Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 15.05.2007, Az.: S 30 AS 599/07 ER
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 15.05.2007
- Aktenzeichen
- S 30 AS 599/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 61606
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2007:0515.S30AS599.07ER.0A
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 27. April 2007 bis 30. September 2007 Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung eines Existenzgründungszuschusses als Einkommen zu zahlen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihr Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung des Existenzgründungszuschusses zu bewilligen.
Die Antragstellerin bezieht Leistungen nach dem SGB II sowie einen Existenzgründungszuschuss nach § 421 l Absatz 1 SGB III. Mit Bescheid vom 15. März 2007 wurden der Antragstellerin für den Zeitraum vom 1. März 2007 bis zum 31. August 2007 keine Leistungen bewilligt. Begründet wurde dies im Bescheid nicht. Da in den Verwaltungsakten der Berechnungsbogen zu dem Bescheid nicht enthalten war, lässt sich diesen nicht entnehmen, aus welchem Grund der Antragstellerin keine Leistungen nach dem SGB II bewilligt wurden. Aufgrund des glaubhaften Vortrages der Antragstellerin sowie den in den Akten enthaltenen weiteren Schreiben und Bescheiden der Antragsgegnerin geht das Gericht davon aus, dass die Leistungen nach dem SGB II versagt wurden, da Existenzgründungszuschuss als Einkommen der Antragstellerin angerechnet wurde.
Gegen den Bescheid hatte die Antragstellerin Widerspruch erhoben, über den mit Bescheid vom 4. Mai 2007 entschieden wurde.
In dem Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2007 der Antragsgegnerin wird davon ausgegangen, dass es sich bei dem Existenzgründungszuschuss nicht um eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 SGB II handele. Aus diesem Grund sei eine Anrechnung rechtmäßig.
II.
Der Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier von der Antragstellerin begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch der Antragstellerin auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Der Antrag ist zulässig. Zwar wurde gegen den Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2007 noch keine Klage beim Sozialgericht Lüneburg eingelegt. Da die Klagefrist jedoch noch nicht verstrichen und eine Klage nach wie vor möglich ist, ist die Durchführung eines Eilverfahrens zulässig. Die Antragstellerin wird darauf hingewiesen, dass sie zur Wahrung ihrer Ansprüche Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2007 einlegen sollte. Sollte keine Klage eingelegt werden, würde der vorliegende Beschluss mit Ablauf der Klagefrist im Widerspruchsbescheid hinfällig.
Im vorliegenden Verfahren wurde ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin hat Anspruch darauf, dass der Existenzgründungszuschuss nach § 421 l Abs. 1 SGB III nicht als Einkommen berücksichtigt wird. Nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II sind als Einkommen nicht zu berücksichtigen Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch gerechtfertigt wären.
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat in seinem Beschluss vom 23. Juni 2005 (Az.: L 8 AS 97/05 ER) zu dieser Frage, bezogen auf den Existenzgründungszuschuss, ausgeführt:
"Der Existenzgründungszuschuss nach § 421l Abs 1 SGB III ist eine zweckbestimmte Einnahme iS des § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II. Er darf demgemäß bei der Bedarfsberechnung zu Lasten der Antragsteller nicht berücksichtigt werden. Der Existenzgründungszuschuss dient nicht der Sicherung des Lebensunterhalts wie die Leistungen des Alg II, sondern anderen Zwecken.
Nach § 421l Abs 1 SGB III haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen (hauptberuflichen) Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, Anspruch auf einen monatlichen Existenzgründungszuschuss. Der Zuschuss wird geleistet, wenn der Existenzgründer (Nr. 1) in einem engen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III bezogen oder eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach dem SGB III gefördert worden ist, (Nr. 2) nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit Arbeitseinkommen nach § 15 des Vierten Buches erzielen wird, das voraussichtlich 25.000,00 EUR im Jahr nicht überschreiten wird. Der Zuschuss wird gemäß § 421l Abs 2 SGB III bis zu drei Jahre erbracht und wird jeweils längstens für ein Jahr bewilligt. Er beträgt im ersten Jahr nach Beendigung der Arbeitslosigkeit monatlich 600,00 EUR, im zweiten Jahr monatlich 360,00 EUR und im dritten Jahr monatlich 240,00 EUR. Die Vorschrift des § 421l SGB III geht zurück auf Vorschläge der sog Hartz-Kommission zur "Ich-AG" bzw "Familien-AG" (vgl dazu Bericht der Hartz-Kommission in Soziale Sicherheit 2002, Seite 254, 259) und ist durch Art 1 Nr 15 des Zweiten Gesetzes für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vom 23. Dezember 2002, BGBl Seite 4621) in das SGB III eingeführt worden; nach Art 17 dieses Gesetzes trat die Vorschrift am 1. Januar 2003 in Kraft. Nach dem Bericht der Hartz-Kommission (aaO) und der Begründung des Gesetzesentwurfes maßgeblichen (Bundestagsdrucksache 15/26, Seite 19 dort § 421m) betrifft die Gewährung des Existenzgründungszuschusses einmal eine neue Form in der Bekämpfung von Schwarzarbeit, weil mittels der Aktivierung von Arbeitslosen im Wege des Existenzgründungszuschusses verhindert werden soll, dass Personen eine Lohnersatzleistung beziehen, welche potenziell den Charakter einer Subvention von Schwarzarbeit besitzt. Weiterhin bezweckt die Vorschrift des § 421l SGB III (vgl die vorgenannten Fundstellen) die Förderung einer selbstständigen Tätigkeit.
