Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.09.2021, Az.: 10 LA 118/21

Ganztagsplatz; Tageseinrichtung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.09.2021
Aktenzeichen
10 LA 118/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70929
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 22.06.2021 - AZ: 4 A 538/19

Tenor:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer - vom 22. Juni 2021 wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Denn die von ihnen geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (vgl. Beschluss vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 15 m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 11.7.2013 – 8 LA 148/12 –, juris Rn. 9). Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Stattgebende Kammerbeschlüsse vom 6.6.2018 – 2 BvR 350/18 –, juris Rn. 16, und vom 16.10.2017 – 2 BvR 2615/14 –, juris Rn. 19; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschlüsse vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 15, und vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 7; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 13.2.2020 – 13 LA 491/18 –, juris Rn. 3). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen. Es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschlüsse vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 15, und vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 7; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 13.2.2020 – 13 LA 491/18 –, Rn. 3 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 – 7 AV 4.03 –, juris Leitsatz und Rn. 9; vgl. dazu auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 –, juris Rn. 17). Zur Darlegung der ernstlichen Zweifel bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffs auseinandersetzen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 6.10.2020 – 10 LA 275/19 –, juris Rn. 32 m.w.N.).

Die Kläger führen zur Begründung dieses Zulassungsgrunds aus, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei die Betreuung ihres im Jahr 2014 geborenen Sohnes in der Kindertagespflege kostenfrei. Zum einen sei die Regelung des § 12 Abs. 4 Beitragssatzung hier entsprechend anwendbar. Zum anderen verstoße der Kostenbeitrag gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Ihr diesbezügliches Vorbringen begründet jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

§ 12 Abs. 4 der Beitragssatzung lautet:

Werden drei oder mehr Kinder in Kindertagespflege betreut, wird der Kostenbeitrag für das im gleichen Umfang in Kindertagespflege betreute zweite Kind um die Hälfte reduziert, für das im gleichen Umfang in Kindertagespflege betreute dritte oder weitere Kind wird kein Kostenbeitrag erhoben. Bei unterschiedlichen Betreuungsumfängen wird der Kostenbeitrag für das in größtem Umfang in Kindertagespflege betreute Kind in voller Höhe erhoben. Für das im gleichen oder zweitgrößten Umfang betreute Kind in Kindertagespflege wird der Kostenbeitrag um die Hälfte reduziert. Für die im gleichen oder geringeren Umfang in Kindertagespflege betreuten weiteren Kinder wird kein Kostenbeitrag erhoben. Geschwisterkinder, die sich in Kindertageseinrichtungen befinden, werden hierbei wie Kinder mit den höchsten Betreuungsumfängen in Kindertagespflege berücksichtigt.

Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass die Betreuung des Sohnes der Kläger in Kindertagespflege nicht der Betreuung eines dritten Kindes gleichzustellen sei, weil insoweit keine planwidrige Regelungslücke mit vergleichbarer Interessenlage bestehe. Die Betreuung eines über drei Jahre alten Kindes in der Kindertagespflege zusätzlich zur Betreuung in einer Kindertagesstätte greife die Beitragssatzung in § 2 Abs. 1 Satz 4 bzw. § 3 Abs. 2 Satz 2 Beitragssatzung ausdrücklich auf und dieser Fall werde auch von den Regelungen zur Geschwisterermäßigung umfasst, insoweit nach § 12 Abs. 3 Satz 2 Beitragssatzung der Kostenbeitrag für die in Kindertagespflege betreute Tochter der Kläger um die Hälfte reduziert werde.

