Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.07.2013, Az.: 8 LA 148/12

Verlust des Freizügigkeitsrechts und Aufforderung zur Ausreise bei Ausreise der freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen des Ausländers aus dem Bundesgebiet

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.07.2013
Aktenzeichen
8 LA 148/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 41112
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0711.8LA148.12.0A

Fundstellen

  • InfAuslR 2013, 361-364
  • ZAR 2014, 35

Amtlicher Leitsatz

Die Möglichkeit zur Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU (vormals: § 5 Abs, 5 Satz 1 FreizügG/EU) erlischt nicht schon dann, wenn sich der Ausländer bloß tatsächlich fünf Jahre ständig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Die Fünfjahresfrist des § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU beginnt vielmehr erst dann zu laufen, wenn der Unionsbürger oder der Familienangehörige eines Unionsbürgers in Ausübung seines Freizügigkeitsrechts seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet begründet oder fortsetzt.

[Gründe]

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des Verlustes seines Freizügigkeitsrechts durch den Beklagten.

Der Kläger wurde 1986 in B. geboren. Er ist serbischer Staatsangehöriger und 1991 in das Bundesgebiet eingereist. Nach bestandskräftiger Ablehnung seines Asylantrages wurde sein Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet.

Am C. 2006 wurde die Tochter des Klägers geboren, die ebenso wie ihre Mutter die französische Staatsangehörigkeit besitzt. Am D. 2007 heiratete der Kläger die Kindesmutter und führte mit dieser und der gemeinsamen Tochter eine familiäre Lebensgemeinschaft in der Gemeinde E. im F., Kreis G.. Auf den Antrag des Klägers stellte der Kreis G. ihm unter dem 3. Mai 2007 eine bis zum 2. Mai 2012 befristete Aufenthaltskarte für freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige von Unionsbürgern aus. Seit dem 3. November 2009 halten sich die Ehefrau und die Tochter des Klägers nicht mehr Bundesgebiet auf. Der Kläger verzog im Februar 2011 in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten.

Nach Anhörung des Klägers stellte der Beklagte mit Bescheid vom 19. Juli 2011 den Verlust des Freizügigkeitsrechts fest, widerrief die Aufenthaltskarte, forderte den Kläger zur Ausreise aus dem Bundesgebiet auf und drohte ihm die Abschiebung nach Serbien oder einen anderen zur Aufnahme bereiten Staat an. Zur Begründung wies der Beklagte darauf hin, dass der Kläger sein nur abgeleitetes Freizügigkeitsrecht verloren habe, nachdem die freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen das Bundesgebiet verlassen hätten. Gründe, die gegen den Verlust des Freizügigkeitsrechts sprächen, seien nicht ersichtlich. Die Familienangehörigen lebten in Frankreich und dem nur kurzen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet stehe ein deutlich länger währender nur geduldeter Aufenthalt gegenüber.

Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 22. Juni 2012 abgewiesen. Die sich aus dem Freizügigkeitsgesetz/EU ergebenden Voraussetzungen für die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts und den Widerruf der Aufenthaltskarte lägen vor. Der Kläger habe sein lediglich akzessorisches Freizügigkeitsrecht verloren, nachdem die Familienangehörigen, von denen er sein Recht abgeleitet habe, im November 2009 ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet beendet hätten. Die Verlustfeststellung sei auch innerhalb der zu beachtenden Fünfjahresfrist erfolgt. Denn diese Frist beginne erst mit der Begründung eines rechtmäßigen, also in Ausübung des Freizügigkeitsrechts begründeten oder fortgesetzten ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet. Das danach eröffnete Ermessen habe der Beklagte rechtsfehlerfrei ausgeübt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, für den er auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrt.

II.

Der Zulassungsantrag des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.) und der grundsätzlichen Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (3.) sind teilweise schon nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt und liegen im Übrigen nicht vor.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (vgl. Senatsbeschl. v. 11.2.2011 - 8 LA 259/10 -, [...] Rn. 3). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543).

