Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 17.09.2009, Az.: S 75 AS 1405/09 ER

Voraussetzung für die Annahme einer Verantwortungsgemeinschaft und Einstehensgemeinschaft nach § 7 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Zweites (SGB II); Regelmäßige Bejahung eines Anordnungsgrundes beim Streit um Arbeitslosengeld II; Verbindliche Reduzierung und Verengung der Gesamtheit der Hinweistatsachen in verbindlicher Weise mit der Aufzählung in § 7 Abs. 3a SGB II

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
17.09.2009
Aktenzeichen
S 75 AS 1405/09 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 29189
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2009:0917.S75AS1405.09ER.0A

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 15. September 2009 gegen den Bescheid vom 7. September 2009 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin mit Wirkung vom 15. September 2009 an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß dem SGB II - einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung - vorläufig zu gewähren, u.zw. ohne Berücksichtigung des Einkommens von Herrn E ...

Außergerichtliche Kosten der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Antragstellerin wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F., Lüneburg, bewilligt.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob zwischen der Antragstellerin und ihrem Vermieter, Herrn E., eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft besteht, nachdem die Kammer durch Beschluss vom 18. Juni 2009 - S 75 AS 595/09 ER - bereits für den Zeitraum ab 20. April 2009 entschieden hat, dass das nicht der Fall ist. Über die insoweit erhobene Beschwerde, anhängig beim LSG Niedersachsen-Bremen (L 9 AS 739/09 B ER) ist - soweit bekannt - noch nicht entschieden.

2

Die 1955 geborene, seit Januar 2005 geschiedene und in G. / H. wohnende Antragstellerin bezog seit 1.10.2008 Arbeitslosengeld gem.§ 117 SGB III (Bescheid vom 25.03.2009). Mit Formularblatt nebst Anlage EK beantragte sie Anfang März 2009 (Eingang: 5.3.09) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II - Arbeitslosengeld II / Sozialgeld - , wobei sie unter Vorlage einer Mietbescheinigung ihres Vermieters I. angab, für die von ihm gemieteten zwei Räume im 1. Stock mit eigenen Möbeln (35 qm) eine Miete von 300,- EUR (brutto, warm) zu zahlen. Bei der Antragstellung kam zur Sprache, dass sie früher mit dem gen. Vermieter partnerschaftlich verbunden war, sie sich jedoch von ihm im Frühjahr/Sommer 2008 getrennt hatte.

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Hierauf erteilte die Antragsgegnerin am 12. März 2009 einen Außendienstauftrag zur Frage, "ob die beiden noch verbandelt" seien. Gemäß Bericht über den unangekündigten Hausbesuch vom 18. März 2009 fanden sich - bei getrennten Schlafzimmern - nach Ansicht des Außendienstmitarbeiters Indizien für eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft, so dass die Antragstellerin mit Schreiben vom 19. März 2009 aufgefordert wurde, von ihrem Vermieter auszufüllende Formblätter nebst Belegen bis zum 5. April 2009 einzureichen. Mit Schreiben vom 30. März 2009 teilte die Antragstellerin mit, dass sie in G. nicht mehr als Paar mit Herrn I. wohne, sondern als Mieterin und Vermieter. Mit Schreiben vom 1. April 2009 wurde an die Abgabe der Unterlagen erinnert und um Erledigung bis zum 18. April 2009 gebeten.

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Mit Bescheid vom 24. April 2009 wurde ihr Vermieter - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes von 500,- EUR - aufgefordert, Verdienstbescheinigungen, Kontoauszüge, Verträge über Lebensversicherungen, Bausparverträge usw. nebst ausgefüllten Zusatzblättern einzureichen.

5

Mit Beschluss der Kammer vom 18. Juni 2009 - S 75 AS 595/09 ER -, auf den Bezug genommen wird, wurde die von der Antragsgegnerin behauptete Einstandsgemeinschaft nicht angenommen und die Antragsgegnerin vorläufig verpflichtet, mit Wirkung vom 20. April 2009 an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vorläufig zu gewähren, u.zw. ohne Berücksichtigung des Einkommens von Herrn E ... Die insoweit erhobene Beschwerde ist noch anhängig (LSG Niedersachsen-Bremen - L 9 AS 739/09 B ER -).