Die Kläger führen hiergegen an, dass § 2 Abs. 1 Satz 4 bzw. § 3 Abs. 2 Satz 2 Beitragssatzung lediglich ermöglichten, dass ein Nebeneinander der Betreuung in Kindertageseinrichtungen und derjenigen durch eine Kindertagespflege die Förderung unberührt lasse. Diese Vorschriften griffen den vorliegenden Fall nicht ausdrücklich auf und ließen dessen Besonderheiten unberücksichtigt. Sie - die Kläger - hätten erfolglos versucht, einen Platz in einer Ganztageseinrichtung zu erhalten und seien daher gezwungen gewesen, auf eine Kindertagespflege zurückzugreifen. Dass kein beitragsfreier Ganztagesplatz frei gewesen sei, könne nicht zu Lasten der Kläger gehen. Dies könne der Beklagte mit § 2 Abs. 1 Satz 4 und § 3 Abs. 2 Satz 2 Beitragssatzung auch nicht gewollt haben.

Aus diesem Einwand ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung:

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Beitragssatzung i.V.m. § 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII wird bei Inanspruchnahme der Förderung von Kindern in Kindertagespflege ein pauschalierter Kostenbeitrag erhoben. Werden zwei Kinder in Kindertagespflege betreut, wird der Kostenbeitrag für das zweite Kind um die Hälfte reduziert (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Beitragssatzung). Befindet sich ein Geschwisterkind in einer Kindertageseinrichtung, so wird der Kostenbeitrag für das in Kindertagespflege betreute Kind um die Hälfte reduziert (§ 12 Abs. 3 Satz 3 Beitragssatzung).

Da der Sohn der Kläger in einer Kindertageseinrichtung betreut wird, wird gemäß § 12 Abs. 3 Satz 3 Beitragssatzung der Kostenbeitrag für die in der Kindertagespflege betreute jüngere Tochter der Kläger um die Hälfte reduziert. Und da beide Kinder in der Kindertagespflege betreut werden, wird gemäß § 12 Abs. 3 Sätze 1 und 2 Beitragssatzung zusätzlich der Kostenbeitrag für die Betreuung des Sohnes in der Kindertagespflege halbiert. Mithin ist die vorliegende Konstellation der Familie der Kläger - ein Kind gefördert durch Kindertagespflege und ein zweites Kind betreut in einer Kindertageseinrichtung und ergänzend in der Kindertagespflege - von der Beitragssatzung des Beklagten erfasst und durch eine Halbierung beider Kostenbeiträge für Förderungen in Kindertagespflege geregelt. Für eine entsprechende Anwendung der Regelung für drei und mehr Kindern in § 12 Abs. 4 Beitragssatzung ist demnach weder Bedarf noch Raum.

Das Verwaltungsgericht ist insoweit zutreffend von dem Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen. Dass der Beklagte die Konstellation der Kläger nicht planwidrig übersehen hat zeigt auch - wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend und nachvollziehbar ausgeführt hat - § 2 Abs. 1 Satz 4 und § 3 Abs. 2 Satz 2 Beitragssatzung. Dass der Beklagte die Kostenbeitragspflicht für Geschwisterkinder, die ergänzend zu einer Förderung in einer Kindertageseinrichtung zusätzlich in Kindertagespflege gefördert werden, abweichend von den Wünschen der Kläger geregelt hat, begründet keine Regelungslücke.

Auch hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Interessenlage der Kläger nicht vergleichbar ist, mit der einer Familie mit drei geförderten Kindern und dem Entfallen der Kostenbeitragspflicht für ein drittes Kind. Das Bedürfnis finanzieller Entlastung bei drei und mehr Kindern, dass Ausprägung der Regelung des § 12 Abs. 4 Beitragssatzung sein dürfte, ist nicht vergleichbar mit dem bei zwei Kindern, wenn eines der beiden zusätzlich zur kostenfreien Förderung in einer Tageseinrichtung ergänzend in der Kindertagespflege gefördert wird.

Zwar ist den Kläger zuzugeben, dass bei einer ganztägigen Betreuung ihres Sohnes in einer Kindertageseinrichtung ein Kostenbeitrag nicht anfallen würde. Hieraus ergibt sich aber, wie bereits das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, kein Anspruch auf eine kostenbeitragsfreie Förderung in Kindertagespflege, wenn diese ergänzend zu einer Betreuung in einer Tageseinrichtung (§ 24 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII) erfolgt. Dies hat der Beklagte in seiner Beitragssatzung so nicht vorgesehen und auch nicht vorsehen müssen. Denn bei der Regelung der Erhebung von Kostenbeiträgen im Rahmen der Leistungsgewährung steht ihm ein weiter Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum zu (Senatsurteil vom 21.8.2018 – 10 KN 10/18 –, juris Rn. 66 m.w.N.), den der Beklagte hier ersichtlich nicht überschritten hat.

Die Kostenbeitragsfreiheit ergibt sich entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Mit ihrem diesbezüglichen Vorbringen stellen sie die Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht in Frage.

Die Kläger meinen, eine Ungleichbehandlung sei in der unterschiedlichen Behandlung von Familien zu sehen, die einen Ganztagesplatz erhalten haben und solchen, die aufgrund einer Kapazitätserschöpfung nur einen Platz mit geringerem Betreuungsumfang in Anspruch nehmen können. Die Frage der Beitragspflicht könne nicht davon abhängig sein, aus welchen Betreuungsformen sich die ganztätige Betreuung zusammensetze.

Bei der Förderung von Kindern in Kindertagespflege einerseits und in Tageseinrichtungen andererseits handelt es sich aber - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - nicht um wesentlich gleiche Sachverhalte, bei denen eine Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG geboten wäre, sondern vielmehr um Betreuungsformen mit erheblichen Unterschieden, deren Kostenbeitragsregelungen ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG unterschiedlich gestaltet werden können (Senatsurteil vom 21.8.2018 – 10 KN 10/18 –, juris Rn. 76, 84). Unabhängig davon beruht die Kostenfreiheit bei der Förderung in einer Kindertageseinrichtung auch nicht auf einer Regelung des Beklagten, sondern folgt aus § 22 Abs. 2 Satz 1 NKiTaG.

Die für die Kläger nachteilige Kostenfolge ist letztlich darauf zurückzuführen, dass ein Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung in einer Kindertageseinrichtung gesetzlich nicht vorgesehen ist (Senatsbeschluss vom 24.7.2019 – 10 ME 154/19 –, juris Rn. 4; OVG Saarland, Beschluss vom 8.10.2020 – 2 B 270/20 –, juris Rn. 11 m.w.N.; vgl. auch § 7 Abs. 4 Satz 1 NKiTaG) und jedenfalls in einzelnen Regionen lediglich eine nicht dem tatsächlichen Bedarf entsprechende Anzahl von Ganztagesplätzen zur Verfügung steht. Dies führt aber nicht dazu, dass der Beklagte keine Kostenbeiträge für die ergänzende Betreuung in Kindertagespflege erheben darf.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich bislang noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich noch nicht geklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 25, und vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 29; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 18.10.2019 – 9 LA 103/18 –, juris Rn. 42, und vom 31.8.2017 – 13 LA 188/15 –, juris Rn. 53). An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie sich unschwer aus dem Gesetz oder auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lässt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 25, und vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 32; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 21.5.2019 – 5 LA 236/17 –, juris Rn. 47; vgl. dazu auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 6.6.2018 – 2 BvR 350/18 –, juris Rn. 17; BVerwG, Beschluss vom 7.7.2015 – 1 B 18.15 –, Rn. 3 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Die Kläger sehen die folgende Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig an:

„Ist § 12 Abs. 4 der Beitragssatzung des Landkreises E. vom 7. Juni 2017 für Fälle entsprechend anwendbar, in denen die ergänzende Betreuung durch die Kindertagespflege durch die Erschöpfung der Kapazitäten von Ganztagesplätzen bedingt ist?“

Dieser Rechtsfrage fehlt die Klärungsbedürftigkeit, weil sie sich unschwer anhand des Gesetzes, der vorhandenen Rechtsprechung sowie der Satzung des Beklagten selbst verneinen lässt. Wie oben bereits ausgeführt fehlt es sowohl an einer planwidrigen Regelungslücke als auch an einer vergleichbaren Interessenlage.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).