Der Kläger wendet gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ein, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Einhaltung der zu beachtenden Fünfjahresfrist angenommen. Nach dem Gesetzeswortlaut dürfe der Verlust des Freizügigkeitsrechts nur dann festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen seien. Ein rechtmäßiger Aufenthalt sei hingegen nicht erforderlich. Diese Annahme werde bestätigt durch einen Vergleich mit den Bestimmungen zum Daueraufenthaltsrecht, die ausdrücklich einen seit fünf Jahren ständig rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet forderten. Diese höheren Anforderungen an die Qualität des ständigen Aufenthalts seien nur bei dem Entstehen des Daueraufenthaltsrechts gerechtfertigt, da dieses über das einfache Freizügigkeitsrecht hinausgehend etwa dazu berechtige, den ständigen Aufenthalt in jedem Mitgliedsstaat zu nehmen, und der Verlust nur unter erschwerten Bedingungen eintreten könne. Die mit dieser Auslegung der Fünfjahresfrist verbundene Folge, dass bei langen Aufenthaltszeiten vor Entstehen des Freizügigkeitsrechts unter Umständen schon im Zeitpunkt dessen Entstehens eine Verlustfeststellung nicht mehr erfolgen dürfe, sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts aufgrund des eindeutigen Wortlauts hinzunehmen. Da er - der Kläger - sich schon seit 1991 ständig im Bundesgebiet aufgehalten habe, sei die Feststellung des Verlusts seines im Jahre 2007 erworbenen Freizügigkeitsrechts nicht mehr zulässig.

Dieser Einwand ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen.

Nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) - vom 30. Juli 2004 (BGBl. I, S. 1950), in der hier maßgeblichen zuletzt durch Gesetz vom 17. Juni 2013 (BGBl. I S. 1555) geänderten Fassung (vgl. zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts bei der Anfechtung einer Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts: VG München, Urt. v. 11.4.2013 - M 10 K 12.5130 -, [...] Rn. 27; VG Stuttgart, Urt. v. 8.12.2011 - 11 K 2142/11 -, [...] Rn. 23 f.; GK-AufenthG, Stand: Oktober 2010, FreizügG/EU, § 5 Rn. 64), kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt und bei Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, die Aufenthaltskarte eingezogen werden, wenn die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind.

Die Möglichkeit zur Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach dieser Bestimmung erlischt entgegen der Auffassung des Klägers nicht schon dann, wenn sich der Ausländer bloß tatsächlich fünf Jahre ständig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Die Fünfjahresfrist des § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU beginnt vielmehr erst dann zu laufen, wenn der Unionsbürger oder der Familienangehörige eines Unionsbürgers in Ausübung seines Freizügigkeitsrechts seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet begründet oder fortsetzt (vgl. VG Berlin, Urt. v. 14.6.2012 - 20 K 239.11 -, [...] Rn. 24; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: April 2013, FreizügG/EU, § 5 Rn. 22 f.; Lüdke, Die Irrungen und Wirrungen des neuen FreizügG/EU, in: InfAuslR 2005, 177 f.; a.A. VG Osnabrück, Urt. v. 19.4.2010 - 5 A 63/09 -, [...] Rn. 42 f.).

Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU. Danach setzt die Verlustfeststellung voraus, dass "die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen" sind. "Entfallen" kann schon nach dem Wortsinn nur etwas, was einmal vorhanden gewesen ist (vgl. Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, Band 3, Spalte 513 f.). Ein Entfallen der "Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1" FreizügG/EU setzt nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU mithin voraus, dass der Betroffene diese Voraussetzungen vorausgehend erfüllt hatte, und zwar im Zeitpunkt der "Begründung des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet" (vgl. zur hier nicht entscheidungserheblichen Frage der entsprechenden Anwendbarkeit des § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU, wenn zu keinem Zeitpunkt ein Freizügigkeitsrecht bestanden hat: OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2.4.2009 - 7 A 11053/08 -, [...] Rn. 17; VG Osnabrück, Urt. v. 19.4.2010, a.a.O., Rn. 39 f.; GK-AufenthG, a.a.O., § 5 Rn. 52 jeweils m.w.N.). Die anderslautende Annahme des Verwaltungsgerichts Osnabrück (Urt. v. 19.4.2010, a.a.O., Rn. 42) teilt der Senat nicht, da der Wortlaut der Bestimmung, anders als es das Verwaltungsgericht Osnabrück meint, gerade nicht fordert, "dass die Verlustfeststellung innerhalb von fünf Jahren nach der Begründung eines ständigen Aufenthalts in dem Bundesgebiet erfolgt" (vgl. zur Möglichkeit der Verlustfeststellung auch noch nach Ablauf der Fünfjahresfrist: VG Berlin, Urt. v. 14.6.2012, a.a.O., Rn. 21 f.).

