Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 17.03.2009, Az.: S 12 SF 37/09 E
Anrechnung; anwaltliche Tätigkeit; Beratungshilfegebühr; Betragsrahmengebühr; Erleichterung; gerichtliche Tätigkeit; hälftige Höhe; Nettogebühr; Rechtsanwaltsvergütung; sozialgerichtliches Verfahren; Vorverfahren; Vorverfahrenstätigkeit
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 17.03.2009
- Aktenzeichen
- S 12 SF 37/09 E
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 50440
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Nr 2503 Abs 2 S 1 RVG-VV
- Nr 3103 RVG-VV
- Nr 3102 RVG-VV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Beratungshilfegebühr ist auch in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, grundsätzlich nach dem unmissverständlichen Wortlaut der Nr. 2603 Abs. 2 S. 1 VV-RVG in hälftiger Höhe auf die Verfahrensgebühr als Nettogebühr anzurechnen.
Tenor:
Die Erinnerung gegen den Kostenansatz des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 06. Januar 2009 - S 41 AS 562/07 - wird zurückgewiesen.
Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.
Gründe
Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit der (hälftigen) Anrechnung der dem Erinnerungsführer aus Beratungshilfemitteln zugeflossenen Vergütung auf seine Prozesskostenhilfevergütung für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Lüneburg.
Die Erinnerung, über die gemäß § 66 Abs. 6 S. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) das Gericht entscheidet, bei dem die Kosten angesetzt sind, ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat mit seinem Kostenansatz vom 06. Januar 2009 - S 41 AS 562/07 - zu Recht einen Betrag in Höhe von 35,00 € von dem als Prozessbevollmächtigten im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Erinnerungsführer und Kostenschuldner (im Folgenden: Erinnerungsführer) angefordert.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat zu Recht die gewährte Beratungshilfe hälftig auf die gerichtlichen Gebühren angerechnet. Die Beratungshilfegebühr ist nämlich nach dem unmissverständlichen Wortlaut der Nr. 2603 Abs. 2 S. 1 VV-RVG in hälftiger Höhe auf die Verfahrensgebühr als Nettogebühr anzurechnen.
Hiergegen spricht auch nicht das Vorbringen des Erinnerungsführers, dass durch die Anwendung des Gebührenrahmes der Nr. 3103 VV-RVG anstelle des Gebührenrahmens der Nr. 3102 VV-RVG eine doppelte Anrechnung der Vorverfahrenstätigkeit erfolge. Für das gerichtliche Verfahren erster Instanz ist gegenüber der Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG eine Verfahrensgebühr mit einem niedrigeren Rahmen für den Fall vorgesehen, dass der Rechtsanwalt bereits im Verwaltungsverfahren oder in dem dem gerichtlichen Verfahren vorausgehenden Vorverfahren tätig geworden ist. Dabei wird berücksichtigt, dass die Tätigkeit in diesen Verwaltungsverfahren die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren durchaus erleichtert. Daher beträgt der Rahmen der Verfahrensgebühr hier lediglich 20,00 € bis 320,00 € statt nach der Nr. 3102 VV-RVG 40,00 € bis 460,00 €. In der Anmerkung zu Nr. 3103 VV-RVG wird indes klargestellt, dass der durch die vorangegangene Tätigkeit ersparte Aufwand ausschließlich durch die Anwendung des geringeren Rahmens und nicht mehr bei der Bemessung der konkreten Gebühr berücksichtigt werden soll (vgl. etwa Madert in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, VV-RVG 3103 Rdn. 2 u. 3). Somit kann schon nicht von einer zwangsläufigen Reduzierung der Vergütung ausgegangen werden, weil danach jedenfalls im gerichtlichen Verfahren die konkrete Gebühr nicht ohne weiteres reduziert werden kann (vgl. zum Ganzen zutreffend: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01. Februar 2007 - L 12 B 8/06 AS).
