Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 26.07.2007, Az.: S 30 AS 919/07 ER
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 26.07.2007
- Aktenzeichen
- S 30 AS 919/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 61637
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0726.S30AS919.07ER.0A
Rechtsgrundlagen
- SGB II § 16 Abs. 3
- SGB II § 31 Abs. 1
- SGB II § 24
- SGB II § 31
- SGB II § 20
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 02. Juli 2007 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2006 - Az.: W 1202/07 - wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückzahlung dazu verpflichtet, dem Antragsteller Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01. Juli 2007 bis zum 30. September 2007 ohne Abzug von Sanktionsbeträgen in Höhe von 1546, 14 EUR monatlich zu zahlen.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin E., F., beigeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Kürzung des Arbeitslosengeldes II um 30 % für die Zeit vom 01. Juli 2007 bis zum 30. September 2007.
Der Antragsteller erhielt mit Schreiben vom 01. November 2006 einen Vermittlungsvorschlag, für den er sich bewerben sollte. In der Folge stellte sich der Antragsteller bei dem Arbeitgeber vor. Da zunächst keine Entscheidung des Arbeitgebers fiel, wurde der Antragsteller von der Antragsgegnerin angeschrieben mit der Bitte, mitzuteilen, ob er noch Interesse an dem Ein-Euro-Job habe. Der Antragsteller antwortete sinngemäß, dass er das Schreiben nicht verstehe. Am 12. Februar 2007 wurde der Antragsteller offenbar erneut angeschrieben und zu einem Vorstellungsgespräch am 19. Februar 2007 eingeladen, wofür er sich zuvor am 15. Februar 2007 die erforderliche Arbeitskleidung abholen sollte. Zu diesem Termin erschien der Antragsteller. Es wurde abgesprochen, dass dieser am 21. Februar 2007 mit der Arbeit beginnen solle. Offenbar erschien der Antragsteller dort am 19. Februar 2007, wurde jedoch zu diesem Zeitpunkt dort nicht erwartet. Offenbar mit Schreiben vom 22. Februar 2007 wurde der Antragsteller aufgefordert, am 28. Februar 2007 mit seiner Tätigkeit beim G. (Arbeitgeber) zu beginnen. Mit Schreiben vom 25. Februar 2007 teilte der Antragsteller mit, dass er der Vorgehensweise der Antragsgegnerin nicht mehr zu folgen vermöge, insbesondere die Terminvorgaben sehr knapp seien. In dem Schreiben wurden beleidigende Äußerungen gegenüber den Mitarbeitern der H. getätigt. Die Antragsgegnerin mahnte den Antragsteller wegen der Beleidigungen ab und forderte ihn auf, derartiges in Zukunft zu unterlassen. Gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, dass der Beginn seiner Arbeitsgelegenheit nunmehr am 28. März 2007 um 7:00 Uhr sei und der Antragsteller wurde aufgefordert, die erforderliche Arbeitskleidung am 23. März 2007 abzuholen. Der Antragsteller erschien nicht zu diesem Termin.
Mit Schreiben vom 28. März 2007 wurde der Antragsteller zu einer Kürzung der Regelleistung angehört. Dem Schreiben war eine Rechtsbehelfsbelehrung und ein Empfangsbekenntnis beigefügt.
Mit Bescheid vom 20. Juni 2007 wurde die Regelleistung des Antragstellers um 30 % gekürzt. Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein, der mit Bescheid vom 25. Juni 2007 zurückgewiesen wurde. Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger Klage erhoben. Am 21. Juni 2007 erging ein Bewilligungsbescheid, in dem dem Antragsteller für die Zeit vom 01. Juli 2007 bis zum 30. September 2007 eine gekürzte Regelleistung bewilligt wurde. Gegen diesen Bewilligungsbescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein, der noch nicht beschieden wurde (Bl. 100 der Verwaltungsakten).
