Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 15.12.2009, Az.: S 12 SF 169/09 E
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 15.12.2009
- Aktenzeichen
- S 12 SF 169/09 E
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 50557
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Auf die Erinnerung des Erinnerungsführers und Klägers vom 10. August 2009 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 04. August 2009 - S 1 R 312/06 - werden die von der Erinnerungsgegnerin und Beklagten an den Erinnerungsführer und Kläger zu erstattenden notwendigen außergerichtlichen Kosten endgültig auf einen Betrag in Höhe von 618,80 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. April 2007 festgesetzt; bereits erfolgte Zahlungen sind dabei in Abzug zu bringen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.
Gründe
Die Beteiligten streiten im Erinnerungsverfahren noch um die Höhe der dem Kläger und Erinnerungsführer (im Folgenden nur: Erinnerungsführer) zu erstattenden notwendigen außergerichtlichen Kosten eines rentenrechtlichen Streitverfahrens, das sich durch den Erlass eines - auch im Kostenpunkt - zusprechenden Gerichtsbescheides nach etwa 2 ½ - jähriger Verfahrensdauer erledigte.
Die Erinnerung hat Erfolg.
Die gemäß § 197 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 04. August 2009 - S 1 R 312/06 - ist zulässig und begründet.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die dem Erinnerungsführer zu erstattenden notwendigen außergerichtlichen Kosten zu Unrecht lediglich auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 499,80 € festgesetzt. Die Kammer hält demgegenüber einen Gesamtvergütungsanspruch in Höhe eines Betrages von 618,80 € für angemessen. Dem kostenrechtlich angemessenen Gesamtvergütungsanspruch liegt dabei auch eine Terminsgebühr in Höhe eines Betrages von 200,00 € zugrunde (dazu unter 1.); die übrigen Positionen standen zwischen den Beteiligten nicht in Streit und sind auch nach Auffassung des Gerichts antragsgemäß festsetzbar (dazu unter 3.).
Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte - Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG) der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmen zusteht. Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, - L 1 B 320/05 SF SK, zitiert nach juris). Die Aufzählung der Bemessungskriterien in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG ist nach dem Wortlaut der Vorschrift („vor allem") nicht abschließend, so dass weitere, unbenannte Kriterien mit einbezogen werden können. Sämtliche heranzuziehende Kriterien stehen selbstständig und gleichwertig nebeneinander (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 01. Juli 2009, - B 4 AS 21/09 R, zitiert nach juris). Für jede Rahmengebühr ist dabei eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen. Dies gilt sowohl für die Verfahrens- und Terminsgebühr (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, a. a. O. sowie Keller in jurisPR-SozR 10/2006, Anm. 6) als auch für die der Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr.
Was die Bestimmung der angemessenen Gebühr innerhalb des jeweiligen Gebührenrahmens angeht, entspricht es allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass die Mittelgebühr ein angemessenes Äquivalent für die anwaltliche Tätigkeit in einem in jeder Hinsicht durchschnittlichen Streitverfahren darstellt. Davon ausgehend sind sodann Abschläge für unterdurchschnittliche und Zuschläge für überdurchschnittliche Verfahren vorzunehmen. Dabei kann im Übrigen etwa die Überdurchschnittlichkeit eines Bewertungskriteriums durch die Unterdurchschnittlichkeit anderer Bewertungskriterien kompensiert werden.
1. Gemessen an diesen Maßstäben ist eine Terminsgebühr - entgegen der Auffassung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle - in Höhe eines Betrages von 200,00 € entstanden. Dieser Gebührentatbestand ist dabei dem Rahmen der Nr. 3106 VV-RVG zu entnehmen; er beträgt 20,00 € bis 380,00 €, die Mittelgebühr demnach 200,00 €. Der Rechtsstreit wurde gemäß § 105 SGG durch Gerichtsbescheid beendet, so dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat. Eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG ist dennoch entstanden.
Die Anwendung der Grundsätze des § 14 RVG auf die „fiktive" Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 1 bis 3 VV RVG ist mit dem Problem behaftet, dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat und dessen Schwierigkeit und Aufwand für den Prozessbevollmächtigten damit nicht bewertet werden können. Die Kammer vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass bei der Bemessung der Terminsgebühr auf den hypothetischen Aufwand abzustellen ist, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre. Daher ist eine fiktive Vergleichsbetrachtung anzustellen, in welcher Höhe ein Gebührenanspruch voraussichtlich entstanden wäre, wenn ein Termin stattgefunden hätte.
Das Gesetz eröffnet in Ziffer 3106 VV-RVG insoweit erneut den Gebührenrahmen in vollem Umfang und knüpft nicht an die Höhe der Verhandlungsgebühr an. Gäbe es für die Fest-legung der Terminsgebühr nicht die Möglichkeit einer eigenständigen Festsetzung unter Be-achtung der in § 14 RVG festgelegten Kriterien, hätte es der Eröffnung eines Gebührenrahmens nicht bedurft. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Normgeber in denjenigen Fällen, in denen keine Betragsrahmengebühren entstehen einen festen Wert - nämlich nach Nr. 3104 VV-RVG einen solchen von 1,2 - festgeschrieben hat. Daher ist es auch im Hinblick auf das Äquivalenzprinzip nicht gerechtfertigt, etwa grundsätzlich nur die Mindestgebühr in Höhe von 20,00 € anzuerkennen. Anderenfalls hätte der Normgeber auch bei der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG einen bestimmten Betrag festgeschrieben wie er es beispielsweise bei den Angelegenheiten der Beratungshilfe nach Nr. 2600 ff. VV-RVG, in Strafsachen bei den Gebühren des gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts nach den Nr. 4100 ff. VV-RVG oder den sonstigen Verfahren nach den Nr. 6100 ff. VV-RVG getan hat. Auch wenn in diesen Verfahren keine Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen, war sich der Normgeber offensichtlich durchaus der Möglichkeit der Festschreibung von Gebührenbeträgen bewusst.
Wenn danach auch bei der fiktiven Terminsgebühr von einem Gebührenrahmen zwischen 20,00 € und 380,00 € auszugehen ist, ergibt eine auf einen hypothetischen Termin bezogene Abwägung der Kriterien des § 14 RVG, dass insoweit eine insgesamt durchschnittliche Angelegenheit vorliegt. Dem Anwalt steht die Mittelgebühr hinsichtlich der Terminsgebühr für Termine mit durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem Aufwand und durchschnittlicher Bedeutung für den Mandanten zu. Entscheidend ist eine Gesamtabwägung. Es müssen sämtliche den Gebührenanspruch potentiell beeinträchtigenden Faktoren miteinander und gegeneinander im Einzelfall abgewogen werden.
Unter Beachtung aller Abwägungskriterien des § 14 RVG, die für die Verfahrensgebühr nach Auffassung der Kammer einen Betrag oberhalb der der Mittelgebühr rechtfertigt, ist eine Terminsgebühr jedenfalls in Höhe der Mittelgebühr angemessen. Hinsichtlich des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit gilt dabei nämlich Folgendes: Abzustellen ist - wie ausgeführt - auf den hypothetischen Aufwand, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre. Der Ablauf eines derartigen Termins hätte sich hier jedoch anders als in den Fällen der Nr. 3106 Ziffer 3 VV-RVG dargestellt. Bei dieser Konstellation ist es gerechtfertigt, von einem (fiktiven) weit unterdurchschnittlichen anwaltlichen Aufwand im (hypothetischen) Termin zur mündlichen Verhandlung auszugehen. Demgegenüber hätten in der diesem Erinnerungsverfahren zugrunde liegenden Fallgestaltung (hypothetisch) der Sachvortrag des Vorsitzenden, ergänzende Fragen an die Beteiligten, die Erörterung der Sach- und Rechtslage und schließlich das Stellen der Anträge erfolgen müssen. Dies entspricht einem Termin zur mündlichen Verhandlung, der für den Anwalt mit durchschnittlichem Aufwand verbunden wäre und stimmt im Übrigen auch mit den gesetzlichen Vorgaben des § 112 SGG über den Gang einer mündlichen Verhandlung im sozialgerichtlichen Verfahren überein. Es wäre insoweit gerade nicht ausreichend gewesen, etwa nur noch die Annahme eines abgegebenen Anerkenntnisses zu erklären. Nur für diese Konstellation entspricht es ständiger Rechtsprechung der Kostenkammer des Sozialgerichts Lüneburg, die fiktive Terminsgebühr in Höhe eines Betrages von 100,00 € zugrunde zu legen, wenn die Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr anzusetzen ist (vgl. hierzu etwa vgl. zum Themenkomplex der (fiktiven) Terminsgebühr bei angenommenem Anerkenntnis: Beschlüsse der seit dem 01. Januar 2009 bei dem Sozialgericht Lüneburg eingerichteten Kostenkammer vom 04. März 2009, - S 12 SF 53/09 E, vom 16. März 2009 - S 12 SF 59/09 E, - S 12 SF 64/09 E, vom 25. März 2009, - S 12 SF 43/09 E, vom 27. April 2009, - S 12 SF 39/09 E sowie vom 24. Juli 2009, - S 12 SF 72/09 E, jeweils zitiert nach juris). Auf diese Differenzierung hat die Kammer bereits mehrfach hingewiesen (vgl. etwa Beschluss vom 27. Juli 2009, - S 12 SF 113/09 E, zitiert nach juris).
Wägt man daher die dargestellten durchschnittlichen Anforderungen an die hypothetische anwaltliche Tätigkeit bei der Wahrnehmung des Termins mit den auch hier maßgebenden durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen und der überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger und das allenfalls durchschnittliche Haftungsrisiko des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegeneinander ab, ist das vorliegende Streitverfahren hinsichtlich der Festsetzung der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 200,00 € - mithin in Höhe der Mittelgebühr - kostenrechtlich angemessen erfasst. Dies bedeutet zugleich, dass bei einem tatsächlich stattgefundenen Termin auch mindestens ein Betrag in dieser Höhe festzusetzen gewesen wäre.
2. Soweit der Erinnerungsführer um die die Einholung eines Gutachtens des Vorstands der Rechtsanwaltskammer gemäß § 14 Abs. 2 RVG gebeten hat, kam dies schon deshalb nicht in Betracht, weil die Kammer eine Verpflichtung hierzu nicht zu erkennen vermag (vgl. etwa Gerold/Schmidt - Mayer, RVG, § 14, Rdn. 35).
3. Weil andere Gebührenpositionen zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehen, ergibt sich folgende Berechnung:
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV-RVG
300,00 €
Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV-RVG
200,00 €
Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG
20,00 €
19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG
98,80 €
Summe
618,80 €
4. Der Ausspruch über die Verzinsung ergibt sich aus § 197 Abs. 1 S. 2 SGG i. V. m. § 104 Abs. 1 S. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), wobei zwischenzeitlich erfolgte Zahlungen entsprechend (mindernd) zu berücksichtigen sind.
5. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus einer analogen Anwendung des § 33 Abs. 9 S. 2 RVG, des § 56 Abs. 2 S. 3 RVG und des § 66 Abs. 8 S. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG; vgl. zur Kostengrundentscheidung im Erinnerungsverfahren auch Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 197, Rdn. 10, der eine solche sogar gänzlich für entbehrlich hält).
6. Die Erinnerungsentscheidung ergeht nach entsprechender Anwendung des § 33 Abs. 9 S. 1 RVG, des § 56 Abs. 2 S. 2 RVG und des § 66 Abs. 8 S. 1 GKG gerichtskostenfrei.
7. Die Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig.