Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.07.2013, Az.: 5 ME 109/13
Vorliegen der Voraussetzung der Entlassung eines Probebeamten aus organisatorischen Gründen gem. § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BBG
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 01.07.2013
- Aktenzeichen
- 5 ME 109/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 39204
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:0701.5ME109.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 19.03.2013 - AZ: 6 B 2075/13
Rechtsgrundlagen
- § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BBG
- § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BeamtStG
- § 26 Abs. 2 BeamtStG
- § 44 Abs. 2 BBG
Fundstellen
- DÖD 2013, 231-233
- DÖV 2013, 740
- NVwZ-RR 2013, 6
- NVwZ-RR 2013, 814
- NdsVBl 2014, 26-28
- RiA 2013, 266-268
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Entlassung eines Probebeamten aus organisatorischen Gründen gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BBG, § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BeamtStG setzt voraus, dass im gesamten Bereich des Dienstherrn eine anderweitige Verwendung auf einem Dienstposten, der dem statusrechtlichen Amt des Probebeamten zugeordnet ist, nicht in Frage kommt. Nach einer solchen Verwendungsmöglichkeit muss der Dienstherr aktiv suchen; die Suche ist in den Akten zu dokumentieren.
- 2.
Ob eine anderweitige Verwendung - ebenso wie im Fall der Dienstunfähigkeit gemäß § 44 Abs. 2 BBG, § 26 Abs. 2 BeamtStG - auch dann in Betracht kommt, wenn diese mit einem Laufbahnwechsel und einer Übertragung eines anderen statusrechtlichen Amtes verbunden ist, bleibt offen.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe.
Der im Jahr 19... geborene Antragsteller wurde am .... Oktober 2009 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Medizinalrat ernannt. Seine Probezeit, während der er sich uneingeschränkt bewährte, endete am .... Oktober 2012. Eingesetzt war er auf einem dem Kreiswehrersatzamt C. zugeordneten Dienstposten im Musterungszentrum D..
Im Zuge der Aussetzung der Wehrpflicht und der Neuorganisation der Nachwuchsgewinnung wurden die Kreiswehrersatzämter zum 30. November 2012 aufgelöst. In der Folge entfielen die dort angesiedelten Dienstposten, während vergleichbare Dienstposten in den neu geschaffenen "Karrierecentern" nur in deutlich geringerem Umfang neu entstanden. Daraufhin entließ die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Verfügung vom 19. September 2012 aus dem Beamtenverhältnis auf Probe. Zur Begründung führte sie aus, es gebe keinen struktursicheren Dienstposten im ärztlichen Dienst, auf dem der Antragsteller zukünftig verwendet werden könne. Unter dem 24. Januar 2013 ordnete die Antragsgegnerin zudem die sofortige Vollziehung der Entlassungsverfügung an.
Der Antragsteller erhob nach erfolglosem Abschluss des Widerspruchsverfahrens Klage. Seinem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gab das Verwaltungsgericht Oldenburg mit Beschluss vom 19. März 2013 statt. Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus, es könne nicht abschließend beurteilt werden, ob die Antragsgegnerin die rechtlich gebotene Prüfung einer anderweitigen Verwendung des Antragstellers ordnungsgemäß durchgeführt habe. Die Prüfung lasse sich anhand der Verwaltungsvorgänge nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit nachvollziehen. Insbesondere spreche vieles dafür, dass lediglich der Geschäftsbereich der Wehrbereichsverwaltung Nord in den Blick genommen worden sei. Dies bedürfe der weiteren Aufklärung.
Dem tritt die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde entgegen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen eine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses nicht. Im Gegenteil erweisen sich die Entlassungsverfügung vom 19. September 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2012 bereits bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung als rechtswidrig, sodass ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht besteht.
Rechtsgrundlage für die Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin ist § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BBG. Nach dieser Vorschrift können Beamte auf Probe entlassen werden bei einer Auflösung oder wesentlichen Änderung des Aufbaus oder der Aufgaben der Beschäftigungsbehörde oder deren Verschmelzung mit einer anderen Behörde, wenn das übertragene Aufgabengebiet davon berührt wird und eine anderweitige Verwendung nicht möglich ist.
Wann eine anderweitige Verwendung möglich ist, ist § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BBG nicht unmittelbar zu entnehmen. Eine - auf die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit bezogene - Definition findet sich allerdings in § 44 Abs. 2 BBG. Eine anderweitige Verwendung ist danach möglich, wenn ein anderes Amt, auch einer anderen Laufbahn, übertragen werden kann. Die Übertragung eines anderen Amtes ohne Zustimmung ist zulässig, wenn das neue Amt zum Bereich desselben Dienstherrn gehört, es mit mindestens demselben Endgrundgehalt verbunden ist wie das bisherige Amt und zu erwarten ist, dass der Beamte den gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes genügt.
Angesichts der identischen Wortwahl des Gesetzgebers liegt es nahe, die vorgenannte Definition des Begriffs der anderweitigen Verwendung auch auf § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BBG anzuwenden. Grundsätzlich ist jedenfalls davon auszugehen, dass ein Rechtsbegriff, der in einem Gesetz einheitlich verwendet wird, stets dieselbe Bedeutung aufweist. Zudem ist auch die Interessenlage vergleichbar. Nach dem in den gesetzlichen Bestimmungen zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers handelt es sich sowohl bei der vorzeitigen Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit als auch bei der Entlassung eines Probebeamten wegen organisatorischer Veränderungen um das letzte Mittel. Beide Maßnahmen kommen nur in Betracht, wenn alle anderen Möglichkeiten, den Beamten zu verwenden, fehlgeschlagen sind. Das spricht dafür, in beiden Fällen einen gleichermaßen strengen Maßstab anzulegen.
Im Ergebnis kann im vorliegenden Fall offen bleiben, ob die Definition des § 44 Abs. 2 BBG - insbesondere im Hinblick auf die in der Vorschrift eröffneten Möglichkeiten eines Laufbahnwechsels und einer Übertragung eines anderen statusrechtlichen Amtes - in vollem Umfang auf § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BBG zu übertragen ist (dafür wohl Tegethoff, in: Kugele, BeamtStG, 2011, § 23 Rn. 34). Eine anderweitige Verwendung i. S. v. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BBG ist bei Zugrundelegung des gebotenen strengen Maßstabs jedenfalls dann möglich, wenn der Dienstherr den Probebeamten weiterhin auf einem Dienstposten einsetzen kann, der seinem statusrechtlichen Amt zugeordnet ist. Das setzt voraus, dass im Bereich des Dienstherrn ein derartiger Dienstposten aktuell zur Verfügung steht oder aber in absehbarer Zeit voraussichtlich neu zu besetzen ist (vgl. zur anderweitigen Verwendung bei Dienstunfähigkeit BVerwG, Urteil vom 26.3.2009 - BVerwG 2 C 73.08 -, [...] Rn. 19 ff.; Beschluss vom 6.3.2012 - BVerwG 2 A 5.10 -, [...] Rn. 4).
Soweit sich die Antragsgegnerin demgegenüber unter Hinweis auf den weniger verfestigten Status des Probebeamten und das fehlende finanzielle Interesse an einer Weiterbeschäftigung gegen die Pflicht zu einer anderweitigen Verwendung im gesamten Bereich des Dienstherrn wendet und eine Verwendung lediglich im eigenen Geschäftsbereich bzw. im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung befürwortet, überzeugt das nicht. Die Antragsgegnerin lässt außer Acht, dass es sich bei der Entlassung eines Probebeamten aus organisatorischen Gründen um einen schwerwiegenden Eingriff in seine Rechtsstellung handelt. Die Entlassung enttäuscht das im Grundsatz berechtigte Vertrauen des Probebeamten, bei seiner Bewährung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen zu werden. Vor diesem Hintergrund kommt - wie bereits ausgeführt - die Entlassung nur ausnahmsweise in Betracht, wenn andere Verwendungsmöglichkeiten ausscheiden. Dieser Ausnahmecharakter der Vorschrift erfordert eine Betrachtung des gesamten Bereichs des Dienstherrn.
Nicht überzeugend ist auch der weitere Einwand der Antragsgegnerin, die Verpflichtung zu einer dienstherrenweiten Suche nach anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten mache die Entlassung von Probebeamten praktisch undurchführbar. Im Gegenteil ist aufgrund der dahingehenden Verpflichtung im Fall der Dienstunfähigkeit eines Beamten davon auszugehen, dass ein praktikables Verfahren der dienstherrenweiten Suche bereits besteht.
Bezieht sich die Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung demnach auf den gesamten Bereich des Dienstherrn, folgt aus § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BBG - ebenso wie aus § 44 Abs. 2 BBG - die Pflicht, vor einer Entlassung eines Probebeamten aus organisatorischen Gründen aktiv nach einer solchen anderweitigen Verwendungsmöglichkeit zu suchen. Dabei ist es Sache des Dienstherrn, schlüssig darzulegen, dass er die rechtlichen Vorgaben bei der Suche nach einer anderweitigen Verwendung beachtet hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.3.2009, a. a. O., Rn. 30; Beschluss vom 6.3.2012, a. a. O., Rn. 4).
Legt man dies zugrunde, erweisen sich die Entlassungsverfügung vom 19. September 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2012 als offensichtlich rechtswidrig. Wie die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 7. März 2013 selbst eingeräumt hat, hat sie lediglich im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung nach einer Weiterverwendungsmöglichkeit auf einem struktursicheren zivilen Dienstposten gesucht. Eine solche Suche ist unzureichend, weil sie sich nicht - wie nach den obigen Ausführungen rechtlich geboten - auf den gesamten Bereich der Bundesrepublik Deutschland als Dienstherrn bezieht. Hinzu kommt - darin ist dem Verwaltungsgericht Recht zu geben -, dass die Antragsgegnerin selbst diese begrenzte Suche nur unzulänglich dokumentiert hat. Den Verwaltungsvorgängen ist nicht zu entnehmen, dass eine aktive Suche, die gegebenenfalls auch dialogische Bemühungen erfordert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6.3.2012, a. a. O., Rn. 4), über den Bereich der Wehrbereichsverwaltung Nord hinaus überhaupt stattgefunden hat.