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Da die Antragsgegnerin der Antragstellerin jedoch entgegen dem Kammerbeschluss vom 18. Juni 2009 Unterkunftskosten nach dem SGB II durch Bescheid vom 15. Juli 2009 nicht gewährte, u.zw. auch keine Unterkunftskosten, beantragte diese eine Vollstreckung aus dem gen. Beschluss der Kammer vom 18. Juni 2009 - allerdings erst nach Ablauf der einschlägigen Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO, so dass dieser Antrag mit Beschluss der Kammer vom 11. September 2009 (S 75 AS 595/09 ER), auf den Bezug genommen wird, abgelehnt wurde.

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Durch Bescheid vom 7. September 2009 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1.10.2009 bis 31.3.2010 in Höhe von 359,- EUR, jedoch ohne Kosten der Unterkunft und Heizung. Hiergegen legte die Antragstellerin durch Schreiben vom 15. September 2009 mit der Begründung Widerspruch ein, ihr Folgeantrag für die Zeit ab 1. Oktober 2009 beschränke sich nicht auf die Leistungen zum Lebensunterhalt, sondern umfasse auch die Kosten der Unterkunft, die nach dem SGB II doch zu den notwendigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gehörten. Ihr seien diese Unterkunftskosten ohne jede Begründung (§ 35 SGB X) vorenthalten worden.

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Zur Begründung des nunmehr am 15. September 2009 gestellten Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unterstreicht und vertieft die Antragstellerin ihren Standpunkt, sie lebe nicht in einer Verantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft mit ihrem Vermieter, so dass sie Anspruch auf Unterkunftskosten habe. Hiervon könne sie nicht einfach ausgeschlossen werden. Die Antragsgegnerin vollziehe den Beschluss der Kammer vom 18. Juni 2009 nicht. Sie leugne offenbar einen Bedarf und einen Leistungsanspruch der Antragstellerin im Unfang der Unterkunftskosten. Ein Hauptsacheverfahren könne sie nicht abwarten - zumal sich die Antragsgegnerin "contra legem" verhalte.

9

Die Antragsstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Gestalt der Kosten der Unterkunft vorläufig zu gewähren, und zwar ohne Berücksichtigung des Einkommens von Herrn E ...

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Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

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Sie verweist darauf, dass der Antrag unzulässig sei, weil die Unterkunftskosten bereits im vorangehenden Verfahren streitig gewesen seien. Es könne kein zweites Verfahren mit dem gleichen Streitgegenstand geben (§ 141 SGG).

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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

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II.

Der zulässige Antrag hat Erfolg.

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1.

Soweit die Antragsgegnerin der Auffassung ist, der Antrag sei bereits unzulässig, ist dem entgegen zu treten: Ausgehend davon, dass die Antragsgegnerin eine Identität von Streitgegenständen zu konstatieren versucht, ist festzustellen, dass sie unter dieser Voraussetzung den zunächst einmal von ihr zu befolgenden Kammerbeschluss vom 18. Juni 2009 offenbar ignoriert hat und auch derzeit nicht beachtet. Allerdings ist die vorgenannte Annahme nicht zutreffend, da es im vorliegenden Verfahren klar erkennbar um einen anderen, sich vom vorangehenden Verfahren unterscheidenden Zeitraum geht, nämlich um den vom 15. September 2009 an - unter Berücksichtigung des Bescheides vom 7. September 2009, der ersichtlich eine Neubefassung mit der Sach- und Rechtslage darstellt, sogar um den Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis zum 31. März 2010. Unter diesen Umständen kann schon hinsichtlich des Zeitraums von einer Identität des Streitgegenstandes gar keine Rede mehr sein.

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Die Antragsgegnerin hat den Anspruch der Antragstellerin zudem auf einen Folgeantrag hin nochmals überprüft und ist - in Kenntnis des Beschlusses der Kammer vom 18. Juni 2009 - zu einem für die Antragstellerin negativen Ergebnis gelangt (Bescheid vom 15. Juli 2009 und Bescheid vom 7. September 2009). Damit besteht gerichtlich Anlass, der neuen Sach- und Rechtslage im Rahmen des erneut eingeleiteten Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes effektiv (Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung zu tragen.

