Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 03.08.2007, Az.: S 24 AS 1092/07 ER

Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Versagungsbescheid im Zusammenhang mit Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II)

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
03.08.2007
Aktenzeichen
S 24 AS 1092/07 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 65536
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:0803.S24AS1092.07ER.0A

Tenor:

  1. 1.

    Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 27.07.2007 gegen den Versagungsbescheid vom 24.07.2007 wird angeordnet.

  2. 2.

    Den Antragstellern wird auf ihren Antrag Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für die I. Instanz unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. bewilligt.

  3. 3.

    Die außergerichtlichen Kosten trägt die Antragsgegnerin.

Gründe

1

I.

Den Antragstellern wurde durch Bescheid vom 18.06.2007 für die Zeit vom 01.07.2007 bis 31.10.2007 Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) bewilligt. Durch einen Änderungsbescheid vom 28.06.2007 wurden die Leistungen für den genannten Zeitraum herabgesetzt.

2

Durch Schreiben vom 05.07.2007 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu 1. auf, gemeinschaftlichen mit ihrem Ehemann einen Antrag zu stellen. Dieser Aufforderung kam die Antragstellerin zu 1. im Folgenden nicht nach.

3

Mit Bescheid vom 24.07.2007 entzog die Antragsgegnerin die Leistungen der Antragsteller ab dem 01.08.2007 vollständig. Zur Begründung führte sie aus, dass eine gemeinsame Antragstellung mit dem Ehemann der Antragstellerin zu 1. noch immer nicht vorliege. Dadurch sei die Antragstellerin zu 1. ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Die Leistungen seien deshalb zu entziehen.

4

Hiergegen erhoben die Antragsteller am 27.07.2007 Widerspruch und führten zur Begründung aus, dass die Antragstellerin zu 1. von ihrem Ehemann seit über einem Jahr getrennt lebe und der getrennt lebende Ehemann auch nicht in der Wohnung der Antragsteller wohne. Die Antragsteller seien deshalb faktisch nicht in der Lage, den von der ARGE begehrten Mitwirkungspflichten nachzukommen. Der Ehemann der Antragstellerin zu 1. sei unbekannten Aufenthalts, vermutlich habe er keinen festen Wohnsitz.

5

Ebenfalls am 27.07.2007 haben die Antragsteller das Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ersucht.

6

Sie beantragen nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 27.07.2007 gegen den Versagungsbescheid vom 24.07.2007 anzuordnen.

7

II.

Der Antrag der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

8

Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß Satz 2 kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen, wenn der Verwaltungsakt zum Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen worden ist.

9

Die aufschiebende Wirkung ist anzuordnen, wenn der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt wird. Ist die in der Hauptsache zulässige Klage hingegen aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten der Klage nicht abschließend zu beurteilen, erfolgt eine allgemeine Interessenabwägung (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 86b Rz. 12c ff.).

10

Damit ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 27.07.2007 anzuordnen, denn der erhobene Widerspruch wird Erfolg haben.

11

Zunächst entfaltet der Widerspruch der Antragsteller keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Gemäß § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Ein Widerspruch gegen die Entscheidung über die Absenkung und den Wegfall von bereits bewilligten Arbeitslosengeld II (Alg II), entfaltet also keine aufschiebende Wirkung (siehe hierzu auch Eicher in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Auflage, § 39 Rz. 12).

12

Der Versagungsbescheid vom 24.07.2007 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Antragsteller dadurch in ihren subjektiven Rechten. Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen Leistungen ganz oder teilweise versagen, wenn derjenige, der eine Sozialleistung erhält, seiner Mitwirkungspflicht nach den §§ 60 -62 und § 65 SGB I nicht nachkommt und dadurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird. Bei dieser Norm handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Dieses Ermessen wurde im Bescheid vom 24.07.2007 nicht ausgeübt. Der Ermessensnichtgebrauch führt zur Rechtswidrigkeit des Bescheids.

13

Nur der Vollständigkeit halber weist das Gericht darauf hin, dass die Kammer erhebliche Zweifel an der tatsachlichen Verpflichtung der Antragstellerin zu 1. zu der begehrten Mitwirkung hat. Denn bei den Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch handelt es sich nach der Rechtssprechung des Bundessozialrechts (Urteil vom 07.11.2007 - B 7b AS 6/06 R) um Individualansprüche. Dass also eine Bedarfsgemeinschaft tatsächlich verpflichtet ist, einen gemeinschaftlichen Antrag zu stellen, kann die Kammer nicht erkennen. Vielmehr sprechen gute Gründe dafür, dass jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft einen eigenen Antrag stellen kann.

14

Prozesskostenhilfe war hier gemäß § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) zu bewilligen.

15

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.