Der Antragsteller trägt vor, er habe ein Schreiben vom 01. November 2006 - das er im Original vorlegt - erhalten, dieses habe jedoch keine Rechtsmittelbelehrung enthalten. Im Übrigen habe er sich zu keinem Zeitpunkt geweigert, eine Arbeit anzunehmen. Von dem ersten Arbeitsangebot sei der Arbeitgeber selbst zurückgetreten. Alle seine Rügen und Anfragen seien unbeantwortet geblieben.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen den Absenkungsbescheid vom 20. Juni 2007 anzuordnen,
sowie,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01. Juli 2007 bis zum 01. Oktober 2007 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruches herzustellen gehe ins Leere, da über den Widerspruch bereits am 25. Juni 2007 entschieden worden sei, so dass kein Rechtsschutzinteresse mehr gegeben sei. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gehe ebenfalls ins Leere, da dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe gewährt würden. Im Übrigen habe der Antragsteller sich geweigert, eine Beschäftigung anzunehmen, an der er offenbar nicht interessiert war. Damit habe er eine ihm angebotene zumutbare Arbeitsgelegenheit nicht angetreten. Dies rechtfertige die Kürzung der Regelleistung. Dass der Antragsteller eine Rechtsbehelfsbelehrung erhalten habe, zeige sich an einem - von der Antragsgegnerin vorgelegten - EDV -Ausdruck, in dem die Übersendung einer Rechtsbehelfsbelehrung gespeichert sei.
II.
Beide Anträge haben Erfolg. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde zwar als "hilfsweise" bezeichnet, wird vom Gericht jedoch als zusätzlicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgelegt. Dieser ist auch zusätzlich zu dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zulässig, da die Antragsgegnerin bereits mit einem weiteren Bewilligungsbescheid vom 21. Juni 2007, der sich nicht in den Akten befindet (nur die Horizontalübersicht), gekürzte Leistungen für die Zeit vom Juli 2007 bis September 2007 gewährt und den Bescheid vom 20. Juni 2007 umgesetzt hat. Da bereits ein Bescheid über die gekürzten Leistungen ergangen ist, hätte es nicht ausgereicht, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Absenkungsbescheid vom 20. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 26. Juni 2007 anzuordnen. Andererseits kann auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht verzichtet werden, denn solange der Kürzungsbescheid fortbesteht, rechtfertigt dieser die gekürzte Bewilligung. Für die Weitergewährung von Leistungen ohne Sanktionskürzung sind gleichermaßen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung und der Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendig.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Kürzungsbescheid ist nicht schon deswegen erfolglos, weil die Antragsgegnerin bereits über den Widerspruch entschieden hat, da der Antragsteller am 02. Juli 2007 gegen den Widerspruchsbescheid Klage erhoben hat. Die Durchführung eines Eilverfahrens ist daher zulässig.
Nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Für die Entscheidung des Gerichts gelten die gleichen Voraussetzungen, nach denen die Verwaltung die Aussetzung vorzunehmen hat, nämlich die in § 86 a Abs. 3 SGG genannten. Danach soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Es ist also eine Abwägung vorzunehmen (vgl. Conradis in LPK-SGB II, 1.Aufl. 2005 Anhang Verfahren Rn. 114; Meyer-Ladewig, Komm. zum SGG, 7. Aufl. 2002, § 86 b Rn. 12).
Im vorliegenden Fall bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes, hier des Absenkungsbescheides vom 20. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 25. Juni 2007.
Nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 d SGB II wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II auszuführen.
Bei der dem Antragsteller angebotenen Arbeitsgelegenheit handelte es sich um eine Arbeit nach § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II, die dieser nicht angetreten hat. Ob der Antragsteller sich geweigert hat, diese Arbeit auszuführen, oder ob die Ursache für den Nichtantritt der Arbeitsgelegenheit bei der Antragsgegnerin liegt, kann letztlich dahingestellt bleiben. Denn nach summarischer Prüfung hat der Antragsteller keine Belehrung über die Rechtsfolgen einer Weigerung erhalten, was Voraussetzung für die Durchführung einer Kürzung ist.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, das Aufforderungsschreiben vom 01. November 2006 enthalte eine Rechtsfolgenbelehrung. Sie hat im Rahmen des vorliegenden Verfahrens einen EDV-Ausdruck vorgelegt, aus dem hervorgehen soll, dass zusammen mit dem Vermittlungsvorschlag eine Rechtsfolgenbelehrung tatsächlich zugesandt wurde. Weiter hat sie eine Rechtsfolgenbelehrung, die oben mit Seite 3 überschrieben ist und ein unausgefülltes Empfangsbekenntnis (es handelt sich hierbei wohl um ein Muster), das mit Seite 4 überschrieben ist, vorgelegt. In den Akten der Antragsgegnerin ist jedoch nicht einmal das Anschreiben vom 01. November 2006 enthalten, schon gar kein Entwurf mit einer beigefügten Rechtsfolgenbelehrung. Der Antragsteller hat angegeben, er habe diese nicht erhalten, und das Anschreiben im Original vorgelegt. Unter diesen Umständen hat er glaubhaft gemacht, dass er über die Rechtsfolgen einer Weigerung nicht belehrt wurde im Sinne von § 31 SGB II.
Der EDV-Ausdruck, den die Antragstellerin vorgelegt hat, ist nicht dazu geeignet, die Übersendung einer Rechtsfolgenbelehrung glaubhaft zu machen oder gar nachzuweisen. Hieraus lässt sich lediglich ersehen, dass im Computer die Angabe "Rechtsfolgenbelehrung" gespeichert wurde. Ob diese tatsächlich übersandt wurde, lässt sich mit Hilfe dieses Ausdrucks nicht nachweisen, da es durchaus möglich ist, dass dies fehlerhaft eingegeben oder die Übersendung nach Eingabe versehentlich vergessen wird. Darüber hinaus fällt auf, dass die Antragsgegnerin mit Anhörungsschreiben vom 28. März 2006 eine Rechtsfolgenbelehrung übersandt hat. Warum dies geschehen ist, ist aus den Akten ebenfalls nicht ersichtlich. Das Schreiben vom 28. März 2006 ist auch nicht vollständig in den Verwaltungsakten enthalten, vielmehr legte die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Rahmen des Verfahrens eine Kopie des vollständigen Schreibens vor. In den Verwaltungsakten befindet sich auf Blatt 40 der Behelfsakte II auch ein vorformuliertes Antwortschreiben des Antragstellers, wie es als Muster von der Antragsgegnerin vorgelegt wurde. Es ist aus dem Schreiben ersichtlich, dass dieses zum Anhörungsschreiben vom 28. März 2007 gehört. Da der Antragsteller in diesem Fall den Erhalt des Schreibens mit dem vorgefertigten Formular bestätigt hat und sich dieses auch in den Akten befindet, spricht Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller das gegebenenfalls auf Seite 4 befindliche Antwortschreiben gemeinsam mit der Rechtsbehelfsbelehrung gerade nicht enthalten hat. Anderenfalls wäre davon auszugehen, dass er dieses ebenfalls zurückgesandt hätte und dieses sich dann in den Akten befände. Im Übrigen sind die ausgesprochen ungeordneten und unvollständigen Akten der Antragsgegnerin grundsätzlich nur schwer geeignet, einen Nachweis über die Zusendung eines bestimmten Schreibens zu führen.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat ebenfalls Erfolg.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Der Antrag ist zulässig, da der Antragsteller gegen den Bewilligungsbescheid vom 21. Juni 2007 Widerspruch eingelegt hat.
Dass dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch zur Seite steht, ergibt sich aus dem oben unter 1. Gesagten. Die Kürzung der Leistungen nach dem SGB II war nach summarischer Prüfung rechtswidrig.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat Erfolg (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.