Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 23.08.2009, Az.: S 12 SF 106/09 E
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 23.08.2009
- Aktenzeichen
- S 12 SF 106/09 E
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 50510
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Die Erinnerung der Erinnerungsführerin und Beklagten vom 21. April 2009 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 03. April 2009 - S 29 AS 1369/08 - wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.
Gründe
Die Beteiligten streiten im Erinnerungsverfahren noch um die Höhe der der Erinnerungsgegnerin und Klägerin (im Folgenden nur: Erinnerungsgegnerin) zu erstattenden notwendigen außergerichtlichen Kosten eines Klageverfahrens im Zusammenhang mit der Verhängung einer Sanktion im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II), das sich durch den Erlass eines Abhilfebescheides vom 27. August 2008 der Erinnerungsführerin und Beklagten (im Folgenden nur: Erinnerungsführerin) erledigt hat.
Die gemäß § 197 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 03. April 2009 - S 29 AS 1369/08 - ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss ist rechtmäßig und hält der beantragten gerichtlichen Überprüfung stand. Der von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle festgesetzte Gesamtvergütungsanspruch in Höhe eines Betrages von 214,20 € ist kostenrechtlich nicht zu beanstanden.
Zur Begründung seiner Entscheidung nimmt das Gericht gemäß § 142 Abs. 2 S. 3 SGG auf die zutreffenden Ausführungen der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem angefochtenen Beschluss Bezug und macht sich diese zur Vermeidung nicht gebotener Wiederholungen zu Eigen. Die Urkundsbeamtin hat den gebührenrechtlichen Sachverhalt vollständig und rechtsfehlerfrei gewürdigt und zu Recht eine Verfahrensgebühr in Höhe eines Betrages von 80,00 € sowie eine (fiktive) Terminsgebühr in Höhe eines Betrages von 80,00 € in die Berechnung eingestellt.
Nur im Hinblick auf das Vorbringen der Erinnerungsführerin im Kostenfestsetzungs- und im Erinnerungsverfahren weist die Kammer zur Entstehung und zur Höhe der (fiktiven) Terminsgebühr noch ergänzend auf Folgendes hin:
Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)) der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmen zusteht. Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, - L 1 B 320/05 SF SK, zitiert nach juris). Dabei ist für jede Rahmengebühr eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen. Dies gilt sowohl für die Verfahrens- und Terminsgebühr (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, a. a. O. sowie Keller in jurisPR-SozR 10/2006, Anm. 6) als auch für die der Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr.
Was die Bestimmung der angemessenen Gebühr innerhalb des jeweiligen Gebührenrahmens angeht, entspricht es allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass die Mittelgebühr ein angemessenes Äquivalent für die anwaltliche Tätigkeit in einem in jeder Hinsicht durchschnittlichen Streitverfahren darstellt. Davon ausgehend sind sodann Abschläge für unterdurchschnittliche und Zuschläge für überdurchschnittliche Verfahren vorzunehmen. Dabei kann im Übrigen etwa die Überdurchschnittlichkeit eines Bewertungskriteriums durch die Unterdurchschnittlichkeit anderer Bewertungskriterien kompensiert werden.
Entgegen der Auffassung der Erinnerungsführerin ist eine fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 des Vergütungsverzeichnisses (VV-RVG) - Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - in Höhe eines Betrages von 80,00 € entstanden, die sich aus einem Betragsrahmen zwischen 20,00 € und 380,00 € ergibt.
Die Terminsgebühr nach Nr. 3106 Ziffer 3 VV-RVG entsteht u. a. auch, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Diese Voraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn die Erledigungserklärungen der Beteiligten einem angenommenen Anerkenntnis gleichzusetzen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die klageweise verfolgte Forderung - wie hier - während des laufenden Rechtsstreits erfüllt wird und sich deshalb der Rechtsstreit erledigt. In dem Fall entspricht die Interessenlage derjenigen bei einem angenommenen Anerkenntnis, was zwischen den Beteiligten auch zu Recht nicht streitig ist. Erledigungserklärungen, nachdem der Klageanspruch anerkannt worden ist, können zur Vermeidung von Umgehungen gebührenrechtlich jedoch nicht anders als angenommene Anerkenntnisse behandelt werden (so im Ergebnis auch: Sozialgericht Köln, Beschluss vom 02. November 2007, - S 6 AS 231/06; Sozialgericht Aachen, Beschluss vom 16. Juni 2008, -S 4 R 89/07, jeweils zitiert nach juris; vgl. ferner auch Sozialgericht Lüneburg, Beschluss vom 25. März 2008, - S 25 SF 33/08 sowie Beschluss vom 23. März 2009, - S 27 SF 170/08; ferner: Sozialgericht Hannover, Beschluss vom 19. Februar 2009, - S 34 SF 249/08; Sozialgericht Hildesheim, Beschluss vom 23. Januar 2009, - S 12 SF 162/08 sowie Sozialgericht Aurich, Beschluss vom 25. August 2008, - S 21 SF 25/07 AS).
Wenn danach eine (fiktive) Terminsgebühr entstanden ist, ist diese dem Rahmen der Nr. 3106 VV-RVG (20,00 € bis 380,00 €) zu entnehmen.
Der Rechtsstreit wurde durch die Annahme eines Anerkenntnisses beendet, so dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat. Eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG ist dennoch entstanden. Durch die Regelung der Nr. 3106 VV-RVG (Ziffern 1 bis 3) soll verhindert werden, dass gerichtliche Termine allein zur Wahrung des Gebührenanspruchs stattfinden müssen; sie bietet einen Anreiz für den Rechtsanwalt, auf die Durchführung des Termins zu verzichten. Die Anwendung der Grundsätze des § 14 RVG auf die „fiktive" Terminsgebühr nach Nr. 3106 - Ziffer 1 bis Ziffer 3 - VV RVG ist mit dem Problem behaftet, dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat und dessen Schwierigkeit und Aufwand für den Prozessbevollmächtigten damit nicht bewertet werden können. Die Kammer vertritt in nunmehr ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass bei der Bemessung der Terminsgebühr auf den hypothetischen Aufwand abzustellen ist, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre. Daher ist eine fiktive Vergleichsbetrachtung anzustellen, in welcher Höhe ein Gebührenanspruch voraussichtlich entstanden wäre, wenn ein Termin stattgefunden hätte (ständige Rechtsprechung der Kostenkammer des Sozialgerichts Lüneburg - vgl. hierzu etwa: Beschlüsse vom 04. März 2009, - S 12 SF 53/09 E, vom 16. März 2009 - S 12 SF 59/09 E, - S 12 SF 64/09 E, vom 25. März 2009, - S 12 SF 43/09 E, vom 27. April 2009, - S 12 SF 39/09 E, vom 12. Mai 2009, - S 12 SF 56/09 E, vom 26. Juni 2009, - S 12 SF 116/09 E sowie vom 26. Juni 2009, - S 12 SF 67/09 E, jeweils zitiert nach juris).
Das Gesetz eröffnet in Ziffer 3106 VV-RVG daher erneut den Gebührenrahmen in vollem Umfang und knüpft nicht an die Höhe der Verhandlungsgebühr an. Gäbe es für die Festlegung der Terminsgebühr nicht die Möglichkeit einer eigenständigen Festsetzung unter Beachtung aller der in § 14 RVG festgelegten Kriterien, hätte es der Eröffnung eines Gebührenrahmens nicht bedurft. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Normgeber in denjenigen Fällen, in denen keine Betragsrahmengebühren entstehen, einen festen Wert - nämlich nach Nr. 3104 VV-RVG einen solchen von 1,2 - festgeschrieben hat. Daher wäre es auch nicht gerechtfertigt, in diesen Fallkonstellationen grundsätzlich nur die Mindestgebühr in Höhe von 20,00 € anzuerkennen. Dabei wird nämlich verkannt, dass auch bei der Bemessung der fiktiven Terminsgebühr alle Kriterien des § 14 RVG in die Abwägung einzustellen sind. Anderenfalls hätte der Normgeber auch bei der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG einen bestimmten Betrag festgeschrieben wie er es beispielsweise bei den Angelegenheiten der Beratungshilfe nach Nr. 2500 ff. VV-RVG, in Strafsachen nach den Nr. 4100 ff. VV-RVG oder den sonstigen Verfahren nach den Nr. 6100 ff. VV-RVG geregelt hat. Auch wenn in diesen Verfahren selbstredend keine Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen, war sich der Normgeber offensichtlich durchaus der Möglichkeit der Festschreibung von Gebührenbeträgen bewusst.
Wenn danach auch bei der fiktiven Terminsgebühr von einem Gebührenrahmen zwischen 20,00 € und 380,00 € auszugehen ist, ergibt eine auf einen hypothetischen Termin bezogene Abwägung der Kriterien des § 14 RVG, dass insoweit eine insgesamt weit unterdurchschnittliche Angelegenheit vorliegt. Dem Anwalt steht die Mittelgebühr hinsichtlich der Terminsgebühr für Termine mit durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem Aufwand und durchschnittlicher Bedeutung für den Mandanten zu. Entscheidend ist eine Gesamtabwägung. Es müssen sämtliche den Gebührenanspruch potentiell beeinträchtigenden Faktoren miteinander und gegeneinander im Einzelfall abgewogen werden.
Unter Beachtung aller Abwägungskriterien erscheint mit Blick auf die Bemessungskriterien, die bei der Festsetzung der Verfahrensgebühr einen Betrag deutlich unterhalb der dortigen Mittelgebühr auszulösen vermochten, eine Terminsgebühr ebenfalls deutlich unterhalb der Höhe der Mittelgebühr angemessen.
Dabei ist der anwaltliche Aufwand für den nicht stattgefundenen - entbehrlichen - Termin als weit unterdurchschnittlich zu werten. Bei der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 3 VV-RVG - also bei Erledigung durch angenommenes Anerkenntnis - besteht die Besonderheit, dass ein Anerkenntnis vorliegt, das im (hypothetischen) Termin lediglich noch der Annahme bedurft hätte, ein solcher Termin insoweit mit keinem besonderen Aufwand verbunden gewesen wäre. Sinn und Zweck des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ist in erster Linie die sachgerechte Vergütung (des Aufwands) für den Bevollmächtigten. Diese ist aber erfahrungsgemäß sehr unterschiedlich, je nachdem, ob er an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen muss oder nicht. Nimmt der Mandant ein Anerkenntnis der Gegenseite an, führt dies auch beim Bevollmächtigten zu einer erheblichen Reduzierung seines Aufwands in diesem Verfahren. Die Annahme des Anerkenntnisses kann er dem Gericht in einem kurzen Schriftsatz mitteilen. Der im Vergleich zur notwendigen Teilnahme einer mündlichen Verhandlung also deutlich verminderte Aufwand kann gebührenrechtlich nicht außer Betracht bleiben. Unberücksichtigt bleiben darf dabei auch nicht, dass eine mündliche Verhandlung, welche regelmäßig eine zusätzliche Vorbesprechung, Vorbereitung und Terminswahrnehmung erfordert, nicht stattgefunden hat. In der Zusammenschau sieht das Gericht deshalb den Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit insoweit als weit unterdurchschnittlich an.
Da bei der Bemessung auch der Terminsgebühr gemäß § 14 Abs. 1 RVG jedoch - wie ausgeführt - alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, kann andererseits - entgegen der Auffassung der Erinnerungsführerin - auch nicht allein auf den zu erwartenden geringen Aufwand allein abgestellt werden.
Wägt man die dargestellten deutlich unterdurchschnittlichen Anforderungen an die hypothetische anwaltliche Tätigkeit mit den sonstigen Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG, die auch nach Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsgegnerin eine Verfahrensgebühr deutlich unterhalb der Mittelgebühr zu rechtfertigen vermochten (mithin die unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen, die allenfalls durchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für die Erinnerungsgegnerin und das allenfalls durchschnittliche Haftungsrisiko), miteinander ab, ist das vorliegende Streitverfahren hinsichtlich der Festsetzung der (fiktiven) Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 80,00 € kostenrechtlich angemessen erfasst. Dies bedeutet zugleich, dass bei einem tatsächlich stattgefundenen Termin, in dem lediglich die Annahme des Anerkenntnisses erklärt worden wäre, auch ein Betrag in dieser Höhe festzusetzen gewesen wäre.
Nach alledem konnte die Erinnerung keinen Erfolg haben.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus einer analogen Anwendung des § 33 Abs. 9 S. 2 RVG, des § 56 Abs. 2 S. 3 RVG und des § 66 Abs. 8 S. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG; vgl. zur Kostengrundentscheidung im Erinnerungsverfahren auch Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 197, Rdn. 10, der eine solche sogar gänzlich für entbehrlich hält).
Die Erinnerungsentscheidung ergeht nach entsprechender Anwendung des § 33 Abs. 9 S. 1 RVG, des § 56 Abs. 2 S. 2 RVG und des § 66 Abs. 8 S. 1 GKG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig; mangels Beschwerdemöglichkeit kann daher auch die von der Erinnerungsführerin gewünschte einheitliche Kostenrechtsprechung im Land Niedersachsen nicht hergestellt werden.