Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 09.03.2009, Az.: S 12 SF 30/09 E

außergerichtliche Kosten; Einigungsgebühr; Gebühr ; Gesamtvergütung; Kosten; Kostenfestsetzung; Mittelgebühr; Rahmen; Rechtsanwaltsgebühr; Rechtsanwaltskosten; reformatio in peius; Terminsgebühr; Verfahrensgebühr; Verschlechterungsverbot

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
09.03.2009
Aktenzeichen
S 12 SF 30/09 E
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 50438
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Auf die Erinnerung der Erinnerungsführer gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 18. Dezember 2008 - S 29 AS 329/09, S 29 AS 909/06 und S 29 AS 1519/07 - werden die von der Erinnerungsgegnerin an die Erinnerungsführer zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits endgültig auf einen Betrag in Höhe von 880,60 € festgesetzt.

Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.

Gründe

1

Die Beteiligten streiten im Kostenfestsetzungsverfahren um die Höhe des Gesamtvergütungsanspruches der Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführer für drei parallel geführte Klageverfahren über die Leistungsgewährung nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II), die im Rahmen eines Termins zur mündlichen Verhandlung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden worden sind und durch den Abschluss eines Vergleiches ihre Erledigung fanden.

2

Die gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Erinnerung ist teilweise begründet. Die Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsführer hat einen insgesamt höheren Vergütungsanspruch.

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Bei der Bestimmung der Rechtsanwaltsvergütung nach §§ 3, 14 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)) sind alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Bedeutung der Angelegenheit, der Umfang und die Schwierigkeit der Tätigkeit des Rechtsanwalts sowie die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Klägers zu berücksichtigen. Wenn die Gebühr - wie hier - von einem Dritten zu erstatten ist, so ist die anwaltliche Gebührenbestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 1 RVG). Im Falle der Unbilligkeit erfolgt eine Gebührenfestsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.

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Der Ausgangspunkt ist die so genannte Mittelgebühr, d. h. die Mitte des gesetzlichen Gebührenrahmens (Hälfte von Höchst- zuzüglich Mindestgebühr), die anzusetzen ist bei Verfahren durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen Schwierigkeitsgrades und in denen die vom Rechtsanwalt geforderte und auch tatsächlich entwickelte Tätigkeit ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. Denn nur so wird eine einigermaßen gleichmäßige Berechnungspraxis gewährleistet (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen - Bremen, Beschluss vom 24. April 2006, - L 4 B 4/05 KR SF). Abweichungen nach unten oder oben ergeben sich, wenn auch nur ein Tatbestandsmerkmal des § 14 RVG fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist.

5

1. Die Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsführer hat - entgegen der Auffassung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle - für jedes der drei Klageverfahren eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 des Vergütungsverzeichnisses (VV-RVG) - Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - i. V. m. Nr. 1008 VV-RVG in Höhe eines Betrages von 320,00 € verdient. Bei der Verfahrensgebühr handelt es sich um eine Tätigkeitsgebühr, mit der jede prozessuale Tätigkeit eines Rechtsanwaltes abgegolten wird, für die das RVG keine sonstige Gebühr vorsieht. Sie entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information, und gilt ab u. a. die Prüfung der Schlüssigkeit der Klage oder des Rechtsmittels durch den Rechtsanwalt anhand von Rechtsprechung und Literatur, die im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Verfahren notwendigen Besprechungen des Rechtanwalts mit dem Auftraggeber, Dritten, dem Gericht, Sachverständigen sowie Schriftwechsel mit dem Auftrageber, Dritten, Behörden und dem Gericht usw., der sich auf den Prozessstoff bezieht, ferner die Mitwirkung bei der Auswahl und Beschaffung von Beweismitteln, die Sammlung und den Vortrag des aus der Sicht des Rechtsanwalts rechtlich relevanten Stoffs sowie das Anbieten von Beweismitteln (BT-Drucks. 15/1971 S. 210). Die Verfahrensgebühr ist dabei grundsätzlich zunächst dem Rahmen der Nr. 3102 VV-RVG zu entnehmen. Dieser sieht eine Gebührenspanne von 40,00 € bis 460,00 € vor. Wegen der Vertretung von zwei weiteren Auftraggebern verschiebt sich dieser Gebührenrahmen nach Nr. 1008 VV-RVG insoweit, als dass nunmehr ein Gebührenrahmen von 64,00 € bis 736,00 € auszufüllen ist, die Mittelgebühr beträgt daher 400,00 €. Erweist sich das Betreiben eines Geschäfts einschließlich der Information nach allen Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG als durchschnittliche Leistung, ist die Mittelgebühr von 400,00 € angemessen. Liegen Schwierigkeit, Wert und Bedeutung der Sache unter oder über diesem Mittelwert, bietet sich eine entsprechende Quotierung, mithin eine Über- oder Unterschreitung dieser Mittelgebühr an.