Die dem Gebührentatbestand Nr. 3102 VV-RVG vorrangige Sondervorschrift Nr. 3103 VV-RVG gilt nicht nur für den Fall, dass dem Klageverfahren eine „voll bezahlte“ Tätigkeit des Anwalts in einem Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren vorausgegangen ist. Vielmehr erfüllt der reine Tatbestand der Vorbefassung die Zugrundelegung der Nr. 3103 VV-RVG statt Nr. 3102 VV-RVG, weil es ausschließlich darauf ankommt, dass sich der Arbeitsaufwand für den Anwalt verringert, wenn er bereits vorgerichtlich tätig war. Ob, von wem und in welcher Höhe der Anwalt im Einzelfall eine Vergütung für seine Tätigkeit im vorgeschalteten Verfahren verlangen kann, insbesondere wenn und soweit diese Tätigkeit über die Beratungshilfe hinausgeht, ist wiederum für die Anwendung der Nr. 3103 VV-RVG nicht entscheidend. So kommt es beispielsweise auch nicht darauf an, ob der Anwalt für das vorausgegangene Verfahren einen Vergütungsanspruch gegen den Auftraggeber (oder einen Dritten) auch tatsächlich durchsetzen kann.
Die Erinnerung übersieht im Übrigen, dass im Sozialgerichtsverfahren eine wie auch immer geartete Wechselbeziehung zwischen der im Rahmen der Beratungshilfe anfallenden Geschäftsgebühr und den Gebühren für ein anschließendes gerichtliches Verfahren nicht besteht. Die hälftige Anrechnung der erstgenannten Gebühr betrifft sämtliche Gebühren für das anschließende Verfahren und bezieht sich systematisch gerade nicht nur und ausschließlich auf die Gebühren nach Nr. 3103 VV-RVG, selbst wenn sich die Anrechnung im Einzelfall auch und gerade auf die letztgenannte Gebühr auswirken kann (so zu Recht: Sozialgericht Osnabrück, Beschluss vom 26. November 2008, - S 1 SF 36/08 mit weiteren Nachweisen).
Durch die hälftige Anrechnung der Beratungshilfe wird im Übrigen auch keine weitere Reduzierung der Vergütung vorgenommen, sondern eine bereits gewährte und geflossene Zahlung schlicht berücksichtigt (so zutreffend: Sozialgericht Braunschweig, Beschluss vom 04. Juni 2008, - S 20 SF 7/07).
Die dieser Auffassung entgegenstehende Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 18. März 2008, - L 1 B 21/07 AL) sowie des Sozialgerichts Dresden (Beschluss vom 27. Februar 2009, - S 24 SF 180/08 R/F unter Bezugnahme auf Schneider, MAV-Mitteilungen, August/September 2008, S. 8/9) kann daher aus den oben dargestellten Gründen nicht überzeugen. Insbesondere übersieht sie, dass jeder Auslegung jedenfalls durch den unmissverständlichen und eindeutigen Wortlaut einer Vorschrift Grenzen gesetzt sind (vgl. dazu etwa auch: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. Juli 2007, - 1 BvR 650/03 unter Bezugnahme auf BVerfGE 59, S. 330, S. 334).
Wenn danach eine Anrechnung der hälftigen Netto-Beratungshilfegebühr in Höhe eines Betrages von 35,00 € auf die - bereits vollständig ausgezahlte - Prozesskostenhilfevergütung vorzunehmen gewesen wäre, konnte der insoweit überzahlte Betrag im Wege des Kostenansatzes zurückgefordert werden.
Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar, weil auch § 66 Abs. 2 GKG durch die §§ 172 ff. SGG verdrängt wird (vgl. hierzu jüngst: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06. März 2009, - L 8 SF 1/09 B sowie zur fehlenden Beschwerdemöglichkeit bei Entscheidungen über die Prozesskostenhilfevergütung: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Dezember 2006, - L 8 B 4/06 SO SF und Beschluss vom 17. Oktober 2008, - L 13 B 4/08 SF mit zahlreichen weiteren Nachweisen).