Doch ist der Existenzgründungszuschuss nicht darauf ausgerichtet, den Lebensunterhalt des Existenzgründers zu sichern. Dadurch unterscheidet sich die Regelung des § 421l SGB III von der Vorschrift des § 57 SGB III, in welchem die Gewährung des Überbrückungsgeldes geregelt ist. Aus dieser Vorschrift ergibt sich der Gesetzeszweck auch der Sicherung des Lebensunterhaltes eindeutig aus der Vorschrift des § 57 Abs 1 SGB III. Denn danach haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen (hauptberuflichen) Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf Überbrückungsgeld. Diese ausdrückliche Nennung des Gesetzeszwecks Sicherung des Lebensunterhalts fehlt in § 421l SGB III (vgl zum vorstehenden: Voelzke in Hauk/Noftz, SGB III-Kommentar, K § 421e Rdnr 7; Link in Eicher/Schlegel, Kommentar zum SGB III, Loseblattsammlung, Stand März 2005, § 57 Rdnrn 1f; Marschner in Gemeinschaftskommentar zum SGB III, Loseblattsammlung, Stand Februar 2005, § 421l Rdnrn 3ff; Becker in Praxiskommentar - SGB III, § 421l Rdnrn 6f; Becker in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, Seite 533, Rdnrn 122f; - sämtliche Kommentatoren nehmen als Gesetzeszweck des Existenzgründungszuschusses nach § 421l SGB III nicht die Sicherung des Lebensunterhalts an -).
Der Existenzgründungszuschuss dient daher neben dem og Zweck der Bekämpfung der Schwarzarbeit weiterhin der sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung. Der Existenzgründer kann damit die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Die Rentenversicherungspflicht dieses Personenkreises ergibt sich aus § 2 Satz 1 Nr 10 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI). Er wird weiterhin in die Lage versetzt, gegebenenfalls für seine (private) Krankenversicherung zu sorgen und eine zusätzlich private Altersvorsorge aufzubauen.
Diesen Zweck dient das Alg II nicht; vielmehr bestimmt § 19 Satz 1 Nr 1 SGB II, dass das Alg II der Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung dient. Zwar sind Alg II-Bezieher rentenversicherungspflichtig, § 3 Satz 1 Nr 3a SGB VI. Die Beiträge trägt der Bund gemäß § 170 Abs 1 Nr 1 SGB VI; es handelt sich damit nicht um eine Leistung nach dem SGB II, sondern um eine Leistung nach einem anderen Sozialgesetzbuch. Entsprechendes gilt für die gesetzliche Krankenversicherung (§§ 5 Abs 1 Nr 2a, 251 Abs 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V)) sowie die soziale Pflegeversicherung, §§ 20 Abs 1 Nr 2a, 59 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI)).
Der (Haupt-) Zweck des Existenzgründungszuschusses liegt schließlich darin, die selbständige Tätigkeit an sich, den Betrieb der Firma, sicherzustellen. Die Belastungen durch den Betrieb (Anschaffungen und Erhalt der Betriebsmittel) sollen durch den Existenzgründungszuschuss aufgefangen werden. Der Bestreitung des Lebensunterhalts dient das Alg II sowie etwa verbleibende Gewinne aus dem Betrieb.
Mithin dient der Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III nicht der Sicherung des Lebensunterhalts wie das von den Antragstellern bezogene Alg II, sondern den og anderen Zwecken, nämlich der Bekämpfung der Schwarzarbeit, der sozialen Sicherung und den Erhalt des neu begründeten Betriebes.
Weiterhin (ist) zu bedenken, dass das SGB II - ebenso wie das SGB III - Leistungen zur Existenzgründung vorhält, und zwar in § 29 SGB II. Danach kann bei Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist (vgl dazu Spellbrink, Das Einstiegsgeld nach § 29 SGB II - oder von den Aporien "moderner" Gesetzgebung, Neue Zeitschrift für Sozialrecht (NZS) 2005, 231). Das Einstiegsgeld wird gemäß § 29 Abs 1 Satz 2 SGB II als Zuschuss zum Alg II erbracht. Auch aus § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II ergibt sich, dass Leistungen nach dem SGB II - also das Einstiegsgeld gemäß § 29 SGB II - nicht als Einkommen berücksichtigt werden. Erhielte der Antragsteller zu 2. das Einstiegsgeld nach § 29 SGB II, würde es bei der Bedarfsberechnung nicht nachteilig berücksichtigt werden. Es wäre daher ein unverständlicher Wertungswiderspruch, wenn die entsprechende Leistung nach § 421l SGB III als Einkommen berücksichtigt würde."
Diese Rechtsprechung wurde auch in der nachfolgenden Zeit unter anderem durch Urteil vom 25. April 2006 (Az.: L 8 AS 29/06) sowie Beschluss vom 18. September 2006 (Az.: L 9 AS 487/06 ER) und Beschluss vom 07. Februar 2007 (Az.: L 9 AS 167/07 ER) bestätigt. Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung, so dass eine Anrechnung des Existenzgründungszuschusses als Einkommen nicht in Betracht kommt, da es sich hierbei um eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne von § 11 Absatz 3 Nr. 1a SGB II handelt.
Im Hinblick auf die Vorschrift des § 41 Absatz 1 SGB II waren die Leistungen auf sechs Monate zu befristen.
Die für die Zeit vom 1. März 2007 bis zum 26. April 2007 beantragten Leistungen waren abzulehnen, da im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen erst ab Antragstellung, nicht aber für die Vergangenheit, zugesprochen werden können. Insoweit blieb der Antrag daher erfolglos.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Die Antragstellerin war mit ihrem Begehren so weit erfolgreich, dass eine vollständige Kostenübernahme durch die Antragsgegnerin angemessen ist.