Das durch die Wortlautauslegung gewonnene Ergebnis wird durch Sinn und Zweck des § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU bestätigt. Das Erlöschen der Möglichkeit zur Feststellung eines Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU bezweckt ebenso wie die Zuerkennung eines Daueraufenthaltsrechts in § 4a FreizügG/EU den Schutz und die Bewahrung nicht einer gelungenen Integration als solcher (so aber VG Osnabrück, Urt. v. 19.4.2010, a.a.O., Rn. 45), sondern gerade der durch den freizügigkeitsgestützten Voraufenthalt vermittelten, jedenfalls aber erhöhten Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.5.2012 - 10 C 8.12 -, NVwZ-RR 2012, 821, 823; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), BT-Drs. 15/420, S. 103; Erwägungsgrund Nr. 17 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl. EU L 158, S. 77).

Auch die systematische Auslegung bestätigt das gefundene Ergebnis.

Der Kläger weist für sich zwar zutreffend darauf hin, dass die Formulierungen in Satz 1 ("Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, ...") und Satz 2 ("Ihre Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, haben dieses Recht, wenn sie sich seit fünf Jahren mit dem Unionsbürger ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben.") des § 4a Abs. 1 FreizügG/EU sich von der in § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU ("Sind die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen") verwendeten Formulierung unterscheiden und hieraus sowie aus den unterschiedlichen Regelungsinhalten auch auf unterschiedliche materielle Anforderungen an den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nach § 4a FreizügG/EU und die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU geschlossen werden könnte. Dies blendet aber aus, dass auch § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU nicht nur an den "ständigen Aufenthalt" im Bundesgebiet anknüpft. Wie ausgeführt fordert diese Bestimmung schon nach ihrem Wortlaut und ihrem Sinn und Zweck, dass die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU während des ständigen Aufenthalts vorgelegen haben und nachträglich entfallen sind. Damit fordert auch § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU einen rechtmäßigen, nämlich an die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU anknüpfenden ständigen Aufenthalt. Zugleich definiert die Bestimmung die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts dahingehend, dass es nicht nur auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nach nationalen Vorschriften, sondern entscheidend auf die Freizügigkeitsberechtigung des Betroffenen ankommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.5.2012, a.a.O.).

Auch die Systematik der Richtlinie 2004/38/EG spricht dagegen, unterschiedliche Anforderungen an das Vorliegen eines ständigen Aufenthalts im Sinne der Bestimmungen der §§ 4a Abs. 1 und 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU zu stellen. Aus der Systematik der Richtlinie ergibt sich ein gestuftes System von Aufenthaltsrechten, das im Recht auf Daueraufenthalt nach Art. 16 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG bzw. § 4a Abs. 1 FreizügG/EU mündet. Damit richtet sich die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auch in Art. 16 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG nicht nach dem im jeweiligen Aufnahmemitgliedstaat geltenden nationalen Recht. Vielmehr setzt das Entstehen eines Rechts auf Daueraufenthalt unionsrechtlich voraus, dass der Betroffene während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG erfüllt hat (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-424/10 u.a. -, NVwZ-RR 2012, 121, 122 f. [VGH Bayern 17.08.2011 - 4 BV 11.785] (Ziolkowski u.a. ./. Deutschland); BVerwG, Urt. v. 31.5.2012, a.a.O.). Würde man demgegenüber die Möglichkeit der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU, die als solche eine rein nationale (Verfahrens-)Vorschrift ist und in der Richtlinie 2004/38/EG keine Entsprechung findet (vgl. GK-AufenthG, a.a.O., § 5 Rn. 42), nicht erst nach fünf Jahren des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts, sondern schon nach fünf Jahren des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet ausschließen, entstünde neben der Systematik der Aufenthaltsrechte nach der Richtlinie 2004/38/EG ein weiteres unionsrechtlich fundiertes Aufenthaltsrecht, das entgegen der Systematik der Richtlinie 2004/38/EG aber nicht für ein Daueraufenthaltsrecht qualifiziert (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 5 Rn. 22). Dass der nationale Gesetzgeber der in § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU getroffenen Regelung eine solche Wirkung beimessen und insoweit eine überschießende Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG vornehmen wollte, vermag der Senat nicht zu erkennen.

