Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 14.07.2009, Az.: S 12 SF 131/09 E

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
14.07.2009
Aktenzeichen
S 12 SF 131/09 E
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 50475
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Höhe der Rechtsanwaltsvergütung in einem grundsicherungsrechtlichen Verfahren nach dem SGB II, in dem Betragsrahmengebühren entstehen; hier insbesondere zur Bemessung der (fiktiven) Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG, wenn das Verfahren durch Erlass eines Urteils ohne mündliche Verhandlung endet und zur Frage der Erforderlichkeit einer Kostengrundentscheidung im Erinnerungsverfahren nach § 197 Abs. 2 SGG.

Tenor:

Die Erinnerung vom 18. Juni 2009 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 16. Juni 2009 - S 28 AS 1646/08 - wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Das Erinnerungsverfahren ist gerichtskostenfrei.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.

Gründe

1

Die Beteiligten streiten im Erinnerungsverfahren noch um die Höhe der den Erinnerungsgegnern und Klägern (im Folgenden nur: Erinnerungsgegner) durch die Erinnerungsführerin und Beklagten (im Folgenden nur: Erinnerungsführerin) zu erstattenden notwendigen außergerichtlichen Kosten eines Klageverfahrens im Zusammenhang mit der Leistungsgewährung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II), das sich durch den Erlass eines Urteils ohne mündliche Verhandlung erledigte. Streitbefangen ist dabei allein die Höhe der (fiktiven) Terminsgebühr.

2

Die gemäß § 197 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 16. Juni 2009 - S 28 AS 1646/08 - ist zulässig, jedoch unbegründet.

3

Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss ist rechtmäßig und hält der beantragten gerichtlichen Überprüfung stand. Der von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle festgesetzte Gesamtvergütungsanspruch in Höhe eines Betrages von 962,42 € ist kostenrechtlich nicht zu beanstanden.

4

Zur Begründung seiner Entscheidung nimmt das Gericht gemäß § 142 Abs. 2 S. 3 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in dem angefochtenen Beschluss Bezug und macht sich diese zur Vermeidung nicht gebotener Wiederholungen zu Eigen. Der Urkundsbeamte hat den gebührenrechtlichen Sachverhalt vollständig und rechtsfehlerfrei gewürdigt und zu Recht eine (fiktive) Terminsgebühr in Höhe eines Betrages von 200,00 € in die Berechnung eingestellt.

5

Nur im Hinblick auf das Vorbringen der Erinnerungsführerin im Kostenfestsetzungs- und im Erinnerungsverfahren weist die Kammer zur Entstehung der (fiktiven) Terminsgebühr noch ergänzend auf Folgendes hin:

6

Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)) der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmen zusteht. Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, - L 1 B 320/05 SF SK, zitiert nach juris). Dabei ist für jede Rahmengebühr eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen. Dies gilt sowohl für die Verfahrens- und Terminsgebühr (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, a. a. O. sowie Keller in jurisPR-SozR 10/2006, Anm. 6) als auch für die der Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr.

7

Was die Bestimmung der angemessenen Gebühr innerhalb des jeweiligen Gebührenrahmens angeht, entspricht es allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass die Mittelgebühr ein angemessenes Äquivalent für die anwaltliche Tätigkeit in einem in jeder Hinsicht durchschnittlichen Streitverfahren darstellt. Davon ausgehend sind sodann Abschläge für unterdurchschnittliche und Zuschläge für überdurchschnittliche Verfahren vorzunehmen. Dabei kann im Übrigen etwa die Überdurchschnittlichkeit eines Bewertungskriteriums durch die Unterdurchschnittlichkeit anderer Bewertungskriterien kompensiert werden.

8

Die (hier allein in Streit stehende) Terminsgebühr ist dem Rahmen der Nr. 3106 des Vergütungsverzeichnisses (VV-RVG) - Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - zu entnehmen. Der Rechtsstreit wurde gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch ein Urteil ohne mündliche Verhandlung beendet, so dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat. Eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG ist dennoch entstanden.

9

Durch die Regelung der Nr. 3106 VV-RVG (Ziffern 1 bis 3) soll verhindert werden, dass gerichtliche Termine allein zur Wahrung des Gebührenanspruchs stattfinden müssen; sie bietet einen Anreiz für den Rechtsanwalt, auf die Durchführung des Termins zu verzichten. Die Anwendung der Grundsätze des § 14 RVG auf die „fiktive" Terminsgebühr nach Ziffer 3106 Nr. 1 bis 3 VV RVG ist mit dem Problem behaftet, dass ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat und dessen Schwierigkeit und Aufwand für den Prozessbevollmächtigten damit nicht bewertet werden können. Die Kammer vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass bei der Bemessung der Terminsgebühr auf den hypothetischen Aufwand abzustellen ist, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre. Daher ist eine fiktive Vergleichsbetrachtung anzustellen, in welcher Höhe ein Gebührenanspruch voraussichtlich entstanden wäre, wenn ein Termin stattgefunden hätte.

10

Das Gesetz eröffnet in Ziffer 3106 VV-RVG insoweit erneut den Gebührenrahmen in vollem Umfang und knüpft nicht an die Höhe der Verhandlungsgebühr an. Gäbe es für die Festlegung der Terminsgebühr nicht die Möglichkeit einer eigenständigen Festsetzung unter Beachtung der in § 14 RVG festgelegten Kriterien, hätte es der Eröffnung eines Gebührenrahmens nicht bedurft. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Normgeber in denjenigen Fällen, in denen keine Betragsrahmengebühren entstehen einen festen Wert - nämlich nach Nr. 3104 VV-RVG einen solchen von 1,2 - festgeschrieben hat. Daher ist es auch nicht gerechtfertigt, etwa grundsätzlich nur die Mindestgebühr in Höhe von 20,00 € anzuerkennen. Anderenfalls hätte der Normgeber auch bei der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG einen bestimmten Betrag festgeschrieben wie er es beispielsweise bei den Angelegenheiten der Beratungshilfe nach Nr. 2600 ff. VV-RVG, in Strafsachen bei den Gebühren des gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts nach den Nr. 4100 ff. VV-RVG oder den sonstigen Verfahren nach den Nr. 6100 ff. VV-RVG getan hat. Auch wenn in diesen Verfahren keine Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen, war sich der Normgeber offensichtlich durchaus der Möglichkeit der Festschreibung von Gebührenbeträgen bewusst.

