI bestünden verfassungsrechtliche Bedenken, weil sie keine Aufteilung der Kindererziehungszeiten vorsähe. Die Zuordnung im Zweifel zur Ehefrau verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot. Im Übrigen ergebe sich die Verfassungswidrigkeit auch aus der Tatsache, dass bei homosexuellen Paaren nicht auf die Norm zurückgegriffen werden könne. Dass bei Ehepaaren nicht von § 56 Absatz 2 Satz 8 SGB VI abgewichen werden könne, stelle einen Verstoß gegen Artikel 6 GG dar.

11

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 28. Oktober 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2006 die Beklagte zu verpflichten, die Kindererziehungszeiten voll dem Kläger zuzuerkennen und die Zuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

12

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Sie trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor.

14

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

16

Der Bescheid des Beklagten vom 28. Oktober 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2006 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten.

17

Rechtsgrundlage für die Zuerkennung von Kindererziehungszeit im Rahmen des Kontenklärungs- und feststellungsverfahrens nach § 149 Absatz 5 SGB VI ist § 56 SGB VI. Die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten ist daran gemäß § 57 SGB VI tatbestandlich gekoppelt (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 15. März 1995, - 5 RJ 28/94 -, SozR 3 - 2600 § 56, Nr. 9).

18

Im Fall des Klägers beträgt die Kindererziehungszeit lediglich 12 Monate, weil sein Kind vor 1992 geboren wurde (§ 249 Absatz 1 SGB VI).

19

Nach § 56 Absatz 2 Satz 2 SGB VI Zeit kann die Kindererziehungszeit grundsätzlich nur einem Elternteil zugeordnet werden. Dies lässt sich mit dem Ziel und Zweck der Regelung begründen, nach dem zum einen die Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung der Frau, zum anderen eine erhöhte Praktikabilität der Regelung und zum dritten eine Beweiserleichterung bei Anknüpfung an die sozialtypische Rollenverteilung beabsichtigt war (vgl. Kasseler - Kommentar - Gürtner zum SGB VI, § 89, Rdn. 38).

20

Die Erziehung des Kindes erfolgte hier unstreitig im Bundesgebiet.

21

Im vorliegenden Fall wurde keine übereinstimmende Erklärung der Eltern nach § 56 Absatz 2 Satz 3 SGB VI abgegeben. Rechtsfolge dessen ist, dass § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI gilt, nach dem die Anrechnung bei dem Elternteil zu erfolgen hat, der das Kind überwiegend erzogen hat. Dabei ist der Sacherhalt von der Beklagten gemäß § 20 SGB X vom Amts wegen aufzuklären, wobei für Zeiten vor dem 01. Januar 1986 eine Glaubhaftmachung des Klägers genügt. Es ist auf den zeitlich größeren Umfang der Kindererziehung abzustellen, wobei der subjektiv - formale Erziehungsbegriff gilt (vgl. Hauck - Haines - Klattenhof, Kommentar zum SGB VI, § 56, Rdn. 20 b; Lilge, Kommentar zum SGB VI, § 56, Nr. 4; LPK - SGB VI - Hirsch § 56, Rdn. 8; Urteil des Bundessozialgerichtes vom 25. Februar 1992, - 4 RA 34/91 -, BSGE 70, 138, 139)

22

Bei Gleichwertigkeit der Anteile der Erziehung oder im Falle der Unaufklärbarkeit erfolgt nach § 56 Absatz 2 Satz 8 SGB VI die Zuordnung der Kindererziehungszeit zur Mutter.

23

Im vorliegenden Fall geht selbst der Kläger davon aus, dass das Kind etwa zu gleichen Anteilen von der Mutter und ihm erzogen wurde, so dass die Beklagte zu Recht der Mutter die Kinderziehungszeit und auch der Anrechnungszeit zugeordnet hat. Für eine Aufteilung der Zeiten, die im Übrigen auch dem Zweck der Regelung widersprechen würde, existiert keine Rechtsgrundlage, die jedoch wegen Artikel 20 Absatz 3 GG zwingend erforderlich wäre.

24

Die Kammer verneint die Verfassungswidrigkeit der angewendeten Vorschrift. Es liegt weder ein Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 1 oder 2 Grundgesetz noch ein solcher gegen Artikel 6 Grundgesetz vor. Dies ergibt sich aus folgendem:

25

Eine Benachteiligung oder nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber homosexuellen Paaren kann nicht vorliegen, weil diese nicht unter die Regelung des § 56 Absatz 2 SGB VI subsumiert werden können. Homosexuelle Paare können bereits begrifflich weder biologisch noch juristisch gemeinsame Elternteile sein.

26

Ein Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz als Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes erscheint ausgeschlossen, weil der Gesetzgeber zulässigerweise zwischen den Geschlechtern differenzieren kann, wenn dies aus sozialtypischen bzw. auf objektiven biologischen und funktionalen (arbeitsteiligen) Unterschieden beruhenden Gründen möglich ist (vgl. Leibholz/ Rink, Kommentar zum Grundgesetz, Artikel 3, Rdn. 2602). Gegen die Verfassungswidrigkeit spricht insbesondere die Tatsache, dass die Eltern durch Abgabe einer übereinstimmenden Erklärung den Eintritt dieser Rechtsfolge gerade verhindern können, also eine entsprechende freie Dispositionsmöglichkeit haben, um im Einzelfall die gewünschte Rechtsfolge herbeizuführen. Darin liegt damit letzten Endes auch kein Verstoß gegen Artikel 6 Grundgesetz. Im Gegenteil dient die Regelung dem Schutz des Elternrechtes, indem Kindererziehungszeiten rentenrechtlich honoriert werden, zumal diese Frage überragende gesamtgesellschaftliche Bedeutung hat. Auch hier liegt kein Ungleichbehandlung mit homosexuellen Paaren vor, weil diese weder unter den Eltern - noch den Familienbegriff subsumiert werden können.

27

Letztlich werden auch Adoptiveltern der vorliegenden Regelung unterworfen, die nach § 1754 BGB stets juristisch Eltern sind (LPK - SGB VI - Hirsch § 56, Rdn. 6; Hauck - Haines - Klattenhoff § 56, Rdn. 20 b). Insoweit geht die Argumentation des Klägers auch in diesem Punkt fehl, so dass sich die Kammer mangels Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 56 Absatz 2 SGB VI bzw. § 57 SGB VI auch nicht veranlasst sah, den vorliegenden Rechtsstreit im Wege einer konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht nach Artikel 100 Grundgesetz vorzulegen.

28

Die Kosten der Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren nach § 63 Absatz 2 SGB X sind nur zu ersetzen, wenn der Widerspruch Erfolg hatte oder hätte haben müssen, was hier aufgrund der vorstehenden Ausführungen nicht der Fall war.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG analog.