6

Nach diesen Grundsätzen erscheint der Kammer für die drei hier zugrunde liegenden Klageverfahren bis zu ihrer Verbindung im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 16. September 2008 jeweils ein Betrag in Höhe von 320,00 € angemessen. Hinsichtlich des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit nimmt das Gericht zur Begründung seiner Entscheidung zunächst gemäß § 142 Abs. 2 S. 3 SGG auf die ausführlichen und uneingeschränkt zutreffenden Ausführungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in dem angefochtenen Beschluss vom 18. Dezember 2008 Bezug und macht sich diese zur Vermeidung nicht gebotener Wiederholungen zu Eigen. Insoweit geht auch die Kammer von unterdurchschnittlichem Umfang und unterdurchschnittlicher Schwierigkeit der hier zugrunde liegenden Klageverfahren aus. Bei Die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführer beschränkte sich in allen drei Verfahren auf das Verfassen weniger - vergleichsweise - kurzer Schriftsätze. Diese enthielten im Wesentlichen die Wiedergabe des streitigen Sachverhalts sowie kurze rechtliche Erwägungen. Hierneben wurden - teilweise - Kontoauszüge vorgelegt. Damit handelte es sich - insbesondere unter Berücksichtigung der späten Mandatierung der Prozessbevollmächtigten - um einen weit unterdurchschnittlichen Arbeits- und Zeitaufwand. Zeitintensive Tätigkeiten, wie etwa das Lesen und Auswerten von medizinischen Gutachten, das Verfassen von Schriftsätzen, die sich mit komplexen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen auseinandersetzen, die Sichtung und Auswertung von Rechtsprechung, die den Rückschluss auf einen erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand zulassen, sind nicht angefallen bzw. nicht belegt. Dementsprechend vermag die Kammer auch eine durchschnittliche Schwierigkeit der Verfahren nicht zu erkennen; zugunsten der Erinnerungsführer ist jedoch auch in die Abwägung einzustellen, dass sich deren Prozessbevollmächtigte gerade durch die späte Mandatierung in eine Vielzahl von unterschiedlichen und oft nicht einfach abzugrenzenden Streitgegenständen einzuarbeiten hatte. Indes war eine Auseinandersetzung mit schwierigen oder komplexen rechtlichen Fragestellungen des Falles nicht erforderlich und ist auch nicht erfolgt.

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Neben Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind ferner auch die weiteren Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG in die Abwägung einzustellen.

8

Die Bedeutung der Angelegenheit für den Erinnerungsführer ist allenfalls als durchschnittlich, eher als unterdurchschnittlich zu bewerten. Bei der Beurteilung der Bedeutung der Angelegenheit ist auf das unmittelbare Ziel der anwaltlichen Tätigkeit, d. h. auf die Interessen des Auftraggebers, insbesondere die Auswirkungen der begehrten Entscheidung auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers abzustellen. Mittelbare Auswirkungen oder Fernwirkungen des anwaltlichen Handels sind nicht zu berücksichtigen. Bei den Leistungen nach dem SGB II handelt es sich um existenzsichernde Leistungen, was eher für eine überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber sprechen kann. Jedoch ist auch zu berücksichtigen, dass Streitgegenstand der Verfahren im Wesentlichen nur die Erbringung von Leistungen für einen eingeschränkten Zeitraum gewesen ist. Dies spricht im Vergleich zu sonstigen Streitigkeiten in der Sozialgerichtsbarkeit, die den Bezug von Dauerleistungen zum Gegenstand haben, eher für eine nur durchschnittliche Bedeutung des Verfahrens, zumal der zwischen den Beteiligten zur Erledigung aller drei Verfahren geschlossene gerichtliche Vergleich lediglich die Verpflichtung der Erinnerungsgegnerin auf Zahlung eines einmaligen Betrages in Höhe von 1.900,00 € sowie die Überprüfung der Bescheide für das Jahr 2007 hinsichtlich der Heizkosten beinhaltete. Daher ist wegen des abgrenzbaren Streitzeitraums einerseits und der am Existenzminimum orientierten Leistungen nach den Bestimmungen des SGB II andererseits von einer durchschnittlichen Bedeutung und dementsprechend auch von einem (allenfalls) durchschnittlichen Haftungsrisiko auszugehen; jedenfalls ist für ein besonderes Haftungsrisiko nichts erkennbar.

9

Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Erinnerungsführer sind im Vergleich zum Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölkerung mangels näherer Angaben (nunmehr) allenfalls durchschnittlich.

10

Wägt man diese Umstände miteinander und gegeneinander ab, ergibt sich, dass von einem insgesamt unterdurchschnittlichen Verfahren auszugehen ist, was es gerechtfertigt erscheinen lässt, von der Mittelgebühr in Höhe von jeweils 400,00 € nach unten abzuweichen. Dabei hält die Kammer einen Betrag von jeweils 320,00 € für angemessen. Der darüber hinausgehende Antrag der Erinnerungsführer auf Festsetzung einer Verfahrensgebühr in Höhe von jeweils 475,00 € ist demgegenüber - auch unter Berücksichtigung eines gewissen Toleranzrahmens - erkennbar unbillig.

