Sozialgericht Lüneburg
v. 11.06.2007, Az.: S 30 AS 269/07

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
11.06.2007
Aktenzeichen
S 30 AS 269/07
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2007, 61599
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2007:0611.S30AS269.07.0A

Tenor:

  1. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2006 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 22. November 2006, dieser wiederum in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2007 wird bezüglich der Leistungen der Beklagten für Unterkunft und Heizung aufgehoben.

    Der Rechtsstreit wird an die Beklagte zurückverwiesen.

    Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung höherer Leistungen nach dem SGB II, insbesondere die Zahlung höherer Kosten der Unterkunft und Heizung.

2

Der Kläger bezieht seit dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II. Er lebt gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern in D. im Landkreis E ... Er bewohnt dort ein eigenes Haus von 133 m2 Wohnfläche. Nach den von ihm vorgelegten Unterlagen entstehen ihm hierfür folgende Unkosten:

3

- Schuldzinsen für drei Darlehen in Höhe von monatlich durchschnittlich 714,09 EUR / 682,00 EUR (die Schuldzinsen für ein Darlehen werden durch einen Teil der Eigenheimzulage des Klägers finanziert, so dass ein monatlich zu berücksichtigender Betrag in Höhe von 682,00 EUR für Schuldzinsen verbleibt) - Müllabfuhr 10,80 EUR - Frisch- und Abwasser 34,00 EUR - Grundsteuer 29,68 EUR - Schornsteinfeger 6,86 EUR - Gebäudeversicherung 20,19 EUR

4

Insgesamt ergibt sich ein Betrag für Unterkunftskosten ohne Heizkosten in Höhe von 702,35 EUR monatlich. Es entstehen Heizkosten in Höhe von 61,00 EUR monatlich.

5

Mit Bescheid vom 4. Juli 2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger und seiner Familie Leistungen nach dem SGB II und berücksichtigte hierbei als Kosten der Unterkunft und Heizung einen Betrag in Höhe von 648, 30 EUR. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er begründete dies damit, dass die im Bescheid vorgenommene Senkung der Unterkunftskosten zu Unrecht erfolgt sei. Mit Änderungsbescheid vom 22. November 2006 wurden Änderungen bei der Bewilligung aufgrund einer Änderung eines Übergangsgeldes für den Kläger vorgenommen.

6

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2007 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Begründet wurde dies damit, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft, die dem Kläger und seiner Familie entstehen, unangemessen hoch sind. Zur Beurteilung der Angemessenheit der Kosten legte die Beklagte die Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz zugrunde. Hierbei griff sie auf alle Spalten - gestaffelt nach Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit der Wohnung - zurück und schlug jeweils 10 % auf den Wert der jeweiligen Spalte auf.

7

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 26. Februar 2007 Klage beim Sozialgericht Lüneburg.

8

Der Kläger trägt vor, die Berechnung der Kosten der Unterkunft durch die Beklagte sei unzutreffend erfolgt. Insbesondere sei die Zugrundelegung der Wohngeldtabelle unrichtig.

9

Der Kläger beantragt sinngemäß,

  1. den Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2006 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 22. November 2006, diesen wiederum in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, seine Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe zu zahlen.

10

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

11

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und beruft sich zur Begründung auf die von ihr erlassenen Bescheide sowie die Verwaltungsakten. Hinsichtlich der vom Gericht angekündigten Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG trägt sie vor, diese sei nicht zulässig, da es sich im vorliegenden Fall um eine Verpflichtungsklage handele. Darüber hinaus sei die Zurückverweisung auch nicht sachdienlich, da die Beklagte zur Zeit Ermittlungen betreibe, wie hoch die tatsächlichen Kosten der Unterkunft in ihrem Zuständigkeitsbereich sind.

12

Der Kläger stellte am 2. März 2007 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der mit Beschluss vom 16. März 2007 (Az.: S 30 AS 309/07 ER) abgelehnt wurde.

13

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14

Der Rechtsstreit wird durch Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 SGG entschieden, denn die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt. Den Beteiligten ist zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu dieser Entscheidungsform gegeben worden.

15

Die Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2007, in Gestalt des Änderungsbescheides vom 22. November 2006, dieser wiederum in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten.

16

Die Entscheidung der Beklagten ist aufzuheben, da eine weitere Sachaufklärung erforderlich ist und nach Art und Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind.

17

Die Höhe der gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung beruht nach dem eigenen Vortrag der Beklagten auf den Werten der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz, wobei die Beklagte entgegen der Rechtsprechung in Eilverfahren des LSG Niedersachsen - Bremen nicht die äußerste rechte Spalte der Tabelle zugrunde legt, sondern nach Bezugsfertigkeit der Wohnung differenziert. Es ist zwar nach Auffassung der Kammer grundsätzlich zutreffend, dem Eigentümer eines Hauses Leistungen in gleicher Höhe zukommen zu lassen, wie dies bei einem Mieter der Fall wäre. Jedoch beruht im vorliegenden Fall die Höhe der zugrunde gelegten Kosten, die einem Mieter ersetzt würden, auf der Wohngeldtabelle, die nach der Rechtsprechung des BSG ohne vorherige Ermittlungen nicht mehr angewandt werden kann.

18

Das BSG hat die Anwendung der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz ohne weitere Ermittlungen überhaupt als unzutreffenden Maßstab angesehen. In dem Urteil vom 07. November 2006, Az.: B 7b AS 18/06 ER, hat das BSG klargestellt, wie die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu ermitteln ist. Es hat insoweit entschieden, dass die Grundsicherungsträger zu ermitteln haben, wie hoch die jeweiligen örtlichen Mieten sind, wobei auf Mietspiegel bzw. Mietdatenbanken zurückgegriffen werden kann. Dass die Beklagte überhaupt Ermittlungen angestellt hat, ist nicht ersichtlich. Auch wenn für die Stadt und den Landkreis Lüneburg kein Mietspiegel existiert, hätte sie z. B. allgemeine und regelmäßige Erkundigungen bei den großen Vermietern ihres Zuständigkeitsbereichs einziehen können, um die derzeitige Höhe der Miete für angemessenen Wohnraum und die Verfügbarkeit dieses Wohnraums zu ermitteln. Auch die Verfügbarkeit des - ggfs. günstigeren - Wohnraums hat sie nach der Rechtsprechung des BSG zu ermitteln, was offenbar jedoch nicht erfolgt ist. Die von der Beklagten angestellte Prüfung wird jedoch diesen Anforderungen nicht gerecht, erst recht nicht den Anforderungen, die an die Erstellung eines Mietspiegels gestellt werden.

19

Die insoweit noch anzustellenden Ermittlungen würden das Gericht erheblich belasten, da bisher keinerlei Ermittlungen vorgenommen wurden. Auch ist die Beklagte besser als das Gericht in der Lage, derart ausgedehnte Ermittlungen durchzuführen, da es um die Sammlung umfangreicher Daten geht, die auch ständig fortgeschrieben werden müssen. Im übrigen ist die Beklagte als Leistungsträgerin zu der Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft verpflichtet, so dass diese auch in ihrem Interesse erfolgt. Unter diesen Umständen sind die noch anzustellenden Ermittlungen so erheblich, dass das Gericht die Voraussetzungen des § 131 Absatz 5 SGG als gegeben ansieht.

20

Soweit die Beklagte vorträgt, die Anwendung des § 131 Abs. 5 SGG im vorliegenden Fall sei unzulässig, da diese Norm ausschließlich auf Anfechtungsklagen beschränkt sei, ist dies unzutreffend. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat mit Beschluss vom 16. Mai 2007 (Az.: L 6 AS 254/07 ER) hierzu entschieden:

21

Tenor:

22

" Allerdings ist das Rechtsmittel nicht schon deshalb erfolgreich, weil das SG die (kombinierte) Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 131 Abs 5 SGG entschieden hat. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die Anwendung dieser Norm, die im Wortlaut § 113 Abs 3 VwGO entspricht, nicht auf (reine) Anfechtungsklagen beschränkt. Systematische Stellung und insbesondere der in der Gesetzesbegründung verdeutlichte Zweck, einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung auf die Gerichte zu begegnen (BT-Drs 15/1508 S 29 li Sp zu Art 8 zu Nr 1), der bei einer Beschränkung auf (reine) Anfechtungsklagen nicht erreicht würde, sprechen für eine über die Regelungen in § 113 Abs 3 Satz 1 VwGO und § 100 Abs 3 Satz 1 FGO hinausgehende Anwendung auch auf (kombinierte) Anfechtungs- und Leistungs- sowie Verpflichtungsklagen (s auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11. Mai 2005 - L 8 RJ 141/04; Sächs LSG, Urteil vom 26. Oktober 2005 - L 6 SB 43/05; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Juni 2006 - L 4 SB 24/06). ( )

23

Nach § 131 Abs 5 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Die Norm entspricht § 113 Abs 3 Satz 2 VwGO und ist auf Abgaben- und Beitragserhebungen zugeschnitten. Sie soll in Anfechtungssachen eine Vollziehbarkeitslücke, die bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts entstehen könnte, schließen. Denn mit der Aufhebung eines Verwaltungsakts entfiele eine sofortige Vollziehbarkeit. Einem Kläger bliebe dann (zunächst) die Erfüllung von Pflichten erspart. Um diese Lücke zu schließen, kann das Gericht einstweilige Regelungen treffen. Für die Abwägungsentscheidung gelten die gleichen Kriterien wie bei § 80 Abs 5 VwGO und § 86b Abs 1 SGG (vgl Gerhard in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rn 53; Wolff in: Sodan/Ziekow VwGO 2. Aufl 2006 § 113 Rn 385 ff; Meyer-Ladewig SGG § 131 Rn 22).

24

Demgegenüber kommt § 131 Abs 5 Satz 2 SGG bei (kombinierten) Anfechtungs- und Leistungsklagen keine eigenständige Bedeutung zu. Denn durch die (alleinige) Aufhebung eines Verwaltungsakts entsteht hier keine - nicht anderweitig zu schließende - Lücke. Für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes steht das Instrumentarium des § 86b Abs 2 SGG zur Verfügung."

25

Die Kammer folgt der Rechtsprechung des Landessozialgerichtes Niedersachsen - Bremen.

26

Die Aufhebung des Bescheides ist auch sachdienlich. Sachdienlich ist eine Zurückverweisung dann, wenn die begründete Möglichkeit besteht, dass die noch erforderlichen, erheblichen Ermittlungen wegen der personellen und sachlichen Ausstattung der Behörde schneller vor sich gehen als bei Gericht. Zudem müssen bei einer Leistungs- oder Verpflichtungsklage für eine Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG darüber hinaus besondere, übergeordnete Gesichtspunkte hinzu kommen, welche es rechtfertigen, dass der Verpflichtungs- oder Leistungskläger mit der Gefahr einer Verzögerung des Rechtsstreits und der Verfahrensbeendigung ohne Sachentscheidung über die begehrte Vergünstigung belastet wird. Diese liegen nur dann vor, wenn die von der Behörde unterlassene Ermittlung wegen des Interesses der Allgemeinheit an einer funktionierenden Verwaltung nicht mehr hinzunehmen ist, das heißt, wenn die Verwaltung ihre Aufgabe, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, nicht wahrgenommen, sondern unterlassen hat, wenn also keine für die Beurteilung des Streitgegenstandes verwertbare Ermittlung vorliegt und die Sachverhaltsaufklärung der Behörde daher ausgefallen ist (Urteil des Sächsischen Landessozialgerichtes vom 26. Oktober 2005, Az.: L 6 SB 36/05; Urteil des Landessozialgerichtes Rheinland Pfalz vom 14. Juni 2006, Az.: L 4 SB 24/06).

27

Dies ist hier der Fall. Die Beklagte hat bisher keinerlei Ermittlungen angestellt, sondern sich ausschließlich auf Werte der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz berufen. Da die notwendigen Entwicklungen die Möglichkeiten des Gerichts nahezu sprengen würden, ist die Aufhebung auch sachdienlich.

28

Soweit die Beklagte vorträgt, es solle abgewartet werden, bis die Daten erhoben und ausgewertet sind und insoweit das Ruhen des Verfahrens anregt, kann dem nicht gefolgt werden. Der Beklagten ist es offensichtlich bewusst - was durch diese Entscheidung bestätigt wird - , dass die von ihr getroffene Entscheidung ohne vorherige Ermittlungen nicht haltbar ist, da sie nunmehr mit der Erhebung von Daten begonnen hat und diese auszuwerten gedenkt, sobald sie vorliegen. Nach Erhebung und Auswertung aller Daten ist die Beklagte ohnehin von Amts wegen dazu verpflichtet, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und auf der Grundlage der erhobenen Daten neu zu bescheiden. Hierzu bedarf es keiner gerichtlichen Entscheidung.

29

Der Hinweis, dass das Verfahren dann von neuem begonnen werden müsste, ist nicht verständlich. Immerhin ist es auch möglich, dass die durch die Datenerhebung ermittelten Kosten der Unterkunft und Heizung höher sind als bisher von der Beklagten angenommen, so dass der Kläger einen höheren Betrag erhielte oder aber, dass der Kläger den möglicherweise niedrigeren Betrag akzeptiert, weil dieser auf gewonnenen tatsächlichen Daten und nicht auf einer Anwendung der Wohngeldtabelle beruht. In der gewählten Formulierung legt der Vortrag der Beklagten die Vermutung nahe, dass sie die Ergebnisse der Datenerhebung schon vorweg genommen haben könnte. Das Gericht weist daher vorsorglich darauf hin, dass die Datenerhebung sich an den tatsächlichen Verhältnissen zu orientieren hat und nicht an etwaigen Vorgaben, die man erfüllen möchte.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.