Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 23.11.2009, Az.: S 26 AY 24/09 ER
Antrag einer libanesichen Familie auf Gewährung privilegierter Leistungen gem. § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG); Rechtmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes eines Asylbewerbers im Bundesgebiet durch den Asylbewerber selbst
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 23.11.2009
- Aktenzeichen
- S 26 AY 24/09 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 31979
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2009:1123.S26AY24.09ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 25 Abs. 5 AufenthG
- § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG
- § 2 Abs. 1 AsylbLG
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller erstreben vom Antragsgegner die Gewährung privilegierter Leistungen nach § 2 Absatz 1 AsylbLG in Verbindung mit SGB XII entsprechend.
Der J. geborene Antragsteller zu 1., seine Ehefrau, die K. geborene Antragstellerin zu 2., und ihre Kinder, die L., M. und N. geborenen Antragsteller zu 3. bis 5. sind libanesische Staatsangehörige. Die Antragsteller zu 1. und 2. reisten im September 1990 in das Bundesgebiet ein, nachdem sie ihre Nationalpässe dem Schleuser überließen.
Die Asylanträge lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 23. Oktober 1990 als offensichtlich unbegründet ab. Mit Schreiben vom 02. August 1991 forderte der Antragsgegner die Antragsteller zu 1. und 2. zur Ausreise auf. Der Aufenthalt der Antragsteller im Bundesgebiet wurde in der Folgezeit geduldet. Am 27. April 2009 erteilte der Antragsgegner den Antragstellern Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Absatz 5 AufenthG aus humanitären Gründen.
Die Antragsteller bezogen in der Vergangenheit Grundleistungen nach §§ 3 bis 7 AsylbLG und zeitweise auch gekürzte Leistungen nach § 1a AsylbLG.
Am 14. Mai 2009 stellten die Antragsteller einen Antrag auf Gewährung privilegierter Leistungen (Bl. 6 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 24. September 2009 (Bl. 89 bis 92 der Verwaltungsakte) bewilligte der Antragsgegner Grundleistungen ab dem 01. September 2009 in Höhe von monatlich 1.690,51 Euro.
Mit Bescheid vom 15. Oktober 2009 (Bl. 105 bis 108 der Verwaltungsakte) bewilligte der Antragsgegner Grundleistungen ab dem 01. November 2009 in Höhe von monatlich 1.684,50 Euro.
Mit Bescheid vom 09. November 2009 lehnte der Antragsgegner die Gewährung privilegierter Leistungen ab und begründete dies damit, dass die Antragsteller die Dauer ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hätten. Die Ausreisepflicht habe nicht vollzogen werden können, weil keine Pässe vorgelegt worden seien. Es habe keine Abschiebungshindernisse gegeben. Die Antragsteller seien 2002 zur Registrierung der Kinder aufgefordert worden, hätten aber keine Registrierung im Libanon erwirken können. Im Jahre 2005 hätten sie ihre Mitwirkungsbemühungen eingestellt. Es seien keine Gründe für die Unterlassung vorgetragen worden. Die Antragsteller zu 3. bis 5. seien nach § 2 Absatz 3 AsylbLG ausgeschlossen.
Die Antragsteller haben am 03. November 2009 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Sie tragen vor:
Wer eine Aufenthaltserlaubnis besitze, könne nicht die Dauer des Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich beeinflussen. Es sei unerheblich, ob die Antragsteller schon zu einem früheren Zeitpunkt hätten Pässe beschaffen können. Die mangelnde Abschiebemöglichkeit sei von der Behörde zu vertreten. Sie hätten niemals eine freiwillige Ausreise in den Libanon beabsichtigt.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern ab sofort privilegierte Leistungen nach§ 2 Absatz 1 AsylbLG in Verbindung mit SGB XII entsprechend zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er trägt unter Bezugnahme auf den erlassenen Bescheid vor.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die Ausländerakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
Nach § 86 b Absatz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des I. Rechtzuges.
Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 SGG ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Absatz 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Absatz 2 ZPO). Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes (vgl. Beschlüsse des Hessischen Landessozialgerichtes vom 29. Juni 2005 - L 7 AS 1/05 ER - und vom 12. Februar 1997 - L 7 AS 225/06 ER -; Berlit, info also 2005, 3, 8).
Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft darlegen können.
Die Antragsteller sind grundsätzlich nach § 1 Absatz 1 Nr. 3 AsylbLG leistungsberechtigt.
Ein Anspruch auf privilegierte Leistungen gemäß § 2 Absatz 1 AsylbLG (in der ab dem 28. August 2007 geltenden Fassung nach Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 - BGBl. I S 1970 -) in Verbindung mitSGB XII analog abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG haben diejenigen Leistungsberechtigten, die über eine Dauer von 48 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
Nach Absatz 3 erhalten minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, privilegierte Leistungen nur, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Absatz 1 erhält. Ferner müssen die Voraussetzungen des Absatzes 1 auch bei den Kindern vorliegen (vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Kommentar zum AsylbLG, § 2, Rd. 34).
Auch wenn die Vorbezugszeit von 48 Monaten Grundleistungen erfüllt ist, scheitert der Antrag daran, dass die Antragsteller zu 1. und 2. die Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben und die Antragsteller zu 3. bis 5. gemäߧ 2 Absatz 3 AsylbLG von privilegierten Leistungen ausgeschlossen sind.
Dabei ist auf die gesamte Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet abzustellen (vgl. Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, § 2 AsylbLG, Rd. 4; Schellhhorn/ Schellhorn/Hohm, Kommentar zum SGB XII, § 2 AsylbLG, Rd. 13.
Rechtsmissbräuchlich handelt nach den Urteilen des Bundessozialgerichtes vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AS 1/07 R und B 8 AY 9/07 R - derjenige, der über die Nichtausreise hinaus sich sozialwidrig unter Berücksichtigung des Einzelfalls verhält, wobei auf eine objektive und eine subjektive Komponente abzustellen ist. Erforderlich ist der Vorsatz bezogen auf eine die Aufenthaltsdauer beeinflussende Handlung, mit dem Ziel der Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. Das bloße Unterlassen einer freiwilligen Ausreise trotz Zumutbarkeit genügt in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung nicht. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat mit Urteil vom 20. Dezember 2005 - L 7 AY 40/05 - festgestellt, dass das Ausnutzen einer Duldung nicht rechtsmissbräuchlich sei und ein weiteres Verhalten hinzutreten müsse.
Diese Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht aufgegriffen und insoweit ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in der Vernichtung von Ausweispapieren und in der Angabe einer falschen Identität erblickt. Als rechtsmissbräuchlich kann auch angesehen werden die Weigerung, an der Passbeschaffung mitzuwirken (vgl. Urteil des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen vom 20. Dezember 2005 - L 7 AY 40/05 -; Beschluss des Sozialgerichtes Hannover vom 25. April 2005 - S 51 AY 42/05 ER -; Schellhorn/Schellhorn/Hohm § 2, Rd. 15). Die Pflichtverletzung muss unentschuldbar sein. Dabei ist der Aufenthaltsstatus in diesem Kontext nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes belanglos.
Darüber hinaus setzt das Bundessozialgericht anders als der 11. Senat des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen (vgl. etwa Urteil vom 16. Oktober 2007 - L 11 AY 61/07 -) nicht als Tatbestandsmerkmal voraus, dass das missbilligte Verhalten für die Dauer des Aufenthaltes kausal sein müsse, sondern legt eine abstraktgenerelle Betrachtungsweise zugrunde. Demnach muss der Missbrauchstatbestand auch nicht aktuell andauern oder fortwirken. Diese Rechtsansicht vertreten neben der Kammer (vgl. Urteil vom 18. Januar 2007 - S 26 AY 26/06 -) überdies das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 28. März 2007 - L 7 AY 1386/07 ER-B -, das Bayerische Landessozialgericht mit Beschluss vom 28. Juni 2005 - L 11 B 212/05 AY ER - und der 7. Senat des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen in der zitierten Entscheidung.
Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten kann nach der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes auch vor der Einreise vorliegen. Dabei kann auch ein einmaliges Verhalten genügen.
Rechtsmissbräuchliches Verhalten der Eltern kann den Kindern aber nicht zugerechnet werden, sondern § 2 Absatz 3 AsylbLG ist zu prüfen.
(1)
Die Antragsteller zu 1. und 2. haben rechtsmissbräuchlich die Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet beeinflusst, und zwar zum einen durch die Weggabe der Ausweispapiere bei der Einreise (a) und zum anderen dadurch, dass sie ihren Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung von Passersatzpapieren nicht nachgekommen sind (b).
(a)
Die Antragsteller zu 1. und 2. räumen selbst ein, dass sie die Pässe beim Schleuser "vergessen" hätten. Trotz Nachfrage der Kammer hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller zu diesem streitentscheidenden Aspekt nicht Stellung genommen. Die Kammer geht von einer gewollten und beabsichtigten Weggabe aus, welche objektiv dazu führte, dass eine umgehende Rückführung in den Libanon vereitelt wurde. Die Antragsteller haben den Zustand der Passlosigkeit schuldhaft herbeigeführt und zu vertreten, weil dies ein Umstand ist, welcher ihrer eigenen Verantwortungssphäre zuzuordnen ist. Dabei war von vornherein objektiv erkennbar, dass sich die Ausreise allein aus diesem Grund verzögern würde. Dies nahmen die Antragsteller zumindest billigend in Kauf und handelten daher vorsätzlich. Dem sind die Antragsteller in keiner Weise entgegen getreten.
Zu demselben Ergebnis gelangte im Übrigen das Verwaltungsgericht O. mit Beschluss vom 29. April 1999 - 4 B 22/99 -, in dem dieses die Nichtvorlage von Pässen als von den Antragstellern zu vertreten ansah und zugleich die Gewährung gekürzter Leistungen billigte.
Unerheblich ist, ob das rechtsmissbräuchliche Verhalten in die streitigen Leistungszeiträume fortwirkt. Insoweit ist dem Bundessozialgericht zu folgen, nach dessen Rechtsprechung Anhaltspunkte für eine Kausalität sich dem Gesetz nicht entnehmen lassen.
(b)
Die Antragsteller zu 1. und 2. haben nicht hinreichend an der Beschaffung von Ersatzausweispapieren mitgewirkt.
Zu diesem Ergebnis gelangte bereits das Verwaltungsgericht O. im zitierten Beschluss. Ein erkennbares Bemühen hat das Verwaltungsgericht bis zum Jahre 1999 nicht erkennen können. Darin ist gleichzeitig ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zu sehen, welches objektiv zu einer Verlängerung des Aufenthaltes geführt hat. Ein Fortwirken bis zur Gegenwart ist nicht erforderlich.
Darüber hinaus haben die Antragsteller zu 1. und 2. auch in der Folgezeit nicht hinreichend bei der Passbeschaffung mitgewirkt, welche erst im April 2009 erfolgte. Auffällig ist hierbei, dass nach Mitteilung des Antragsgegners, dass nunmehr Aufenthaltserlaubnisse erteilt werden sollten, die Papiere umgehend beschafft wurden, nachdem 19 Jahre lang keine Beschaffung möglich gewesen sei. Es bestehen daher berechtigte Zweifel daran, ob alle Möglichkeiten der Mitwirkung zuvor ausgeschöpft worden sind oder ob nicht eine planvolle Vereitelungsabsicht gegeben war. Der Prozessbevollmächtigte trägt zu diesem Aspekt trotz Aufforderung der Kammer nicht vor, weil er meint, dass es darauf nicht ankomme. Dabei verkennt er aber die Rechtslage, weil nach dem Gesetz keine Privilegierung von Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 AufentG gegeben ist, welche im Übrigen auch nicht mit Artikel 3 Grundgesetz vereinbar wäre. Selbstverständlich ist auch in diesem Kontext die Vorlage rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Einzelfall zu prüfen. Darauf hat im Übrigen auch das Bundessozialgericht in den zitierten Urteilen ausdrücklich hingewiesen.
Der Prozessbevollmächtigte setzt sich mit dieser Rechtsprechung nicht auseinander und hat überdies den Vortrag des Antragsgegners nicht bestritten, welcher im Übrigen auch in den Verwaltungsakten Niederschlag findet. Im Rahmen der summarischen Prüfung geht die Kammer daher von der Korrektheit des in keiner Weise bestrittenen Vortrags des Antragsgegners aus, da keine entgegenstehenden Gesichtspunkte erkennbar sind.
(2)
Die Antragsteller zu 3. bis 5. haben aufgrund § 2 Absatz 3 AsylbLG keinen Anspruch auf privilegierte Leistungen. Diese Norm findet Anwendung (vgl. Beschluss des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen vom 23. Oktober 2006 - L 7 AY 14/05 ER -)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG analog.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde zulässig.
...