11

2. Darüber hinaus ist eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG entstanden, die sich aus einem Betragsrahmen zwischen 20,00 € und 380,00 € ergibt; die Mittelgebühr beträgt insoweit 200,00 €. Die Berücksichtigung der oben genannten Kriterien führt im vorliegenden Fall dazu, dass eine Gebühr oberhalb der Mittelgebühr und zwar in Höhe eines Betrages von 230,00 € angemessen ist. Der Umfang des Termins zur mündlichen Verhandlung dürfte sich mit Blick auf die Dauer des Termins von etwa drei Stunden als überdurchschnittlich darstellen, wobei allerdings gebührenmindernd zu berücksichtigen ist, dass in diesem Termin auch über weitere zahlreiche Verfahren - streitig - verhandelt wurde und sich daher die Dauer des Termins nicht allein auf die hier streitgegenständlichen Verfahren beschränkte. Mangels näherer Angaben zur Schwierigkeit der Vergleichsverhandlungen geht die Kammer insoweit von durchschnittlicher Schwierigkeit aus. Bezüglich der Bedeutung der Angelegenheit für den Erinnerungsführer und dessen Einkommens- und Vermögensverhältnissen wird auf die Ausführungen zu Nr. 3102 VV RVG Bezug genommen. Es sind nach Aktenlage keine Unterschiede erkennbar und auch nicht vorgetragen worden, die eine unterschiedliche Bewertung dieser Kriterien zu rechtfertigen vermögen. Wägt man daher den überdurchschnittlichen Umfang und die durchschnittliche Schwierigkeit des Termins mit der allenfalls durchschnittlichen Bedeutung, dem durchschnittlichen Haftungsrisiko und den durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Erinnerungsführer ab, ergibt sich insgesamt ein etwas über dem Durchschnitt liegender Termin, der es rechtfertigt, eine Terminsgebühr oberhalb der Mittelgebühr, mithin in Höhe eines Betrages von 230,00 € zugrunde zu legen. Der darüber hinausgehende Antrag der Erinnerungsführer in Höhe eines Betrages von 380,00 € ist demgegenüber - auch unter Berücksichtigung eines gewissen Toleranzrahmens - erkennbar unbillig.

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3. Schließlich ist auch eine Einigungsgebühr nach Nr. 1005, 1006 VV-RVG entstanden. Diese ergibt sich aus einem Betragsrahmen zwischen 30,00 € und 350,00 €; die Mittelgebühr beträgt insoweit 190,00 €. Zwar hat die Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsführer die Festsetzung dieser Gebührenposition erst im Rahmen des laufenden Erinnerungsverfahrens geltend gemacht. Da die Kammer die Gebührenfestsetzung gemäß § 197 Abs. 2 SGG ohnehin endgültig vorzunehmen hat, sieht sie sich - auch ohne erneute Vorbefassung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle - nicht daran gehindert, diese Gebührenposition im Erinnerungsverfahren zusätzlich zu berücksichtigen. Ausgehend von überdurchschnittlichem Umfang und durchschnittlicher Schwierigkeit der Vergleichsverhandlungen, der durchschnittlichen Bedeutung, dem durchschnittlichen Haftungsrisiko und den durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Erinnerungsführer ist ein Betrag zugrunde zu legen, der etwas oberhalb der Mittelgebühr in Höhe eines Betrages von 220,00 € anzusetzen ist.

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4. Da die Höhe der übrigen Gebührenpositionen zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht, berechnen sich die von der Erinnerungsgegnerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten wie folgt:

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Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102, 1008 VV-RVG

320,00 €

Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102, 1008 VV-RVG

320,00 €

Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102, 1008 VV-RVG

320,00 €

Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV-RVG

230,00 €

Einigungsgebühr gemäß Nr. 1005/1006 VV-RVG

220,00 €

Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG

20,00 €

Reisekosten gemäß Nr. 7003 VV-RVG

30,00 €

Tagegeld gemäß Nr. 7005 VV-RVG

20,00 €

Zwischensumme

1.480,00 €

19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG

281,20 €

Summe

1.761,20 €

hiervon 1/2

880,60 €

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5. Die Kammer sieht sich im Übrigen trotz des auch im Erinnerungsverfahren geltenden Verbots der reformatio in peius nicht daran gehindert, einzelne (bereits festgesetzte) Gebührenpositionen zu Lasten der Erinnerungsführer abzuändern, weil sich das Verschlechterungsverbot allein auf die Festsetzung des Gesamtvergütungsanspruches bezieht, der hier insgesamt höher als ursprünglich von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle festgesetzt worden ist.

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6. Die Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig.