Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 27.04.2009, Az.: S 12 SF 38/09 E
Beitrag; Betragsrahmengebühr; Erledigung; Erledigungsführer; Erledigungsgebühr; Gesamterledigung; Gesamtvergütungsanspruch; Grundsicherung für Arbeitssuchende; Höhe; Mittelgebühr; Mitwirkung; Mitwirkungspflicht; Prozessbevollmächtigter; Rechtsanwaltsgebühr; Rechtsanwaltsvergütung; sozialgerichtliches Verfahren; Überschreiten
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 27.04.2009
- Aktenzeichen
- S 12 SF 38/09 E
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 50452
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 14 Abs 1 RVG
- Nr 1002 RVG-VV
- Nr 1005 RVG-VV
- Nr 1006 RVG-VV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Frage der Gebührenbemessung in Verfahren nach den Bestimmungen des SGB II, in denen Betragsrahmengebühren entstehen; zu Anfall und zur Höhe einer Erledigungsgebühr (vgl. hierzu insbesondere Bundessozialgericht, Urteil vom 02. Oktober 2008, - B 9/9a SB 5/07 R).
Tenor:
Auf die Erinnerung der Kläger und Erinnerungsführer vom 16. Januar 2009 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 08. Januar 2009 - S 27 AS 960/06 - werden die von der Beklagten und Erinnerungsgegnerin zu erstattenden notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits endgültig auf einen Betrag in Höhe von 761,60 € festgesetzt.
Dieser Betrag ist seit dem 05. November 2008 mit jährlich fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.
Gründe
Die Beteiligten streiten im Kostenfestsetzungsverfahren noch um die Höhe des Gesamtvergütungsanspruches des Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführer für ein Klageverfahren, das einerseits die Leistungsgewährung und andererseits die Aufhebung und Erstattung von zuvor bewilligten Leistungen nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) zum Gegenstand hatte. Das Klageverfahren erledigte sich, nachdem die Beklagte und Erinnerungsgegnerin (im Folgenden: Erinnerungsgegnerin) dem Begehren durch den Erlass eines Änderungsbescheides teilweise entsprochen hatte, durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten. Umstritten ist nunmehr noch, ob der Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsführer auch eine Erledigungsgebühr beanspruchen kann.
Die gemäß § 197 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Erinnerung ist im tenorierten Umfang begründet; im Übrigen ist sie unbegründet und war zurückzuweisen.
Der angefochtene Kostenfestesetzungsbeschluss hält der beantragten gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Kostenrechtlich angemessen ist es, einen Gesamtvergütungsanspruch in Höhe eines Betrages von 761,60 € festzusetzen. Der Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsführer kann nämlich neben der antragsgemäß festgesetzten Verfahrensgebühr auch eine Erledigungsgebühr in Höhe eines Betrages von 190,00 € beanspruchen.
Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmen zusteht. Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, - L 1 B 320/05 SF SK, zitiert nach juris). Dabei ist für jede Rahmengebühr eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen. Dies gilt sowohl für die Verfahrens- und Terminsgebühr (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, a. a. O. sowie Keller in jurisPR-SozR 10/2006, Anm. 6) als auch für die der Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr.
Was die Bestimmung der angemessenen Gebühr innerhalb des jeweiligen Gebührenrahmens angeht, entspricht es allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass die Mittelgebühr ein angemessenes Äquivalent für die anwaltliche Tätigkeit in einem in jeder Hinsicht durchschnittlichen Streitverfahren darstellt. Davon ausgehend sind sodann Abschläge für unterdurchschnittliche und Zuschläge für überdurchschnittliche Verfahren vorzunehmen. Dabei kann im Übrigen etwa die Überdurchschnittlichkeit eines Bewertungskriteriums durch die Unterdurchschnittlichkeit anderer Bewertungskriterien kompensiert werden.
Die hier in Rede stehende Erledigungsgebühr nach Nr. 1002, 1005 und 1006 VV-RVG ergibt sich aus einem Betragsrahmen zwischen 30,00 € und 350,00 €; die Mittelgebühr beträgt insoweit 190,00 €. Die Mittelgebühr ist daher dann angemessen, wenn Umfang und Schwierigkeit der Erledigung, die Bedeutung, das Haftungsrisiko und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse in jeder Hinsicht durchschnittlicher Natur sind, wobei auch insoweit Kompensationsmöglichkeiten bestehen.
Diese Gebühr kann der Rechtsanwalt regelmäßig nur dann verdienen, wenn er sich mit seinem Mandanten auseinandersetzt und überzeugend auf ihn einwirkt, sich mit einem Weniger zufrieden zu geben, als er ursprünglich begehrt hatte. Hierin, in der Vermeidung eines weitergehenden Verfahrens trotz Nichterreichen des Gewollten, liegt der besondere Erfolg des Rechtsanwalts, der durch die Erledigungsgebühr zusätzlich honoriert werden soll. Ferner kommt die Zuerkennung der Erledigungsgebühr dann in Betracht, wenn der Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsführer den Rahmen der seiner Mandantschaft obliegenden Mitwirkungspflicht überschreitet und so zur Gesamterledigung beiträgt (vgl. hierzu insbesondere Bundessozialgericht, Urteil vom 02. Oktober 2008, - B 9/9a SB 5/07 R = ASR 2009, S. 53 ff. mit Anmerkung Schafhausen). Die Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführer an der Erledigung des Verfahrens ohne streitige Entscheidung bestand darin, dass er nach seinem unwidersprochenen Vortrag die Angelegenheit mit den Erinnerungsführern ausführlich nach der Abgabe des Teilanerkenntnisses besprochen und mit diesem erörtert hat, inwieweit der Rechtsstreit trotz des abgegebenen Teilanerkenntnisses fortgesetzt werden soll. Insbesondere waren auch - wie der Schriftsatz der Erinnerungsführer vom 19. Juni 2008 zeigt - noch weitere Unwägbarkeiten zu klären. Da es erst danach zur Erklärung der gänzlichen Erledigung des Rechtsstreits gekommen ist, geht die Kammer - entgegen der Auffassung des Urkundsbeamten - davon aus, dass das Einwirken des Prozessbevollmächtigten auf seine Mandantschaft zumindest mitursächlich für die Erledigung war und ein besonderes Bemühen um die Beilegung des Rechtsstreits vorliegt. Insoweit ist die Fortsetzung des Verfahrens durch die Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführer trotz des nur teilweisen Erfolges und des Nichterreichens des Gewollten vermieden worden. Dies rechtfertigt die Zuerkennung der Erledigungsgebühr, weil im Übrigen auch nicht ersichtlich ist, welche weiteren Tätigkeiten von dem Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführer noch zu verlangen sein sollten, um den als Erfolgsgebühr ausgestalteten Gebührentatbestand der Nr. 1005/1006 VV-RVG auszulösen, zumal in Fällen der vorliegenden Art die Zuerkennung der (fiktiven) Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG ausgeschlossen ist (vgl. hierzu zuletzt: Sozialgericht Lüneburg, Beschluss vom 16. April 2009, - S 12 SF 45/09 E m. w. N.).
Weil und soweit für die Zuerkennung der Verfahrensgebühr nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten die Mittelgebühr angemessen ist, hält die Kammer auch die Mittelgebühr des Gebührentatbestandes der Nr. 1002/1005/1006 VV-RVG für kostenrechtlich zutreffend; der darüber hinaus gehende Antrag auf Festsetzung einer Erledigungsgebühr in Höhe eines Betrages von 280,00 € ist demgegenüber - auch unter Berücksichtigung eines gewissen Toleranzrahmens - ersichtlich unbillig.
Da die übrigen Gebührenpositionen zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehen, ergibt sich folgende Berechnung:
Widerspruchsverfahren
Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV-RVG
240,00 €
Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG
20,00 €
19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG
49,40 €
Gesamtbetrag
309,40 €
Klageverfahren
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103 VV-RVG
170,00 €
Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1002/1005/1006 VV-RVG
190,00 €
Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG
20,00 €
19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG
72,70 €
Gesamtbetrag
452,20 €
Insgesamt errechnet sich daher ein festzusetzender Betrag in Höhe von 761,60 € (309,40 € + 452,20 €), wobei zwischenzeitlich erfolgte Zahlungen mindernd zu berücksichtigen sind.
Der Ausspruch über die Verzinsung folgt aus § 197 Abs. 1 S. 2 SGG i. V. m. § 104 Abs. 1 S. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), wobei bei der Zinsberechnung zwischenzeitlich erfolgte Zahlungen entsprechend zu berücksichtigen sind.
Die Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig; eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich (vgl. hierzu Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 197, Rdnr, 10).