Vgl. auch VG Ansbach, Urt. v. 2.2.2005 - AN 15 K 04.02959 -: "Denn nicht anders als ein rechtskräftiges Urteil gilt die Rechtskraft der einstweiligen Anordnungen nur, soweit sich die Sach- und Rechtslage anschließend nicht wesentlich geändert hat, wie sich aus der entsprechenden Anwendbarkeit des § 927 ZPO ergibt (vgl. BayVGH FEVS 31, 11; HessVGH DVBl 1996, 1319). Im vorliegenden Fall hat sich jedoch eine wesentliche Änderung der Sachlage deshalb ergeben, weil die Beklagte im Anschluss an die einstweilige Anordnung erneut die Voraussetzungen für eine Sozialhilfegewährung überprüft, diese aber mit Bescheid vom 19. März 2004 in Bezug auf die Klägerin abgelehnt hat."
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2.

Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag. in jenen Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Sofern der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden ist, kann das Gericht daneben die Aufhebung der Vollziehung anordnen, § 86b Abs. 1 S. 2 SGG. Eine derartige Sachlage ist hier gegeben, denn nach § 39 Nr. 1 SGB II, der eine Regelung im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG trifft, haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet (Nr. 1) keine aufschiebende Wirkung.

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Diese aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 15. September 2009 ist hier anzuordnen, da der angefochtene Bescheid vom 7. September 2009 in einem hohen Maße rechtswidrig erscheint: Angesichts des ergangenen Beschlusses der Kammer vom 18. Juni 2009, der zunächst einmal vollstreckbar und von der Antragsgegnerin ohne Rücksicht auf die eingelegte Beschwerde zu beachten war, erscheint die mit Bescheid vom 7. September 2009 (der Sache nach) jetzt vertretene und dem Beschluss widerstreitende Auffassung äußerst zweifelhaft, so dass die aufschiebende Wirkung anzuordnen war. Damit kommt dem Bescheid irgendeine Verbindlichkeit nicht mehr zu. Der konkludent festgelegte Ausschluss von Unterkunftskosten ist somit suspendiert.

18

3.

Die Verpflichtung der Antragsgegnerin zu uneingeschränkten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II - einschließlich der Kosten von Unterkunft und Heizung - ohne Berücksichtigung des Einkommens von Herrn J. ergibt sich aus § 86 b Abs. 2 SGG, da hier eine solche Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile der Antragstellerin erforderlich und "nötig" erscheint (Art. 19 Abs. 4 GG).

19

3.1.

Der erforderliche Anordnungsgrund liegt hier vor, da die Antragstellerin auf Hilfeleistungen der Antragsgegnerin angewiesen ist und schon im April 2009 nur noch über eine Barschaft von 200,- EUR verfügt. Der Antragstellerin ist es nicht zuzumuten, bis zur Entscheidung in der Hauptsache sich derart stark zu beschränken und auf diese Weise wesentliche Nachteile hinzunehmen. Vgl. dazu LSB Nds-Bremen, Beschl. v. 23.06.2009 - L 7 AS 456/09 B ER -: "Vielmehr ist beim Streit um Arbeitslosengeld II in aller Regel ohne Weiteres ein Anordnungsgrund zu bejahen, weil gerade diese Leistung dazu bestimmt ist, den Lebensunterhalt und ein menschenwürdiges Wohnen zu gewährleisten (ständige Rechtsprechung des Senates). "

20

3.2.

Auch ein Anordnungsanspruch ist hier gegeben. Denn die von der Antragsgegnerin angenommene Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zwischen der Antragstellerin und Herrn I. besteht nach den derzeitigen Erkenntnissen nicht: In § 7 Abs. 3 a SGB II werden die Kriterien - rechtlich verbindlich - aufgezählt, die allein vermuten lassen, dass eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vorliegt. Mit dieser Aufzählung hat der Gesetzgeber die Gesamtheit der Hinweistatsachen in verbindlicher Weise reduziert und verengt (vgl. Tegethoff ZFSH/SGB 2001, 643), was von der Antragsgegnerin rechtsstaatlich zu beachten ist. Über diese Kriterien hinausgehende Verdachtsmomente haben außer Betracht zu bleiben.

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Nach § 7 Abs. 3a SGB II wird nach der ab 1. August 2006 geltenden Fassung des Gesetzes ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, nur und erst dann vermutet, wenn die Partner länger als ein Jahr zusammenleben (Nr. 1), mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben (Nr. 2 ), Kinder im Haushalt versorgen (Nr. 3) oder befugt sind, über Einkommen und Vermögen des anderen zu verfügen (Nr. 4). Bei Vorliegen einer der in § 7 Abs. 3a SGB II genannten Tatbestände greift eine gesetzliche Vermutung, dass die Partner den "wechselseitigen Willen haben, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen". Der Gesetzgeber hat dabei auf die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien zurückgegriffen, lässt aber (anders als dieses, das eine Gesamtschau der Umstände fordert und die genannten Kriterien lediglich als Indizien heranzieht) bereits das Vorliegen eines Kriteriums ausreichen. Ob das verfassungsrechtlich haltbar ist, mag dahinstehen.

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Jedenfalls liegt hier nach den derzeitigen Erkenntnissen eine Einstandsgemeinschaft nicht vor. Wollte man anhand der Indizien, welche die Antragsgegnerin anführt, bereits eine Einstandsgemeinschaft annehmen, so würde man die Ehe - Schutzgut des Art. 6 Abs. 1 GG - ihres Kerngehaltes berauben. Vgl. dazu Bundesverfassungsgericht, Urt. v. 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 -: "Verfuhr der Gesetzgeber jedoch in dieser Weise, durfte er nur solche Gemeinschaften erfassen, in denen die Bindungen der Partner so eng sind, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, ist ihre Lage mit derjenigen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar."

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Gegen eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft spricht hier zunächst der Umstand, dass - wie auch der Außendienstmitarbeiter in seinem Bericht vom 18. März 2009 einräumt - bei einem unangekündigten Hausbesuch zwei vollständig getrennte Schlafzimmer vorgefunden wurden und die Betten jeweils nur für eine Person bezogen waren. Auch die Führung "getrennter Kassen" spricht deutlich gegen die von der Antragsgegnerin angenommene Gemeinschaft. Bei summarischer Betrachtung dürfte somit ein "Zusammenleben" auf den ersten Blick nicht vorliegen. Denn ein "gemeinsamer Haushalt" im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II setzt voraus, dass die entsprechenden Personen nicht nur eine gemeinsame Wohnung bewohnen, sondern auch "aus einem Topf wirtschaften" (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 7, Rdnr. 46, § 9, Rdnr. 52). Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und ggf. Gemeinschaftsräumen noch hinaus (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008" § 9, Rdnr. 52). Dies bedeutet, dass für das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft diese gemeinsame Nutzung zunächst einmal nur eine Grundvoraussetzung ist, die für sich genommen noch nicht aussagekräftig ist. Nur freundschaftlich miteinander verbundene Personen, die zusammen wohnen, stellen nämlich noch keine partnerschaftsähnliche Gemeinschaft dar. Vgl. insoweit Sächs. LSG, Beschl. v. 18.12.2008 - L 7 B 737/08 AS-ER -: "Das Tatbestandsmerkmal des qualifizierten "Zusammenlebens" im Sinne von § 7 Abs.3 a Nr.1 SGB II muss dahin verstanden werden, dass das "Zusammenleben" geeignet sein muss, den Schluss auf das Bestehen einer Einstandsgemeinschaft zu begründen, was wenigstens das Vorliegen einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft voraussetzt. Sonst würde bei jeder Wohngemeinschaft ohne weiteres die Vermutungsregelung greifen und den Bewohnern der Wohngemeinschaft die Pflicht auferlegt, die Nichtexistenz einer Einstandsgemeinschaft nachzuweisen. Dies dürfte schwerer sein, als die positive Feststellung des Bestehens einer Haushaltsgemein-schaft und die Rechte des Antragstellers über Gebühr beschneiden"