Das danach gebotene Verständnis des § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU hat auch das Verwaltungsgericht der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt und das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts des Klägers zutreffend bejaht. Dieser hat als Familienangehöriger eines Unionsbürgers in Ausübung seines allein akzessorischen Freizügigkeitsrechts seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet erst ab März 2007 fortgesetzt. Sein Freizügigkeitsrecht ist vor Ablauf der Fünfjahresfrist erloschen, als seine Ehefrau und die gemeinsame Tochter im November 2009 das Bundesgebiet verlassen und einen ständigen Aufenthalt in Frankreich begründet haben (vgl. GK-AufenthG, a.a.O., § 5 Rn. 57).

Der Kläger wendet gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung weiter ein, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Ermessensfehler des angefochtenen Bescheides verneint. Es habe die Ermessenserwägungen anhand falscher Kriterien überprüft und weder die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinem deutschen Kind noch seinen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet angemessen berücksichtigt. Er sei Vater des am H. 2010 geborenen und im Bundesgebiet lebenden deutschen Staatsangehörigen I., mit dem er zwar nicht in einer häuslichen Gemeinschaft lebe, aber regelmäßig Umgang habe. Diese Umstände begründeten zu seinen Gunsten eine Reduzierung des Ermessens dahingehend, von der Verlustfeststellung abzusehen.

Auch dieser Einwand ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen.

§ 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU stellt die Feststellung des Verlusts der Rechts auf Freizügigkeit in das Ermessen der Behörde. Im Rahmen der durch das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO durchzuführenden Rechtmäßigkeitsprüfung ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte die Grenzen des ihm zustehenden Ermessensspielraums verkannt oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte.

Nichts anderes ergibt sich im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Verlustfeststellung, insbesondere unter Berücksichtigung der sich aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK ergebenden Schutzwirkungen.

Ein etwaiges familiäres Zusammenleben des Klägers mit seinem am H. 2010 geborenen und im Bundesgebiet lebenden Sohn, dem deutschen Staatsangehörigen I., wird durch die Verlustfeststellung nicht tangiert. Ungeachtet der Frage, ob zwischen dem Kläger und seinem Sohn angesichts der wohl eher sporadischen Umgangskontakte und der Absicht des Klägers, zu seiner in Frankreich lebenden Ehefrau und der gemeinsamen Tochter zu ziehen, überhaupt eine nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige familiäre Lebensgemeinschaft besteht (vgl. zu den Anforderungen: Senatsbeschl. v. 12.03.2013 - 8 LA 13/13 -, [...] Rn. 24; v. 14.10.2010 - 8 PA 234/10 -, [...] Rn. 18 m.w.N.), wäre der Kläger zur tatsächlichen Führung einer solchen nicht auf den Fortbestand des Freizügigkeitsrechts angewiesen. Er hat sein akzessorisches Freizügigkeitsrecht nicht von seinem Sohn, sondern von seiner am J. 2006 geborenen Tochter und seiner Ehefrau, die beide französische Staatsangehörige sind, abgeleitet. Die Führung einer etwa gewünschten familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn würde durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG hinreichend ermöglicht.

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf den Schutz nach Art. 8 EMRK berufen.

Bezogen auf den Schutz der Familie nach Art. 8 Abs. 1 EMRK verweist der Senat auf seine vorstehenden Ausführungen im Zusammenhang mit dem Schutzgebot aus Art. 6 Abs. 1 GG. Art. 8 EMRK kann dort, wo sein Anwendungsbereich sich mit dem des Art. 6 Abs. 1 GG deckt, keine weitergehenden als die durch Art. 6 Abs. 1 GG vermittelten Schutzwirkungen entfalten. Das ist unter anderem für das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern der Fall; diese Beziehungen werden vom Schutzbereich beider Vorschriften umfasst (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.12.1997 - 1 C 20.97 -, NVwZ 1998, 748, 750).

