Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 30.06.2009, Az.: S 12 SF 89/09 E

Angemessenheit; Aufschlag; Einigungsgebühr ; Erledigungsgebühr; Höhe; mehrere Auftraggeber; Mittelgebühr; Prozesskostenhilfevergütung; Rahmengebühr; Rechtsanwaltsgebühr; Terminsgebühr; Toleranzrahmen; Verfahrensgebühr

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
30.06.2009
Aktenzeichen
S 12 SF 89/09 E
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 50484
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Höhe der Prozesskostenhilfevergütung in einem asylbewerberleistungsrechtlichen Verfahren, in dem Betragsrahmengebühren entstehen; insbesondere zur Frage, wie die Berechnung der Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG i. V. m. Nr. 1008 VV-RVG vorgenommen werden muss, wenn mehrere Auftraggeber vertreten worden sind (Betragsrahmenverschiebung); ferner zur Frage der Entstehung der Erledigungsgebühr nach Nr. 1005/1006 VV-RVG.

Tenor:

Auf die Erinnerung des Erinnerungsführers vom 17. Februar 2009 gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 26. Januar 2009 - S 26 AY 22/08 ER - wird die aus der Staatskasse an den Erinnerungsführer zu gewährende Prozesskostenhilfevergütung endgültig auf einen Betrag in Höhe von insgesamt 621,18 € festgesetzt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.

Gründe

1

Der Erinnerungsführer macht als beigeordneter Rechtsanwalt einen Anspruch auf Festsetzung einer höheren Vergütung aus Prozesskostenhilfemitteln der Staatskasse für die Vertretung seiner Mandanten in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht Lüneburg geltend. Hierbei ist nur noch die Höhe der Verfahrensgebühr sowie die Entstehung der Erledigungs-/Einigungsgebühr streitig.

2

Die Erinnerung des Erinnerungsführers vom 17. Februar 2009 hat im tenorierten Umfang Erfolg.

3

Der beigeordnete Rechtsanwalt ist im Verfahren über die Festsetzung der Rechts-anwaltsvergütung aus Prozesskostenhilfemitteln (neben der Staatskasse) gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)) allein erinnerungsbefugt (vgl. etwa Gerold/Schmidt - Müller-Rabe, RVG, § 56, Rdn. 6); das Rubrum war dementsprechend von Amts wegen zu berichtigen.

4

Die danach gemäß § 56 Abs. 1 RVG gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 26. Januar 2009 - S 26 AY 22/08 ER - erhobene Erinnerung des Erinnerungsführers ist zulässig und im tenorierten Umfang auch begründet.

5

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat zu Unrecht lediglich einen Betrag in Höhe von 333,20 € festgesetzt; die Kammer hält demgegenüber eine Prozesskostenhilfevergütung in Höhe eines Betrages von insgesamt 621,18 € für kostenrechtlich angemessen.

6

Der Erinnerungsführer hat eine Verfahrensgebühr in Höhe eines Betrages von 312,00 € (dazu unter 1.) sowie eine Einigungs-/Erledigungsgebühr in Höhe eines Betrages von 190,00 € (dazu unter 2.) nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer verdient.

7

Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmen zusteht. Zwar gilt Satz 4 der Vorschrift nicht, wenn es sich um ein Verfahren handelt, in dem um die Höhe des Prozesskostenhilfevergütungsanspruches gestritten wird, weil die Staatskasse nicht Dritter, sondern Vergütungsschuldner ist. Dennoch findet zu ihren Gunsten eine Billigkeitskontrolle statt (Gerold/Schmidt - Müller-Rabe, RVG, § 55, Rdn. 29). Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, - L 1 B 320/05 SF SK, zitiert nach juris). Dabei ist für jede Rahmengebühr eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen. Dies gilt sowohl für die Verfahrens- und Terminsgebühr (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, a. a. O. sowie Keller in jurisPR-SozR 10/2006, Anm. 6) als auch für die der Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr.

8

Was die Bestimmung der angemessenen Gebühr innerhalb des jeweiligen Gebührenrahmens angeht, entspricht es allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass die Mittelgebühr ein angemessenes Äquivalent für die anwaltliche Tätigkeit in einem in jeder Hinsicht durchschnittlichen Streitverfahren darstellt. Davon ausgehend sind sodann Abschläge für unterdurchschnittliche und Zuschläge für überdurchschnittliche Verfahren vorzunehmen. Dabei kann im Übrigen etwa die Überdurchschnittlichkeit eines Bewertungskriteriums durch die Unterdurchschnittlichkeit anderer Bewertungskriterien kompensiert werden.

9

1. Danach hat der Erinnerungsführer eine Verfahrensgebühr in Höhe eines Betrages von 312,00 € verdient. Die Verfahrensgebühr war - wovon die Beteiligten auch übereinstimmend zu Recht ausgehen - dem Rahmen der Nr. 3102 des Vergütungsverzeichnisses (VV-RVG) - Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - zu entnehmen (vgl. zur Frage, ob für die Vertretung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Nr. 3102 VV-RVG oder jedoch die Nr. 3103 VV-RVG Anwendung findet: Sozialgericht Lüneburg, Beschluss vom 30. März 2009, - S 25 SF 177/08 - mit weiteren Nachweisen zum Meinungsstand -, zitiert nach juris). Dieser Rahmen sieht eine Gebührenspanne von 40,00 € bis 460,00 € vor. Erweist sich das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG als durchschnittliche Leistung, ist die Mittelgebühr von 250,00 € angemessen. Darüber hinaus ist die Vertretung eines weiteren Auftraggebers wie folgt zu berücksichtigen: Soweit der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in seinen Erwägungen auf Seite 5 der Kostenfestsetzung vom 26. Januar 2009 von einer „Aufstockung der Verfahrensgebühr um 0,3“ wegen der Vertretung von einem weiteren Auftraggeber ausgeht, entspricht dies nicht der gesetzlichen Regelung der Nr. 1008 VV-RVG. Vielmehr ist in einem ersten Schritt der hier zugrunde zu legende Gebührenrahmen der Nr. 3102 VV-RVG entsprechend der Regelung des Nr. 1008 VV-RVG neu zu bilden. Bei der Vertretung von einem weiteren Auftraggebern ist dabei jeweils auf den Mindest- und den Höchstbetrag des ursprünglichen Gebührenrahmens (40,00 € bis 460,00 €) ein Aufschlag von 30 % zu addieren. Daraus ergibt sich dann ein gänzlich anderer Gebührenrahmen. Daher ist zu der Mindestgebühr der Nr. 3102 VV-RVG in Höhe eines Betrages von 40,00 € ein Betrag in Höhe von 12,00 € und zu der Höchstgebühr in Höhe eines Betrages von 460,00 € ein Betrag in Höhe von 138,00 € zu addieren, so dass bei der Vertretung von einem weiteren Auftraggeber ein Gebührenrahmen zwischen 52,00 € und 598,00 € auszufüllen ist; die Mittelgebühr beträgt dann 325,00 € . Ferner ist in einem zweiten Schritt zu beachten, dass die durch Nr. 1008 Abs. 3 VV-RVG vorgegebene „Deckelung“ des Gebührenrahmens (120,00 € bis 1.380,00 €) nicht überschritten wird.

10

Die danach von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zugrunde gelegte Verfahrensgebühr in Höhe eines Betrages von insgesamt 260,00 € ist zwar auch nach Auffassung der Kammer kostenrechtlich nicht zu beanstanden, weil hierbei die zur Bemessung des Gebührenbetrages heranzuziehenden Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG ausreichende Berücksichtigung gefunden haben. Auf die entsprechenden zutreffenden Erwägungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in seiner Kostenfestsetzung vom 26. Januar 2009 - dort insbesondere S. 2 (letzter Absatz) bis S. 4 (dritter Absatz) - nimmt das Gericht zur Begründung seiner Entscheidung zunächst gemäß § 142 Abs. 2 S. 3 SGG Bezug und macht sich diese zur Vermeidung nicht gebotener Wiederholungen zu Eigen. Indes hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zu Unrecht den dem Erinnerungsführer zuzugestehenden Toleranzrahmen unberücksichtigt gelassen. Die Kammer fühlt sich aufgrund dieses Toleranzrahmens, der dem anwaltlichen Ermessensspielraum bei dessen Gebührenbestimmung Rechnung tragen soll, an diese in Höhe eines Betrages von 312,00 € gebunden, so dass auch dieser Betrag in die Berechnung einzustellen ist (vgl. zur Frage der Einräumung eines Toleranzrahmens: Bundesgerichtshof, Urteil vom 31. Oktober 2006, - VI ZR 261/05, zitiert nach juris).

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2. Schließlich ist - entgegen der Auffassung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle - auch eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1005, 1006 VV-RVG entstanden. Diese ergibt sich aus einem Betragsrahmen zwischen 30,00 € und 350,00 €; die Mittelgebühr beträgt insoweit 190,00 €. Hierfür hält die Kammer einen Betrag - etwas unterhalb der Mittelgebühr - in Höhe von 170,00 € für angemessen, ist jedoch auch hier an den dem Erinnerungsführer zuzugestehenden Toleranzrahmen gebunden. Diese Gebühr kann der Rechtsanwalt regelmäßig nur dann verdienen, wenn er sich mit seinem Mandanten auseinandersetzt und überzeugend auf ihn einwirkt, sich mit einem Weniger zufrieden zu geben, als er ursprünglich begehrt hatte. Hierin, in der Vermeidung eines weitergehenden Verfahrens trotz Nichterreichen des Gewollten, liegt der besondere Erfolg des Rechtsanwalts, der durch die Erledigungsgebühr zusätzlich honoriert werden soll. Ferner kommt die Zuerkennung der Erledigungsgebühr dann in Betracht, wenn der Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsführer den Rahmen der seiner Mandantschaft obliegenden Mitwirkungspflicht überschreitet und so zur Gesamterledigung beiträgt (vgl. hierzu insbesondere Bundessozialgericht, Urteil vom 02. Oktober 2008, - B 9/9a SB 5/07 R = ASR 2009, S. 53 ff. mit Anmerkung Schafhausen). Zugunsten des Erinnerungsführers geht die Kammer davon aus, dass er - der Erinnerungsführer - im Rahmen des Verlaufes des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auf die Antragsteller überzeugend eingewirkt hat, sich mit einem Weniger zufrieden zu geben - nämlich mit der Unterbringung in einer Sammelunterkunft - als sie ausweislich des Antragsschriftsatzes vom 06. Juni 2008 ursprünglich begehrt hatte - nämlich die Zusicherung zu der Anmietung einer Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt - und damit (mitursächlich) zur Gesamterledigung des Rechtsstreits ohne streitige Entscheidung beitrug. Der Antrag des Erinnerungsführers in Höhe eines Betrages von 190,00 € ist - ausgehend von dem von der Kammer für angemessen gehaltenen Betrag in Höhe von 170,00 € - unter Berücksichtigung eines gewissen Toleranzrahmens bei der Gesamtberechnung zugrunde zu legen.

12

3. Nach alledem berechnet sich die aus der Staatskasse an den Erinnerungsführer zu erstattende Prozesskostenhilfevergütung wie folgt:

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Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV-RVG i. V. m. Nr. 1008 VV-RVG

312,00 €

Einigungs-/Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1005/1006 VV-RVG

190,00 €

Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG

20,00 €

19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG

99,18 €

Summe

621,18 €

14

In diesem Umfang hat die Erinnerung Erfolg; einer Zurückweisung im Übrigen bedurfte es nicht, weil der Erinnerungsführer den Antrag auf Festsetzung auch einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG im Erinnerungsverfahren nicht mehr weiterverfolgt hat.

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4. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 56 Abs. 2 S. 3 RVG; die Erinnerungsentscheidung ergeht gemäß § 56 Abs. 2 S. 2 RVG gerichtskostenfrei.

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5. Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar, weil das Normengefüge der §§ 172 ff. SGG den Normen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes vorgeht (vgl. hierzu: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06. März 2009, - L 8 SF 1/09 B sowie zur fehlenden Beschwerdemöglichkeit bei Entscheidungen über die Prozesskostenhilfevergütung: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Dezember 2006, - L 8 B 4/06 SO SF, Beschluss vom 17. Oktober 2008, - L 13 B 4/08 SF sowie Beschluss vom 09. Juni 2009, - L 13 B 1/08 SF mit zahlreichen weiteren Nachweisen).