Vgl. insoweit auch Hess. LSG, Beschl. v. 16.3.2006 - L 7 AS 23/06 ER -: "Desgleichen geht der Senat davon aus, dass auch die fehlende Unterteilung des Kühlschranks keineswegs eine eheähnliche Gemeinschaft zu begründen vermag, sondern sich ebenfalls im Rahmen dessen bewegt, was in einer auf Freundschaftsbasis bestehenden Wohngemeinschaft üblich ist; dasselbe gilt für die vom Antragsgegner monierte fehlende getrennte Aufbewahrung der Badutensilien. Dass das Wasserbett im Schlafzimmer der Frau P. beim Besuch des Außendienstmitarbeiters am 5. Januar 2006 "wie ein Ehebett" bezogen gewesen ist, soll wohl die Annahme des Antragsgegners unterstreichen, dass zwischen dem Antragsteller und Frau P. geschlechtliche Beziehungen bestehen, welche nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17. Oktober 2002 - B 7 AL 96/00 R) und der vom SG mehrfach zitierten Rechtsprechung des erkennenden Senats jedoch nicht die Feststellung einer Verantwortungsgemeinschaft ersetzen kann.
Dass gemeinsam gekocht, geputzt und eingekauft wird, hält der Senat bei freundschaftlichen Beziehungen ebenso für üblich, wie die ermittelte Tatsache, dass offenbar auch Wäsche von beiden in gemeinsamen Waschgängen gereinigt wird."
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Daher kann nicht ein aus Eindrücken, Vermutungen und sonstigen Gründen hergeleiteter (bloßer) Verdacht auf eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, der nach Einschätzung des von der Antragsgegnerin beauftragten Mitarbeiters begründet sein soll (Bericht vom 18.3.2009), ohne Berücksichtigung der im Gesetz genannten Kriterien Bestand haben. Ein Zusammenleben der Antragstellerin mit dem Vermieter I. ist hier - trotz einiger Indizien und Ungereimtheiten - nicht gerichtsfest nachgewiesen. Dabei ist zudem zu beachten, dass allein die Dauer des Zusammenlebens zwar ein wesentliches Indiz sein kann, aber eine automatische Erfüllung der Voraussetzungen aus ihr allein gerade nicht herleitbar ist (Brühl/Schoch in LPK-SGB II, § 7 Rn. 69 m.w.N.). Vielmehr müssen beweiskräftige Gesichtspunkte hinzutreten, die eine bloße Wohngemeinschaft ausschließen. Denn heute umfasst eine Wohngemeinschaft vielfältige Formen des Zusammenwohnens. Vgl. dazu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 15.12.2006 - L 10 AS 1404/05 -: "So sind weder die gemeinsame oder abwechselnde Zubereitung von Mahlzeiten und deren gemeinschaftliche Einnahme, die Führung einer gemeinsamen Haushaltskasse, die Verantwortlichkeit für die Reinigung der gemeinsam benutzten Räumlichkeiten, das (Mit-) Waschen der Kleidung des/der Mitbewohner/in oder gemeinsame Freizeitaktivitäten unübliche Erscheinungen für eine Wohngemeinschaft. Insbesondere sind Wohngemeinschaften zwischen befreundeten oder verwandten Personen oft von längerer Dauer (vgl. Winkler a.a.O.) und ihnen sind auch gemeinsame Umzüge in vorteilhaftere Wohnungen/Häuser nicht fremd. Die Arten der Haushaltsführung reichen von der gemeinsamen Haushaltskasse, in die monatliche Fixbeträge einzuzahlen sind, der Führung eines Haushaltsbuches mit genauer Abrechnung der Einkäufe/Ausgaben bis zur Beteiligung nach (Selbst-) Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Ebenso vielfältig sind die mietrechtlichen Gestaltungen einer Wohngemeinschaft, die von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der beteiligten Personen, der von ihnen favorisierten Intensität und den Vorstellungen des Vermieters der Wohnung/des Hauses abhängen, so dass neben einem Hauptmieter/Untermieter-Verhältnis oder dem gemeinsamen Hauptmietvertrag auch Einzel-Mietverträge mit jedem Mitglied der Wohngemeinschaft anzutreffen sind."

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Unter diesen Umständen wäre es Aufgabe der Antragsgegnerin gewesen, im vorliegenden Verfahren zunächst und allein das Vorliegen einer Vermutungstatsache iSv § 7 Abs. 3 a SGB II glaubhaft zu machen, was ihr jedoch nicht gelungen ist. Vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 3.8.2006 - L 9 AS 349/06 ER -:

"Dieses Tatbestandsmerkmal muss unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen dahin verstanden werden, dass das "Zusammenleben" geeignet sein muss, den Schluss auf das Bestehen einer Einstandsgemeinschaft zu begründen, was wenigstens das Vorliegen einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft voraussetzt (vgl. erneut die Begründung des Gesetzentwurfs a.a.O. S.19; Wenner a.a.O. S.148). Sonst würde bei jeder Wohngemeinschaft ohne weiteres die Vermutungsregelung greifen und den Bewohnern der Wohngemeinschaft die Pflicht auferlegt, die Nichtexistenz einer Einstandsgemeinschaft nachzuweisen. Dies wird auch schon aus der Wortwahl des Gesetzgebers deutlich. Dieser hat ausdrücklich vom "Zusammenleben" und nicht vom "Zusammenwohnen" gesprochen. Damit hat er deutlich gemacht, dass zum schlichten gemeinsamen Wohnen in einer Wohnung weitere Gesichtspunkte hinzu treten müssen, um die Tatbestandsmerkmale der Vermutungsregelung auszulösen. Für die Glaubhaftmachung dieser Umstände ist ebenfalls der Leistungsträger pflichtig."

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Ist der Antragsgegnerin diese Glaubhaftmachung als Ausgangspunkt der von ihr behaupteten Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft jedoch nicht gelungen, so bedarf es keiner ausführlichen Darlegungen dazu, dass die Antragstellerin den entsprechenden Gegenbeweis hier geführt haben dürfte. An ihn sind im Übrigen keine hohen Anforderungen zu stellen - zumal es hier um eine sog. "negative Tatsache" geht (Beweis dessen, dass eine Verantwortungs- und Beistandsgemeinschaft gerade nicht vorliegt), deren Nachweis - wie auch sonst im SGB II (Fehlen von Vermögen oder Einkommen) - von der Antragstellerseite stets nur mit Mühe erbracht werden kann (vgl. dazu Wündrich, a.a.O., S. 272: keine Überspannung der Anforderungen "insbesondere im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes").

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Somit ist bei verfassungskonformer Anwendung (Art. 1, 2 GG) schon bei einer nur schlüssigen Darlegung davon auszugehen, dass nach verständiger Würdigung des wechselseitigen Willens der Partner (der als solcher zunächst einmal zu akzeptieren, vielmehr anzunehmen ist) sie gerade keine Verantwortung füreinander tragen, also keine Bedarfsgemeinschaft vorliegt. Vgl. LSG Nds.-Bremen, Beschl. v. 4.12.2008 - L 9 AS 467/08 ER -: "Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der jeweilige Leistungsträger nach dem bis 31. Juli 2006 geltenden Recht die materielle Beweislast für das Vorliegen einer "eheähnlichen Gemeinschaft" getragen hat und seit der zum 1. August 2006 in Kraft getretenen Änderungen durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende (BGBl. I S. 1706) nunmehr die materielle Beweislast für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c) SGB II - bzw. das Vorliegen der Voraussetzungen einer der neu eingeführten Vermutungsregeln nach § 7 Abs. 3 a SGB II - trägt und deshalb im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit auch grundsätzlich darlegungs- und glaubhaftmachungspflichtig ist (so auch Spellbrink, a.a.O., § 7 Rdnr. 50 u.H.a. LSG Baden-Württemberg; vgl. im Übrigen die amtliche Begründung zu dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende, BT-Drucks. 16/1410, S. 19, zu Nr. 7, Buchst. b), worin die neu eingeführten Vermutungsregeln des § 7 Abs. 3 a SGB II ausdrücklich im Sinne einer Umkehr der Beweislast verstanden werden).

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Der Senat hat sich insoweit unter Berücksichtigung der Ergebnisse der vom Beschwerdegegner durchgeführten Ermittlungen, des Vortrags der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren beider Instanzen sowie des Ergebnisses des vom Berichterstatter durchgeführten Termins zur Erörterung und Beweisaufnahme am 12. November 2008 nicht davon zu überzeugen vermocht, dass die Beschwerdegegnerin das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft des Beschwerdeführers zu 1) mit Frau E. im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II mit hinreichenden Gründen annimmt und insoweit der ihm zufallenden Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast nachgekommen ist."

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Sowohl die Antragstellerin als aber auch Herr Gehrke bestreiten, miteinander in einer Verantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft zu leben. Dabei ist auch die negative Eheschließungsfreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG, eine eheähnliche Beziehung gerade nicht eingehen zu wollen, von der Antragsgegnerin verfassungsrechtlich zu beachten.

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4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog. Der Antragstellerin ist Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Verfahrens unter Beiordnung von Rechtsanwalt F., Lüneburg, zu bewilligen, weil das Verfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 73a SGG in Verbindung mit §§ 114ff. ZPO).