Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 01.03.2007, Az.: S 24 AS 212/07 ER

Berücksichtigung einer Erbschaft bei Bestimmung des sozialhilferechtlichen Einkommens; Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II)

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
01.03.2007
Aktenzeichen
S 24 AS 212/07 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 47235
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:0301.S24AS212.07ER.0A

Fundstellen

  • NWB 2008, 226 (Kurzinformation)
  • ZAP EN-Nr. 0/2008
  • ZAP EN-Nr. 235/2008
  • ZEV 2007, 541-542 (Volltext mit red. LS u. Anm.)

Tenor:

  1. 1.

    Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgewiesen.

  2. 2.

    Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Erbschaft als Vermögen oder Einkommen zu berücksichtigen ist.

2

Die Antragstellerin stand im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II). Der Antragstellerin wurden von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13.07.2006 für den Zeitraum 01.08.2006 bis 31.01.2007 Leistungen in Höhe von monatlich 334,88 EUR bewilligt. Dies waren die Leistungen aus der Regelleistung und der Kosten der Unterkunft und Heizung. Es wurde dabei ein Einkommen der Antragstellerin berücksichtigt.

3

Im September 2006 erhielt die Antragstellerin eine Erbschaft in Höhe von 5.469,33 EUR.

4

Mit Bescheid vom 20.09.2006 hob daraufhin die Antragsgegnerin die Leistungsbewilligung ab dem 01.09.2006 auf. Gleichzeitig wurde für den Monat September der zuvor bewilligte Betrag in Höhe von 334,88 EUR zurückgefordert. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass die Antragstellerin mit der erzielten Erbschaft ihren Bedarf für 16 Monate selber decken könne. Die Erbschaft sei ab September zu berücksichtigen. Die für den Monat September erbrachte Leistung sei deswegen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) zurückzufordern.

5

Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch am 26.09.2006. Das Erbe sei als Vermögen anzusehen, damit stehe ihr gemäß § 12 SGB II pro Lebensjahr ein Freibetrag von 200,00 EUR und ein weiterer Freibetrag für die einmalige Anschaffung diversen Bedarfs in Höhe von 750,00 EUR zu. Die Vorgehensweise der Antragsgegnerin widerspräche dem Gesetz. Mit einem weiteren Schreiben vom 22.01.2007 forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin zu einer Entscheidung auf.

6

Die Antragsgegnerin entschied daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2007, dass der Widerspruch zurück gewiesen wurde. Die Erbschaft sei als Einkommen gemäß § 11 SGB II zu werten, da als Einkommen all das zu werten sei, was jemand während der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhalte.

7

Hiergegen erhob die Antragstellerin am 14.02.2007 Klage. Gleichzeitig ersuchte sie das Gericht um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Sie ist der Ansicht, die Erbschaft sei als Vermögen zu werten, mit der Folge, dass ihr Freibeträge zustünden.

8

Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 14.02.2007 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2007 anzuordnen.

9

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.

10

Sie ist der Auffassung, bei der Erbschaft handele es sich um Einkommen.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.

12

II.

Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet.

13

Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß Satz 2 kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen, wenn der Verwaltungsakt zum Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen worden ist.

14

Die aufschiebende Wirkung ist anzuordnen, wenn der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt wird. Ist die in der Hauptsache zulässige Klage hingegen aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten der Klage nicht abschließend zu beurteilen, erfolgt eine allgemeine Interessenabwägung (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 86b Rz. 12c ff.).

15

Unter diesen Voraussetzungen ist die aufschiebende Wirkung der Klage vom 14.02.2007 nicht anzuordnen, denn die in der Hauptsache zulässige Anfechtungsklage hat keine Aussicht auf Erfolg.

16

Zunächst entfaltet die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt diese aufschiebende Wirkung, in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Gemäß § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Eine Klage gegen die Entscheidung über den Wegfall bereits bewilligten Arbeitslosengeldes II entfaltet also keine aufschiebende Wirkung (siehe hierzu Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 39 Rz. 12).

17

Die aufschiebende Wirkung ist nicht anzuordnen, da eine Anfechtungsklage keine Aussicht auf Erfolg hat. Sie ist nicht begründet.

18

Die Erbschaft der Antragstellerin ist als Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu werten (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.11.2006 - L 6 AS 660/06 ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.11.2006 - L 8 AS 325/06 ER -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 11.09.2006 - L 7 B 468/06 AS PKH -; LSG Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 23.03.2006 - L 20 B 72/06 AS -; andere Ansicht: Brühl in LPK, SGB II, 2. Auflage, § 11 Rz. 9 ohne Begründung).

19

Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der dort sowie in § 11 Abs. 2 und 3 und in § 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung genannten Leistungen und Zuwendungen zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Einkommens (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 16/98 -) zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Arbeitslosenhilfe, ist Einkommen das, was dem Leistungsberechtigten im Zahlungszeitraum des Leistungsempfangs zufließt ("Zuflusstheorie"). Diese Definition ist für die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich übertragbar, mit der Folge, dass Einkommen alles ist, was der Hilfebedürftige während eines Zahlungszeitraums wertmäßig dazu erhält, Vermögen das ist, was er bei Beginn eines Zahlungszeitraums bereits hat (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 11 Rz. 19, LSG Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 23.03.2006 - L 20 B 72/06 AS -). Auch Erbschaften sind deshalb als einmalige Einnahmen als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II einzustufen (andere Ansicht beim Bezug von Arbeitslosenhilfe BSG, Urteil vom 17.03.2005 - B 7a/7 AL 10/04 R).

20

Dieses Ergebnis der sozialhilferechtlichen Definition von Einkommen wird auch durch weitere Überlegungen gestützt.

21

Gestützt wird dieses Ergebnis durch den Wortsinn. Vermögen ist nach einer Definition im Münchener Rechtslexikon Band III, 1. Auflage 1987, die Gesamtheit, der einer Person zustehenden Güter und Rechte von wirtschaftlichem Wert. Nicht zum Vermögen gehören dahingehend Erwerbsaussichten. Für den Erben handelt es sich bei einer Erbschaft bis zum Tag des Erbfalls um eine Erwerbsaussicht, da über die Vermögensgegenstände durch den Erblasser jederzeit verfügt werden kann. Es ist deshalb nahe liegend, eine Erbschaft aus Sicht des Erben nicht als Vermögen, sondern als Einkommen zu betrachten, auch wenn die Kammer nicht verkennt, dass gerade bei Eintritt des Erbfalls diese Erwerbsaussicht sich in ein der Person zustehendes Recht und Gut verwandelt.

22

Auch gestützt wird dieser Ergebnis durch den Grundsatz, das staatliche Leistungen grundsätzlich nachrangig gegenüber anderen Möglichkeiten der Unterhaltssicherung sind, § 2 Abs. 2 SGB II. Dem Erben wird durch eine Erbschaft die Möglichkeit gegeben, seinen Lebensunterhalt aus der Erbschaft zu bestreiten. Die ererbten Beträge sind deshalb vorrangig vor staatlichen Leistungen einzusetzen.

23

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.