Im Hinblick auf den darüber hinausgehenden Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht, dass es ihm gerade während des nur circa zweieinhalb Jahre währenden Zeitraums des Innehabens eines Freizügigkeitsrechts gelungen wäre, sich derart in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren, dass ihm ein Verlassen des Bundesgebiets unzumutbar geworden ist. Auch in dem vorausgegangenen, circa sechzehn Jahre währenden Zeitraum des Aufenthalts im Bundesgebiet ist eine nach Art. 8 EMRK schutzwürdige Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse nicht entstanden. Denn der Kläger hat sich in diesem Zeitraum - abgesehen von der nach § 55 Abs. 3 AsylVfG unerheblichen Zeit der Durchführung eines Asylverfahrens - ohne einen erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten, war also ausreisepflichtig und hat die bestehende Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise gleichwohl nicht wahrgenommen. Während solcher Aufenthaltszeiten kann nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eine durch Art. 8 EMRK geschützte Verwurzelung regelmäßig nicht entstehen (vgl. mit eingehender Begründung: Senatsbeschl. v. 29.3.2011 - 8 LB 121/08 -, [...] Rn. 52 f.).

2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten zuzulassen. Solche Schwierigkeiten sind nur dann anzunehmen, wenn die Beantwortung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage oder die Klärung einer entscheidungserheblichen Tatsache in qualitativer Hinsicht mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden ist (vgl. Senatsbeschl. v. 26.1.2011 - 8 LA 103/10 -, [...] Rn. 44). Daher erfordert die ordnungsgemäße Darlegung dieses Zulassungsgrundes eine konkrete Bezeichnung der Rechts- oder Tatsachenfragen, in Bezug auf die sich solche Schwierigkeiten stellen, und Erläuterungen dazu, worin diese besonderen Schwierigkeiten bestehen (vgl. Senatsbeschl. v. 11.10.2010 - 8 LA 65/10 -, [...] Rn. 17; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 124a Rn. 53).

Diesen Anforderungen trägt das Zulassungsvorbringen nicht hinreichend Rechnung. Der Kläger hat zwar eine konkrete Rechtsfrage formuliert, aber nicht dargelegt, mit welchen besonderen, also in qualitativer Hinsicht überdurchschnittlichen Schwierigkeiten die Beantwortung dieser Frage verbunden sein sollte. Im Übrigen vermag die abweichende Beurteilung - wie hier dargelegt - eines Verwaltungsgerichts allein eine besondere rechtliche Schwierigkeit der Rechtssache nicht zu begründen (vgl. Bader, in: Bader u.a., VwGO, 5. Aufl. 2010, § 124 Rn.38).

3. Die Berufung ist schließlich nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Eine solche grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 12.7.2010 - 8 LA 154/10 -, [...] Rn. 3; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: August 2012, § 124 Rn. 30 f. m.w.N.). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Zulassungsantragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren sowie näher zu begründen, weshalb sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung besteht. Darzustellen ist weiter, dass sie entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.2.2010 - 5 LA 342/08 -, [...] Rn. 12; Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 124a Rn. 103 f.).

Hieran gemessen kommt der vom Kläger aufgeworfenen Frage,

ob im Rahmen des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU der Verlust des Freizügigkeitsrechts nur dann nicht mehr festgestellt werden darf, wenn sich der Betroffene seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ob die Verlustfeststellung bereits dann nicht mehr möglich ist, wenn sich der Betroffene seit fünf Jahren ständig im Bundesgebiet aufhält,

eine die Zulassung der Berufung rechtfertigende grundsätzliche Bedeutung nicht zu. Die Frage ist, wie zu 1. ausgeführt, anhand des Gesetzes und juristischer Auslegungsmethoden zu beantworten, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedürfte.

Auch der weitere Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO abzulehnen, weil der Berufungszulassungsantrag, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, keine Aussicht auf Erfolg hat.