11

Wenn danach auch bei der fiktiven Terminsgebühr von einem Gebührenrahmen zwischen 20,00 € und 380,00 € auszugehen ist, ergibt eine auf einen hypothetischen Termin bezogene Abwägung der Kriterien des § 14 RVG, dass insoweit eine insgesamt durchschnittliche Angelegenheit vorliegt. Dem Anwalt steht die Mittelgebühr hinsichtlich der Terminsgebühr für Termine mit durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem Aufwand und durchschnittlicher Bedeutung für den Mandanten zu. Entscheidend ist eine Gesamtabwägung. Es müssen sämtliche den Gebührenanspruch potentiell beeinträchtigenden Faktoren miteinander und gegeneinander im Einzelfall abgewogen werden.

12

Unter Beachtung aller Abwägungskriterien des § 14 RVG, die für die Verfahrensgebühr nach der übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten die Mittelgebühr rechtfertigt, ist auch eine Terminsgebühr in Höhe der Mittelgebühr angemessen. Zwar ist ein Termin nicht durchgeführt worden, jedoch ist die Gebühr hier nach Nr. 3106 Ziffer 1 VV-RVG in Höhe der Mittelgebühr entstanden. Es ist nämlich - wie ausgeführt - auf den hypothetischen Aufwand abzustellen, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre. Der Ablauf eines derartigen Termins hätte sich hier anders als in den Fällen der Nr. 3106 Ziffer 3 VV-RVG dargestellt. Bei dieser Konstellation ist es gerechtfertigt, von einem (fiktiven) weit unterdurchschnittlichen anwaltlichen Aufwand im (hypothetischen) Termin zur mündlichen Verhandlung auszugehen. Demgegenüber hätten in der diesem Erinnerungsverfahren zugrunde liegenden Fallgestaltung (hypothetisch) der Sachvortrag des Vorsitzenden, ergänzende Fragen an die Beteiligten, die Erörterung der Sach- und Rechtslage und schließlich das Stellen der Anträge erfolgen müssen. Dies entspricht einem Termin zur mündlichen Verhandlung, der für den Anwalt mit durchschnittlichem Aufwand verbunden wäre und stimmt im Übrigen auch mit den gesetzlichen Vorgaben des § 112 SGG über den Gang einer mündlichen Verhandlung im sozialgerichtlichen Verfahren überein. Es wäre insoweit gerade nicht ausreichend gewesen, etwa nur noch die Annahme eines abgegebenen Anerkenntnisses zu erklären. Nur für diese Konstellation entspricht es ständiger Rechtsprechung der Kostenkammer des Sozialgerichts Lüneburg, die fiktive Terminsgebühr in Höhe eines Betrages von 100,00 € zugrunde zu legen, wenn die Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr anzusetzen ist (vgl. hierzu etwa Beschlüsse vom 04. März 2009, - S 12 SF 53/09 E, vom 16. März 2009 - S 12 SF 59/09 E, - S 12 SF 64/09 E, vom 25. März 2009, - S 12 SF 43/09 E, vom 27. April 2009, - S 12 SF 39/09 E, vom 12. Mai 2009, - S 12 SF 56/09 E, vom 26. Juni 2009, - S 12 SF 116/09 E sowie vom 26. Juni 2009, - S 12 SF 67/09 E, jeweils zitiert nach juris).

13

Wägt man daher die dargestellten durchschnittlichen Anforderungen an die hypothetische anwaltliche Tätigkeit mit den Einkommens- und Vermögensverhältnissen und der Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger und das Haftungsrisiko gegeneinander ab, ist das vorliegende Streitverfahren hinsichtlich der Festsetzung der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 200,00 € - mithin in Höhe der Mittelgebühr - kostenrechtlich angemessen erfasst. Dies bedeutet zugleich, dass bei einem tatsächlich stattgefundenen Termin auch ein Betrag in Höhe der Mittelgebühr festzusetzen gewesen wäre.

14

Wenn danach also die Zugrundelegung einer fiktiven Terminsgebühr in Höhe eines Betrages von 200,00 € nicht zu beanstanden ist, konnte die Erinnerung - andere Gebührenpositionen standen nicht im Streit - keinen Erfolg haben.

15

Der im Kostenfestsetzungsbeschluss erfolgte Ausspruch über die Verzinsung ergibt sich aus § 197 Abs. 1 S. 2 SGG i. V. m. § 104 Abs. 1 S. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), wobei bei der Zinsberechnung zwischenzeitlich erfolgte Zahlungen entsprechend zu berücksichtigen sind.

16

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus einer analogen Anwendung des § 56 Abs. 2 S. 3 RVG und des § 66 Abs. 8 S. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG; vgl. zur Kostengrundentscheidung im Erinnerungsverfahren auch Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 197, Rdn. 10, der eine solche sogar gänzlich für entbehrlich hält).

17

Die Erinnerungsentscheidung ergeht nach entsprechender Anwendung des § 56 Abs. 2 S. 2 RVG und des § 66 Abs. 8 S. 1 GKG gerichtskostenfrei.

18

Die Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig.