Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 15.12.2009, Az.: S 12 SF 194/09 E
Anrechnung; Arbeitsaufwand ; Beratungshilfe; Erinnerung; Erinnerungsverfahren; Gebührentatbestand; hälftige Anrechnung; Klageverfahren; Kostenansatz; Netto-Gebühr; Nettogebühr; Prozesskostenhilfe; Rechtsanwalt; Reduzierung; Sondervorschrift; Sozialgericht; Sozialgerichtliches Verfahren; Vergütung; Verwaltungsverfahren; Vorbefassung; Widerspruchsverfahren; Zulässigkeit
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 15.12.2009
- Aktenzeichen
- S 12 SF 194/09 E
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 50562
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Nr 2503 Abs 2 S 1 RVG-VV
- Nr 3102 RVG-VV
- Nr 3103 RVG-VV
- § 66 Abs 6 S 1 GKG
Tenor:
Die Erinnerung der Erinnerungsführerin und Kostenschuldnerin vom 18. September 2009 gegen den Kostenansatz des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 10. August 2009 - S 27 AS 1310/08 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ein Betrag in Höhe von 41,65 € zu erstatten ist.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Diese Entscheidung ist gerichtskostenfrei.
Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.
Gründe
Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit der (hälftigen) Anrechnung der der Erinnerungsführerin aus Beratungshilfemitteln zugeflossenen Vergütung auf ihre Prozesskostenhilfevergütung für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Lüneburg.
Die Erinnerung, über die gemäß § 66 Abs. 6 S. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) das Gericht entscheidet, bei dem die Kosten angesetzt sind, ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat mit seinem Kostenansatz vom 10. August 2009 - S 27 AS 1310/08 - zu Recht einen Betrag in Höhe von 35,00 € zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer von der als Prozessbevollmächtigter im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneter Erinnerungsführerin und Kostenschuldnerin (im Folgenden: Erinnerungsführerin) angefordert.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat zu Recht die gewährte Beratungshilfe hälftig auf die gerichtlichen Gebühren angerechnet. Die Beratungshilfegebühr ist nämlich nach dem unmissverständlichen Wortlaut der Nr. 2503 Abs. 2 S. 1 VV-RVG in hälftiger Höhe auf die Verfahrensgebühr als Nettogebühr anzurechnen.
Ein rechtlicher Gesichtspunkt, der eine Abweichung vom eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut der Regelung in Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG gebieten würde, ist nicht ersichtlich. Von der Netto-Gebühr nach Nr. 3103 VV-RVG ist die hälftige Netto-Gebühr nach Nr. 2503 VV-RVG in Abzug zu bringen. Dies ergibt sich aus Nr. 2503 Abs. 2 VV -RVG. Nach dieser Vorschrift ist die Geschäftsgebühr für ein anschließendes gerichtliches Verfahren auf die Gebühr zur Hälfte anzurechnen. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift findet die Anrechnung auch im sozialgerichtlichen Verfahren statt. Der eindeutige Wortlaut lässt insoweit keine Auslegung zu. Es ist auch nicht zu begründen, dass der Gesetzgeber auf Grund eines offenbaren Versehens die Anrechnungsvorschrift bei der Beratungshilfe nicht auch auf die sozialrechtlichen Gebühren abgestimmt hat. Wenn eine Abstimmung im Sinne der vom Erinnerungsführer vertretenen Auslegung lediglich auf Grund eines Versehens des Gesetzgebers unterblieben wäre, so hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit zu einer entsprechenden Klarstellung gehabt. Eine solche Klarstellung ist bisher weder erfolgt, noch sind der Kammer überhaupt Bestrebungen bekannt, diese Klarstellung herbeizuführen, zumal die Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes in der jüngeren Vergangenheit mehrfach Gegenstand von Gesetzesänderungen gewesen sind (vgl. das Gesetz zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren vom 12. Juni 2008 - BGBl. I 2008, S. 1000 ff. -, das Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 - BGBl. I 2008, S. 2586 ff. - sowie insbesondere das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli 2009 - BGBl. I 2009, S. 2449 ff. -).
Hiergegen spricht auch nicht das Vorbringen der Erinnerungsführerin, dass durch die Anwendung des Gebührenrahmes der Nr. 3103 VV-RVG anstelle des Gebührenrahmens der Nr. 3102 VV-RVG eine doppelte Anrechnung der Vorverfahrenstätigkeit erfolge. Für das gerichtliche Verfahren erster Instanz ist gegenüber der Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG eine Verfahrensgebühr mit einem niedrigeren Rahmen für den Fall vorgesehen, dass der Rechtsanwalt bereits im Verwaltungsverfahren oder in dem dem gerichtlichen Verfahren vorausgehenden Vorverfahren tätig geworden ist. Dabei wird berücksichtigt, dass die Tätigkeit in diesen Verwaltungsverfahren die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren durchaus erleichtert. Daher beträgt der Rahmen der Verfahrensgebühr hier lediglich 20,00 € bis 320,00 € statt nach der Nr. 3102 VV-RVG 40,00 € bis 460,00 €. In der Anmerkung zu Nr. 3103 VV-RVG wird indes klargestellt, dass der durch die vorangegangene Tätigkeit ersparte Aufwand ausschließlich durch die Anwendung des geringeren Rahmens und nicht mehr bei der Bemessung der konkreten Gebühr berücksichtigt werden soll (vgl. etwa Gerold/Schmidt - Madert, RVG, Nr. 3103 VV-RVG, Rdn. 2 u. 3). Somit kann schon nicht von einer zwangsläufigen Reduzierung der Vergütung ausgegangen werden, weil danach jedenfalls im gerichtlichen Verfahren die konkrete Gebühr nicht ohne weiteres reduziert werden kann (vgl. zum Ganzen zutreffend: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01. Februar 2007 - L 12 B 8/06 AS; Sozialgericht Lüneburg, Beschluss vom 17. März 2009, - S 12 SF 37/09 E sowie jüngst auch Sozialgericht Hildesheim, Beschluss vom 06. Oktober 2009, - S 25 SF 123/09 E).
Die dem Gebührentatbestand Nr. 3102 VV-RVG vorrangige Sondervorschrift der Nr. 3103 VV-RVG gilt nicht nur für den Fall, dass dem Klageverfahren eine „voll bezahlte“ Tätigkeit des Anwalts in einem Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren vorausgegangen ist. Vielmehr erfüllt der reine Tatbestand der Vorbefassung die Zugrundelegung der Nr. 3103 VV-RVG statt Nr. 3102 VV-RVG, weil es ausschließlich darauf ankommt, dass sich der Arbeitsaufwand für den Anwalt verringert, wenn er bereits vorgerichtlich tätig war. Ob, von wem und in welcher Höhe der Anwalt im Einzelfall eine Vergütung für seine Tätigkeit im vorgeschalteten Verfahren verlangen kann, insbesondere wenn und soweit diese Tätigkeit über die Beratungshilfe hinausgeht, ist wiederum für die Anwendung der Nr. 3103 VV-RVG nicht entscheidend. So kommt es beispielsweise auch nicht darauf an, ob der Anwalt für das vorausgegangene Verfahren einen Vergütungsanspruch gegen den Auftraggeber (oder einen Dritten) auch tatsächlich durchsetzen kann.
Die Erinnerung übersieht im Übrigen, dass im Sozialgerichtsverfahren eine wie auch immer geartete Wechselbeziehung zwischen der im Rahmen der Beratungshilfe anfallenden Geschäftsgebühr und den Gebühren für ein anschließendes gerichtliches Verfahren nicht besteht. Die hälftige Anrechnung der erstgenannten Gebühr betrifft sämtliche Gebühren für das anschließende Verfahren und bezieht sich systematisch gerade nicht nur und ausschließlich auf die Gebühren nach Nr. 3103 VV-RVG, selbst wenn sich die Anrechnung im Einzelfall auch und gerade auf die letztgenannte Gebühr auswirken kann (so zu Recht: Sozialgericht Osnabrück, Beschluss vom 26. November 2008, - S 1 SF 36/08 mit weiteren Nachweisen).
Durch die hälftige Anrechnung der Beratungshilfe wird im Übrigen auch keine weitere Reduzierung der Vergütung vorgenommen, sondern eine bereits gewährte und geflossene Zahlung schlicht berücksichtigt (so zutreffend: Sozialgericht Braunschweig, Beschluss vom 04. Juni 2008, - S 20 SF 7/07).
Die dieser Auffassung entgegenstehende Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 18. März 2008, - L 1 B 21/07 AL) sowie des Sozialgerichts Dresden (Beschluss vom 27. Februar 2009, - S 24 SF 180/08 R/F unter Bezugnahme auf Schneider, MAV-Mitteilungen, August/September 2008, S. 8/9) kann daher aus den oben dargestellten Gründen nicht überzeugen. Insbesondere übersieht sie, dass jeder Auslegung jedenfalls durch den unmissverständlichen und eindeutigen Wortlaut einer Vorschrift Grenzen gesetzt sind (vgl. dazu etwa auch: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. Juli 2007, - 1 BvR 650/03 unter Bezugnahme auf BVerfGE 59, 330, 334 [BVerfG 09.02.1982 - 1 BvR 799/78]).
Wenn danach eine Anrechnung der hälftigen Netto-Beratungshilfegebühr in Höhe eines Betrages von 35,00 € auf die - zwischenzeitlich bereits vollständig ausgezahlte - Prozesskostenhilfevergütung vorzunehmen gewesen wäre, konnte der insoweit überzahlte Betrag im Wege des Kostenansatzes zurückgefordert werden.
Nur der Klarstellung halber hat sich die Kammer veranlasst gesehen, den zu erstattenden Betrag in den Tenor aufzunehmen, weil im Kostenansatz - offenbar aufgrund eines Schreibfehlers - ein Betrag in Höhe von 41,95 € genannt worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 8 S. 2 GKG.
Das Verfahren ist gemäß § 66 Abs. 8 S. 1 GKG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar, weil auch § 66 Abs. 2 GKG durch die §§ 172 ff. SGG verdrängt wird (vgl. hierzu: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06. März 2009, - L 8 SF 1/09 B sowie zur fehlenden Beschwerdemöglichkeit bei Entscheidungen über die Prozesskostenhilfevergütung: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Dezember 2006, - L 8 B 4/06 SO SF; Beschluss vom 21. Februar 2007, - L 7 B 1/07 AL SF; Beschluss vom 01. März 2007, - L 4 B 66/05 KR; Beschluss vom 14. Juni 2007, - L 13 B 4/06 AS SF; Beschluss vom 26. Oktober 2007, - L 14 B 1/06 SF; Beschluss vom 17. Oktober 2008, - L 13 B 4/08 SF; Beschluss vom 30. Oktober 2008, - L 1 B 2/08 R SF; Beschluss vom 09. Juni 2009, - L 13 B 1/08 SF; Beschluss vom 06. Juli 2009, - L 6 SF 44/09 B sowie Beschluss vom 29. September 2009, - L 6 SF 124/09 B (AS)).