Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 01.10.2007, Az.: S 2 U 68/03

Anerkennung eines Wegeunfalls bei Unterbrechung des Heimwegs aus sog. eigenwirtschaftlichen Gründen in Form eines Tankaufenthalts

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
01.10.2007
Aktenzeichen
S 2 U 68/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 65535
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:1001.S2U68.03.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Wegeunfalls.

2

Der im Jahr 1972 geborene Kläger ist als Steuerberater bei einer Hamburger Steuerberatungskanzlei beschäftigt und wohnt in K. (Plz. 21379). Am 9. Januar 2003 hatte er in Hamburg in der I. straße ein Mandantengespräch, zu dem er direkt von K. startete. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung hatte er erst bei dieser Fahrt bemerkt, dass die Anzeige des Reservetanks aufleuchtete. Um pünktlich bei seinem Mandanten zu sein, habe er sich vorgenommen, erst bei der Rückfahrt zu tanken. Das Mandantengespräch sei gegen 17.55 Uhr beendet gewesen, so dass er von dort die Rückfahrt nach K. angetreten habe. Da er mit der verbliebenen Tankfüllung K. nicht mehr erreicht hätte, habe er eine Tankstelle in der J. straße in Hamburg aufgesucht und getankt. Danach habe er noch den Reifendruck kontrolliert, wobei er gestürzt und auf die linke Hand gefallen sei. Der Kläger wurde mit dem Rettungswagen in das Allgemeine Krankenhaus St. Georg eingeliefert. Nach dem Durchgangsarztbericht von Prof. Dr. K., ebenda, zog sich der Kläger bei dem Unfall u.a. eine "distale Unterarmextensionsfraktur links" zu. Mit Bescheid vom 7. Februar 2003 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 9. Januar 2003 als Wegeunfall und die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt nicht versichert gewesen sei. Der Heimweg sei für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen gewesen. Versicherungsschutz hätte nur bestanden, wenn es sich bei der Reifendruckmessung um eine unvorhergesehene Maßnahme zur Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit gehandelt hätte. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 20. März 2003 zurückgewiesen.

3

Hiergegen hat der Kläger am 17. April 2003 durch seinen Prozessbevollmächtigten beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg Klage erhoben.

4

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, dass er bereits einige Tage vor dem Unfalltag bemerkt habe, dass sein Kfz nach rechts gezogen habe. Er habe sich vorgenommen, beim nächsten Tankvorgang auch den Reifendruck zu kontrollieren. Hinsichtlich des genauen Wortlauts der Aussagen des Klägers und des Zeugen L. wird vollinhaltlich auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

5

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,

  1. 1.)

    den Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 2003 und den Widerspruchsbescheid vom 20. März 2003 aufzuheben,

  2. 2.)

    festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 9. Januar 2003 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat,

  3. 3.)

    die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Entschädigungsleistungen zu gewähren,

  4. 4.)

    die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Der Entscheidung wurden die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten und die Zeugenaussagen zugrunde gelegt. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, da das Ereignis vom 9. Januar 2003 kein Arbeitsunfall war. Entschädigungsleistungen stehen daher nicht zu.

9

Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Versicherter infolge einer versicherten Tätigkeit erleidet (§ 8 Abs. 1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB VII)). Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit versichert. Allerdings steht nicht jeder Weg, der von der Arbeitsstätte begonnen wird, während der gesamten Zeit bis zur Rückkehr nach Hause unter Versicherungsschutz. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift ist vielmehr erforderlich, dass es sich um den unmittelbaren Weg handelt, was besagt, dass ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Zurücklegung des Weges bestehen muss. Dieser innere Zusammenhang setzt voraus, dass die Zurücklegung des Weges wesentlich dazu zu dienen bestimmt ist, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung die eigene Wohnung zu erreichen. Maßgebend ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG SozR 3-2200 § 550 Nrn. 4 und 16; BSG Urt. v. 9. Dezember 2003, 2 BU 23/03). Fehlt es an einem solchen inneren Zusammenhang, scheidet Versicherungsschutz selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf derselben Strecke ereignet, die der Versicherte auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt.

10

Im vorliegenden Fall bestand zum Unfallzeitpunkt zwischen dem Zurücklegen des Weges und der versicherten Tätigkeit kein innerer Zusammenhang, da der Kläger den Heimweg aus sog. eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen hatte. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG sind nämlich Verrichtungen zur Erhaltung der Fahrbereitschaft des Kfz und das Tanken grundsätzlich nicht versichert, wobei es sich bei einem Tankaufenthalt auch nicht um eine für den Versicherungsschutz unschädliche, ganz geringfügige Unterbrechung handelt (BSG, Urt. v. 11. August 1998 - B 2 U 29/97, abgedruckt im NZS 1999, S. 40, 41). Nur ausnahmsweise kann eine entsprechende Handlung als versichert angesehen werden, wenn das Nachtanken oder die Instandhaltungsmaßnahme während der Fahrt unvorhergesehen notwendig wird, damit der restliche Weg zurückgelegt werden kann. Als brauchbaren Anhaltspunkt für die Notwendigkeit des Tankens hat das BSG die Notwendigkeit, den Reservetank in Anspruch nehmen zu müssen, angesehen (BSG, a.a.O., m.w.N.). Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob diese Voraussetzungen in Bezug auf den Tankvorgang vorliegen, weil zum Unfallzeitpunkt der Tankvorgang schon abgeschlossen war. Der Unfall ereignete sich demgegenüber erst bei der Prüfung des Reifendrucks, die eine vom Tankvorgang unabhängige, weitere eigenwirtschaftliche Handlung darstellt. Dabei mag es zutreffen, dass der Ausgleich des Reifendrucks für die weitere Fahrt notwendig gewesen sein mag. Diese Notwendigkeit war indessen für den Kläger nicht unvorhergesehen. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung hatte er nämlich bereits mehrere Tage vor dem Unfalltag bemerkt, dass sein Fahrzeug nicht in der Spur blieb und das Erfordernis der Reifendruckkontrolle erkannt. Auch in Bezug auf Tätigkeiten zur Aufrechterhaltung der Betriebstätigkeit des Kfz besteht Versicherungsschutz nur dann, wenn die Betriebsunfähigkeit unvorhergesehen auftritt (BSGE 16, 245).

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.